Die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung

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Die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 107
Die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung
Teil 2: Die gesetzlichen Anforderungen an eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung
I. Überblick
Diese drei Stufen haben durch eine umfangreiche Rechtsprechung und nicht zuletzt durch eine kritische BegleiAusgehend von seiner Entscheidung vom 07.12.1978 hat tung seitens des Schrifttums vielfache Ausdifferenziedas BAG zur Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer rungen erfahren. Diese Untersuchung konzentriert sich
betriebsbedingten Kündigung ein drei Punkte umfas- dabei auf die ersten beiden Prüfungsschritte und die in
sendes, am KSchG orientiertes Prüfungsschema entwi- diesem Zusammenhang auftretenden Probleme. Die Sockelt:
zialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung wird
hingegen nicht erörtert.
(1) Zunächst müssen betriebliche Erfordernisse im
Sinne des § 1 II 1 3. Alt. KSchG vorliegen. Dies ist der
Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund betrieblicher Ursa­ II. Die gesetzlichen Anforderungen der
chen eine unternehmerische Entscheidung trifft, die zum betriebsbedingten Kündigung im Einzelnen
Wegfall von Beschäfti­gungsmöglichkeiten führt. Ein
Überhang an Arbeitskräften aufgrund einer unternehme- 1. Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne
rischen Entscheidung ist somit Grundvoraussetzung der des § 1 II 1 3. Alt. KSchG
betriebsbedingten Kündigung.
Für die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten
(2) In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob kündi- Kündigung muss in einem ersten Prüfungsschritt ungungsvermeidende mildere Mittel in Betracht kommen. tersucht werden, ob die Kündigung durch dringende
Dogmatisch ist dieser Prüfungsschritt sowohl bei der betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 II 1 3. Alt.
„Dringlichkeit“ der betrieblichen Erfordernisse als auch KSchG bedingt ist. Es handelt sich hierbei um einen unbei den in § 1 II 2, 3 KSchG genannten Weiterbeschäfti- bestimmten Rechtsbegriff. Nach Rechtsprechung und
gungsmöglichkeiten zu verorten.
Literatur liegen dringende betriebliche Erfordernisse für
eine Kündigung vor, wenn die aufgrund von inner- oder
(3) Sofern in einem Unternehmen mehrere Arbeitneh- außerbetrieblichen Ursachen eingeleitete Durchführung
mer beschäftigt sind, die unter betrieblichen Aspekten einer unternehmerischen Entscheidung zum Wegfall eigleichermaßen für eine betriebsbedingte Kündigung in ner Beschäftigungsmöglichkeit führt.
Betracht kommen, ist in einem dritten Schritt zu prüfen,
ob bei der Auswahl des von der Kündigung betroffenen
Arbeitnehmers soziale Aspekte ausreichend berücksichtigt wurden. Hierbei geht es um die Sozialauswahl nach Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 350.
Verwiesen sei hier auf das umfangreiche Schrifttum zur Sozial§ 1 III KSchG.
*
Der Autor studiert derzeit im 8. Semester Rechtswissenschaft,
Staatsexamen, mit dem Wahlfach Arbeitsrecht. Der vorliegende
Beitrag entstand als Seminararbeit im Sommersemester 2005. –
Für wertvolle Anregungen dankt der Autor Michael Matthiessen,
wiss. Mit. am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht,
Universität Greifswald (Prof. Dr. Hans-Werner Eckert).
BAG, 07.12.1978, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 10. Fortgesetzt u. a. in BAG, 24.10.1979, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 13; BAG, 30.05.1985, EzA § 1
KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 36; BAG, 30.04.1987,
EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47; BAG,
09.05.1996, NZA 1996, 1145 ff.; BAG, 26.09.1996, DB 1997,
178 f.; BAG, 21.09.2000, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 112; BAG, 18.01.2001, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115.
Vgl. aus der Literatur Michael Kittner, in: ders./Wolfgang Däubler/
Bertram Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 6. Aufl. 2004, § 1
KSchG, Rn. 253; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 349; Heinrich
Kiel, in: Reiner Ascheid/Ulrich Preis/Ingrid Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 1 KSchG, Rn. 442; Rost, Fn. 7,
S. 83 (84 ff.).
Siehe hierzu unten II. 1) (S. 8 ff.).
Siehe hierzu unten II. 1) c) (S. 22 ff.) und II. 2) (S. 25 ff.).
auswahl, vgl. etwa Michael Pollmann, Die Sozialauswahl bei der
betriebsbedingten Kündigung, 1996; Rüdiger Linck, Die soziale
Auswahl bei betriebsbedingter Kündigung, 1990; Michael Knoll,
Die Sozialauswahl im Arbeitsrecht, 2001, S. 35 ff.; Berkowsky,
Fn. 5, § 6. Durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (siehe
Fn. 32) sind die Kriterien der Sozialauswahl modifiziert worden.
Hierzu Gregor Thüsing/Donat Wege, Sozialauswahl nach neuem
Recht, RdA 2005, 12 ff. m. w. N.
St. Rspr., vgl. etwa BAG, 06.11.1997, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 42;
BAG, 26.09.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 80; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101. Zur rechtsdogmatischen Einordnung
des Begriffs siehe Thum, Fn. 13, S. 30 ff.; Günter Schaub, Aktuelle Fragen zum Kündigungsschutzrecht unter besonderer Berücksichtigung der RdA 1981, 371 (373).
Vgl. BAG, 16.06.1991, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 53; BAG, 13.11.1997, AP § 613 a BGB Nr. 169;
BAG, 18.01.2001, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115.
Siehe etwa Reiner Ascheid, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2005, § 1 KSchG, Rn. 378; Kittner, Fn. 34, § 1
KSchG, Rn. 254; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 62; Preis, Fn. 20, 241
(245); ferner Günter Schaub, Personalabbau im Betrieb und neueste Rechtsprechung zum Kündigungsschutzrecht, insbesondere zur
betriebsbedingten Kündigung, BB 1993, 1089 (1091).
Aufsätze
Stud. jur. Sven Fischerauer, LL.B., Universität Greifswald*
Aufsätze
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Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2)
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006
a) Freie unternehmerische Entscheidung
bb) Ursachen der unternehmerischen
Entscheidung
aa) Unternehmerische Entscheidung als
Ausgangspunkt der betriebsbedingten
Kündigung
Die kündigungsbegründende unternehmerische Entscheidung kann ihrerseits auf unterschiedlichen Ursachen beruhen. Das BAG unterscheidet in ständiger
Die unternehmerische Entscheidung wird im KSchG Rechtsprechung12 zwischen Umständen, die sich aus dem
nicht als ausdrückliches Tatbestandsmerkmal erwähnt. Betrieb ergeben (innerbetriebliche Gründe) und solchen,
Heute ist jedoch allgemein anerkannt, dass die unterneh- die von außen auf den Betrieb einwirken (außerbetriebmerische Entscheidung die zur betriebsbedingten Kün- liche Gründe).
digung führende Kausalkette in Gang setzt und somit
(1) Innerbetriebliche Gründe
als deren Ausgangspunkt anzusehen ist. Die unternehmerische Entscheidung ist die Entscheidung des Arbeit- Unter innerbetrieblichen Gründen sind alle betrieblichen
gebers über seine zukünftige Betriebsführung.10 Mit ihr Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder
reagiert er auf bestimmte außer- oder innerbetriebliche wirtschaftlichem Gebiet zu verstehen, die sich auf die BeUmstände, die sich auf das Verhältnis von Arbeitsvolu- schäftigungsmöglichkeiten im Betrieb auswirken.13 Hiermen und Personalbestand im Betrieb auswirken.
zu zählen insbesondere die Änderung oder Einführung
neuer Fertigungsmethoden14, RationalisierungsmaßStellt sich etwa heraus, dass ein bestimmtes Produkt am Markt nahmen15, die Stilllegung des Betriebs16 oder von Beerfolglos ist und entschließt sich der Unternehmer wegen der triebsabteilungen17, die Verlagerung der Produktion ins
damit verbundenen finanziellen Verluste zur Einstellung dieses Ausland18 und allgemein die Umstrukturierung aus KosProdukts, werden die in dieser Produktionsabteilung eingesetz- tengründen.19
ten Arbeitskräfte nicht länger benötigt und können daher aus
betrieblichen Gründen gekündigt werden. Die betriebswirtschaftliche Situation (finanzielle Verluste) führt nicht unmittelbar zum Wegfall von Arbeitsplätzen. Erst die in der Produkteinstellung liegende unternehmerische Entscheidung legt
das Verhältnis zwischen zu erledigender Arbeit und den dafür
benötigten Arbeitnehmern neu fest, und zwar dergestalt, dass
nach der Produkteinstellung weniger Arbeitnehmer benötigt
werden als vorher. Die infolgedessen ausgesprochenen Kündigungen sind als personelle Maßnahmen der unternehmerischen
Entscheidung nachgelagert. Umgekehrt bedeutet dies, dass die
betriebsbedingte Kündigung ihren Ursprung in einer auf die
zukünftigen Belange des Betriebs gerichteten, vor Ausspruch
der Kündigung getroffenen unternehmerischen Entscheidung
findet.11
Vgl. – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – v. Hoyningen-Huene/
Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 366; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 375;
Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 254 ff.; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG,
518; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 13 ff; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 461; Preis, Fn. 10, Rn. 932; ders., Fn. 21, 241 (243); Bernd
Schiefer, Betriebsbedingte Kündigung – Kündigungsursache und
Unternehmerentscheidung, NZA-RR 2005, 1 (3). Zur Rspr. des
BAG siehe auch Peter Schrader, Die geänderte Rechtsprechung des
BAG zur Unternehmerentscheidung, NZA 2000, 401; Rost, Fn. 7,
S. 83 (84 ff.).
10 Schiefer, Fn. 42, 1 (3). Siehe auch BAG, 20.02.1986, AP § 1 KSchG
1969 Nr. 11; BAG, 24.04.1997, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 42: Die
unternehmerische Entscheidung kann als „Bestimmung der der
Geschäftsführung zugrunde liegenden Unternehmenspolitik“ bezeichnet werden.
11 Vgl. Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 375. In der kündigungsrechtlichen Dogmatik wird somit zwischen der unternehmerischen Entscheidung und den sich aus der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung ergebenden arbeits- und kündigungsrechtlich relevanten Folgen unterschieden. So Wilfried Berkowsky, in: Reinhard Richardi (Hrsg.), Münchener Handbuch zum
Arbeitsrecht, Bd. 1, Teil 2 (§§ 114 – 239), 2. Aufl. 2000, § 138,
Rn. 8 ff.; ders., Fn. 5, § 5, Rn. 13 f. Bei genauerer Betrachtung der innerbetrieblichen Ursachen wird deutlich, dass sie regelmäßig mit der unternehmerischen Entscheidung zusammenfallen, auf die
12 Beginnend mit BAG, 07.12.1978, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 6; fortgesetzt u. a. in BAG, 17.10.1980,
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 10; BAG,
30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 24; BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 50; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102; BAG, 18.01.2001, AP
§ 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115.
13 BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 519; Kiel, Fn. 34, § 1
KSchG, Rn. 474; Wilfried Hillebrecht, Die „Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitnehmerverhältnissen“ und die Kündigungsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, ZfA 1991, 87 (94).
