REPORTAGE Pferdezentrum Warendorf
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REPORTAGE Pferdezentrum Warendorf Die Deutsche Reitschule schliesst ans 1826 gegründete Nordrhein-Westfälische Landgestüt an. 52 Kavallo 1-2/2014 Pferdezentrum Warendorf REPORTAGE 50 Jahre Deutsche Reitschule Reitlehrer ist kein geschützter Titel. Jeder darf sich unabhängig von seiner fachlichen Qualifikation so bezeichnen. In Deutschland genauso wie in der Schweiz. Anders in der Grundausbildung: Wer nach dreijähriger, staatlich anerkannter Ausbildung seine Prüfung bestanden hat, darf sich in Deutschland Pferdewirt nennen, in der Schweiz ist man Pferdefachfrau respektive -mann. text Caroline Huppertz fotos Ludwig Sauels W arendorf ist das Herz von Deutschlands Pferdesport. Ihren Sitz haben dort die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) und das 1826 gegründete Nordrhein-Westfälische Landgestüt. Was kaum jemand weiss: Zum Landgestüt gehört die Deutsche Reitschule – Deutschlands Eliteschule für Pferdewirte. Mit Blick in Reithalle Heute ist Zwischenprüfungstag. 16 auf geregte Auszubildende irren über das weitläufige Gelände des Landgestüts und fragen verschämt nach der Deutschen Reitschule. Die liegt versteckt direkt neben dem acht Hektar grossen Areal des denkmalgeschützten Landgestüts. Von vorne wirkt die Deutsche Reitschule klein und unscheinbar mit dem typischen Charme eines Gebäudes der Sechzigerjahre. Dass sich dahinter eine grosse Reithalle erstreckt, ahnt man nicht. Mittlerweile sind alle Prüflinge im Seminarraum eingetrof- Nicht das Sportreiten steht an der Deutschen Reitschule im Mittelpunkt, sondern fundiertes Pferdewissen. fen, wo sie der Ausbildungsleiter der Deutschen Reitschule, Hannes Müller, begrüsst. Mit einem kleinen Scherz versucht er, ihnen die Nervosität zu nehmen. «Ich glaube, wir haben das einzige Klassenzimmer weit und breit mit Blick in eine Reithalle», schmunzelt Müller, öffnet die schweren Vorhänge und gibt den Blick frei in die leere Reithalle. Es ist Mittagspause und deshalb reitet keiner. Inzwischen ist auch Müllers Stellvertreterin Gisa Lehmann eingetroffen. Die 38-jährige Pferdewirtschaftsmeisterin nimmt die Berichtshefte der Lehrlinge in Empfang. Die müssen die Auszubildenden genauso sorgfältig wie in jedem anderen Lehrberuf führen. Sie werden von einer vierköpfigen Kommission von Pferdefachleuten geprüft, während den angehenden Pferdewirten in einem Test ihr Wissen rund ums Pferd abgefragt wird. «Wir überprüfen ihren Ausbildungsstand in Theorie und Praxis und geben ihnen die Gelegenheit, den Prüfungsort schon einmal kennenzulernen», erklärt Müller, der als >> Kavallo 1-2/2014 53 REPORTAGE Pferdezentrum Warendorf Ausbildungsleiter seit 16 Jahren an der Spitze der Deutschen Reitschule steht. Ausgebildet und geprüft wird hier nur die Fachrichtung Klassische Reitausbildung. Auf diese Klassische Reitausbildung, die auf die Heeres dienstverordnung (HDV) 12 aus dem Jahr 1937 zurückgeht, ist man stolz. Kaum ein anderes Land blickt auf solch eine alte, aber immer noch praktizierte Reitlehre zurück. Wie erfolgreich diese Reitlehre ist, beweisen die vielen Medaillen, die deutsche Reiter im Laufe der Jahre bei Welt- und Europameisterschaften oder Olympischen Spielen gesammelt haben. Ganzes Jahr Lehrgangsbetrieb Mit einem «normalen» Reitbetrieb hat die Deutsche Reitschule wenig gemeinsam. Es ist vielmehr ein Ort der Stille und des konzentrierten Lernens. Publikumsverkehr gibt es hier so gut wie gar nicht. Dafür herrscht das ganze Jahr Lehrgangsbetrieb. Von November bis Februar laufen Vorbereitungskurse für Pferdewirtschaftsmeisterprüfungen, Fortbildungsmassnahmen oder Richterprüfungen. Von Mitte Februar bis Ende Oktober kommen alle zwei Wochen je 16 Auszubildende aus einem der 560 anerkannten deutschen Ausbildungsbetriebe an die Deutsche Reitschule, um sich dort im Intensiv- 54 Kavallo 1-2/2014 lehrgang bei Müller und seinem Team den letzten Schliff für die Lehrabschlussprüfung zu holen. Die dauert zwei Tage: einen halben Tag Theorie und eineinhalb Tage Praxis. Geritten wird auf den 50 Schulpferden, die dem Land Nordrhein-West falen gehören. Es sind durchwegs gut gerittene, in Springen oder Dressur mindestens bis zur Klasse L ausgebildete Hengste und Wallache, viele auf dem Weg zur Klasse M. Die Auszubildenden müssen eine L-Dressur und ein L-Springen unter Prüfungsbedingungen reiten. Dann müssen sie der Prüfungskommission zeigen, dass sie unterrichten können. Das wurde erst 2010 neu in die Prüfung aufgenom- Füttern will gelernt sein: Stallmeister Uwe Struss (oben links) überwacht persönlich. 