Britney - Claudia Schumacher

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Britney - Claudia Schumacher
Die bekannteste Unbekannte
Britney Spears prägte den Pop-Kosmos der Nullerjahre wie keine andere Sängerin. Seit ihrem
­Zusammenbruch vor acht Jahren darf sie per Gerichtsentscheid nicht einmal mehr im Privaten eigene
Entscheidungen treffen. Jetzt soll es ein grosses Comeback geben. Von Claudia Schumacher
«Ich weiss es nicht»: Popstar Spears, 34.
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Weltwoche Nr. 34.16
Bild: Randee St. Nicholas (ZVG)
Eine Königsboa gleitet durch die schummrige,
von wenigen Neonleuchten erhellte Garderobe.
Ihr schwerer, eleganter Körper schlängelt sich
langsam über ein rotes Lackkleid. Knisternde
Atmosphäre, schneller werdende Lichtblitze –
bis eine global bekannte Frauenstimme aus
dem Off ertönt: «Bevor du weisst, was geschieht, wurde Geschichte geschrieben. Bevor
du weisst, was los ist: It’s Britney, bitch!»
Mit diesem Video hat Britney Spears gerade
ihr Comeback angekündigt. Gross soll es werden. «Glory», das neue Album der Pop-Ikone,
erscheint am 26. August. Zwei Tage später will
Spears erstmals in diesem Jahrzehnt wieder
auf der Bühne der MTV Video Music Awards
auftreten.
Aus zwei Gründen ist ein Comeback im Fall
Spears eine wunderliche Sache. Und wie
­eigentlich immer, wenn es um Spears geht,
sind diese Gründe komplett widersprüchlich
und von einem logisch veranlagten Kopf nicht
unter einen Hut zu kriegen.
Feuer in den Augen
Erstens: Bei einer Sängerin, die 2015 vom
US-Magazin Forbes auf Platz fünf der meistverdienenden Musikerinnen weltweit gelistet
wurde – und das vor Rihanna –, wirkt das Wort
Comeback irgendwie deplatziert. Während es
in Europa um die heute 34-Jährige ziemlich
still geworden ist, konnte sie sich in den USA
und in vielen anderen Ländern die öffentliche
Aufmerksamkeit sichern. Der Erfolg ist immer
noch gross, wenn auch nicht mehr über­ragend.
Seit ihrem Kollaps im Jahr 2008 hat Spears
­bereits vier Alben veröffentlicht. «Piece of
Me», ihre Dauershow in Las Vegas, ist oft ausverkauft und wurde 2014 vom betreffenden
Ca­sino um zwei Jahre verlängert, wofür Spears 35 Millionen US-Dollar kassierte. Diverse
Parfüm- und Lingerie-Hersteller verkaufen
nach wie vor die Marke Spears. Und wenn Britney Blödsinn macht, berichten eben selbst
heute noch sämtliche Medien – auch in Europa: vom Guardian über den Spiegel bis hin zu
20 Minuten; wie eben erst, als sie den amerikanischen ­
Late-Night-Talker Jimmy Kimmel
nachts vor laufenden Kameras für eine kleine
Showein­lage mit mehreren Tänzern in seinem
Schlafzimmer überraschte.
Für ein Comeback ist Spears eigentlich viel
zu erfolgreich. Ungeachtet dessen ist es gleichzeitig aber so, dass man ihr ein Comeback
nicht richtig zutraut.
Es ist eine schaurige Tatsache, die gar nicht
allseits bekannt ist, weil das Spears-Team die
Berichterstattung darüber weitgehend unterbindet: Nach kalifornischem Gesetz ist Spears
schon seit acht Jahren unter «Conservatorship», eine Art Vormundschaft, gestellt. Sie ist
bis heute unselbständig wie eine hundertjährige Frau, der Unzurechnungs­fähigkeit bescheinigt wird. Tatsächlich ist die Conservatorship, unter der Spears steht, hauptsächlich
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zum Schutz von alten Menschen und geistig
behinderten Erwachsenen eingeführt worden.
Als 2007 aber die verrückten Bilder um die
Welt gingen, wie Spears, mit Gurten an eine
Tragebahre geschnallt, als Notfall in die Psy­
chiatrie eingeliefert wurde, diagnostizierten
die Ärzte eine psychische Krankheit, die es ihr
offenbar unmöglich macht, sich selbst zu verantworten. Ihrem Vater und einem Anwalt
wurde in der Folge das Sorgerecht für sie
übertragen. Bei jeder grösseren Entscheidung privater oder finanzieller Natur muss
Spears ihre Betreuer seither um Erlaubnis
bitten. Sie entscheiden auch darüber, mit
wem sie Umgang haben darf. So haben sie
­bereits einen früheren Manager und einen
Ex-Freund von ihr fern­gehalten, da diese
Männer angeblich dem fragilen Wohlbefinden der Sängerin schaden.
Laut einem Bericht der New York Times ist
Spears bis heute in medikamentöser Behandlung. Aufgrund welcher psychischen Krankheit, wird unter Verschluss gehalten. Spears
hatte 2007 vor dem finalen Zusammenbruch
ein befremdliches Verhalten an den Tag gelegt.