14 Vgl. BAG, 29.01.2997, RzK I 5 c Nr. 82; BAG, 26.06.1997, AP § 1
KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86.
15 Vgl. LAG Köln, 24.08.1999, ZTR 2000, 185; ferner BAG,
15.05.1993, NZA 1993, 1075 ff.
16 Vgl. BAG, 19.06.1991, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 53; BAG, 10.10.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81; BAG, 11.03.1998, AP § 111
BetrVG 1972 Nr. 43; BAG, 07.03.2002, NZA 2002, 1111; LAG
Thüringen, 16.10.2000, ZIP 2000, 2321 f.
17 Vgl. BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 71; BAG, 07.05.1998, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 94.
18 Vgl. BAG, 18.09.1997, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 97.
19 Umfassend zu den innerbetrieblichen Ursachen in der jüngeren Rechtsprechung Schiefer, Fn. 42, 1 (5 ff.). Siehe auch v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 367; Berkowsky, Fn. 5, § 5,
Rn. 103 ff. Auch die unter dem Begriff des outsourcing bekannte Auslagerung einer bislang von betriebseigenen Arbeitnehmern ausgeübten Tätigkeit an Fremdfirmen gehört zu den innerbetrieblichen Ursachen, vgl. BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG
1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; BAG, 17.06.1999, AP
§ 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102; BAG,
12.11.1998, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 51.
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ländischen Firma besetzt, denen gegenüber er sich das
Weisungsrecht vorbehalten hat.28
Ebenso wie innerbetriebliche Gründe müssen die externen
Faktoren einen Überhang an Ar­beitskräften herbeiführen,
durch den unmittelbar oder mittelbar das Bedürfnis zur
Weiterbe­schäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer
entfällt.29 In der Praxis ist der unmittelbare Wegfall eines
Arbeitsplatzes allein aufgrund von au­ßerbetrieblichen
Gründen jedoch ein seltener Ausnahmefall.30 Dem Unternehmer bleibt es in einer freien Marktwirtschaft unbenommen, auf die veränderten Rahmenbedingungen in
ande­rer Weise als durch betriebsbedingte Kündigungen
zu reagieren. So könnte er beispielsweise bei sin­kenden
Absatzzahlen das Marketing der Produkte verstärken. Im
Regelfall wird daher nicht der außerbetriebliche Grund
allein, sondern erst eine zwischengeschaltete innerbetriebliche Organisationsent­scheidung des Unternehmers
zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führen.31 Bei
sinkendem Absatz (außerbetrieblicher Grund) kann der
Unternehmer z. B. mit einer Dros­selung der Produktion
(= Organisationsentscheidung) reagieren, die zu einem
Überhang an Arbeitskräften führt. Diese unternehmerische Entscheidung fungiert insoweit als Bindeglied zwischen außerbetrieblichem Grund und Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit.
(2) Außerbetriebliche Gründe
Die unternehmerische Entscheidung kann auch auf außerbetrieblichen Gründen beruhen.21 Hierunter sind von
der Betriebsgestaltung und Betriebsführung unabhängige Umstände zu verstehen, die einen konkreten Bezug
zum Betrieb des Arbeitgebers aufweisen und sich auf bestimmte Arbeitsplätze auswirken.22 Zu den außerbetrieblichen Ursachen zählen u. a. der Auftragsrückgang23, der
Rohstoff- oder Energiemangel24 sowie – im Bereich des
öffentlichen Dienstes – die Streichung von Haushaltsmitteln25. Allgemeine arbeitsmarkt-, beschäftigungs- oder
sozialpolitische Faktoren stellen hingegen keine kündigungsschutzrechtlich relevanten außerbetrieblichen
Gründe dar.26 Auch im Falle einer sog. Austauschkündigung fehlt der konkrete Bezug zu den betrieblichen Ver(3) Bedeutung der Unterscheidung
hältnissen27: Will etwa ein Arbeitgeber zur Erfüllung der
Pflichtplatzquote nach § 71 SGB IX einen Arbeitnehmer Die gesetzlich nicht vorgesehene Unterscheidung zwikündigen, um an dessen Stelle einen Schwerbehinder- schen inner- und außerbetrieblichen Gründen ist eine
ten zu beschäftigen, liegt kein dringendes betriebliches rechtliche Hilfskonstruktion, um den der betriebsbeErfordernis vor. Um eine unzulässige Austauschkündi- dingten Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt
gung handelt es sich auch dann, wenn der Arbeitgeber
zur Senkung der Personalkosten keine eigenen Arbeitnehmer mehr beschäftigt und dann die nach wie vor vor- 28 BAG, 26.09.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Künhandenen Arbeitsplätze durch Arbeitnehmer einer ausdigung Nr. 80 („Crewing-Fall “). Anders verhält es sich dagegen,
20 Siehe auch BAG, 20.02.1986, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 11; BAG,
11.09.1986, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 54;
Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 474; Preis, Fn. 10, Rn. 941; ders.,
Fn. 20, 241 (244).
21 Hierzu umfassend Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 73 ff.; Schiefer,
Fn. 42, 1 (5 ff.).
22 Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 517; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 475; Hillebrecht, Fn. 46, 87 (93).
23 Vgl. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 24; BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120; ferner LAG Köln, 09.08.1996,
LAGE § 1 KSchG Nr. 41.
24 Vgl. LAG Hamm, 07.05.1976, DB 1976, 1727.
25 Vgl. etwa BAG, 03.05.1978, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 5; BAG, 18.11.1999, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 55.
26 BAG, 13.03.1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 44; ArbG Wetzlar, 08.01.1985, AuR 1986, 122; Etzel, Fn. 5,
§ 1 KSchG, Rn. 517. Kritisch Klaus-Günther Hahn, Kündigungsschutz für nicht Schutzbedürftige?, DB 1988, 1015 ff.
27 Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 517; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 475; Preis, Fn. 10, Rn. 963 ff.; Eberhard Dorndorf, in: ders./
Bernhard Weller u. a., Heidelberger Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 4. Aufl. 2001, § 1, Rn. 964 f.
wenn der Unternehmer betriebliche Aufgaben nicht mehr durch
Arbeitnehmer, sondern durch Selbstständige ausführen lässt, vgl.
BAG, 09.05.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 79 („Weight-Watchers-Fall “). Es zeigt sich allerdings,
dass die Abgrenzung zwischen unzulässiger Austauschkündigung
und einem sachlichen unternehmerischen Konzept bisweilen eine
Gratwanderung sein kann, deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist.
Vgl. zum Ganzen Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 123 ff.; Kiel, Fn. 34,
§ 1 KSchG, Rn. 522 ff.; Peter Schrader/Jens Schubert, Die Ausgliederung oder: Wie weit reicht die unternehmerische Entscheidungsfreiheit (noch)?, NZA-RR 2004, 393 ff.
29 BAG, 30.05.1985, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 36; BAG, 13.03.1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44; Inken Gallner, in: Stefan Fiebig u. a., Kündigungsschutzgesetz Handkommentar, 2. Aufl. 2004, § 1, Rn. 596; Hillebrecht, Fn. 46, 87 (93).
30 Vgl. aber BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45: Koppelt der Arbeitgeber die Beschäftigtenzahl von vornherein an bestimmte Umsatzzahlen, bewirkt
ein Umsatzrückgang automatisch den Wegfall von Arbeitsplätzen.
Kritisch hierzu Oliver Rommé/Werner Pauker, Die Unternehmerentscheidung bei der betriebsbedingten Beendigungskündigung,
NZA-RR 2000, 281 (288 ff.).
31 Reiner Ascheid, Kündigungsschutzrecht, 1993, Rn. 238; Etzel,
Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 518; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 71 f.; ferner Preis, Fn. 10, Rn. 942; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1,
Rn. 368 m. w. N.
Aufsätze
der Arbeitgeber die betriebsbedingte Kündigung stützt.20
Trifft der Unternehmer bspw. den Entschluss, die gleiche Produktionsmenge mit weniger Personal durch die
Anschaffung neuer Maschinen herzustellen, so liegt gerade in dieser Rationalisierungsmaßnahme die eigentliche
unternehmerische Entscheidung, aufgrund derer ein
Überhang an Arbeitskräften entsteht. Wie der Beispielsfall zeigt, sind innerbetriebliche Gründe mit der Unternehmerentscheidung oftmals identisch und haben eine
unmittelbare Auswirkung auf die im Betrieb vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten.
Aufsätze
110 Sven
Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2)
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transparent zu machen und einen hinreichend präzisen
Sachvortrag im Prozess zu fördern.32
In der arbeitsgerichtlichen Praxis soll die Unterscheidung zugleich Bedeutung für die prozessuale Darlegungs- und Beweislast haben.33 Nach § 1 II 4 KSchG sind die dringenden betrieblichen Erfordernisse vom Arbeitgeber darzulegen und zu
beweisen. Stützt der Arbeitgeber die betriebsbedingte Kündigung auf innerbetriebliche Ursachen (sog. gestaltende Unternehmerentscheidung), so prüft das Arbeitsgericht das Vorliegen einer entsprechenden unternehmerischen Entscheidung
sowie den auf ihrer Umsetzung beruhenden Wegfall von Arbeitsplätzen.34 Sobald sich der Arbeitgeber dagegen auf außerbetriebliche Faktoren beruft, ist er an diese Begründung gebunden (sog. Selbstbindung des Arbeitgebers)35. In diesem Fall muss
er substantiiert darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass
der angeführte außerbetriebliche Grund tatsächlich vorgelegen
und sich unmittelbar und zwingend auf die jeweilige Beschäftigungsmöglichkeit ausgewirkt hat.36
Indes ist in der Literatur die Unterscheidung zwischen innerund außerbetrieblichen Gründen und deren Bedeutung im
Hinblick auf Darlegungs- und Beweislastfragen nicht unumstritten. Sowohl bei innerbetrieblichen als auch bei außerbetrieblichen Gründen gebe es stets „(1) einen Anlass, der (2) zu
einer Unternehmerentscheidung führt, deren Umsetzung (3)
zu einem Arbeitskräfteüberhang führen und deshalb Kündigungen bedingen muss“37. Selbst wenn ein außerbetrieblicher
Grund wie z. B. Auftragsrückgang vorliegt, beruht die betriebsbedingte Kündigung dennoch auf der erst noch zu treffenden
unternehmerischen Entscheidung, auf diesen externen Anlass
mit dem Verzicht auf einen Teil der Arbeitsleistung (= innerbetriebliche Organisationsentscheidung) und insoweit mit
dem Abbau von Arbeitsplätzen zu reagieren.38 Auch die auf eine
gestaltende Unternehmerentscheidung gestützte betriebsbedingte Kündigung hat ihrerseits immer eine Ursache, wie z. B.
32 Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 379; ders., Die betriebsbedingte
Kündigung § 1 KSchG – § 54 AGB-DDR – § 613 a IV 2 BGB,
NZA 1991, 873 (876); Preis, Fn. 20, 241 (245).
33 Ascheid, Fn. 65, 873 (876); Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 258;
Hillebrecht, Fn. 46, 87 (97 f.).
34 Vgl. BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 101; BAG, 26.09.1999, NZA 1997, 202 f.; Ascheid,
Fn. 64, Rn. 264; ders., Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 393; Gallner,
Fn. 62, § 1, Rn. 597 f.; ferner Wolf-Dietrich Walker, Die freie Unternehmerentscheidung im Arbeitsrecht, ZfA 2004, 501 (515).
