Bericht über GM Wesselin Topalow

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Bericht über GM Wesselin Topalow
Ausgabe 09/2010
GM Wesselin Topalow im Porträt
Von
1997-2004
war
der
jetzige
Herausforderer Topalow nie ganz vorne in
der FIDE-Weltrangliste zu finden. Spieler
wie Kasparow, Kramnik und Anand
standen immer im Rampenlicht vor ihm.
Urplötzlich war Topalow dann im Oktober
2005 aus deren Schatten getreten und
sorgte mit seinem Triumph bei der FIDEWeltmeisterschaft im argentinischen San
Luis für eine kleine Überraschung. Dank
seines
kompromisslosen
Kampfstiles
überzeugte er mit seinem modernen
Angriffs-Schach und stand bereits eine
Runde vor Schluss als Sieger fest. Über
den kleinen Wermutstropfen berichten wir
noch gesondert.
Ohne Niederlage wurde Topalow neuer
FIDE-Weltmeister. Ein Jahr darauf verlor
er
diesen
Titel
wieder
in
einem
Herzschlagfinale um die "Krone der 64
Felder" gegen seinen Erzrivalen Wladimir
Kramnik. Nach einem 6:6 in den Partien
mit normaler Bedenkzeit bezwang sein
Rivale ihn mit 2,5:1,5 im SchnellschachTiebreak. Nach diesem Vereinigungsmatch
war Kramnik der unumstrittene SchachChampion und reihte sich in die
klassische Linie der Weltmeister ein, die
1886 mit Wilhelm Steinitz begann.
Rechts der junge Weltmeister Wilhelm
Steinitz bei seinem Sieg über Adolf
Anderssen 1866 in London
Da Topalow nicht - wie ursprünglich
vorgesehen - an der nächsten WM 2007
in Mexiko-Stadt teilnehmen konnte,
sicherte ihm die FIDE damals gleich zu,
dass er noch einmal ins Titelrennen und
ohne Extraqualifikation zurückdürfte. Aus
schachpolitischen Gründen war Topalow
somit als Sieger der letzten FIDEWeltmeisterschaft, die ja noch vor der
Titelvereinigung
stattfand,
für
das
Herausforderungsmatch
gesetzt. Im
Februar 2009 bezwang er GM Gata
Kamsky vorzeitig mit 4,5:2,5 Punkten und
ist nun endlich der Herausforderer von
Weltmeister Viswanathan Anand.
An dieser Stelle sei noch einmal unser
Rückblick auf sein äußerst erfolgreiches
Jahr 2005 erlaubt. Jahrelang waren
schwache Nerven die Achillessehne von
Topalow. Aber seit 2005 macht er nun
regelmäßig Ausdauer- und Krafttraining
und hat sich zudem einen Psychologen als
Mentaltrainer zugelegt.
Fortan geht
Topalow mit der Maxime - keine Angst
mehr vor dem Gewinnen zu haben - in
jedes Turnier.
Eine gute Entscheidung, denn Wasko, wie
ihn seine zehntausendfache bulgarische
Fangemeinde nennt, belegte in Wijk aan
Zee den alleinigen 3. Platz, hinter Peter
Leko und Viswanathan Anand, und
besiegte
dabei
den
amtierenden
Ausgabe 09/2010 – Seite 1
Spielerporträt GM W. Topalow – 22.02.10 © Hajo
Bilder - & Quellennachweis: www.neues-deutschland.de, www.munzinger.de, www.studentenpilot.de
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Ausgabe 09/2010
Weltmeister Wladimir Kramnik mit den
schwarzen Steinen in 20 Zügen. Einen
Monat später gelang ihm ein weiterer
Erfolg in seiner Karriere, als er das
Turnier in Linares gewann (zusammen mit
Garri Kasparow, den er in der letzten
Runde schlug). Diese Niederlage war für
Kasparow sicher auch ein Grund für den
überraschenden Rücktritt seiner aktiven
Profilaufbahn und wechselte in die Politik.