Sie sprach mit britischem Akzent und fuhr
Der Apparat, der Spears
im goldenen Käfig hält, verdient
sehr gut an ihrem Vermögen.
­ uto wie eine Lebensmüde. In den Medien
A
wurde der Zerfall des Megastars auf allen
­Kanälen ausgeschlachtet. Als Hauptprobleme
der Sängerin galten der Sorgerechtsstreit um
ihre zwei Söhne und die permanente Beschattung durch Paparazzi, die sie offenbar immer
stärker bedrängten und ihr massive Ängste bescherten (auch wenn sie 2007 kurzzeitig mit
einem Paparazzo liiert war).
Die Conservatorship hält an – offenbar ist
Spears noch immer labil genug dafür. Aber wie
soll eine Frau, die nicht auf eigenen Füssen
­stehen kann, den Pop-Kosmos regieren?
Aus der Ferne betrachtet, gestaltet sich der
momentane Stand der Dinge so: Spears geht es
wieder deutlich besser als 2007, als sie bei den
MTV Video Music Awards zum letzten Mal
auftrat. Damals performte sie «Gimme More»,
wirkte irgendwie sediert, tanzte für ihre Verhältnisse schwerfällig und sah im knappen
Outfit ungewohnt speckig aus. Von dem gros­
sen Feuer in ihren Augen, das ein Plattenboss
einmal als «the eye of the tiger» bezeichnet
hatte, war nichts mehr zu sehen.
Heute aber sieht Spears wieder fast aus wie
damals, als sie mit ihren Auftritten bei den
MTV Video Music Awards zur provokantesten
Pop-Künstlerin ihrer Generation avancierte:
Etwa 2001, als sie, spärlich bekleidet mit einer
Königsboa um den Hals, «I’m a Slave 4 U» performte. Oder 2003, als sie noch einen draufsetzte und zusammen mit Christina Aguilera
«Like a Virgin» sang, bis die als Bräutigam verkleidete Madonna dazukam und die beiden
küsste – in vielen Rankings die Nummer eins
der heissesten Momente der Pop-Geschichte.
Gut, mit Blick auf die Nase, die geschwol­
lenen Lippen und die etwas frostig wirkende
­Mimik kann man im Jahr 2016 mutmassen,
dass bei Spears nicht mehr alles naturbelassen
ist. Aber Angst vor dem Schönheitschirurgen
soll sie auch früher nicht gehabt haben (Stichwort Brüste). Insofern: Optisch alles beim
­Alten!
Und was macht die Musik? Das Lied, das
­Spears bei den nun bevorstehenden Awards
performen möchte und mit dem sie erneut Geschichte schreiben will, heisst «Make Me». Es
entstand in Zusammenarbeit mit dem Rapper
G-Eazy, der mit ihr auf der Bühne stehen wird.
Mentaler Paradigmenwechsel
Es ist ein eingängiger, elektronischer Song,
wenn vielleicht auch nicht der ganz grosse
Wurf. Das eigentliche Problem dürfte aber
auch hier eher ein mentales sein, das bereits im
Titel anklingt: Wie kann ein Pop-Song im Jahr
2016 noch «Make Me» heissen?
Gemachtwerden, das war die Geisteshaltung
der Nullerjahre, als sich Pop-Sängerinnen von
ihren Produzenten ein Image, eine Stimme und
ein zeitgemässes Outfit verpassen liessen. Dadurch entstand ein fatalistischer Erfolgstraum.
MTV produzierte zu dieser Zeit auch eine beliebte Reality-Show, in der normale Teenager
sich von Spezialisten zu etwas machen liessen,
das sie sein wollten. Das Social-Media-Zeitalter
brachte jedoch einen Paradigmenwechsel: Do
it yourself! Authentizität im Auftreten und
­Eigeninitiative im Handeln sind gefragt. Auch
die heutigen Pop-Prinzessinnen schreiben
­ihre Lieder selbst – oder verkörpern diesen
Anspruch zumindest glaubwürdig.
Britney Spears hingegen ist ein Produkt, von
Kindesbeinen an. Und das essenziell, bereits in
der Stimme. Als Kind sang sie tief, voluminös
und jazzig. Als sie 1992 im Alter von sechzehn
Jahren bei Jive Records unter Vertrag genommen wurde, trainierte man ihr einen Monat
lang eine neue Stimme an – mit der sie später
nicht nur singen, sondern auch sprechen sollte. Heraus kam eine höhere, manchmal raue,
dann wieder kaugummiartige, sexuell sehr
aufgeladene Stimme – unverkennbar Britney!
Aber wer ist das, Britney?
In einer der letzten grösseren Spears-Dokumentationen sagt die Sängerin, sie fühle sich
nicht wohl mit ihrem Image. Als der Journalist
fragt, wie sie denn gesehen werden wolle, antwortet sie: «Ich weiss es nicht.» Ein Mensch,
der nie richtig frei war, kann auch nicht wissen, wer er ist.
Der Apparat, der Spears bevormundet und
im goldenen Käfig hält, verdient sehr gut an
ihrem Vermögen. Bislang gibt es keine klaren
g
Zeichen dafür, dass Britney freikommt. 57

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