35 BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 24; BAG, 15.06.1989, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 63; LAG Köln, 07.09.1995, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 34; Ascheid, Fn. 64, Rn. 273; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 595; Schiefer, Fn. 42, 1 (3).
36 Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 388; Gallner, Fn. 62, § 1,
Rn. 598; Schiefer, Fn. 42, 1 (2). Da bei einer Berufung auf außerbetriebliche Faktoren der im Kündigungsschutzprozess erforderliche Sachvortrag bereits mit diesen Umständen beginnen muss,
wird teilweise vertreten, dass die Chancen des Arbeitgebers im
Falle einer Berufung auf innerbetriebliche Gründe besser seien. In
diese Richtung Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 858; Dornbusch/Volk,
Fn. 5, § 1, Rn. 359.
37 So Walker, Fn. 67, 501 (515 f.). Kritisch auch Thum, Fn. 13,
S. 131 ff.; Rommé/Pauker, Fn. 63, 281 (288 f.); Volker Rieble, Anm.
zu BAG, 17.06.1999, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102, S. 9 (16).
38 Walker, Fn. 67, 501 (516). In diesem Sinne Schiefer, Fn. 42, 1 (2);
Franzen, Fn. 23, 805 (809); Rieble, Fn. 70, S. 9 (16).
das Streben nach Gewinnmaximierung.39 In beiden Fällen
muss der Arbeitgeber entsprechend der gesetzlichen Regelung
des § 1 II 4 KSchG die Kausalkette von der unternehmerischen
Entscheidung über die tatsächliche betriebliche Umsetzung bis
hin zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit darlegen und
ggf. beweisen. Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast kommt der Unterscheidung zwischen inner- und außerbetrieblichen Gründen somit keine Bedeutung zu; der deskriptive
Charakter der Unterscheidung trägt im Ergebnis lediglich zum
besseren Verständnis der jeweiligen Kündigungsursache bei.40
cc) Gerichtliche Kontrolle und Grenzen der
unternehmerischen Entscheidung
Aufgrund der Unterscheidung zwischen der unternehmerischen Entscheidung und dem Kündigungsakt als solchem muss nunmehr die Frage geklärt werden, ob und
ggf. inwieweit beide Maßnahmen einer justiziellen Kontrolle unterworfen sind.
Bereits aus der Existenz des KSchG folgt, dass eine betriebsbedingte Kündigung kündigungsrechtlich nicht
als gerichtlich nicht überprüfbare Unternehmerentscheidung anerkannt werden kann.41 Es handelt sich vielmehr
um eine Entscheidung, die vollumfänglich daraufhin
überprüft werden kann, ob sie durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 II 1 3. Alt. KSchG
bedingt ist.42 Andernfalls wären betriebsbedingte Kündigungen nie überprüfbar; das KSchG wäre überflüssig.43
Ob diese umfassende gerichtliche Kontrolle jedoch auch
für die der betriebsbedingten Kündigung vorgelagerte
unternehmerische Entscheidung gilt, hat der Gesetzgeber
offen gelassen. Diese Frage zielt auf das zentrale Problem
der betriebsbedingten Kündigung:
Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung geht das
BAG vom Grundsatz der freien Unternehmerentscheidung aus: Danach sind die Arbeitsgerichte nicht befugt,
die kündigungsbegründende unternehmerische Entscheidung auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit
zu prüfen. Eine gerichtliche Überprüfung kann sich nur
darauf erstrecken, ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich getroffen wurde und ob diese offenbar
unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.44 Die Auf39 Vgl. Walker, Fn. 67, 501 (516) m. w. N.
40 Im Ergebnis ebenso Walker, Fn. 67, 501 (516); Bernd Preis, Betriebsbedingte Kündigung zwischen Arbeitsplatzschutz und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, AuR 1997, 60 (69); Franzen, Fn. 23, 805 (810); Rieble, Fn. 70, S. 9 (16); Schiefer, Fn. 42, 1
(2 f.); Sowka, Fn. 7, 1195; Rost, Fn. 7, S. 83 (85). Siehe auch Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 476.
41 BAG, 20.03.1986, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 14; BAG, 20.02.1986,
AP § 1 KSchG 1969 Nr. 11; Berkowsky, Fn. 44, § 138, Rn. 30; v.
Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 412.
42 Vgl. BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102; LAG Köln, 15.08.1997, MDR 1998, 477;
Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 31; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 524;
Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 364.
43 Vgl. BAG, 20.02.1986, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 11; ferner Berkowsky, Fn. 44, § 138, Rn. 30; Preis, Fn. 20, 241 (242).
44 BAG, 07.12.1978, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kün-
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 111
46
47
48
49
§ 1, Rn. 365; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 599; Dorndorf, Fn. 60,
§ 1, Rn. 859; Thum, Fn. 13, S. 149 ff.; Marion Tenczer, Freie Unternehmerentscheidung und betriebsbedingte Kündigung, 1999,
S. 62; Schiefer, Fn. 42, 1 (3); Franzen, Fn. 23, 805 (811); Schrader/
Schubert, Fn. 61, 393 (394); Bernd W. Feudner, Betriebsbedingte
Kündigung quo vadis?, NZA 2000, 1136 (1140 f.); Sowka, Fn. 7,
1195.
Gegen jegliche gerichtliche Kontrolle der unternehmerischen Entscheidung Heinz-Josef Möhn, Zur Überprüfbarkeit der unternehmerischen Entscheidung im Rahmen einer betriebsbedingten
Kündigung, ZTR 1995, 356 f. Für eine weitergehende Kontrolle
dagegen Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 256 ff.; Peter Stein, Freiheit und Dringlichkeit der unternehmerischen Entscheidung im
Kündigungsschutzrecht, BB 2000, 457 (461 ff.); Bernd Preis, Stellenabbau als unternehmerische Entscheidung?, DB 2000, 1122
(1124 ff.); Rütger Boeddinghaus, Die alte und neue Rechtsprechung
zur betriebsbedingten Kündigung, AuR 2001, (8) 11.
V. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371 a; Berkowsky,
Fn. 44, § 138, Rn. 22; Preis, Fn. 10, Rn. 944; Hergenröder, Fn. 10,
355 (356 ff.); Walker, Fn. 67, 501 (509 ff.). Vgl. auch Dorndorf,
Fn. 60, § 1, Rn. 860.
So wörtlich BAG, 17.06.1999, NZA 1999, 1095 (1097). Siehe
auch BAG, 26.09.2002, NZA 2003, 549 (550).
BAG, NZA 1999, 1095 (1097); Dirk Gilberg, Die Unternehmerentscheidung vor Gericht, NZA 2003, 817 (819).
Kritisch etwa Tenczer, Fn. 78, S. 16 ff.; Walker, Fn. 67, 501
(508 f.).
50 Vgl. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 103; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 861; v.
Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371; Schiefer, Fn. 42, 1
(3).
51 Vgl. hierzu BAG, 24.10.1979, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8; BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG
1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; Dorndorf, Fn. 60, § 1,
Rn. 876; Franzen, Fn. 23, 805 (810); ferner Walker, Fn. 67, 501
(518).
52 Siehe Walker, Fn. 67, 501 (518), mit Verweis auf BAG, NZA 2003,
549.
53 Vgl. stellvertretend BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101.
54 Walker, Fn. 67, 501 (518).
55 Vgl. Walker, Fn. 67, 501 (518); Gregor Thüsing/Volker Stelljes, Anm.
zu BAG, 26.09.2002, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 124, S. 11 (13).
56 So Mustafa Alp, Die Berücksichtigung der unternehmerischen
Entscheidungsfreiheit im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes,
1998, S. 99; Walker, Fn. 67, 501 (518); wohl auch v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371.
Aufsätze
fassung des BAG hat im Schrifttum45 überwiegend Zu- des Kündigungsrechts muss der Richter oft ohne ausstimmung gefunden.
reichende Sachkompetenz entscheiden, ohne dass er die
wirtschaftlichen Konsequenzen seiner Entscheidungen
Die innere Rechtfertigung des Grundsatzes der freien Un- zu tragen hätte.
ternehmerentscheidung ist primär im Verfassungsrecht
zu suchen. Während die betriebsbedingte Kündigung als Ungeachtet des Grundsatzes der freien Unternehmersolche vor dem Hintergrund des Bestandsschutzinteres- entscheidung ist daher gerichtlich in vollem Umfang
ses des Arbeitnehmers einer umfassenden gerichtlichen nachprüfbar, ob tatsächlich eine unternehmerische EntKontrolle zugänglich ist, liegt der Grund für die einge- scheidung vorliegt, deren Umsetzung zum Wegfall der
schränkte Überprüfbarkeit der kündigungsbegründenden Beschäftigungsmöglichkeiten für einzelne Arbeitnehmer
Unternehmerentscheidung in der verfassungsrechtlich führt.50 Das Arbeitsgericht kann zudem kontrollieren, ob
über Art. 12 I, 14 I und 2 I GG geschützten unternehme- die unternehmerische Entscheidung als solche rechtsrischen Entscheidungsfreiheit.46 Zudem soll es angesichts missbräuchlich ist.51 Sofern dies der Fall ist, fehlt es an
fehlender Sachkompetenz nicht Sache der Arbeitsgerichte einem dringenden betrieblichen Erfordernis im Sinne des
sein, „dem Arbeitgeber eine bessere oder richtigere Unter- § 1 II 1 3. Alt. KSchG.52 Im Lauf der Zeit haben sich drei
nehmenspolitik vorzuschreiben und damit in die Kosten- Fallgruppen herauskristallisiert, bei denen die gerichtkalkulation einzugreifen“47, zumal die Arbeitsgerichte für liche Kontrolle durchschlägt.
Fehlentscheidungen nicht haften.48 Diese eher praktisch
(1) Missbrauch durch unsachliche, unvernünftige
ausgerichteten Begründungsansätze können jedoch nur
49
oder willkürliche unternehmerische
bedingt überzeugen : Auch in Rechtsgebieten außerhalb
Entscheidung
digung Nr. 10; BAG, 24.10.1979, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebs- Unternehmerische Entscheidungen unterliegen zunächst
bedingte Kündigung Nr. 13; BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG
einer Überprüfung dahingehend, ob sie offensichtlich un1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; BAG, 29.03.1990,
sachlich, unvernünftig oder willkürlich sind.53 Durch die
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG,
Begriffe „unsachlich“ und „unvernünftig“ wird allerdings
09.05.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 79; BAG, 26.09.1996, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbe- der Eindruck erweckt, als könne das Arbeitsgericht entdingte Kündigung Nr. 86; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG
gegen des Grundsatzes der freien Unternehmerentschei1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102; BAG, 21.09.2001,
dung doch nach einer besseren – eben sachlicheren und
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 112; BAG,
vernünftigeren –
unternehmerischen Konzeption suchen
26.09.2002, NZA 2003, 549 ff.; BAG, 22.04.2004, NZA 2004,
1158 ff. Einen Überblick über das Meinungsspektrum bei Einfüh- und diese an die Stelle der getroffenen Unternehmerentrung der ersten Fassung des KSchG im Jahr 1951 gibt Etzel, Fn. 5, scheidung setzen, was aber gerade vermieden werden soll.54
§ 1 KSchG, Rn. 521.
