Einführung in die Linguistik Butt / Eulitz / Wiemer Morphologie II
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Einführung in die Linguistik Butt / Eulitz / Wiemer Morphologie II
Einführung in die Linguistik Butt / Eulitz / Wiemer Morphologie II Aufgepasst! Morpheme und Silben entsprechen einander nicht immer: σ r a d Morphem Rad σ σ r E: d Morphem å Morphem Räder Morphologie Beispielanalyse: Japanisch Präsens, informell Präsens, höflich yobu ‘ruft’ yobimasu ‘ruft’ Verbstamm: yob? yobu? kaku ‘schreibt’ kakimasu ‘schreibt’ Flexion: (1. Hypothese) Präsens informell: -u Präsens höflich: -imasu yobi? Morphologie Beispielanalyse: Japanisch Präsens, informell Präsens, höflich taberu ‘isst’ miru ‘sieht’ kiru ‘trägt’ yomu ‘liest’ tabemasu ‘isst’ mimasu ‘sieht’ kimasu ‘trägt’ yomimasu ‘liest’ Flexion: (1. Hypothese) Präsens informell: -u Präsens höflich: -imasu Morphologie Beispielanalyse: Japanisch Warum das Ganze?? Das Japanische verlangt CV Silben Präsens, informell taberu ‘isst’ kiru ‘trägt’ yomu ‘liest’ Präsens informell: -u Präsens höflich: -masu Präsens, höflich tabemasu ‘isst’ kimasu ‘trägt’ yomimasu ‘liest’ bei “vokalfinalen” Stämmen wird -r eingeschoben bei “konsonantfinalen” Stämmen wird -i eingeschoben Was ist Flexion? Der Werwolf, von Christian Morgenstern Ein Werwolf eines Nachts entwich von Weib und Kind und sich begab an eines Dorfschullehrers Grab und bat ihn: “Bitte beuge mich!” Der Dorfschulmeister stieg hinauf ... Nominativ “Der Werwolf” — sprach der gute Mann des Werwolfs, Genitiv sodann dem Werwolf, Dativ, wie man’s nennt den Werwolf — damit hat’s ein End” Akkusativ Flexion Flexion, die wir bisher schon gesehen haben: Nomen: Kasus, Numerus, Genus Verben: Numerus, Person, Genus, Höflichkeit Adjektive: Kasus, Numerus, Genus Was hat das mit Beugen zu tun???? Flexion kommt von Lat. flectere ‘zu beugen’ Idee der alten Griechen/Römer: Ein Wort hat eine Nennform und weitere Formen, die sich von der Nennform wegbeugen. Flexionsparadigmen Wortformen werden in Paradigmen geordnet. Präsens Präteritum 1. Person Sg sag-e sag-t-e 2. Person Sg sag-st sag-t-est 3. Person Sg sag-t sag-t-e 1. Person Pl sag-en sag-t-en 2. Person Pl sag-t sag-t-et 3. Person Pl sag-en sag-t-en Perfekt ... ... Das Flexionsparadigma eines Wortes ist die Menge an Formen, die es annehmen kann. Flexionsparadigmen Das Flexionsparadigma eines Wortes ist die Menge an Formen, die es annehmen kann. Wortformen unterscheiden sich in ihren Flexionsmerkmalen. Diese kann man zu Merkmalsklassen zusammenfassen. Z.B.: Merkmalsklasse Numerus Kasus Ergativ Genus Merkmale Singular, Plural Dual Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ Feminin, Maskulin, Neutrum Gemüse Nachspiel Der Werwolf, von Christian Morgenstern Dem Werwolf schmeichelten die Fälle, =Kasus er rollte seine Augenbälle. Indessen, bat er, füge doch zur Einzahl auch die Mehrzahl noch! Der Dorfschulmeister aber mußte gestehn, daß er von ihr nichts wußte Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar, doch “Wer” gäb’s nur im Singular. =Numerus Der Wolf erhob sich tränenblind — er hatte ja doch Weib und Kind!! Doch da er kein Gelehrter eben, so schied er dankend und ergeben. Unterschiedliche Stammformen