Nur wenige Bands steigen kometenhaft auf, ohne zu verglühen

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Nur wenige Bands steigen kometenhaft auf, ohne zu verglühen
Nur wenige Bands steigen kometenhaft auf, ohne zu verglühen, wenn sich eine Durststrecke einstellt.
HATE SQUAD gehören dazu. Sie blicken mit der prall gefüllten Doppel-CD „You Are Not My Fuckin’ God
(Best Of 20 Years Of Raging Hate)“ voller Stolz auf ihre Freundschaft, ihr Durchhaltevermögen in guten wie in schlechten
Zeiten und ihre Liebe zur Musik zurück. In anderen Worten: auf Hannover H8Core – anger from the gutter since 1993.
Die Niedersachsen gehören Anfang der 1990er ebenso wie die befreundeten Crack Up, Warpath, Dew-Scented und Disbelief
zu einer neuen Bandgeneration, die scheuklappenfrei denkt und musiziert, sich nicht an Dogmen und stilistischen
Monokulturen orientiert. HATE SQUAD und die Ryker’s (zu denen Urgitarrist Tim Baurmeister nach zwei Alben wechselt)
bilden zwei Seiten der selben Medaille: Die Kasseler bewegen sich vom Hardcore immer mehr auf den extremen Metal zu,
HATE SQUAD nähern sich unter umgekehrten Vorzeichen einer Metal/Core-Schnittmenge, an der sich Jahre später heute so
erfolgreiche Bands wie Heaven Shall Burn (coverten bereits 2004 ´Not My God´) und Maroon laben.
Die ersten vier Jahre der Bandgeschichte erscheinen wie im Zeitraffer. Im April 1993 entstehen HATE SQUAD quasi aus
dem Nichts: Die kurzlebigen reinen Death Metal-Vorstufen Putrefaction und Revenge Of Gods von Drummer Helge und
Shouter Burkhard wurden in der bisherigen Legende gerne unterschlagen. Nur wenige Wochen später folgt ein Erfolgsdemo,
zum Jahresende der erste Gig, der die punkige Einstellung der Kumpel aus Lehrte, einer Gemeinde vor Hannover,
unterstreicht. Der Support der Fanziner-Szene ist riesig, HATE SQUAD sind aus alter Tapetrader-Tradition ihrer Mitglieder
von Anfang an tief im Underground verwurzelt.
Schon auf dem „Theater Of Hate“-Tape, welches mit über 3.250 verkauften Einheiten nicht nur ein Bestseller der
deutschen Metal-Geschichte ist, experimentieren sie aus Spaß mit Grind und Tekkno-Elementen. Das ebenso betitelte
Debütalbum finanziert das bassistenlose Quartett vor und wird nach einer Zitterpartie mit einem Deal belohnt, um den sie
die vom Grunge gelähmte Musikergilde der Hard Rock-City Hannover beneidet: GUN Records (Great Unlimited Noises),
ein Major unter Sony-Fittichen aus dem Pott, päppelt nicht nur alte Helden wie Grave Digger und später Running Wild auf,
sondern fördert auch junge Talente, darunter im Laufe der Jahre so unterschiedliche Bands wie Depressive Age, H-Blockx,
Guano Apes, Apocalyptica und H.I.M. Ihr ebenfalls als Titel einer Sampler-Serie genutztes Credo „Crossing All Over“
passt wie die Faust aufs Auge zum Selbstverständnis von HATE SQUAD. Auf „Theater Of Hate“, dem Album, erweitern diese
1994 ihre Melange aus Death Metal, traditionellem wie modernem Thrash und Hardcore um frische Grooves.
In ‚Love/Hate’ bereichert eine Prise Pete Steele-Coolness (Type O Negative) den ansonsten von herben Growls
dominierten Gesang von Burkhard Schmitt.
Die Support-Tour für Atrocity und ein in Eigenregie arrangiertes Gastspiel beim legendären Eindhovener Dynamo-Festival
unterstützen das Debüt. Der Opening-Slot der 1995er-Full-Of-Hate-Osterfestivals katapultiert die Band im Sog des
ersten Albums aus der niedersächsischen Diaspora auf die europäischen Club- und Hallenbühnen.
Clips bei Viva und MTV vergrößern ihre Popularität noch.
„I.Q. Zero“ ist 1995 ein Amalgam der bisherigen Stilmischung, angereichert um Industrial-Flirts im Sinne von Godflesh
und Pitchshifter. Alleine in Deutschland werden 20.000 Exemplare des Albums abgesetzt. Bauke De Groot (Ex-Zenith und
Sargant Fury), heute noch eine der Konstanten in der Besetzung und Labelbetreiber von Swell Creek, komplettiert
HATE SQUAD nach den Aufnahmen des Zweitwerks als Bassist. Doch schon vor der Tour mit Kreator muss der später
zurückkehrende und ebenfalls bis heute aktive Gitarrist Mark Künnemann aussteigen, um seinen Arbeitsplatz
nicht zu riskieren.