Entscheidend ist daher allein, ob die unternehmerische
45 Vgl. aus dem umfangreichen Schrifttum: v. Hoyningen-Huene/
Entscheidung irgendeines nachvollziehbaren Grundes
Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 522;
55
Preis, Fn. 10, Rn. 945; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 463; Ber- entbehrt und somit als willkürlich anzusehen ist. Mit56
hin geht es um eine bloße Willkürkontrolle , die allerkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 14 ff.; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 401;
Manfred Löwisch/Günter Spinner, Kommentar zum Kündigungs- dings in der arbeitsgerichtlichen Praxis trotz zahlreicher,
schutzgesetz, 9. Aufl. 2004, § 1, Rn. 265; Dornbusch/Volk, Fn. 5,
die o. g. Kriterien nennenden Entscheidungen nur eine ge-
Aufsätze
112 Sven
Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2)
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006
ringe Rolle spielt.57 Dies liegt einerseits daran, dass unternehmerische Entscheidungen wohl immer einen Grund
haben, und sei es auch nur der legitime Wunsch, Kosten
einzusparen oder die Gewinne zu steigern.58 Andererseits
dürfte ein entsprechender Prozessvortrag eher selten sein,
da der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig
ist59 und er in innerbetriebliche Entscheidungsprozesse
regelmäßig keinen Einblick haben wird.
(2) Missbrauch durch Verstoß gegen gesetzliche
oder tarifliche Normen
Die unternehmerische Entscheidung unterliegt neben
der Willkürkontrolle einer allgemeinen Rechtskontrolle:
Vom Arbeitsgericht ist jeweils zu prüfen, ob die unternehmerische Entscheidung gegen ein Gesetz60 oder einen Vertrag – insbesondere einen Tarifvertrag61 – verstößt.62 Eine
rechtswidrige Unternehmerentscheidung ist zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung von vornherein nicht geeignet.63
(3) Missbrauch durch Umgehung – zugleich
Besprechung von BAG, NZA 2003, 549
(„Rheumaklinik-Urteil“)
Als letzte der drei denkbaren Fallgruppen der Missbrauchskontrolle sind die sog. Umgehungsfälle zu nennen. Im Jahr 2002 hat der 2. Senat des BAG64 erstmals
eine unternehmerische Entscheidung als rechtsmissbräuchlich angesehen, die nach seinem Dafürhalten allein zu dem Zweck getroffen wurde, sich in Umgehung
des KSchG von missliebigen Arbeitnehmern zu trennen.
In der juristischen Diskussion gilt dieses „RheumaklinikUrteil“ als die wichtigste kündigungsrechtliche Entscheidung der letzten 15 Jahre.65 Sie zeigt exemplarisch, dass
57 Vgl. aber ArbG Gelsenkirchen, 28.10.1997, NZA 1998, 944 f.,
wonach die unternehmerische Entscheidung, Personal abzubauen, obwohl der Betrieb seit Jahren große Gewinnsteigerungen verzeichnete, als willkürlich angesehen wurde. A.A. Rieble, Fn. 70,
S. 9 (15 f.); Franzen, Fn. 23, 805 (810); Walker, Fn. 67, 501 (521);
Schiefer, Fn. 42, 1 (5).
58 Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 (13); Walker, Fn. 67, 501 (518 f.).
59 BAG, 24.10.1979, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8; BAG, 09.05.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 79; Alp, Fn. 89, S. 99; v. Hoyningen-Huene/
Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371 f; Preis, Fn. 10, Rn. 1035; Etzel, Fn. 5,
§ 1 KSchG, Rn. 556; Hromadka, Fn. 23, 383 (393). Offen gelassen in BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 101, 102, 103.
60 Vgl. etwa BAG, 24.04.1997, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 42 zu § 2
BeschFG (seit 01.01.2001: § 4 I TzBfG).
61 Vgl. etwa BAG, 18.12.1997, NZA 1998, 304 ff.; BAG, 17.06.1999,
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102,
103.
62 Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 467 a; Dorndorf, Fn. 60, § 1,
Rn. 878; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 402; Preis, Fn. 10,
Rn. 946; Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 271; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371 b. Kritisch Rieble, Fn. 70, S. 9 (26);
Walker, Fn. 67, 501 (519).
63 BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102, II 1 c dd.
64 BAG, 26.09.2002, NZA 2003, 549 ff.
65 So Georg Annuß, Die rechtsmissbräuchliche Unternehmerentscheidung im Konzern, NZA 2003, 783.
die Missbrauchskontrolle vor allem angesichts neuer unternehmerischer Organisationskonzepte oftmals eine
schwierige juristische Gratwanderung bedingt.
Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt
lässt sich wie folgt zusammenfassen66:
Eine Rheumaklinik beschloss angesichts hoher wirtschaftlicher
Verluste, einige Servicebereiche stillzulegen und den dort beschäftigten Arbeitnehmern betriebsbedingt zu kündigen. Die
Dienstleistungen sollten aus umsatzsteuerlichen Gründen auf
eine noch zu gründende, finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch voll in die Klinik eingegliederte Organgesellschaft
(§ 2 II Nr. 2 UStG) übertragen werden. Diese sollte die ausgelagerten Dienstleistungen mit neu einzustellenden Arbeitnehmern weiter durchführen. Nach Ansicht des BAG waren die
ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen wegen einer
missbräuchlichen Unternehmerentscheidung unwirksam. Das
unternehmerische Ziel der kosteneffizienteren Gestaltung der
betrieblichen Abläufe könne durch andere Maßnahmen (u. a.
Änderungskündigungen, Teilbetriebsübergang, Werkverträge
mit Fremdunternehmen) verwirklicht werden. Die gewählte
Organisationsform ziele allein darauf ab, den Arbeitnehmern
ihren Kündigungsschutz zu nehmen und den nach wie vor bestehenden Beschäftigungsbedarf mit dem kostengünstigeren
Personal der Organgesellschaft zu bewältigen.
Die Entscheidung ist in der Literatur67 zu Recht auf Kritik gestoßen. Schon aus rein dogmatischer Sicht ist zu
kritisieren, dass die Voraussetzungen der üblicherweise
im Kontext des § 134 BGB erörterten Umgehungsfälle68 vom BAG nicht näher präzisiert worden sind. Die
neu eingeführte Kategorie des Missbrauchs durch Umgehung ist nach Thüsing/Stelljes lediglich schlagwortartig.69 Weitaus schwerwiegender ist indes die seitens der
Literatur geäußerte Befürchtung, die unternehmerische
Entscheidung unterliege künftig einer stärkeren gerichtlichen Kontrolle.70
Tatsächlich stehen die Ausführungen im „Rheumaklinik-Urteil“ im Widerspruch zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die unternehmerische Entschei66 Vgl. BAG, 26.09.2002, NZA 2003, 549 f. Zusammenfassend
auch Annuß, Fn. 98, 783 f.
67 Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 367; Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11
(14 f.); Annuß, Fn. 98, 783 (784 f.); Klaus Adomeit, Kündigungsschutz – Grenzen der Unternehmerentscheidung – „Rheumaklinik-Urteil“, SAE 2003, 237 ff.; Wilhelm Moll, Zum dringenden
betrieblichen Erfordernis i. S. d. § 1 II KSchG, EWiR 2003, 779
(780); Walker, Fn. 67, 501 (520 f.). Dem BAG folgend Dieter Reuter, Unternehmerische Freiheit und betriebsbedingte Kündigung,
RdA 2004, 161 ff.
68 Theo Mayer-Maly/Christian Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2001, § 134, Rn. 11 ff.
69 Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 (15); zustimmend Dornbusch/Volk,
Fn. 5, § 1, Rn. 367. Zur Einordnung dieses Urteils vor dem Hintergrund der Entscheidungen im „Crewing-Fall “ und „Weight-Watchers-Fall “ (Fn. 61) siehe Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 522 ff. und
Reuter, Fn. 100, 161 f.
70 Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 367; Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11
(14 f.). In diese Richtung auch Annuß, Fn. 98, 783 (784 f.); Adomeit, Fn. 100, 237 ff. Relativierend hingegen Walker, Fn. 67, 501
(521).
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 113
teuren Arbeitnehmern in Umgehung des Kündigungsschutzes zu trennen, ohne dabei die gleichfalls gewichtigen umsatzsteuerlichen und kontrollbezogenen Gründe
zu berücksichtigen. Der unternehmerischen Konzeption
der Beklagten kann daher nicht der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs gemacht werden. Auch wenn der Vorsitzende des 2. Senats Rost 78 in der Entscheidung lediglich
eine „Warnboje“ zur Verdeutlichung des nicht nur theoretischen Falls der Rechtsmissbräuchlichkeit einer Unternehmerentscheidung sieht, löste das Urteil in der arbeitsrechtlichen Praxis eine erhebliche Unsicherheit aus.79
Dies liegt auch daran, dass Fallgestaltungen wie die hier
vorliegende im unternehmerischen Alltag durchaus verbreitet sind und die Bestandsschutzinteressen der Arbeitnehmer anscheinend selbst zweckmäßige und sachliche
unternehmerische Entscheidungen überwinden können.
b) Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten
Die Umsetzung oder eingeleitete Durchführung der unternehmerischen Entscheidung muss zum Wegfall von
Beschäftigungsmöglichkeiten für den gekündigten Arbeitnehmer führen.80 Nur unter dieser Voraussetzung
liegt ein betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 II 1
3. Alt. KSchG vor.
aa) Umsetzung der unternehmerischen
Entscheidung
Als bloßer Willensentschluss lässt allein die unternehmerische Entscheidung noch keine BeschäftigungsmögDie Entscheidung des BAG verwehrt dem Arbeitgeber, lichkeit entfallen. Vielmehr muss der Arbeitgeber sein
die aus seiner Sicht sinnvolle und zweckmäßige betriebs­ unternehmerisches Konzept auch in die betriebliche
organisatorische Gestaltung zu wählen, deren Ergebnisse Wirklichkeit entlassen. Ein betriebliches Erfordernis
und Folgen durch andere rechtliche Konstruktionen nicht kann somit erst dann vorliegen, wenn entweder die untererreichbar sind.76 Es ist nicht ersichtlich, warum die aus nehmerische Entscheidung bereits umgesetzt wurde oder
nachvollziehbaren und gewichtigen Gründen getroffene die geplante Maßnahme zumindest greifbare Formen anEntscheidung, die ausgelagerten Dienstleistungen durch genommen hat und eine vernünftige, betriebswirtschaftArbeitnehmer einer Organgesellschaft durchführen zu liche Betrachtung die Prognose ergibt, dass mit hinreilassen, einen Missbrauch durch Umgehung darstellen chender Sicherheit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
soll.77 Das BAG stellt allein darauf ab, dass die unterneh- die Maßnahme durchgeführt und der Arbeitnehmer damerische Konzeption nur dem Zweck diente, sich von mit entbehrlich sein wird.81
71 Walker, Fn. 67, 501 (520).
72 Vgl. Moll, Fn. 100, 779 (780).
73 Siehe Adomeit, Fn. 100, 237 (238); Reuter, Fn. 100, 161 (162);
Walker, Fn. 67, 501 (520).
74 Siehe Moll, Fn. 100, 779 (780); Reuter, Fn. 100, 161 (162). Zur
Wirksamkeit einer Änderungskündigung zum Zweck der Sanierung eines Betriebs mittels Personalkostensenkung muss der Arbeitgeber nachweisen, dass ohne die Maßnahme die Existenz des
Betriebs gefährdet wäre, vgl. BAG, 26.01.1995, NZA 1995, 626
(627 f.).