Manchmal hat ein Wort (eine Wurzel) mehr als eine Stammform: geh- vs. ging Präsens Präteritum 1. Person Sg geh-e ging 2. Person Sg geh-st ging-st 3. Person Sg geh-t ging 1. Person Pl geh-en ging-en 2. Person Pl geh-t ging-t- 3. Person Pl geh-en ging-en Suppletion Manchmal gibt es auch völlig anders aussehende Formen: Englisch go, Prät. ist nicht *goed sondern went Urdu hona ‘sein’: Präs.: Prät.: hai ‘er/sie ist’ tha/thi ‘er/sie war’ • went kommt ursprünglich von wend (wend one’s way), Dt. winden • tha/thi kommt ursprünglich von stha ‘stehen’ Suppletion Suppletion: von Lat. suppl„re ‘komplett machen’ Suppletion greift dann, wenn eine Wortform (aus unterschiedlichen Gründen) aus dem Paradigma herausfällt und eine andere Form “einspringen” muss. Flexion Bei Nomen (und Adjektiven) redet man von Deklination Bei Verben redet man von Konjugation Nicht alle Wortarten können flektiert werden. Flexion Wörter flektierbar deklinierbar nicht-flektierbar konjugierbar Pronomen Artikel Adjektiv Nomen Verb Adverb Präp. Konj. Partikel Derivation Bis jetzt: Morphologie, die Wortart nicht verändert. Hund [N(omen)] > Hunde [N] Derivation kann die zugrundeliegende Wortart verändern. -ung: V(erb) > N Einführ-ung (einführ-en) -ig: N > A(djektiv) lust-ig (Lust) -bar: V > A brauch-bar (brauch-en) Im Kontrast: Flexion verändert die zugrundeliegende Wortart (eigentlich) nicht. Derivation Derivation muß aber nicht immer Wortart verändernd sein: er-: V > V er-klettern be-: V > V be-kennen Das ist keine Flexion, weil Präfixe wie er- und bekein regelmäßiges Paradigma ergeben — mit manchen Verben geht es, mit anderen nicht und der semantische Effekt ist nicht unbedingt vorhersagbar. er-: V > V be-: V > V er-finden be-halten Derivation Derivation muß nicht immer Wortart verändernd sein: -lich: A > A grün-lich -chen: N> N Teller-chen Konversion Derivation durch “unsichtbare” Morphologie (zero derivation, Konversion, Nullableitung): schlaf- [V] > Schlaf [N] (Bau, Knall, Schluck) Sorge [N] > sorg- [V] (eil, staub, druck, trauer) faul [A] > faul- [V] (süß, quer, nah, grün, weit) Englisch: walk [V] > walk [N] `torment [N] > tor`ment [V] Wie weiss man, was zugrundeliegt? Oft schwierig zu beantworten, sprachgeschichtliche Daten müssen studiert werden. Konversion In manchen Fällen findet man stamminterne Veränderungen (Ablaut): werf- [V] > Wurf [N] kling- [V] > Klang [N] reiss- [V] > Riss [N] Bedeutung (Semantik) Derivationsmorphologie zieht immer eine Bedeutungsveränderung mit sich (auch wenn sie manchmal doch recht abstrakt erscheint). Verb send- [V] > Send-er [N] -er: “jemand, der/die V tut Lust- [N] > lust-ig [A] -ig: “wie etwas sein” leit- [V] > Leit-ung [N] -ung: “Ding, das V tut” Segmentierung (Beispielanalyse) Entscheidungsfreudigkeit Fugenmorphem: verbindet zwei Stämme. Man braucht es nicht immer. Warum gibt es das? ? Nicht klar. Woher kommt das? Man streitet sich noch. ent- Präfix, Bedeutung ? (eigentlich “aus”) scheid- V Freud- N -ung Suffix, Nominalisierer (V > N) -ig Suffix, Bedeutung “wie” (N > A) -keit Suffix, Nominalisierer (A > N) Segmentierung (Beispielanalyse) Ent-scheid-ung-s-freud-ig-keit ent- Präfix, Bedeutung ? (eigentlich “aus”) scheid- V Freud- N -ung