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AeroRevue
AeroRevue 2/2010
Das Schweizer Aviatik-Magazin
Nr. 2/2010
Fr. 7.50
100 Jahre Luftfahrt in der Schweiz
Vier Sondermarken für
das Jubiläumsjahr
Nightway 2009
Luftkampf-Training
in Norwegen
Pilot Report PC-12 NG
Die Zeitmaschine
Pilot Report PC-12 NG | Cover Story
Cover Story| Pilot Report PC-12 NG
Die Zeitmaschine
Seit 1994, als der erste Pilatus PC-12 ausgeliefert wurde, sind weit über 900 Flugzeuge in alle Welt verkauft worden. Ein Erfolg, der zeigt, dass sich diese Maschine in einem hart umkämpften Segment eine einmalige Position
erarbeiten und gegen zahlreiche Konkurrenten durchsetzen konnte. Das Flugzeug wurde im Lauf der letzten
15 Jahre immer wieder im Detail verbessert und neuen Kundenbedürfnissen angepasst. 2008 brachte Pilatus ein
neues, in vielen Bereichen komplett überarbeitetes Modell auf den Markt, den PC-12 NG Next Generation.
Text: Hansjürg Moser
Bild: Pilatus
Pilatus
Bild:
E
in strahlend blauer Himmel wölbt sich über dem Flugplatz
Buochs, als mich Daniel Kunz, verantwortlich für Marketing
und Verkauf des PC-12 NG bei Pilatus, am Eingang des traditionsreichen Flugzeugherstellers empfängt. Er führt mich zur neuerstellten Werkshalle – einer wunderschönen Holzkonstruktion – und
in den luftig gestalteten Besprechungsraum. Draussen ertönt das bekannte Geräusch eines startenden Turbinentriebwerks. «Wer soll
denn den PC-12 NG nutzen und wozu?», beginne ich etwas provokativ unser Gespräch. Kunz lädt mich zu einem Gedankenspiel ein: «Ein
mittelständischer Schweizer Unternehmer betreibt irgendwo im Mittelland eine metallverarbeitende Firma», beginnt er seine Erläuterung. «Vor kurzem hat der Firmenchef einen neuen Produktionspartner in Polen gefunden», fährt er fort. «Zu Beginn der Zusammenarbeit
muss das Schweizer Management oft mit Auto, Fluggesellschaft und
Taxi zur Partnerfirma reisen. Insgesamt benötigt die Delegation
mindestens einen halben Tag, um ans Ziel zu gelangen, und einen halben Tag für die Rückreise; also im besten Fall einen Tag und eine
Nacht.» Ich merke, worauf mein Gesprächspartner hinauswill: «Mit
dem PC-12 NG würde sich dies wohl deutlich einfacher und effizienter
durchführen lassen.» Kunz nickt: «Genau das bietet unser Flugzeug.
Damit reduziert sich die unproduktive Reise- und Wartezeit auf ein Minimum.» Draussen läuft das Triebwerk auf Hochtouren. «Da gibt es
auch Konkurrenzprodukte», werfe ich ein. Der Marketingmann lehnt
sich zurück: «Selbstverständlich. Doch welcher Konkurrent bietet
gleichzeitig so viel Platz für Passagiere und Gepäck, kann von kürzesten, unbefestigten Plätzen starten, hoch übers Wetter steigen und sparsam fliegen?» «Klingt gut, doch was heisst das konkret?», will ich
wissen. Mein Gesprächspartner erläutert: «Würde die Maschine von
der 800-m-Piste des Flugplatzes Grenchen starten und auf der maximalen Reiseflughöhe von 30 000 ft (9144 m) mit einer SpitzenAeroRevue 2/2010 | 19
Bild: Pilatus
Im neuen PC-12 NG
beherrscht ein grosses
Glascockpit den
Arbeitsplatz.
geschwindigkeit von 280 KTAS (519 km/h) fliegen, könnte ein Ziel im Westen Polens in knapp anderthalb Stunden
erreicht werden.» Die kurze Unterhaltung hat meine Neugier geweckt. Nun bin ich gespannt, was das Multitalent in
der Praxis leistet.
Die neue Generation des PC-12
Der Zusatz NG der Musterbezeichnung bedeutet Next Generation. Damit will Pilatus vermitteln, dass die vielen
grossen und kleinen Neuerungen, welche in relativ kurzer
Zeit realisiert wurden, nicht nur als Modellpflege zu betrachten sind, sondern den seit 1994 produzierten PC-12
zu einem gänzlich neuen Flugzeug machen. Eine bedeutende Neuerung ist das stärkere Triebwerk, eine Pratt &
Whitney Canada PT6A-67P-Turbine, die eine maximale,
gedrosselte Leistung von 1200 Wellen-PS bringt. Das
sichtbare Herzstück der Änderungen aber zeigt sich mir
als Erstes im Cockpit. Dort beherrscht ein grosses Glascockpit den Arbeitsplatz. Das Honeywell-System Primus
Apex hat Pilatus in enger Zusammenarbeit mit dem bekannten Hersteller entwickelt.