75 Siehe Adomeit, Fn. 100, 237 (239). Zustimmend Reuter, Fn. 100,
161 (162).
76 So Moll, Fn. 100, 779 (780).
77 Vgl. Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 ff.; Walker, Fn. 67, 501 (520 f.);
Adomeit, Fn. 100, 237 (239); Moll, Fn. 100, 779 (780). Siehe auch
Preis, Fn. 20, 241 (248 f.), der selbst eine kosten- und rentabilitätsneutrale Umstrukturierung nicht in allen Fällen für willkürlich
hält.
78 Friedhelm Rost, Neues zum Kündigungsrecht, NZA 2004, Sonderbeilage 1, 34.
79 So auch die Einschätzung von Annuß, Fn. 98, 783 (785).
80 BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 71; BAG, 07.03.1996, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 84; Ascheid, Fn. 64, Rn. 236; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn 30, § 1, Rn. 372; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 477; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 615; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1,
Rn. 371.
81 BAG, 27.02.1987, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 41; BAG, 19.06.1991, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 53; BAG, 10.01.1994, AP § 1 KSchG
1969 Konzern Nr. 8; BAG, 27.02.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 1; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 550; Ascheid,
Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 387; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30,
§ 1, Rn. 375. Im letzteren Fall trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, vgl. BAG, 23.03.1984, AP § 1 KSchG
1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 38; BAG, 19.06.1991, AP
§ 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 53. Siehe zum
Aufsätze
dungen gerade nicht auf ihre wirtschaftliche Richtigkeit
hin überprüfen will. Indem der 2. Senat darauf verweist,
dass zur Sanierung der Servicebereiche andere rechtliche
und organisatorische Konstruktionen zur Verfügung
gestanden hätten, gibt er der Beklagten ein aus seiner
Sicht richtigeres bzw. besseres unternehmerisches Konzept vor.71 Da es der Rheumaklinik erstens um die Umsatzsteuerersparnis, zweitens um das Know-how und die
Kontrollmöglichkeit bzgl. der Service-GmbH und drittens um die Reduzierung der Personalkosten ging72, kann
indes bezweifelt werden, ob die Erreichung dieser Ziele
mit den vom BAG angeführten Alternativmaßnahmen
möglich gewesen wäre. Änderungskündigungen waren
als Instrument der Personalkostenersparnis aufgrund der
im vorliegenden Fall bestehenden Tarifbindung der betroffenen Arbeitnehmer untauglich.73 Dessen ungeachtet
sind die Anforderungen der Rechtsprechung an eine Änderungskündigung zwecks Personalkostensenkung höher
als an eine Beendigungskündigung als Folge einer Betriebsstilllegung.74 Auch die anderen aufgezeigten rechtlichen Konstruktionen – Teilbetriebsübergang, Werkverträge mit Drittunternehmen, Umwandlung nach § 123
UmwG – können nicht überzeugen: In einem Krankenhaus kann die Verantwortung für bestimmte Servicebereiche wie etwa Reinigung und Küche aus medizinischhygienischen Gründen nicht so weitgehend an Dritte
delegiert werden, wie es die Alternativmaßnahmen erfordern.75 Durch die Übernahme der Geschäftsführung der
Service-GmbH konnte die Beklagte hingegen eine ausreichende Kontroll- und Einflussmöglichkeit sicherstellen.
Aufsätze
114 Sven
Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2)
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006
bb) Auswirkung auf die
Beschäftigungsmöglichkeit
Die (geplante) Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung muss eine konkrete Auswirkung auf die Beschäftigungsmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers
haben. Das betriebliche Erfordernis muss allerdings nicht
zum Wegfall eines bestimmten Arbeitsplatzes führen.82
Vielmehr genügt es, wenn nach der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung im Betrieb rechnerisch ein
Überhang an Arbeitskräften entstanden ist, durch den
unmittelbar oder mittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt.83
Entscheidet sich der Unternehmer z. B. für eine endgültige
Schließung einer Betriebsabteilung, so führt dies zu einem
Arbeitskräfteüberhang, der das Beschäftigungsbedürfnis für
die dort tätigen Arbeitnehmer entfallen lässt. An einer negativen Auswirkung auf die Beschäftigungslage fehlt es hingegen
dann, wenn im Rahmen einer Umorganisation eine Betriebsabteilung geschlossen wird und die dort erledigten Arbeiten in
unveränderter Form einer anderen Abteilung zugeordnet werden.84 Verändert sich im Zuge der Unternehmerentscheidung
das Anforderungsprofil der Arbeitsplätze (z. B. wenn ein Pilot
mit Fluglizenz für Propellermaschinen Düsenflugzeuge fliegen
soll85) ist ausschlaggebend, ob die nach der unternehmerischen
Entscheidung an dem Arbeitsplatz zu verrichtende Arbeit mit
der bisherigen Tätigkeit identisch ist (sog. Identität und Kontinuität des Arbeitsplatzes86). Sofern dies verneint wird, ist die
Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfallen.
den, da der gesetzliche Kündigungsschutz grundsätzlich
betriebsbezogen ausgestaltet ist.88
cc) Gerichtliche Überprüfung
Im Kündigungsschutzprozess ist der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit im Gegensatz zur unternehmerischen
Entscheidung vollumfänglich nachprüfbar. Der Arbeitgeber ist hierfür darlegungs- und beweispflichtig89: Er
muss anhand von konkreten Tatsachen darlegen und im
Bestreitensfall beweisen, inwieweit sich die Umsetzung
der unternehmerischen Entscheidung auf die Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb auswirkte und zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses führte.
c) Dringlichkeit des betrieblichen Erfordernisses
Die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung ist
schließlich nur dann sozial gerechtfertigt, wenn die ihr
zugrunde liegenden betrieblichen Erfordernisse dringend
im Sinne des § 1 II 1 3. Alt. KSchG sind. Durch das
Merkmal der Dringlichkeit wird zum Ausdruck gebracht,
dass der Arbeitgeber nur dann betriebsbedingt kündigen
darf, wenn dies im Interesse des Betriebs wirklich notwendig ist.90 Dem Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses wird dadurch zusätzliches Gewicht verliehen.91
aa) Dringlichkeit und Grundsatz der
Die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung
Verhältnismäßigkeit
muss schließlich zu einem dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führen.87 Steht bereits im Zeit- Dringende betriebliche Erfordernisse liegen vor, wenn es
punkt der Kündigung fest, dass die Arbeitskraft bereits dem Arbeitgeber nach der Umsetzung der Unternehmerkurz nach Ablauf der Kündigungsfrist weiter benötigt entscheidung nicht möglich ist, der neuen betrieblichen
wird, ist eine betriebsbedingte Kündigung sozial unge- Lage durch andere Maßnahmen auf technischem, orgarechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Für die Beur- nisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als durch
teilung der Auswirkung der unternehmerischen Entschei- eine Kündigung zu entsprechen.92 Damit wird nach
dung auf die Beschäftigungslage dürfen dabei nur die 88 Hierzu BAG, 27.11.1991, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte KünVerhältnisse des jeweiligen Betriebs herangezogen werdigung Nr. 72; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 374;
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87
Beurteilungszeitpunkt bei der betriebsbedingten Kündigung auch
unten 3) (S. 31 f.).
So aber noch BAG, 07.12.1978, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 6.
BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102, 103; Kiel, Fn. 34, § 1
KSchG, Rn. 477; ferner Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 62 ff.
BAG, 10.11.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65; BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 71. Siehe aber auch BAG, 18.10.2000,
NZA 2001, 437 ff.
BAG, 13.05.1968, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 18. Hierzu ausführlich v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1,
Rn. 373 a; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 481.
Hierzu v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 373; Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 480; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 615.
BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 478; Etzel, Fn. 5,
§ 1 KSchG, Rn. 527.
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Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 537 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 482; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 383. Ausführlich zum
Betriebsbegriff Löwisch/Spinner, Fn. 78, § 1, Rn. 250 ff. Dagegen
ist die Prüfung der anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 II S. 2, 3 KSchG grundsätzlich unternehmensbezogen ausgestaltet, siehe unten 2) a) (S. 25 ff.).
Vgl. hierzu BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG
1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102; BAG, 13.06.2002,
NZA 2003, 608 (610 f.); v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1,
Rn. 376 f.; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 554; Bernd Schiefer, Kündigungsschutz und Unternehmerfreiheit – Auswirkungen des
Kündigungsschutzes auf die betriebliche Praxis, NZA 2002, 770
(774).
BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45, II 1 a; Berkowsky, Fn. 44, § 138, Rn. 124; Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 561; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30,
§ 1, Rn. 377. Für Preis, Fn. 10, Rn. 950, ist die Dringlichkeit „ein
Merkmal zur Bewertung der Gewichtigkeit des betrieblichen Interesses“.
So Preis, Fn. 10, Rn. 950. Ähnlich Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG,
Rn. 527.
BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündi-
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 115
Die Dringlichkeit bezieht sich nach dem Wortlaut des § 1
II 1 3. Alt. KSchG allein auf die betrieblichen Erfordernisse und nicht auf die unternehmerische Entscheidung.
Im Rahmen der Dringlichkeitsprüfung erfolgt daher lediglich eine Überprüfung der Art der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung.98 Es ist somit sorgfältig
zwischen der vorgelagerten gestaltenden Unternehmerentscheidung einerseits und der umsetzenden Unternehmerentscheidung (Kündigung) andererseits zu differenzieren. Letztere unterliegt einer justiziellen Kontrolle
dahingehend, ob andere betriebsorganisatorische Reaktionsmöglichkeiten in Betracht kommen.
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98
gung Nr. 24; BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 396;
v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 381; Kiel, Fn. 34, § 1
KSchG, Rn. 562; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 146.
BAG, 18.01.1990, AP § 2 KSchG Nr. 27; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG,
Rn. 528; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 397; ders., Fn. 64,
Rn. 284; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 558 f.; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 378; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 149;
Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 618; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 886 f.;
Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 279; Preis, Fn. 23, S. 305 ff.; Rolf
Wank, Rechtsfortbildung im Kündigungsschutzrecht, RdA 1987,
129 (136).
V. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 378; Kiel, Fn. 34, § 1
KSchG, Rn. 559.
Vgl. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 24; BAG, 26.06.1997, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86.
Vgl. BAG, 18.01.1990, AP § 2 KSchG Nr. 27; Berkowsky, Fn. 5,
§ 5, Rn. 153; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 562; Gallner, Fn. 62,
§ 1, Rn. 619.
Nach überwiegender Auffassung handelt es sich nach dem Wortlaut der Regelung („sollen“) um einen Programmsatz, der lediglich wiederholt, dass zur Vermeidung der betriebsbedingten Kündigung alternative Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet in Betracht zu ziehen sind.
Vgl. Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 529 a; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 565.
So Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 399. Vgl. auch Kiel, Fn. 34,
§ 1 KSchG, Rn. 558; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1,
Rn. 382; Wank, Fn. 126, 129 (136).