50 Schulpferde stehen der Deutschen Reitschule zur Verfügung (oben). Der ganzjährige Ausbildungsbetrieb verlangt von Hannes Müller und seiner Stellvertreterin Cora Lehmann (oben rechts) eine gute Organisation. Der Seminarraum ist Deutschlands einziges Klassenzimmer mit Blick in eine Reithalle (rechts). Ein Relikt aus alter Zeit: die Stalltafel (unten rechts) 50 Jahre Deutsche Reitschule 1955 gründet Landstallmeister Konrad Bresges die Höhere Reit- und Fahrschule am Landgestüt Warendorf. Bereits ein Jahr später geht diese in den Verein Deutsche Reitschule über. Der neugegründete Verein dient der Aus- und Fortbildung von fortgeschrittenen Reitern, Reitlehrern und Turnierrichtern und der internationalen und olympischen Ausbildung von Turnierreitern. Im Oktober 1959 beginnt der erste Schülerlehrgang mit zwölf Teilnehmern. Im Januar 1960 startet der erste Reitlehrerlehrgang mit neun Teilnehmern. Drei Monate später findet die erste zentrale Bereiter-prüfung für 14 Lehrlinge statt. Zum 1. Juli 1968 wird die Deutsche Reitschule an das Nordrhein-Westfälische Landgestüt angegliedert. Der Landstallmeister wird Chef des Ausbildungsleiters der Deutschen Reitschule. Die Deutsche Reitschule ist ein mit fünf Sternen der FN anerkannter Ausbildungsbetrieb. Sie bietet Fortbildungsund Prüfungslehrgänge für Berufsreiter und Turnierfachleute an, ebenso ist sie eine Fachschule Fahren. Pferdezentrum Warendorf REPORTAGE Ausbildungsmöglichkeiten men und fliesst mit 25 Prozent in die Gesamtnote ein. «Uns wird immer vorgeworfen, dass wir nur Sportreiter ausbilden», ärgert sich Müller. «Das stimmt nicht. Die meisten Pferdewirte unterrichten in Schulställen oder auf Reitanlagen ganz normale Reiter und Pferde.» Wichtig ist ausserdem die Theorie. Die beinhaltet Fütterung, Haltung, Gesundheit und Beschlag ebenso wie Kenntnisse über das Exterieur sowie die Reit- und Bewegungslehre. 250 bis 300 Auszubildende begleiten Müller und sein Team jedes Jahr durch die Prüfung. Eine Arbeit, die Müller viel Freude bereitet: «Ich sehe mich als Anwalt der jungen Menschen und versuche ihnen, den letzten Schliff für die Prüfung zu geben. Wo sonst hat man es mit so hoch motivierten Prüflingen zu tun?» Die 16 Zwischenprüflinge haben ihren Test erfolgreich absolviert, in etwa einem Jahr werden sie wieder nach Warendorf reisen – zur Abschlussprüfung. Als Pferdefachleute «Made in Germany» werden sie über ein grosses hippologisches Wissen verfügen und das, so hofft Müller, wird sich auch in Freizeitreiterkreisen als Markenzeichen durchsetzen: «Unsere Pferdewirte garantieren eine fachliche Qualifikation und bieten den Kunden somit eine Orientierung.» Der Pferdwirt ist in Deutschland seit 1975 ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf. Er wird im dualen System angeboten. Die Ausbildung dauert drei Jahre und erfolgt im Betrieb und an der Berufsschule. Seit dem 1. August 2010 gilt die neue Verordnung zum Beruf Pferdewirt mit fünf Fachrichtungen: – Klassische Reitausbildung – Pferdehaltung und Service – Pferdezucht – Pferderennen (Galopp und Trab) – S pezialreitweisen (Western- oder Gangpferdereiten) Für die Ausbildung zum Pferdewirt – Klassische Reitausbildung sind reiterliches Talent und Erfahrung im Sattel Voraussetzung. Pferdewirtschaftsmeister Ein Pferdewirtschaftsmeister ist ein Profi, der selber Lehrlinge ausbilden darf. Nach mindestens zwei Jahren als «Geselle» kann sich der Pferdewirt zur Meisterprüfung anmelden. Diese wird in der Klasse M in Dressur, Springen und der Unterrichtserteilung abgenommen. Dazu kommen Prüfungsinhalte wie Betriebswirtschaftslehre oder die Arbeit an der Hand. Diplom-Trainer – Reiten Die höchste Ausbildungsstufe ist der Diplom-Trainer – Reiten. Dieses Diplom kann erst nach bestandener Meisterprüfung und einer Empfehlung durch die FN erworben werden. Es ist ein Kombinationsstudium in Kooperation mit der Trainerakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Köln. Die Ausbildung dauert drei Jahre in Teilzeit- oder eineinhalb Jahre im Vollzeitstudium. Kavallo 1-2/2014 55