Alle Neune auf der virtuellen Kegelbahn

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Alle Neune auf der virtuellen Kegelbahn
Alle Neune auf der virtuellen Kegelbahn
Senioren des AWO-Seniorenzentrums trainieren mit „Wii“ von Nintendo ihre Fähigkeiten – und halten sich fit
VON A NTJE STÜRMANN
Achim. Elfriede Eilmus reißt die Arme
hoch: „Alle Neune“, jubelt die 87-jährige,
gehbehinderte Frau. Sie, Ergotherapeutin
Christiane Knof-Grotevent und Gerhard
Kracke sitzen im abgedunkelten Mehrzweckraum des AWO-Seniorenzentrums –
und Kegeln. Nicht mit echten Kugeln. Die
Senioren kegeln virtuell, mit einem WiiSpiel von Nintendo.
Gesponsert hat das Gerät der Seniorenund Behindertenbeirat der Stadt Achim.
„Wir haben dem AWO-Seniorenzentrum
und dem Alten- und Pflegeheim Am Berg
in Baden jeweils ein Wii gestiftet“, erklärt
der Sprecher des Seniorenbeirats Knut Pickert. „Sozusagen als Nachteilsausgleich
gegenüber den neuen, gut ausgestatteten
Heimen.“ Das Geld für die zwei neuen Geräte inklusive je eines Programms habe der
Seniorenbeirat Ende 2009 über gehabt, erklärt Pickert. „Wir hatten nicht den gesamten Zuschuss der Stadt für Sommer- und
Adventsfahrten ausgegeben.“
Die Idee, davon Wii-Geräte für Altenheime zu kaufen, habe eine Pflegedienstleiterin gehabt, so Pickert. „Die Frau hat einen kleinen Sohn, der damit spielt“, berichtet der Beiratssprecher. Im AWO-Seniorenzentrum schaffte ein Zivildienstleistender
die technischen Voraussetzungen und
führte so das Nintendo-Spiel im Achimer
AWO-Pflegeheim ein.
Beamer projeziert Kegelbahn
Seitdem übt Elfriede Eilmus eifrig. Mit einer weißen Fernbedienung in der rechten
Hand sitzt sie erwartungsvoll auf einem
Stuhl im Mehrzweckraum. Blaue Gardinen
verdunkeln das Zimmer. Ein Beamer wirft
das Bild einer Kegelbahn an die Wand.
Kurzzeitig erscheint daran eine weibliche
Figur mit braunem Pferdeschwanz, grünem Lidschatten über den Augen, in Jeans
und T-Shirt. „Elfriede“ steht im Namensfeld. Während Elfriede Eilmus ungeduldig
auf die Kegelbahn schaut, hält Christiane
Knof-Grotevent ihre Hand und erinnert sie:
„Erst auf den Knopf mit dem A drücken,
dann Schwung holen und die Taste auf der
Rückseite loslassen.“
Elfriede Eilmus hat verstanden. Sie kann
kaum erwarten, dass es endlich losgeht.
Sie holt mit dem Arm weit nach hinten aus.
Ihr Blick ist konzentriert auf die neun weißen Kegeln gerichtet. Ihr Arm gleitet nach
vorn, sie lässt die Taste los und die Kugel
rollt los. Sie rollt und rollt. Bamms! Auf dem
Bild an der Wand fallen acht Kegeln um,
eine wackelt und bleibt stehen. „Ey, doch
daneben“, ruft Elfriede Eilmus enttäuscht.
„Nicht so eilig“, bremst die Ergotherapeutin sie. Beim zweiten Versuch schafft Elfriede Eilmus auf Anhieb alle Neune.
Kein Wunder: Elfriede Eilmus ist ein alter Profi. „Ich habe 30 Jahre lang geke-
Wii sorgt im Alten- und Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt in Achim für Abwechslung. Elfriede Eilmus gehört zu den Senioren, die beim virtuellen Kegeln
(siehe Projektion an der Wand) zur Fernbedienung greifen und sich fit halten.
FOTO: ANTJE STÜRMANN
gelt“, verrät sie. „Solange mein Mann bei
der Post war, sind wir einmal die Woche kegeln gegangen“, sagt die 87-Jährige. Jetzt
sei sie zu alt für den Sport. Wii zu spielen,
das macht ihr genauso viel Spaß: „Mit den
Kugeln und den Kegeln, das ist genauso
wie auf der richtigen Kegelbahn“, sagt sie.
Während sie so schnackt, schiebt Gerhard Kracke, der vorübergehend im Altenheim wohnt, mit Elan eine virtuelle Kugel.
Auch er hat sichtlich Spaß daran – auch
wenn sich der 79-Jährige nicht so überschwänglich freut wie Elfriede Eilmus. Viel
üben musste auch er nicht. Denn: „Herr
Kracke ist ein Talent“, lobt Christiane
Knof-Grotevent. Von ihm könnten die jungen Leute noch eine Menge lernen.
Obwohl die rüstigen Senioren mit Computern sonst nicht viel am Hut haben: „Ich
habe das vorher noch nie gemacht“, gesteht Elfriede Eilmus. Nur weil’s ums Kegeln ging, sei sie schwach geworden und
habe zur kabellosen Fernbedienung gegriffen. „Das wäre ja peinlich, wenn ich es
nicht wenigstens ausprobieren würde“,
sagt sie und lacht. „Die Hauptsache ist
doch, du bleibst gesund.“
Genau das ist das Ziel der Aktion: Vor allem körperlich Pflegebedürftige und Demenzkranke trainieren mit dem Computer-
„Beim Wii merken die
Senioren gar nicht, dass sie
ihre Koordination üben“
Ergotherapeutin Christiane Knof-Grotevent
spiel ihre Konzentrationsfähigkeit und ihre
Aufmerksamkeit. „Das Wii übt ganz stark
die Koordination“, erklärt Ergotherapeutin
Knof-Grotevent. Nur wer Auge und Hand
koordinieren könne, der sei auch imstande,
sich ein Brot zu schmieren. Wichtig ist der
Ergotherapeutin auch, dass sich die Senio-
ren gemeinsam über die Erfolge anderer
freuen und dass sie Spaß haben. „Beim Wii
merken sie gar nicht, dass sie gerade ihre
Koordination üben“, sagt sie und: „Wenn
sich Herr Kracke auf diesem Weg traut,
mehr aus sich herauszukommen oder Frau
Eilmus so beweglich bleibt wie sie ist, dann
ist das ein Erfolg.“
Dass die Senioren den „Jungen“ darüber hinaus „noch was zeigen können“, davon ist Elfriede Eilmus überzeugt. Am 9.
September sollen sie dazu Gelegenheit bekommen: „Wir haben vor, Schüler oder
junge Besucher des Bürgerzentrums zu einem Wettbewerb im Wii-Kegeln einzuladen – oder einfach nur zum Wii-Spielen“,
sagt die Assistentin der Einrichtungsleitung Bärbel Stelzer.
Hintergrund ist die Kampagne „Typen
gesucht“, mit der die Mitarbeiter der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege junge Menschen für soziale Berufe interessieren will. Elfriede Eilmus
freut sich drauf.

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