Noch bis zum Jahr 1980 vertrat das BAG99 die Auffassung, dass auch bei der betriebsbedingten Kündigung im
Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen sei, ob die sozialen Folgen für den Arbeitnehmer und
die betrieblichen Erfordernisse des Arbeitgebers in einem
vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Im Schrifttum100 ist dies überwiegend abgelehnt worden. Mittlerweile hat das BAG von der Interessenabwägung Abstand
genommen, allerdings ohne sie verbal völlig aufzugeben.101
bb) Mildere Mittel im Rahmen der
Dringlichkeitsprüfung
Als mildere Mittel kommen u. a. die Arbeitsstreckung102,
der Abbau von Überstunden und Leiharbeitnehmerstellen103, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung104 sowie die
Einführung von Kurzarbeit105 in Betracht. In der Praxis
bewähren sich diese Maßnahmen jedoch nicht als Allheilmittel gegen betriebsbedingte Kündigungen, da sie
regelmäßig einen lediglich vorübergehenden Arbeitsmangel voraussetzen, der aber nur in den seltensten Fällen vorliegen wird.106 Dies schließt indes nicht völlig aus,
dass im Einzelfall die genannten Maßnahmen ein gegenüber der betriebsbedingten Kündigung milderes Mittel
darstellen können.107
99 Erstmals in BAG, 04.02.1960, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 5. Fortgesetzt u. a. in BAG, 24.10.1979,
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8; BAG,
07.03.1980, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 9; BAG, 17.10.1980, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 10.
100Vgl. etwa Preis, Fn. 10, Rn. 922; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 651; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 380; Dorndorf, Fn. 60, § 1 KSchG, Rn. 942. So bereits Eduard Bötticher, in:
Hans Carl Nipperdey (Hrsg.), Festschrift für Erich Molitor, 1962,
S. 123 (127 ff.). Gegen eine umfassende richterliche Interessenabwägung spricht vor allem der bereits durch den Gesetzgeber vorgenommene gesetzliche Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, vgl. hierzu Thum, Fn. 13, S. 215, 217 ff.; Etzel,
Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 549; Eugen Stahlhacke, Grundfragen der
betriebsbedingten Kündigung, DB 1994, 1361 (1367). A.A. dagegen Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 293.
101 Vgl. etwa BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42: Bei einer „an sich“ betriebsbedingten
Kündigung kann sich eine Abwägung der beiderseitigen Interessen nur noch in seltenen Ausnahmefällen zugunsten des Arbeitnehmers auswirken. Vgl. neuerdings auch BAG, 17.06.1999, AP
§ 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102. Kritisch
zu dieser Rechtsprechung Preis, Fn. 10, Rn. 922.
102 Hierzu Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 161 f.; Preis, Fn. 10, Rn. 1019;
Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 577.
103 Hierzu Preis, Fn. 10, Rn. 1023; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 567 ff.; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 163 f.
104Hierzu Preis, Fn. 10, Rn. 1022; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 578.
105 Hierzu Preis, Fn. 10, Rn. 1020 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 570 ff.; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 165 ff.
106Skeptisch etwa Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 162 in Bezug auf die
Arbeitsstreckung sowie Preis, Fn. 10, Rn. 1020 und v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 385 in Bezug auf die Kurzarbeit.
107 Für die Kurzarbeit siehe LAG Berlin, 05.12.1997, LAGE § 1
KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 49; ArbG Mannheim,
09.12.1982, BB 1983, 1031. Für die Arbeitsstreckung siehe LAG
Aufsätze
allgemeiner Auffassung93 der das gesamte Kündigungsschutzrecht beherrschende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit konkretisiert. Bei der betriebsbedingten Kündigung reduziert sich die Verhältnismäßigkeitskontrolle im
Wesentlichen auf die Überprüfung der Erforderlichkeit94:
Die Kündigung muss als die den Arbeitnehmer am härtesten treffende Maßnahme stets ultima ratio sein95; mildere Maßnahmen dürfen also nicht in Betracht kommen.
Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung sind nur solche
Mittel zu berücksichtigen, die Entlassungen entbehrlich
machen, dabei aber gleich wirksam sind, um das vorgegebene unternehmerische Ziel zu erreichen.96 Aus der in § 2
II, 4, 5 SGB III genannten Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ergeben sich für die Auslegung des Merkmals
„dringende betriebliche Erfordernisse“ dagegen keine weiteren Anforderungen.97
Aufsätze
116 Sven
Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2)
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006
cc) Darlegungs- und Beweislast
ze in derselben oder einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs.110 Im Gegensatz zu den teilweise
Im Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber die umstrittenen milderen Mitteln im Rahmen der DringTatsachen darlegen und ggf. beweisen, die die Dring- lichkeitsprüfung wird hier also bereits qua Gesetz ein oblichkeit der betrieblichen Erfordernisse zur Kündigung ligatorisch zu prüfender Katalog von Alternativmaßnahbedingen.108 Dabei kann er nach den Grundsätzen der men vorgegeben.
abgestuften Darlegungs- und Beweislast seinen Vortrag
zunächst auf die Behauptung beschränken, dass mildere Nach § 1 II 2 Nr. 1 a. E. und Nr. 2 a. E. KSchG bedarf es
Mittel als die Kündigung nicht zur Verfügung standen. zur Geltendmachung der Sozialwidrigkeit eines fristgeSobald der Arbeitnehmer darlegt, durch welche konkrete rechten Widerspruchs des Betriebsrats bzw. einer entspreMaßnahme die Kündigung zu vermeiden gewesen wäre, chenden Einwendung der zuständigen Personalvertremuss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, aus welchen tung. Erweist sich der Widerspruch bzw. die Einwendung
Gründen diese Maßnahme nicht realisierbar war.
als sachlich berechtigt – liegt also der geltend gemachte
Widerspruchstatbestand aus dem Bereich des § 1 II 2 oder
3 KSchG vor –, so ist die Kündigung sozialwidrig (sog.
2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
absoluter Sozialwidrigkeitsgrund).111 Einer Prüfung der
Allein das Vorliegen dringender betrieblicher Erfor- allgemeinen Voraussetzungen des § 1 II 1 3. Alt. KSchG
dernisse nach § 1 II 1 3. Alt. KSchG rechtfertigt noch bedarf es dann ebenso wenig wie einer – ohnehin abzunicht die betriebsbedingte Kündigung. In einem zweiten lehnenden112 – Interessenabwägung.113 Der Widerspruch
Schritt ist vor dem Hintergrund des § 1 II S. 2, 3 KSchG erlangt zudem Bedeutung für die Darlegungs- und Bezu prüfen, ob für den zu kündigenden Arbeitnehmer eine weislast sowie für den Weiterbeschäftigungsanspruch aus
zumutbare anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zur § 102 Abs. 5 BetrVG.114
Verfügung steht. Liegt eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vor, so ist eine betriebsbedingte Kündigung trotz Nach gefestigter Auffassung115 ist eine Berufung des geVorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse sozial kündigten Arbeitnehmers auf die Weiterbeschäftigungsungerechtfertigt.
möglichkeiten des § 1 II 2, 3 KSchG auch unabhängig
vom Widerspruch des Betriebs- bzw. Personalrats möglich. Ansonsten käme der gekündigte Arbeitnehmer nicht
a) Überblick und allgemeine Grundsätze
in den Genuss des vollen Kündigungsschutzes, falls im
Dogmatisch ist das Erfordernis der fehlenden Weiter- Betrieb keine Arbeitnehmervertretung besteht bzw. diebeschäftigungsmöglichkeit Ausfluss des ultima-ratio- se von ihrem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch macht.
Prinzips.109 Wie bei der Dringlichkeit der betrieblichen Für einen wirksamen Kündigungsschutz muss daher der
Erfordernisse ist zu prüfen, ob mildere Mittel als die be- Arbeitgeber auch in diesen Fällen die entsprechenden
triebsbedingte Kündigung in Betracht kommen. Hierbei Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten prüfen.
bestimmt das KSchG in § 1 II 2, 3 die Möglichkeit der
Weiterbeschäftigung
Nach dem Wortlaut des § 1 II 2 Nr. 1 b KSchG ist die
Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht al- auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben oder lein auf den Betrieb, sondern auf das gesamte Unterneheinem anderen Betrieb des Unternehmens (§ 1 II 2 men des Arbeitgebers bezogen.116 Eine betriebsbedingte
Nr. 1 b KSchG),
- unter geänderten Bedingungen (§ 1 II 3 2. Alt.
KSchG) und/oder
- nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen (§ 1 II 3 1. Alt. KSchG)
als mildere Mittel. Für den Bereich des öffentlichen
Dienstes erstreckt sich die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gemäß § 1 II 2 Nr. 2 b KSchG auf ArbeitsplätStuttgart, 02.06.1954, DB 1954, 784. Für die allgemeine Arbeitszeitverkürzung siehe ArbG Bocholt, 22.06.1982, DB 1982, 1938.
108Vgl. hierzu und zum Folgenden Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 566;
Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 555.
109Vgl. BAG, 17.05.1984, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 32; BAG, 25.04.2002, NZA 2003, 605 (606); Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 580; Roland Stückmann/Christina Kohlepp, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und „ultima-ratio-Prinzip“
im Kündigungsrecht, RdA 2000, 331 (335 ff.).
110 Hierzu ausführlich Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 598 ff.; ferner
Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 56 ff.
111 Vgl. BAG, 13.09.1973, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 2, II 7 a; BAG,
06.06.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 16; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 508; Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 583; Preis, Fn. 10, Rn. 1001; Gallner,
Fn. 62, § 1, Rn. 622.
112 Siehe oben 1) c) aa) (S. 22 ff.).
113 BAG, 13.09.1973, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 2, II 7 a.
114 Hierzu Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 583, 648 ff.
115 BAG, 17.05.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21; BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 66; BAG, 25.04.2002, NZA 2003, 605
(606); Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 529; Berkowsky, Fn. 5, § 8,
Rn. 4; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 500 ff.; Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 582; Preis, Fn. 23, S. 295 ff.; ders., Fn. 10,
Rn. 1000; Walter Bitter/Heinrich Kiel, 40 Jahre Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts zur Sozialwidrigkeit von Kündigungen,
RdA 1994, 333 (341 ff.).
