Oh Augenblick, Du warst so schön!

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Oh Augenblick, Du warst so schön!
Oh Augenblick, Du warst so schön!
Im Grunde ist alles gesagt, alles analysiert, alles beäugt und ausgewertet. Jedes
Wort auf die Goldwaage gelegt und wenn man ganz ehrlich ist, dann ist es Schnee
von gestern. Und bei der Formulierung fällt mir gleich Lorelais Gespür für Schnee
ein, wenn sie Nachts aufwachte, das Fenster öffnete und Schnee riechen konnte.
Wie viele Menschen haben diese Eigenschaft? Das machte sie so liebenswert, ihre
Gespür für Schnee.
Schnee von gestern, das Serienende von Gilmore girls ist schon in den USA ein Jahr
her und von daher war es ein Ende, auf das wir alle vorbereitet waren. Komisch,
trotzdem fühlt es sich so seltsam an.
7 Jahre sind eine lange, lange Zeit. Die einen waren vielleicht gerade erst 12 Jahre,
als sie mit der Serie anfingen, angehende Teenager mit typischen Problemen dieser
Altersgruppe, Schule, Freunde, erste Liebe. Heute, 7 Jahre später, sind diese
Zuschauer/Innen volljährig, ziehen von zu Hause aus, fangen mit einem Studium an
oder haben eine Lehre gemacht oder arbeiten oder keins von all dem.
Andere waren vielleicht zum Beginn der Serie in einer Partnerschaft und heirateten,
bekamen Kinder und sahen nächtlich Gilmore girls, weil sie nicht schlafen konnten
oder der Zwerg schrie die ganze Nacht, nur mit Lorelais Dauerquatschen konnte man
vielleicht den Erdenbürger besänftigen.
Andere machten vielleicht am Anfang der Serie die Feststellung, daß die
Ehe/Beziehung am Ende sei und man quälte sich wie Lorelai 7 Jahre lang durch ein
auf und ab an Gefühlen und heute sind diese Zuschauer vielleicht an einem ganz
anderen Punkt in ihrem Leben angekommen.
Ich hatte als ich mit Gilmore girls anfing eine ebenso holprige Phase in meinem
Leben und die damit verbundene Schlaflosigkeit sowie dem elenden Herzrasen
konnte man mit 2 Mitteln bekämpfen: Chemie oder, ja genau, Gilmore girls. Das
Zauberwort war Entspannung. Was Yoga oder andere Wellness-Anwendungen nicht
schaffen konnten, ein paar Minuten Gilmore ließ mich sanft wie ein Lamm werden.
Die turbulenten Dialoge, die manifeste liebevolle Beziehung zwischen Mutter und
Tochter, die chaotischen Versuche, in Normen zu passen, die innigen
Freundschaften zwischen Menschen, die irgendwie am Rande stehen (Danke Paris
und Kirk), die aber dennoch immer wieder Anerkennung finden konnten, all das
wirkte bei mir besser, als jede Chemie.
7 Jahre haben in einer Serie immer Höhen und Tiefen. Schauspieler kommen und
gehen, Verträge werden nicht verlängert und ab und an müssen sogar die
Produzenten ihre Sachen packen. Im Falle von Amy und ihrem Mann Dan war diese
Kündigung das vorzeitige Ende der Serie, wie man sie kannte und liebte.
David Rosental mußte nicht nur ein schweres Erbe antreten, seine eigene Biografie
zog anfänglich mehr negative Presse-Energien in das Serienumfeld. Obwohl seine
Obsession für Heidi Klum den Mann irgendwie menschlich machte und er dadurch
eigentlich einen Ritterschlag für das schräge Stars Hollow bekam, konnte er keine
Akzente in der Serie setzen. Man bekam fast den Eindruck, Rosental wollte bloß
nicht mit Ideen und Entwicklungen auffallen.
Heraus kam eine glatt gebügelte und Botox-gelähmte 7. Staffel, die irgendwie
dahinplätscherte.
Die Charaktere hatten aber auch plötzlich mit Elementen der klassischen Soap
Opera zu tun. Luke bekam in der 6. Staffel eine nie gekannte Tochter und damit fing
das Malheure an.
Dieser „Bobby Ewing-Effekt“ zerstörte mehr, als das er nützte. (Man erinnert sich an
Dallas, der Schauspieler Patrick Duffy hatte keine Lust mehr der liebe Bruder des
fiesen J.R. Ewings zu sein und wurde mittels Tod aus der Serie geschrieben, um
dann eines Tages wieder unter der Dusche aufzutauchen. War alles nur ein Traum,
ätschi-bätsch).