Die EP „Sub Zero – The Remixes“ mit tanzbaren (Die Krupps) bis radikal chaotisch bolzenden (Alec Empire) Remixen
und dem untypischen Eigengewächs ‚Every Second Counts’ ist da im Folgejahr ein logischer Schritt. Dieser stößt allerdings
wie ähnliche Veröffentlichungen von Fear Factory oder die Kooperation von Die Krupps und Accu§er an der metallischen
Basis auf geteiltes Fanecho.
Die Produktion von „Pzyco!“ mit dem gerade aufstrebenden heutigen Starproduzenten Daniel Bergstrand (u.a. Meshuggah,
In Flames, Dimmu Borgir, Strapping Young Lad) erfolgt Ende 1996 unter verschärften Bedingungen in Malaga, Spanien.
Nicht nur das Verhältnis zum Label kühlt sich wegen verdoppelter Produktionskosten ab. Auch die bis dahin stetig
gewachsene Fanbase lehnt das einerseits mit der Ballade ‚Just A Dream’ (inklusive cleanem Gesang) und andererseits
mit forcierten Neo-Thrash-/CoreGrooves aufwartende Album mehrheitlich ab.
Die Konsequenzen sind bitter: Zwei Tourzusagen müssen storniert werden, HATE SQUAD verlieren ihren Deal und
verfallen aus der Sicht Außenstehender in eine jahrelange Schockstarre. Aufgelöst aber - wie viele immer noch meinen hat sich die Band nie, sondern ihren Aktionsradius vorerst wieder auf die lokalen Clubs beschränkt.
Das 1998er-Demo „H8“ soll der Vorbote eines Albums sein, das wegen des Wechsels an der Gitarrenfront niemals
aufgenommen wird. Ein inoffizielles 2002er-Demo und schließlich 2004 das wütende wie straighte vierte Album
„H8 For The Masses“ (Swell Creek) besiegeln die Rückkehr von HATE SQUAD. Erneut steht die Produktion unter keinem
guten Stern, Sänger Burkhard muss sich zum zweiten Mal in Folge vergrippt durch seine Gesangsaufnahmen schleppen.
Die Demo-Versionen von ‚Raging Hate’ und ‚Never Give Up’ zeigen auf der Best-Of-DCD,
welchen Drive das Material zuvor hatte, das Remastering weiterer Albumsongs korrigiert damalige Fehler hörbar.
Das Quintett versteht sich mehr denn je als verschworene Einheit, die in den Folgejahren wieder zur alten Spielfreude
und Unverkrampftheit zurückfindet. Die Abstände zwischen den Alben betragen einige Jahre, da bis auf den Frontmann
alle Bandmitglieder Familienväter geworden sind. Hatte man das Gefühl, dass HATE SQUAD in den ersten Bandjahren die
gebratenen Tauben in den Mund geflogen sind, so kämpfen sie seit anderthalb Dekaden um Anerkennung, anständige
Festivalslots und Touren. Die Produktionen von „Degüello Wartunes“ (2008) und zuletzt „Katharsis“ (2011) verlaufen
entspannt, die Band spielt ihre Erfahrung aus. Das letztgenannte Album ist der Einstand bei Massacre Records,
die sich ebenfalls seit über 20 Jahren behaupten, und ein Lohn für ihre harte, ehrliche Arbeit. Gleiches gilt für den Gig auf
dem diesjährigen Wacken Open Air – die letzte Stippvisite der Band dort datiert auf 1995.
„You Are Not My Fuckin’ God (Best Of 20 Years Of Raging Hate)“ spiegelt alten Weggefährten nachhaltig, dass
HATE SQUAD immer noch Arsch treten. Gleichzeitig präsentiert es die Pioniere in ihrer ganzen stilistischen Bandbreite
einem jungen Publikum, welches die von ihnen inspirierten Bands liebt und nach den Wurzeln „ihres“ Sounds sucht.
Die frühen drei Alben und die EP sind mit der Auflösung von GUN 2009 endgültig nicht mehr erhältlich,
an „H8 For The Masses“ wurden Soundkorrekturen wahrgenommen, und „Degüello Wartunes“ ging auf dem ebenfalls
verblichenen Label Dockyard1 seinerzeit etwas unter. Zusätzlich runden Tracks vom legendären ersten Demo
den Songreigen von 37 Keulenschlägen ab.
HATE SQUAD haben in diesem Jahrtausend nichts geschenkt bekommen, geben aber trotzdem aus vollem Herzen.
Man darf die Jubiläums-Doppel-CD nicht als Abschiedsvorstellung begreifen,
sondern als Pausenvorhang vor dem nächsten Album.
Danken wir es ihnen mit einem ihrer eigenen Songtitel: ‚Respect’!
Diskografie
Besetzung
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Burkhard Schmitt: Vocals
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Bauke De Groot: Bass
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Helge Dolgener: Drums
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Mark Künnemann: Gitarre
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Marcel Griese: Gitarre
Theater Of Hate (1993, Demo)
Theater Of Hate (1994)
I.Q. Zero (1995)
Sub Zero – The Remixes (1996, EP)
Pzyco! (1997)
H8 (1998, Demo)
H8 For The Masses (2004)
Degüello Wartunes (2008)
Katharsis (2011)
You Are Not My Fuckin’ God
(Best Of 20 Years Of Raging Hate) (2013, Best-Of)
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