Ich setze mich in den linken Sitz, rechts nimmt
Theddy Spichtig Platz. Er ist Produktions-Testpilot und
Instruktor. Vier grosse Bildschirme mit 255 mm diagonaler Abmessung und hoher Auflösung dominieren das Instrumentenbrett. Vor uns befinden sich die beiden
Primary Flight Displays PFD. Ganz links präsentiert sich
das kleine Back-up EFIS von Thales mit autonomer Stromversorgung. Die beiden Multifunktionsdisplays MFD wurden übereinanderliegend in der Mitte platziert. Alle
Informationen können auf alle vier Bildschirme projiziert
werden; diese Redundanz ist bei einem allfälligen, allerdings unwahrscheinlichen Ausfall von Displays beruhigend. Theddy demonstriert mir, wie sich das System mit
dem sogenannten Multifunktionskontroller sehr einfach
bedienen lässt. Dank dem klugen, systematischen Aufbau
des Displays, der klaren Darstellung und der intuitiven
Menüführung kann sogar ich als «System-Neuling» Flugpläne mit dem alphanumerischen Keyboard und einem
kleinen Joystick problemlos erstellen. Noch schneller
lässt sich das System mit dem neuen, ab 2010 standard-
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mässig auf allen PC-12 NG installierten, mausähnlichen
«Cursor Control Device» bedienen. Dieser auf der Mittelkonsole platzierte, ergonomisch perfekt gestaltete Griff
mit Trackball, Scrollrad und Enter-Tasten fand sich bisher
nur auf grossen Geschäftsreise-Jets. Zusammen mit dem
digitalen Honeywell-Autopiloten, den optional integrierbaren Warnsystemen Terrain Awareness and Warning System TAWS und Traffic Collision Avoidance System TCAS,
steht dem Piloten ein professionelles, leistungsfähiges,
flexibles und bedienungsfreundliches System für die Flugplanung und -durchführung zur Verfügung.
Verlässliches Transportmittel
Für die Ingenieure und Produktverantwortlichen bei Pilatus standen Verlässlichkeit auch unter widrigen Bedingungen, die Flexibilität beim Einsatz und die möglichst
geringe Arbeitsbelastung des Piloten im Vordergrund. Der
PC-12 NG erfüllt dank verschiedenen Neuerungen diese
Bedingungen noch besser. So sorgt beispielsweise ein
nach dem vorderen Lufteinlass platziertes Trennsystem
dafür, dass keine Fremdkörper vom Boden ins Triebwerk
gelangen können, wichtig beim Start von unbefestigten
Pisten. Die Sicherheit wird durch redundante Systeme der
Stromversorgung und der statischen Druckabnahme
nochmals erhöht. Dazu gehören zwei neue 28V/300 A-Generatoren und zwei 24V/42 A/h-Batterien mit automatischer Lastverteilung, sollte ein Generator ausfallen. Aircondition und Druckkabine werden automatisch gesteuert. Wird nach dem Start der Yaw-Dämpfer mit automatischer Seitenruder-Trimmung eingeschaltet, sorgt diese für
den automatischen Ausgleich des Drehmoments. Den
berühmten «Tritt» ins Seitensteuer, um das Flugzeug in
dieser Phase sowie im Steigflug auf Kurs zu halten, kann
man vergessen.
Entlastung für den Piloten eingebaut
Mein Instruktor meint nun, dass es an der Zeit sei, all dies
in der Praxis zu erleben. Den Flugplan mit Anflug und Landung in Emmen habe ich ins FMS geladen, alle Nav- und
Com-Frequenzen gesetzt, die Checkliste vor dem Triebwerkstart erledigt. Theddy deutet auf das kleine
Overhead-Panel. Dort befinden sich die Schalter zur Aktivierung der elektrischen Systeme. «Batterien ein und
Treibstoffpumpen testen, dann den Starterknopf für einen
Moment drücken», kommandiert mein Begleiter. Nach
wenigen Sekunden zeigt das eingeblendete Fensterchen
auf dem Primärbildschirm, dass die Zündung erfolgt ist
und der Kompressor hochläuft. Kurz danach kann ich den
Condition Lever in die Stellung «Ground Idle» schieben.
Einfacher geht’s nicht.
Wir konfigurieren das Flugzeug für den Start.
Macht der Pilot hier etwas falsch, indem er beispielsweise
die Klappen voll ausfährt oder die Trimmung verschoben
ist, wird er durch einen blinkenden Warnhinweis und eine
resolute Stimme gewarnt: «NO TAKE-OFF, NO TAKE-OFF!»
Wir rollen zur Piste 07. Mit 26°C ist es hochsommerlich
warm. Das Flugzeug lässt sich leicht und präzise steuern.