116 Vgl. BAG, 13.09.1973, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 2; BAG,
17.05.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung
Nr. 21; BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 117
Der Arbeitnehmer hat jedoch weder einen Anspruch auf
Einrichtung neuer Arbeitsplätze noch kann er vom Arbeitgeber verlangen, dass eine Stelle für ihn freigekündigt
wird.123 Wendet der aus betrieblichen Gründen gekündigte Arbeitnehmer ein, er könne auf einem gegenwärtig besetzten Arbeitsplatz beschäftigt werden und dem
dort tätigen Arbeitnehmer müsse zuerst gekündigt werden, so ist dies eine Frage der Sozialauswahl nach § 1 III
KSchG.
c) Weiterbeschäftigung auf einem freien
Arbeitsplatz zu unveränderten Bedingungen
Die betriebsbedingte Kündigung ist nach § 1 II 2 Nr. 1 b
KSchG sozial ungerechtfer­tigt, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz zu unveränderten
Bedin­gungen möglich ist. Der in Frage stehende Arbeitsplatz muss insoweit mit der bisherigen Stelle des gekündigten Arbeitnehmers vergleichbar sein.124 Dies ist der Fall,
wenn der Arbeit­nehmer die Anforderungen des freien Arbeitsplatzes erfüllt und der Arbeitgeber ihn auf­grund seib) Vorhandene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nes arbeitsvertraglichen Weisungsrechts ohne Änderung
des Arbeitsvertrags auf dieser Stelle beschäftigen kann.125
(freier Arbeitsplatz)
Fehlt dem Arbeitnehmer die erforderliche Qualifikation
Eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung besteht für oder ist eine Änderung des Arbeitsvertrags notwendig, so
den Arbeitgeber immer nur dann, wenn er über freie Ar- scheidet eine Versetzung auf die freie Stelle als milderes
beitsplätze in den Betrieben seines Unternehmens ver- Mittel aus. In diesen Fällen ist jedoch die Möglichkeit
fügt.121 Als frei sind Arbeitsplätze anzusehen, die entwe- der Weiterbe­schäftigung nach Umschulungs- oder Fortder im Zeitpunkt der Kündigung unbesetzt sind oder bis bildungsmaßnahmen oder zu geänderten Bedingun­gen
zum Ablauf der Kündigungsfrist oder in absehbarer Zeit (Änderungskündigung) zu prüfen.
danach unbesetzt sein werden, sofern die Überbrückung
dieses Zeitraums für den Arbeitgeber zumutbar ist.122 Beinhaltet der Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel,
bezieht sich der Kreis der zu prüfen­den Einsatzmöglichkeiten je nach Ausgestaltung der Klausel auf den Betrieb,
Kündigung Nr. 66; BAG, 21.09.2000, NZA 2001, 535 (538 f.);
Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 6; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 889 f.;
das Unternehmen oder sogar den Konzern des ArbeitnehEtzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 538; v. Hoyningen-Huene/Linck,
mers.126 Da dem Arbeitnehmer aus dem Wegfall seines
Fn. 30, § 1, Rn. 391; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 587. Für den
Bereich des öffentlichen Dienstes siehe Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Arbeitsplatzes kein Anspruch auf Beförderung erwächst,
sind in diesen Kreis nur Stel­len mit gleich- oder geringerRn. 394 mit Fn. 618.
117 Vgl. stellvertretend v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, wertigen Arbeitsbedingungen einzubeziehen.127
Rn. 391.
118 Siehe BAG, 14.10.1982, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 1; BAG,
27.11.1991, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 6; BAG, 10.01.1994,
AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 8; BAG, 21.01.1999, AP § 1
KSchG 1969 Konzern Nr. 9; Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 10 ff.; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 539; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 590;
v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 392; Preis, Fn. 10,
Rn. 1014; Uwe Silberberger, Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
und Kündigungsschutz im Konzern, 1994, S. 147 ff., 185 ff. Eine
konzernbezogene Ausweitung generell ablehnend Bernd W. Feudner, Kündigungsschutz im Konzern, DB 2002, 1106 ff.
119 BAG, 14.10.1982, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 1; BAG,
27.11.1991, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 6.
120Vgl. hierzu BAG, 18.10.1976, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 3; BAG, 21.01.1999, AP § 1 KSchG 1969
Konzern Nr. 9. Hierzu und zu weiteren Ausnahmefällen siehe Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 592 ff.; Preis, Fn. 10, Rn. 1014 ff.
121 V. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 394.
122BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 67; BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969
Umschulung Nr. 1; BAG, 25.04.2002, NZA 2003, 605 (606 f.); v.
Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 394 f.; Dornbusch/Volk,
Fn. 5, § 1, Rn. 396; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 600 ff.
123Vgl. BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 50; BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 394;
Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 397; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG,
Rn. 719; Bitter/Kiel, Fn. 148, 333 (339).
124BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 67.
125 Vgl. BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 50; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 401; Kiel,
Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 609; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 908.
126Hierzu Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 404 ff.; Klaus Kukat, Betriebsbedingte Kündigung und konzernbezogener Kündigungsschutz in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, BB 2000,
1242 (1244).
127Vgl. BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 50; BAG, 21.09.2000, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 111; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1,
Rn. 409; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 414; v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 398 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 610. Nach BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebs-
Aufsätze
Kündigung ist demnach nur dann sozial gerechtfertigt,
wenn in allen Betrieben des Unternehmens des Arbeitgebers keine adäquate Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für
den Arbeitnehmer besteht.117 Bedeutsam ist dies, weil das
Reservoir an potenziellen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Falle einer unternehmensbezogenen Prüfung
größer ist als bei bloßer Betriebsbezogenheit. Trotz der
Konzentrationstendenzen im Unternehmensbereich, die
zunehmend zu einer Verlagerung der Entscheidungsprozesse auf Konzernebene führen, wird eine Ausdehnung
der Überprüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf andere Unternehmen desselben Konzerns dem
Grundsatz nach abgelehnt.118 Gegen eine solche Konzernbezogenheit spricht die rechtliche Selbstständigkeit der
Unternehmen.119 Eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungsverpflichtung kann sich allerdings in Ausnahmefällen ergeben: Denkbar ist z. B., dass der Arbeitnehmer bereits im Arbeitsvertrag für den gesamten Konzernbereich
eingestellt worden ist und sich mit einer konzernweiten
Versetzung einverstanden erklärt hat.120
Aufsätze
118 Sven
Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2)
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006
d) Weiterbeschäftigung auf einem freien
Arbeitsplatz nach Umschulung oder Fortbildung
Liegt ein freier, aber nicht vergleichbarer Arbeitsplatz
vor, so kann eine Weiterbeschäftigung nach Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen in Betracht kommen, § 1 II 3 1. Alt. KSchG. Anhaltspunkte zur inhaltlichen Konkretisierung der Umschulungs- oder
Fortbil­dungsmaßnahmen können den §§ 1, 46, 47 BBiG
und dem § 87 SGB III entnommen werden: Eine Umschulung beinhaltet demnach die Vermittlung von
Kenntnissen und Fertigkeiten für eine andere berufliche
Tätigkeit als die bisherige, während eine Fortbildung eine
Weiterbil­dung ist, die den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, den gestiegenen Anforderungen in sei­nem gegenwärtig ausgeübten Beruf gerecht zu werden.128
beitgeber ist ferner auszugehen, wenn der Arbeitnehmer
sein Einverständnis mit der qualifizierenden Maßnahme
ausdrücklich verweigert.133
e) Weiterbeschäftigung auf einem freien
Arbeitsplatz zu geänderten Bedingungen
Der ultima-ratio-Grundsatz steht der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündi­gung auch dann
entgegen, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu geänderten Arbeitsbedingungen
möglich ist und der Arbeitnehmer sich hiermit einverstanden erklärt. Aus § 1 II 3 2. Alt. KSchG folgt, dass
der Arbeitgeber vor Ausspruch einer betriebsbedingten
Beendigungskündigung stets auch eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen in Betracht ziehen
muss, sofern ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist (VorDer Arbeitgeber ist allerdings nur dann zur Durchfüh- rang der Änderungskündigung vor der Beendigungskünrung einer Umschulungs- oder Fortbil­dungsmaßnahme digung).134 Neben der Beschäftigung auf einem anderen
verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer umschulungswillig (ggf. geringerwertigen) Arbeitsplatz kommen als geänist, die Maßnahme für den Arbeitgeber zumutbar ist und derte Bedingungen alle Vertragsänderungen in Betracht,
im Anschluss an die Maßnahme eine Weiterbeschäfti­ die das konkrete betriebliche Bedürfnis befriedigen.135
gungsmöglichkeit vorhanden ist, die der dann erworbenen Qualifikation des Arbeitnehmers entspricht.129 Im Wege der Rechtsfortbildung hat das BAG136 den ArDie Frage der Zumutbarkeit ist anhand einer Interessen- beitgeber zudem dazu verpflichtet, dem Arbeitnehmer
abwägung unter Heranziehung arbeitsvertraglicher sowie die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf dem freien Arbetriebs- und unternehmensbezogener Umstände zu be- beitsplatz zu geän­derten Bedingungen mit einer Annahantworten.130 Als Faustformel kann gelten, dass die Um- mefrist von mindestens einer Woche anzubieten und ihm
schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen umso nach- unmissverständlich zu erklären, dass er bei Ablehnung
haltiger die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im dieses Änderungsangebots betriebsbedingt gekündigt
Unternehmen sichern müssen, je stärker sie in die betrieb- wird. Die Initiativlast liegt somit beim Arbeitgeber.137
lichen und wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers Lehnt der Arbeitneh­mer das Änderungsangebot vorbeeingreifen.131 Die Grenze der Zumutbarkeit dürfte jeden- haltlos und endgültig ab, so kann der Arbeitgeber eine
falls dann überschritten sein, wenn Dauer und Kos­ten be­triebsbedingte Beendigungskündigung aussprechen.138
der Maßnahme zur Restdauer des Arbeitsverhältnisses
außer Verhältnis stehen oder die Maßnahme keinen Er- 133 Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 926; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 622;
v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 539; Dornbusch/Volk,
folg verspricht.132 Von einer Unzumutbarkeit für den Ar-
bedingte Kündigung Nr. 71 soll eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auch dann bestehen, wenn bei einer Verlagerung von Arbeiten in eine andere Betriebsabteilung eine neue Stelle entsteht,
die überwiegend den Anforderungen des bisherigen Arbeitsplatzes
entspricht, aber höher vergütet wird. Ablehnend v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 398 a m. w. N. Siedelt der Arbeitgeber eine passende freie Stelle ohne wesentliche inhaltliche Veränderung auf einer höheren betriebshierarchischen Ebene an, um
eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auszuschließen, handelt er
nach BAG, 18.11.2000, RzK I 5 c Nr. 128 rechtsmissbräuchlich.
128Vgl. BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1;
Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 723; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 921;
Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 412; Berkowsky, Fn. 5, § 8,
Rn. 30.
129BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; v.
Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 399, 539 ff.; Dorndorf,
Fn. 60, § 1, Rn. 922 f.
130LAG Frankfurt, 19.07.1999, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 55; Preis, Fn. 10, Rn. 1018; Dorndorf, Fn. 60, § 1,
Rn. 923; Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 402.
131 Siehe Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 32; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG,
Rn. 619; Preis, Fn. 23, S. 169, 304; Bitter/Kiel, Fn. 148, 333
(342 ff.).
132 Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 32.
Fn. 5, § 1, Rn. 415; Löwisch/Spinner, Fn. 78, § 1, Rn. 297.
134BAG, 27.09.1984, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 8; BAG, 29.03.1990,
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG,
20.08.1998, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 50; BAG, 12.11.1998, AP
§ 2 KSchG 1969 Nr. 51. Ausführlich auch Gerrick v. HoyningenHuene/Rüdiger Linck, Betriebsbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigungspflicht, DB 1993, 1185 (1187 f.).
135 Preis, Fn. 10, Rn. 1008; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 623. Als
Beispiele sind das Angebot der Teilzeitbeschäftigung (vgl. LAG
Düsseldorf, 06.05.1977, DB 1977, 1370), die Änderung der Arbeitszeit (vgl. LAG Berlin, 16.08.1982, AuR 1983, 281) sowie die
Kürzung übertariflicher Leistungen und des Arbeitsentgelts zu
nennen.
136BAG, 27.09.1984, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 8; BAG, 29.11.1990,
RzK I 5 a Nr. 4; BAG, 21.09.2000, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 111. Zur Rspr. der Instanzgerichte siehe LAG Hamm, 22.06.1998, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 51; LAG Berlin, 13.01.2000, NZA-RR 2000,
302.
137Hierzu umfassend Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 625 f. Zu den
Folgen bei unterlassener Unterbreitung eines Änderungsangebots
siehe Preis, Fn. 10, Rn. 1012 f. m. w. N.