Bei dieser Wahl gingen schon erste Zweifel
bei einigen Spielern einher, weil bei
Topalow einfach
ein unglaublicher
Leistungssprung stattgefunden hatte.
Im Mai 2005 setzte Topalow in der
bulgarischen Hauptstadt seine Siegesserie
fort und gewann überlegen das M’tel
Masters in „seinem Revier“ vor Anand, den
er um einen Zähler distanzierte. In der
letzten Runde gelang ihm zum zweiten
Mal in diesem Jahr wieder ein Sieg mit
den schwarzen Steinen gegen seinen
Erzfeind Kramnik und war am Ziel seiner
Wünsche.
Was war geschehen? - Seit seiner
Verpflichtung Anfang 2005 führt der
Sekundant
von
Topalow,
Iwan
Tscheparinow,
für
den
Großmeister
Computeranalysen durch und wird für
viele der erfolgreichen Neuerungen in
Topalows
Eröffnungen
verantwortlich
gemacht. Der Manager von Tscheparinow
ist der erwähnte Silvio Danailow, der auch
Topalow betreut.
Deshalb setzte der damalige Vierte,
Alexander Morosewitsch, bei der Wahl
zum Schach - Oscar auf die ersten beiden
Plätze zwei Schachprogramme und auf
Platz drei: Manager Silvio Danailow!
Topalow’s Manager Silvio Danailow &
Sekundant Iwan Tscheparinow
Den bis dato größten Erfolg 2005 aber
feierte Topalow im Oktober in Argentinien.
Wie eingangs erwähnt, gelang es ihm dort,
die erstmals seit 1948 wieder in einem
Rundenturnier
ausgespielte
FIDE
Weltmeisterschaft zu gewinnen.
Im April 2006 wurde Topalow dann auch
zum ersten Mal mit der Wertungszahl von
2804 Elo die Nr. 1 in der Weltrangliste.
Knapp vor Anand, der mit 2803 Elo
Zweiter blieb und erst ein Jahr später den
Schacholymp erklomm.
Somit war es auch nicht verwunderlich,
dass er im Mai 2006 für diese Glanzlichter
in seiner Karriere mit dem Schach – Oscar
2005 ausgezeichnet wurde.
Die Zeiten, in denen sich Schachgenies
misstrauten, sind eigentlich vergangen.
Nun aber, unmittelbar nachdem Topalow
in
Argentinien
Weltmeister
wurde,
keimten die ersten Spekulationen auf, der
Bulgare könne unerlaubte Computerhilfe
bekommen haben. Sein Manager hätte
ihm
mit
heimlicher
Zeichengabe
computergeprüfte Züge übermittelt, lautet
der geäußerte Verdacht, unter anderem
von WM-Teilnehmern, die nicht zitiert
werden wollten. Wiederholt wurde dort
insbesondere auch von den Zuschauern
beobachtet, dass Manager Danailow
merkwürdig anmutende Handbewegungen
ausführte; er sich hinterm Ohr kratzte
und obwohl bislang nicht als Brillenträger
in Erscheinung getreten, auf die Brille
tippte oder sich einen Daumen in den
Mund steckte.
Auch beim Spitzenturnier Corus in Wijk
aan Zee/Niederlande wurde das Verhalten
von Topalows Manager wie zuvor im
argentinischen
San
Luis
erneut
geschildert. Während der live im Internet
übertragenen zweiten und dritten Runde
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hat er regelmäßig die Spielhalle verlassen
und telefoniert; anschließend strebte er
schnellstens wieder in die eine Ecke des
Zuschauerbereichs, in der er Topalows
Partie zwar nicht verfolgen konnte, aber
direkten Blickkontakt zu ihm hatte und
erneut versteckte Zeichen gab. Topalow
soll die Gesten seines Managers erkannt
und gewinnbringend eingesetzt haben.
Beide Betrugsvorwürfe sind übrigens per
Amateurvideo dokumentiert. Wer sich
selbst ein Bild von den Anschuldigungen
machen will, kann eines von den besagten
Videos beim Turnier in den Niederladen
auch bei www.youtube.com im Internet
finden. - Stichwort: Danailov-Topalov.