Nach der Startfreigabe richte ich die Maschine auf der
Mittellinie aus. «Wenn wir jetzt nur 800 Meter vor uns hätten, könnten wir mit genügend Sicherheitsreserve starten?», will ich wissen. Mein Nachbar lächelt: «Kein Problem, du wirst schon sehen, was der PC-12 NG kann», tönt
es überzeugend. Also schiebe ich den Leistungshebel langsam zum Anschlag. Die Turbine reagiert sofort und liefert
volle Leistung. Bremsen frei. 1200 WPS katapultieren uns
die Runway hinunter. Bei einer Geschwindigkeit von 70
KIAS und nach geschätzten 300 Metern sind wir in der
Luft und steigen mit gegen 2000 fpm in den klaren Himmel. Ich verkleinere nun den Pitch, lasse den Flieger auf
125 KIAS beschleunigen und steige mit über 1900 fpm bis
10 000 ft, um die Manövrierbarkeit zu testen. Um die
Längsachse ist das Flugzeug dank der neuen Roll-Spoiler
deutlich agiler geworden. In engen Turns mit markanter
Schräglage verhält es sich angenehm stabil und ist mit
zwei Fingern zu steuern. Die Abstimmung zwischen den
verschiedenen Rudern empfinde ich als harmonisch. Eine
angenehme Stabilität um alle Achsen vermittelt ein Gefühl der Sicherheit.
Nach einigen «Übungen» aktiviere ich den Autopiloten, der uns Richtung Emmen führt. Wir erhalten die Erlaubnis für den Anflug und aktivieren den ApproachMode. Der Controller dirigiert uns zur ILS; das Anschneiden überlassen wir wiederum dem Autopiloten, der uns
präzise zum Pistenanfang führt. «Durchstart» tönt es kurz
vor der Landung energisch von rechts. Ich drücke den Goaround-Knopf und schiebe den Leistungshebel bis zum
Anschlag. Der Autopilot bleibt aktiviert und sorgt für den
richtigen, positiven Anstellwinkel. Nun muss ich nur noch
Fahrwerk und Klappen einfahren. Nach wenigen Sekunden steigen wir dem ersten Punkt des Missed-ApproachVerfahrens entgegen.
Eine eindrückliche Erfahrung
Hoch über dem Vierwaldstättersee möchte ich die Reaktionen des PC-12 NG auf den Strömungsabriss kennenlernen. In Landekonfiguration erhöhe ich kontinuierlich den
Anstellwinkel. Langsam sinkt die angezeigte Geschwindigkeit. 80, 70, 65 Knoten. Der Autopilot schaltet sich aus.
Auf dem Display erscheint blinkend ein Warnhinweis, aus
Bild: Hansjürg Moser
Pilot Report PC-12 NG | Cover Story
dem Lautsprecher ertönt «STALL! STALL! STALL!».
Gleichzeitig beginnt das Steuerhorn stark zu vibrieren.
Ich ignoriere diese unmissverständlichen Warnungen.
Doch bei 59 KIAS übernimmt eine unsichtbare, starke
Kraft das Steuer und drückt dieses markant nach vorne.
Der sogenannte «Stick-Pusher» hat den gefährlichen Zustand von sich aus beendet und das Flugzeug vor dem
Strömungsabriss bewahrt.
Nach dieser eindrücklichen Erfahrung nehme ich
Kurs auf die Homebase Buochs. Aus 10 000 ft leite ich einen steilen Sinkflug Richtung Buochserhorn ein. Beim
Einflug in den Gegenanflug der Volte 07 bin ich zu hoch
und zu schnell. Also Leistung reduzieren und Fahrwerk
raus. Danach folgen 15° Landeklappen. Beim Eindrehen in
den Basisteil folgt die nächste Klappenstufe. Die Leistung
wird nochmals reduziert. Bald bin ich auf dem Endanflugkurs «established». Klappen 40°, 88 KIAS, Finalcheck.
Der AOA-Anzeiger zentriert wie gewünscht, ebenso die
Lichter des Anflugleitsystems. Schon bin ich über der
Pistenschwelle. Nach kurzem Ausschweben setzt sich der
PC-12 NG brav auf die Räder. Nach weiteren rund 300 Metern ist mein Probeflug endgültig zu Ende und ich rolle
langsam zum Werk zurück. 
www.pilatus-aircraft.com
➜
Auf dem Multifunktionsdisplay MFD können Anflugkurse und
Gleitweg dargestellt
werden.
“Der PC-12 NG im Datenspiegel
Triebwerk
Leistung (flat-rated)
Propeller
Propellerdrehzahl
Zeit zwischen Überholung
Pratt & Whitney CanadaPT6A-67P
1200 shp
Hartzell 4-Blatt Aluminium
1700 RPM
3500 h
Maximales Rampgewicht
Maximales Startgewicht
Treibstoff (ausfliegbar)
Nutzlast
4760 kg
4740 kg
1227 kg
458 kg
Maximale Reisegeschw.
280 KTAS / 519 km/h
Maximale Höhe
30000 ft / 9144 m
Maximale Reichweite 4 Insassen 1560 NM / 2889 km
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