138BAG, 27.09.1984, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 8; BAG, 20.11.1990,
RzK I 5 a Nr. 4; BAG, BAG, 07.12.2000, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 108; LAG Köln, 28.02.1995, NZARR 1996, 89.
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 119
139 Siehe nur Preis, Fn. 10, Rn. 1009; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1,
Rn. 419.
140 Vgl. etwa Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 627 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 147; Preis, Fn. 10, Rn. 1010; Ascheid,
Fn. 64, Rn. 306; Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 41; Dornbusch/Volk,
Fn. 5, § 1, Rn. 420; Björn Gaul/Mathias Kühnreich, Weiterbeschäftigung statt betriebsbedingter Kündigung, BB 2003, 254
(257); Alfons Kraft, Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis – Lohn
ohne Arbeit – Überlegungen zur Reduzierung der Regelungsdichte des Arbeitsrechts und zur Wiederherstellung der Äquivalenz im
Arbeitsverhältnis, ZfA 1994, 463 (474).
141 Darauf hinweisend Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 419.
142 Vgl. hierzu Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 420; Kiel, Fn. 34, § 1
KSchG, Rn. 629; Preis, Fn. 10, Rn. 1010.
143 BAG, 24.03.1983, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 12; BAG, 18.01.1990, AP § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 19; BAG, 29.03.1990, § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung Nr. 50. Vgl. zum Folgenden auch Reiner Ascheid, Beweislastfragen im Kündigungsschutzprozess, 1989, S. 151 ff.
144Siehe etwa BAG, 20.01.194, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 8.
145 Hierzu Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 649 f.
146 BAG, 06.06.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 16; BAG, 10.10.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81; BAG, 27.02.1997, AP § 1 KSchG
1969 Wiedereinstellung Nr. 1; BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG
1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120; Ascheid, Fn. 41, § 1
KSchG, Rn. 406; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 550; v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 406.
147 Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 406; Ascheid,
Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 406.
148 BAG, 27.09.1984, AP § 613 a BGB Nr. 39; BAG, 27.02.1987,
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 41; BAG,
19.06.1991, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70;
BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 550; Dorndorf, Fn. 60,
§ 1, Rn. 944. Teilweise hält es das BAG bereits für ausreichend,
dass „mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben ist“, vgl. BAG,
19.05.1988, AP § 613 a BGB Nr. 75; BAG, 18.01.2001, DB 2001,
1370. Differenzierend dagegen Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 454.
149 BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120.
150 Kritisch daher auch Jobst-Hubertus Bauer/Ulrich Baeck, Anm. zu
BAG, Urteil vom 12.4.2002, 2 AZR 256/01, AP Nr. 120 zu § 1
KSchG Betriebsbedingte Kündigung, RdA 2003, 173 (174).
Aufsätze
Im Falle einer unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG er- 3. Beurteilungszeitpunkt (Prognoseprinzip)
klärten Annahme des Änderungsangebots muss der Arbeitgeber dagegen eine Änderungskündigung erklären.139 Für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer
betriebsbedingten Kündigung ist auf den Zeitpunkt des
Im Schrifttum140 wird die vom BAG vertretene vorrangige Zugangs der Kündigungserklärung abzustellen.146 Als in
Verhandlungslösung überwiegend abgelehnt. Im letztge- die Zukunft gerichtete personelle Maßnahme müssen
nannten Fall der Vornahme unter Vorbehalt führte sie bei der Kündigung jedoch auch die zu diesem Zeitpunkt
zu der merkwürdi­gen Konstruktion, dass der Arbeitgeber feststehenden künftigen Entwicklungen berücksichtigt
ein inhaltlich identisches Angebot mal in Form eines Än- werden.147 Bei der betriebsbedingten Kündigung ist also
derungsangebots und mal in Form einer Änderungskün- nach dem künftigen Beschäftigungsbedarf zu fragen: Es
digung machen muss.141 Gegen die Auffassung des BAG ist ausreichend, wenn die der Kündigung zugrunde liespricht zudem, dass die Interessen des Arbeitnehmers genden Maßnahmen bereits greifbare Formen angenomauch dann ge­wahrt bleiben, wenn der Arbeitgeber kein men haben und eine vernünftige betriebswirtschaftliche
vorheriges Änderungsangebot unterbreitet.142 Entgegen Betrachtung zu der Prognose führt, dass spätestens mit
der Auffassung des BAG sollte es daher dem Arbeitgeber Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist die geplante
unbenom­men bleiben, sofort eine Änderungskündigung Maßnahme durchgeführt und der Arbeitnehmer damit
verbunden mit schlechteren Arbeitsbedingun­gen auszu- entbehrlich sein wird.148
sprechen.
An dieser Voraussetzung fehlt es nach Auffassung des
BAG bei einer sog. Vorratskündigung: Beteiligt sich ein
f) Darlegungs- und Beweislast
Reinigungsunternehmen an der Neuausschreibung eines
Für die gerichtliche Nachprüfung des Fehlens einer Auftrags, weil der noch laufende Reinigungsauftrag nicht
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gelten wiederum die verlängert worden ist, so ist eine vor der VergabeentscheiGrundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweis- dung erklärte Kündigung vorsorglich für den Fall, dass
last143: Demnach muss der Arbeitgeber zunächst dar- die Ausschreibung nicht gewonnen wird, als sog. Vortun, dass eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ratskündigung unwirksam.149 Hiergegen ist jedoch einim Betrieb oder Unternehmen nicht vorhanden ist. Erst zuwenden, dass allein aus der Teilnahme an einer Ausdann obliegt es dem Arbeitnehmer darzulegen, wie er schreibung noch nicht auf den Erhalt des Auftrags und
sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Nach ent- somit auf das Bestehen eines Beschäftigungsbedarfs gesprechender Rüge des Arbeitnehmers muss der Arbeit- schlossen werden kann.150
geber schließlich im Einzelnen erläutern, warum eine
Versetzung nicht möglich ist.144 Bei einer Weiterbeschäf- Liegen zum Zugangszeitpunkt der Kündigungserklärung
tigungsmöglichkeit nach Umschulung bzw. Fortbildung die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung
oder zu geänderten Bedingungen gelten diese Grundsät- vor, so wird diese nicht nachträglich unwirksam, wenn
ze entsprechend.145
sich die betrieblichen Verhältnisse z. B. durch eine unerwartet gute Entwicklung der Auftragslage bis zum Ablauf
Aufsätze
120 Sven
Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2)
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006
der Kündigungsfrist positiv verändern.151 Zum Schutz IV. Schlussbetrachtung
des Arbeitnehmers vor einem grundlosen Verlust seines
Arbeitsplatzes kommt aber in diesen Fällen ein Wieder- Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass im Beeinstellungsanspruch in Betracht.152
reich der betriebsbedingten Kündigung bislang nur die
vom BAG entwickelten groben Prüfungsraster unumstritten sind. Nähert man sich den Einzelproblemen, so
III. Exkurs: Abfindungsanspruch bei
wird deutlich, dass auch nach einer über 50jährigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema der
betriebsbedingter Kündigung, § 1 a KSchG
Teufel letztlich im Detail steckt. Die „Gretchenfrage“157
In Reaktion auf die gerichtliche und außergerichtliche ist dabei regelmäßig die Reichweite der gerichtlichen
Abfindungspraxis153 hat der Gesetzgeber im Jahr 2004 Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen. Angesichts
mit § 1 a KSchG einen gesetzlichen Abfindungsanspruch der verfassungsrechtlich geschützten unternehmerischen
bei betriebsbedingter Kündigung geschaffen. Nach § 1 a I Freiheit ist die der betriebsbedingten Kündigung vorgelaKSchG steht dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht zwischen gerte Unternehmerentscheidung nur einer MissbrauchsKündigungsschutzklage und Abfindung zu, wenn der kontrolle unterworfen, die keinesfalls dazu führen darf,
Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass im Ergebnis doch die Unternehmerentscheidung auf
dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erforder- ihre wirtschaftliche Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit
nisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichen- geprüft wird. Wie das „Rheumaklinik-Urteil“ exemplalassen der Klagefrist des § 4 1 KSchG eine Abfindung be- risch verdeutlicht, birgt bislang jeder Kündigungsschutzanspruchen kann.154 Darin liegt ein erster Versuch155, den prozess für den Arbeitgeber ein erhebliches Prozessrisiko.
Arbeitgeber im Falle der betriebsbedingten Kündigung Insofern ist es nicht verwunderlich, dass viele Arbeitgeber
vor dem erheblichen Prozessrisiko einer Kündigungs- früher oder später die Flucht in eine gerichtliche oder auschutzklage zu bewahren, indem er das unbeanstandete ßergerichtliche Abfindungsvereinbarung antreten.158
Ausscheiden des Arbeitnehmers mit einer Abfindung „belohnt“. In der Sache soll neben den Bestandsschutz des
Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit eines arbeitgeberseitig initiierten Abfindungsschutzes treten.156
151 BAG, 28.04.1988, AP § 613 a BGB Nr. 74; BAG, 10.10.1996,
AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81; BAG,
27.02.1997, NZA 1997, 757; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 407;
Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 729; v. Hoyningen-Huene/Linck,
Fn. 30, § 1, Rn. 407.
152 BAG, 27.02.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 1;
BAG, 06.08.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 2;
BAG, 04.12.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 4;
BAG, 12.11.1998, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 5;
BAG, 28.06.2000, ZIP 2000, 1781 (1783 f.). Zu den Voraussetzungen und zur dogmatischen Herleitung siehe auch Preis, Fn. 10,
Rn. 1026 ff.; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 433; Etzel, Fn. 5,
§ 1 KSchG, Rn. 552, 729 ff.; Martin Beckschulze, Der Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung, DB 1998,
417 ff.; Hartmut Oetker, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes,
ZIP 2000, 643 ff.
153 Hierzu Bauer, Fn. 6, 529 f.; Willemsen, Fn. 8, 2779 (2780).
154 Ausführlich zu den Anspruchsvoraussetzungen Etzel, Fn. 5, § 1 a
KSchG, Rn. 23 ff.; Ulrich Preis, Die „Reform“ des Kündigungsschutzrechts, DB 2004, 70 ff.; Heinz Josef Willemsen/Georg Annuß,
Kündigungsschutz nach der Reform, NJW 2004, 177 (181 ff.).
155 Kritisch zur Bedeutung der Norm Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 11;
Bauer/Preis/Schunder, Fn. 32, 195 (196 f.); Alexander Wolff, Die
qualifizierte Abfindungsvereinbarung nach § 1 a KSchG – eher
Steine als Brot für die Praxis, BB 2004, 378 (381).
156 Vgl. hierzu und zum verfassungsrechtlichen Hintergrund Sudabeh Kamanabrou, Verfassungsrechtliche Aspekte eines Abfindungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen, RdA 2004,
333 ff. Zu den Vor- und Nachteilen der Neuregelung für den
Arbeitgeber und Arbeitnehmer siehe Etzel, Fn. 5, § 1 a KSchG,
Rn. 15 ff.; Frank Maschmann, Neuer gesetzlicher Abfindungsanspruch, AuA 2003, 6 ff.
157 Bernd Preis, Betriebsbedingte Kündigung zwischen dringenden
betrieblichen Erfordernissen und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, NZA 1997, 625.
158 Siehe stellvertretend die Einschätzung von Bauer, Fn. 6, 529.