Trotzdem wurde auf Grundlage der
verfügbaren Indizien kein Urteil gefällt.
FIDE-Präsident
Kirsan
Nikolajewitsch
Iljumschinow erklärte dazu, dass keine
Untersuchung eingeleitet worden ist.
Schließlich
könne
der
zweitgrößte
Sportverband der Welt erst aktiv werden,
wenn eine offizielle Beschwerde an ihn
gerichtet werde, von einem Spieler oder
Turnierveranstalter.
Dies ist nicht geschehen!
Auch die Vereinigung der Schachprofis
(ACP) hat zwar auf die Berichte reagiert, in
denen das ungewöhnliche Verhalten von
Silvio Danailow thematisiert wurde. Aber
in einer Erklärung hieß es dazu nur, dass
es schädlich für das Schach sei, wenn
Spieler unerlaubte Mittel benutzten.
Andererseits sei das Problem durch den
technischen Fortschritt real. Man werde
also Lösungen suchen, um allgemein
Gelegenheiten
zum
Betrügen
zu
verhindern.
Nicht einmal das Spiel der Könige ist
heute noch sicher, denn heimliche
Computerhilfe ist zur Gefahr für das
Schach geworden. Was die PCA der FIDE
vorgeschlagen hat, wurde nicht öffentlich.
Obwohl dringend geboten, halten die
wenigsten Veranstalter von Topturnieren
zeitverzögerte Übertragungen der Partien
im Internet, wie bei den alljährlichen
Schachtagen in Dortmund, für notwendig.
Um den aktuellen Gefahren zu begegnen,
ließ die FIDE im WM-Kampf 2006 in
Russland einen gläsernen Sichtschutz
zwischen
Spielern
und
Zuschauern
aufstellen,
um
Zeichensprache
zu
verhindern. Obwohl rund um die Halle
auch Störsender im Einsatz waren, kam
es trotzdem zwischen den Kontrahenten
in Elista
bald zu einem Skandal.
Nachdem Kramnik 3:1 in Führung
gegangen war, wurde er von Topalows
Lager
wegen
dessen
häufiger
Toilettengänge
verdächtigt,
dort
elektronische Hilfe in Anspruch zu
nehmen. Der Vorwurf von "technischem
Doping" hielten prominente Großmeister
der
Schachszene
für
reine
Wettkampftaktik,
um
Kramnik
in
schlechtem Licht dastehen zu lassen oder
als ein Zeichen für Nervosität im Team des
Bulgaren.
Der Wiedervereinigungswettkampf in der
kalmückischen Steppe stand durch dieses
reine
Störmanöver
nach
dem
unerwarteten Rückstand des bulgarischen
Großmeisters
kurz
vorm
Abbruch.
Jedenfalls war es wieder einmal gelungen,
durch die mittlerweile als "Toilettengate"
in die (Schach-) Geschichte eingegangene
Geschehnisse das Schach auf die
Titelseiten der wichtigsten Zeitungen der
Welt zu hieven.
Tatsächlich ist die über hundertjährige
Geschichte der WM-Duelle reich an
Psychotricks und Misstrauen. Kramnik
trat wegen der Manipulationsvorwürfe
nicht zur fünften Begegnung an, worauf
Topalow der Sieg zugesprochen wurde
und auf 2:3 verkürzen konnte. Dieser
Umstand rettete Topalow dennoch nicht.
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Unter Protest spielte Kramnik weiter und
rang Topalow in einer großen Schlacht
nieder. Selten war sich nahezu die
gesamte Welt der Schachinteressierten
einig, dass Kramnik als gefeierter Held
aus
diesem
Kampf
der
Giganten
herausgekommen ist.
Auch beim WM-Kampf 2008 in Bonn
zwischen Anand und Kramnik wurde als
Schutz vor heimlicher Zeichengabe eine
nicht zu übersehende Gegenmaßnahme
getroffen. Zuschauer und Spieler trennte
nämlich ein nur einseitig durchsichtiger
Gazevorhang, so dass die Großmeister die
im Dunkeln sitzenden Zuschauer nicht
sehen konnten.
