Bemerkung zum Berufungsurteil des Arusha

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Bemerkung zum Berufungsurteil des Arusha
Helmut Strizek
Bonn, den 6. Juli 2014
Bemerkungen
zum
Berufungsurteil des Arusha-Gerichts vom 30. Juni 2014
im Fall von
General Augustin Bizimungu
Am 30. Juni 2014 hat die Berufungskammer des Arusha-Gerichts unter Vorsitz des amerikanischen Richters Theodor Meron1 die 30jährige Haftstrafe des Kammerurteils vom 17. Mai
2011 einstimmig bestätigt. Sowohl die Verteidigung (Gilles St-Laurent aus Kanada) als auch
die Anklage hatten Berufung beantragt.
Das Bizimungu-Verfahren war am 7. Februar 2014 vom Berufungsurteil im Verfahren Militär
II ohne Begründung ausgeklammert worden. Die Freisprüche für General Ndindiliyimana und
Major François Nzuwonemeye in diesem Verfahren am 11. Februar 2014 haben Proteststürme der Kigali-Regierung ausgelöst und im April 2014 zu einem Beschwerdebrief der parastaatlichen Opferorganisation IBUKA und anderer ruandischer Organisationen an den Sicherheitsrat mit dem Ziel der Ablösung von Richter Meron geführt.
Das jetzige Urteil ist ganz offenkundig von diesen Demarchen aus Kigali beeinflusst, denn
allgemein war von einem weiteren Freispruch ausgegangen worden.
Diese Vermutung wird auch durch die Begründung der Verfahrensabtrennung am 7. Februar
2014 im Urteil vom 30. Juni 2014 bestätigt. Es habe sich erwiesen, dass das Kammerurteil im
Falle Augustin Bizimungu2 mit derart vielen Verfahrensfehlern behaftet gewesen sei, dass die
Berufungskammer ihr Recht für ein neues Urteil wahrgenommen habe. In Tz. 8 der Zusammenfassung des Urteils vom 30. Juni 2014 findet sich der sensationelle Satz: “Das Fehlen
jeglicher rechtlichen Begründung im Kammerurteil stellte einen manifesten Defekt dar, der
1
Beteiligt waren außerdem: Richterin Khalida Rachid Khan (Pakistan) und die Richter Armel Agius
(Malta), Liu Daqun (VR China) und Bakhtiyar Tuzmukhamedov (Russ. Föderation). Beachtlich ist,
dass die Richterin Khan (Regierung II 2011, Gatete 2011) und Richter Tuzmukhamedov (Urteil
Nzabonimana 2012) vor ihrem Wechsel in die Berufungskammer an Kammerurteilen beteiligt waren.
Im Fall Gatete wurde unter dem Vorsitz von Frau Khan sogar eine lebenslange Haftstrafe ausgesprochen, die 2012 von der Berufungskammer auf 40 Jahre reduziert wurde.
2
In der Zusammenfassung des Kammerurteils durch die Berufungskammer liest sich das Urteil so: „4.
The Trial Chamber convicted Bizimungu of aiding and abetting genocide in relation to attacks in
Rwankeri Sector in Ruhengeri Prefecture. It also found him guilty as a superior for genocide and extermination as a crime against humanity in relation to attacks at the Josephite Brothers compound in
Kigali Prefecture. The Trial Chamber convicted Bizimungu as a superior for genocide, murder as a
crime against humanity, and murder as a serious violation of Article 3 common to the Geneva Conventions and of Additional Protocol II based on violence at the École des sciences infirmières de
Kabgayi (“ESI”), the TRAFIPRO Centre, and the Musambira Commune office and dispensary in Gitarama Prefecture. The Trial Chamber also found that Bizimungu incurred superior responsibility for
murder as a crime against humanity in relation to killings at the Cyangugu Prefecture stadium, and
the Butare Prefecture office and Episcopal Church of Rwanda in Butare Prefecture (“EER”). 5. The
Trial Chamber also convicted Bizimungu as a superior for rape as a crime against humanity and as a
serious violation of Article 3 common to the Geneva Conventions and of Additional Protocol II in
relation to sexual violence at the Cyangugu Prefecture stadium, the Butare Prefecture office and EER,
the ESI, TRAFIPRO, and the Musambira Commune office and dispensary in Gitarama Prefecture. The
Trial Chamber sentenced Bizimungu to 30 years of imprisonment.”
1
eine begründete Meinungsbildung verhinderte. Die Berufungskammer betrachtet den Umfang
dieses Fehlers als beispiellosen Vorgang in der Geschichte des Gerichts.”3
Wenn man dies liest, würde man einen Freispruch erwarten.