Der eine bekam also eine Tochter, die andere schlief sekundenspäter mit dem Ex,
nachdem sie mit dem anderen Ex (der zu dem Zeitpunkt nicht dachte, er wäre schon
ein „Ex“) Schluß gemacht hatte.
Lorelai Gilmore und der Sex! Entweder war er ungeplant, ungeschützt und damit
verhängnisvoll. Doch durch das Wunderkind Rory war diese ungeschützte
Empfängnis eine Bereicherung für die Welt (und die Idee für die Serie).
Oder er war ungeplant und unüberlegt und stürzte eine ganze Kleinstadt ins Unglück.
Oder er war geplant, stürmisch, ungeschützt und der nie gekannte Appetit auf einen
Apfel war die Folge.
Sex kam allgemein in der Serie schlecht weg. Rorys erste Mal stürzte Mutter und
Tochter in einen Streit und eine Kleinstadt in den Wahnsinn. Oder die wohl unsexiest
Affäre in der ganzen Serie: Lorelai und Digger Dingsbumms, der Geschäftspartner
ihres Vaters. Dieser Sex stürzte das Gilmore Imperium fast in den Ruin und die Fans
in einen nicht enden wollenden Würgereiz.
Lane, Rorys beste Freundin, machte auch ihre speziellen Erfahrungen mit Sex und
das Ergebnis waren dann mal gleich Zwillinge. Und Sookie vertraute ihrem
Ehemann, der angeblich sich die Samenleiter durchtrennt hatte, aber auch dieses
Vertrauen endete mit einem Kind.
Fazit: Sex endet meistens mit Kindern oder Katastrophen. Fängt zumindest beides
mit „K“ an.
Gut, die Serie hieß ja auch nicht „Sex and the vi llage“ oder „Sex as queer can be“,
aber ich fand diese Message wirklich reichlich blöd. Vielleicht sehe ich aber das auch
mit europäischen Augen einer Frau mittleren Alters (Danke für die Stützstrümpfe, my
dear).
Und was hätten wir gegeben für so eine knackige Szene mit männlichen Darstellern,
muskulös, animalisch und Frauen, die bekannt für ihr aufbrausendes Wesen sind, die
sexuell-energetisch die Luft knistern läßt, die vielleicht endlos auch im Bett redet oder
dazu gar keinen Atem hat J. Ja, es war eine Familienserie, Amen!
Noch ein Wort zu der Beziehung zwischen Lorelai und ihren Eltern: auch da hat man
es nicht geschafft, nach 7 Jahren die Personen zu entwickeln. Kelly Bishop spielte
die elegante -verzickte-anstrengende Emily Gilmore bravourös. Aber a uch dieser
Person hätte es mal zugestanden und besonders am Ende, auf ihre Tochter zu
zugehen, ohne Geld, ohne Maßregelungen. Bei so viel Kitsch und Tränen am
Schluß, hätte eine Umarmung von Mutter und Tochter, allen gut getan. Und es wäre
eine freundschaftliche Geste der beiden Schauspielerinnen Graham/Bishop
gewesen, die diese 7 Jahre beste Arbeit geleistet haben.
Es war meine Serie! Ich mochte sie, sie brachte mir viel Gutes. Ich mochte das Ende
nicht, ich mochte nicht, was sie daraus gemacht hatten. Ic h mochte das ganze
Geeier nicht, die Oberflächlichkeit, das sinnlose vertun von Sendezeit. Das Hin und
Her, die Ziel- und Planlosigkeit, das war alles so konzeptlos und ganz ehrlich: man
kann Amy viel nachsagen, aber sie wußte immer, was sie wollte.
Wie kann man eine Beziehung von Rory und Logan, die man so intensiv aufgebaut
hatte, mit so einem lapidaren Ende versehen? Wie kann man den Typ so vom Set
jagen? Dreht sich um und weg ist er. Was für eine Nachricht an junge Frauen ist
das? Du kannst entweder mit Anfang 20 Karriere machen oder heiraten? Und wenn
Du dann nicht aufpaßt, bumms, bist Du gleich schwanger, womöglich mit Drillingen.
Wer läßt sich so einen Mist einfallen? Und welche Produzenten tragen so etwas mit?
Frau Graham, ich wundere mich! Selbst Frau genug und dann so ein Signal an die
Zuschauerinnen da draußen?
Man sagt, es kommt immer etwas besseres nach. Nun, ich bin gespannt.
Man sagt, es ist ja NUR eine Serie. Nun, ich weiß es besser J
Man sagt, eine Serie ist nur so gut, wie seine Zuschauer, HERZLICHEN
GLÜCKWUNSCH an uns alle, wir waren verdammt gut!
© Koile 2008

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