Erfreulich für die Schachwelt war neben
den gutklassigen Partien das Ausbleiben
der
üblichen
Skandalchen.
Beide
Großmeister unterstrichen erneut, faire
Sportsmänner zu sein und verzichteten
gänzlich auf etwaige Fisimatenten, um
Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen.
Nun steht ab April 2010 der Zweikampf
um die Schachkrone zwischen Anand und
dem Bulgaren bei seinem Heimspiel in
Sofia an. Auf 12 Partien ist der
Weltmeisterschaftskampf angesetzt. Bei
Gleichstand soll der Titelgewinner nach
einem Tiebreak von 4 Partien Blitzschach
ermittelt werden. Manche hegen die
allergrößten Befürchtungen, was für ein
"Spielchen" Topalovs Anhang dieses Mal
abzieht. Vom spielerischen Potenzial
beider Protagonisten dürften die einzelnen
Duelle ohne Mätzchen ausgespielt werden.
Das Duell lässt einiges erwarten. Topalow
ist für seinen aggressiven Stil von
Partiebeginn an berüchtigt, überspannt
jedoch zuweilen den Bogen und muss
dann in die Verteidigung, die zweifellos
nicht zu seinen Stärken gehört. Der
Bulgare mit dem spanischen Spitznamen
"La Topadora Topalov", der Bulldozer,
begeistert mit seinem kompromisslosen
Angriffsstil nach wie vor die Meisten.
Dagegen hat Anand schon manche sicher
verlorene geglaubte Partie gerettet, ohne
deswegen als ausgesprochener Verteidiger
zu gelten. Auch wenn Anand sich in
schwacher Form wähnt, so darf Topalow
sicher sein, dass ihn der amtierende
Weltmeister mit seiner hervorragenden
Vorbereitung ein ums andere Mal
überraschen wird.
Da jede Medaille bekanntlich zwei Seiten
hat, hier noch die Biographie ohne
Kontroversen von Wesselin Topalow. Er
wurde am 15. März 1975 in der
nordbulgarischen Stadt Russe an der
Donau geboren. Anfang der 80er-Jahre
begann er im Alter von 7 mit dem
Schachspiel. Bereits 1989 konnte er mit
dem
U14-Weltmeistertitel
auf
sich
aufmerksam
machen.
Seine
Eltern
starben früh, er hat einen Bruder.
Und er hat Silvio Danailow, seinen
Manager und väterlichen Freund. Seit
Topalow 16 ist, arbeiten sie zusammen;
Anfang der 90er Jahre zogen beide ins
spanische Salamanca, wo sie heute noch
leben. Zum Großmeister wurde Topalow
1992 ernannt. Aufgrund seiner oft
hervorragenden Turniere gehört Topalows
Rating zu den besten aller Zeiten und zum
illustren Kreis der Spieler, die die Marke
von 2800 Elo-Punkten knacken konnten.
Sein Höchstwert von 2813 Punkten wurde
bisher nur von Garri Kasparow getoppt.
Im April 2006 wurde Topalow erstmals
Ranglistenerster und verteidigte den Platz
bis April 2007. Im Oktober 2008 eroberte
er sich den „Platz an der Sonne“ zurück
und blieb dort weitere 15 Monate bis
Dezember 2009.
Zu guter Letzt nur am Rande des Schachs: Wer
einmal das Glück haben sollte, eine
Simultanpartie gegen Topalow spielen zu
können,
muss
sich
folgende
Situation
vorstellen: Der GM tritt ans Brett, sie machen
einen Zug und bieten remis. Ungläubig wird
sein Nicken zur Kenntnis genommen! Doch
weit gefehlt: Im Gegensatz zu Deutschland
wird in Bulgarien eine Verneinung mit
Kopfnicken
ausgedrückt
und
das
Kopfschütteln ist das Zeichen für eine
Zustimmung!
Ein solches Missverständnis wird beim WMKampf nicht vorkommen, da auch in Indien
diese nonverbale Kommunikation dieselbe
Bedeutung hat.
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