Aber tatsächlich wurden nur
• die Verurteilung wegen Völkermord aufgehoben,
• die im Kammerurteil behauptete Verantwortung für die Milizen Interahamwe verneint
und eine Reihe von anderen Einzelverurteilungsgründen aus dem Kammerurteil fallen
gelassen. (Vgl. Tz. 139 des Berufungsurteils)
Und völlig unverständlicherweise wurde das Strafmaß des Kammerurteils bestätigt.
Wie das?
In Tz. 408 des Berufungsurteils wird lapidar festgestellt, die Vorgesetztenverantwortung für
schwerste Verbrechen werde bestätigt, deshalb hätten die erwähnten Modifikationen des
Kammerurteils keine Bedeutung für das Strafmaß.4
Kurzbewertung
Mit der Strafmaßbestätigung haben die Proteste gegen Richter Meron aus Kigali nach dem 11.
Februar 2014 ihr Ziel erreicht. Zu einem noch bei Abtrennung am 7. Februar 2014 in der Luft
liegenden weiteren Freispruch fehlte der Mut. Man wollte mit dem erwähnten Hinweis auf die
Fehler des Kammerurteils aber immerhin signalisieren, dass man lieber ein anderes Urteil
gefällt hätte. Zur Gesichtswahrung hat man dann eine langes juristisches Feuerwerk in dem
Berufungsurteil abgebrannt, mit dem erklärt werden sollte, warum man ein solch unverständliches Urteil gefällt hat. Denn auch in diesem Urteil, das die persönliche Integrität von General Bizimungu unterstreicht, konnte – wie auch in keinem anderen Arusha-Gerichtsurteil – der
Beweis einer planvollen Beteiligung der Armeeführung am Tutsi-Völkermord nicht erbracht
werden. Man griff auf die sehr weit ausgelegte, geradezu abstrakte Vorgesetztenverantwortung zurück, mit der man auch schon Oberst Bagosora zu 35 Jahren Gefängnis5 verurteilt hatte. Wie auch im Bagosora-Urteil unterstellt die Berufungskammer im Fall Bizimungu, die
hohen Militärs hätten unabhängig von den RPF-Angriffen die Möglichkeit gehabt, alle von im
Einzelnen nicht bewiesene Übergriffe von Uniformträgern6 zu unterbinden oder zu bestrafen.
3
The absence of any relevant legal findings in the Trial Judgement constituted a manifest
failure to provide a reasoned opinion. Indeed, the Appeals Chamber considers the magnitude
of
this error to be unprecedented in the history of the Tribunal. Dies ist eine Ohrfeige für die
4
The
Chamber
considers
thatHikmet
the reversals
impact
theobwohl
sentence
imposed
by
RichterAppeals
Asoka de
Silva (Vors.),
Taghrid
und Seondo
Kinot
Park
und das
Richter
Park jetzt
the Trial Chamber. As a consequence, the Appeals Chamber affirms the sentence of 30 years
of imprisonment.
5
Man behauptete, Oberst Bagosora, damals demobilisiert und als Staatssekretär im Verteidigungsministerium tätig, sei während der Abwesenheit von Verteidigungsminister Bizimana
vom 6. bis 9. 4.1994 oberster politischer Repräsentant der ruandischen Armee gewesen und
somit für alle Vergehen von Armeeangehörigen während dieser Tage verantwortlich gewesen.
6
Bizimungu hat im Verfahren darauf hingewiesen, dass in vielen Fällen RPF-Leute in Uniformen der
Armee aufgetreten seien.
2
Augustin Bizimungu kam an einer Stelle des Verfahrens wohl der Wahrheit am nächsten,
wenn er sagte, er habe den Eindruck, das Gericht hätte wohl von ihm erwartet, dass er „sein
Land gnädig dem Feind aushändigt.“7
Dass Kagame und seine Verbündeten in Uganda und in den USA den RPF-Sieg um jeden
Preis wollten und sich um das Schicksal der Zivilbevölkerung keinen Deut kümmerten, davon
steht nichts im Urteil. Der Beschluss des Sicherheitsrats vom 21. April 1994 zur Opferung der
Inlandstutsi durfte niemals ins Bewusstsein der Arusha-Richter vordringen, genauso wenig
wie die Frage der Verantwortung für das den Völkermord auslösende Attentat vom 6. April
1994. Es kommt mir vor wie ein Urteil aus Absurdistan.
7
In Tz.162 des Urteils heißt es: Bizimungu asserts that by finding that the protection of civilians could
not be subjected to any other consideration such as military constraints, the Trial Chamber suggested
that he should have „graciously handed over his country to the enemy“.
3

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