Suffix, Nominalisierer (V > N) -ig Suffix, Bedeutung “wie” (N > A) -keit Suffix, Nominalisierer (A > N) Produktivität Manche derivationellen Affixe sind produktiver als andere, d.h. sie “können” mit fast jedem Stamm. -bar [V > A]: essbar, lösbar, vermutbar, vorhersehbar Produktivität bedeutet, dass man auch neue Worte mit dem Morphem bilden kann: einlogbar, bestuhlbar, kletterbar Mit unproduktiven Morphemen geht das nicht: -tum: Eigentum, Brauchtum, Wachstum, Altertum, Reichtum *Schrumpftum, *Armtum, *Jungtum Produktivität Im Englischen: -able hochgradig produktiv, -ess nicht. -able [V > A]: drinkable, suitable, believable, acceptable Produktiv gebildete Worte: changeable, talkable, untalkaboutable, unkeepoffable Kontrast mit einem unproduktiven Morphem: -ess (feminisiert): tiger/tigress, lion/lioness, steward/stewardess *catess, *secretaryess, *ministeress Komposition Die produktivste Art (vor allem im Deutschen) neue Worte zu bilden ist die Komposition: Kombination von Stämmen zu neuen Stämmen. Schreib-tisch, Geld-segen, Bus-bahn-hof-halte-stelle Im Deutschen werden Komposita immer zusammen geschrieben, im Englischen mal so und mal so: rain-bow, lamb chops, truck-load, oil filter Komposition Es können alle möglichen Stämme kombiniert werden (nicht nur Nomen+Nomen). A N V A+ bunt-kariert bitter-sweet Bunt-specht black board fest-machen high-flying N+ land-es-weit head-strong Bahn-hof rain-bow not-landen spoon-feed V+ schreib-fähig Hebe-technik carry-all pick-pocket Mäh-dreschen sleep-walk Komposition Weitere Beispiele, in der Vorlesung erarbeitet A N A+ lila-blass-blau Faul-pelz feucht-fröhlich N+ Eis-kalt Spaß-bremse Schrein-er-meister V+ trink-fest Fahr-stuhl V blau-machen schwarz-sehen sauber-machen schlamm-catchen kick-boxen (?) Komposition Bei der Komposition von Stämmen werden oft Fugenelemente (im Deutschen) benutzt: -e-, -n-, -en-, -ens-, -s-, -esHandel-s-schule, Weg-e-zoll, Bild-er-rahmen, Freund-eskreis, Lieb-es-brief, Frau-en-kopf, Herz-ens-güte Warum kann man -er, -es, und -en nicht einfach als Plural oder Genitiv analysieren? 1) Weil Flexion in Komposita normalerweise nicht auftritt. 2) Weil das semantisch keinen Sinn ergibt: Hühn-er-keule (eine Keule von mehreren Hühnern?) Segmentierung (Beispielanalyse) Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsuniformknopf Donau-dampf-schiff-fahrt-s-gesell-schaft-s-kapitän-s-uniform-knopf Stämme (freie Morpheme): donau, dampf, schiff, fahrt, gesell, kapitän, form (oder auch uniform), knopf Präfix: uni- (wenn man es so analysieren will) Fugenelemente: -s-, -s-, -sSuffix (der.): -schaft Weitere Wortbildungstypen • Kontamination: Verschmelzungen jein (ja+nein), mainzigartig (Mainz+einzigartig) • Kürzung: Tilgung Uni (Universität) • Abkürzungen und Akronyme OB (Oberbürgermeister), DIN, Bafög • Rückbildung Sanftmut (sanftmütig), Mürre (mürrisch) burgle ‘einbrechen’ (burglar) Morphologie Flexion Bildung der Wortformen eines Worts (aus einer Wurzel oder einem Stamm) Wortbildung Komposition: Bildung eines Worts aus zwei (oder mehr) vorhandenen Stämmen/Wurzeln Derivation: Bildung eines Worts aus einem vorhandenen Stamm und einem oder mehr Derivationsaffixen. Konversion: ‘Implizite’ Derivation u.a.