Die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung
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Die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung
GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 107 Die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung Teil 2: Die gesetzlichen Anforderungen an eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung I. Überblick Diese drei Stufen haben durch eine umfangreiche Rechtsprechung und nicht zuletzt durch eine kritische BegleiAusgehend von seiner Entscheidung vom 07.12.1978 hat tung seitens des Schrifttums vielfache Ausdifferenziedas BAG zur Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer rungen erfahren. Diese Untersuchung konzentriert sich betriebsbedingten Kündigung ein drei Punkte umfas- dabei auf die ersten beiden Prüfungsschritte und die in sendes, am KSchG orientiertes Prüfungsschema entwi- diesem Zusammenhang auftretenden Probleme. Die Sockelt: zialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung wird hingegen nicht erörtert. (1) Zunächst müssen betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 II 1 3. Alt. KSchG vorliegen. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund betrieblicher Ursa II. Die gesetzlichen Anforderungen der chen eine unternehmerische Entscheidung trifft, die zum betriebsbedingten Kündigung im Einzelnen Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten führt. Ein Überhang an Arbeitskräften aufgrund einer unternehme- 1. Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne rischen Entscheidung ist somit Grundvoraussetzung der des § 1 II 1 3. Alt. KSchG betriebsbedingten Kündigung. Für die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten (2) In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob kündi- Kündigung muss in einem ersten Prüfungsschritt ungungsvermeidende mildere Mittel in Betracht kommen. tersucht werden, ob die Kündigung durch dringende Dogmatisch ist dieser Prüfungsschritt sowohl bei der betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 II 1 3. Alt. „Dringlichkeit“ der betrieblichen Erfordernisse als auch KSchG bedingt ist. Es handelt sich hierbei um einen unbei den in § 1 II 2, 3 KSchG genannten Weiterbeschäfti- bestimmten Rechtsbegriff. Nach Rechtsprechung und gungsmöglichkeiten zu verorten. Literatur liegen dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung vor, wenn die aufgrund von inner- oder (3) Sofern in einem Unternehmen mehrere Arbeitneh- außerbetrieblichen Ursachen eingeleitete Durchführung mer beschäftigt sind, die unter betrieblichen Aspekten einer unternehmerischen Entscheidung zum Wegfall eigleichermaßen für eine betriebsbedingte Kündigung in ner Beschäftigungsmöglichkeit führt. Betracht kommen, ist in einem dritten Schritt zu prüfen, ob bei der Auswahl des von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmers soziale Aspekte ausreichend berücksichtigt wurden. Hierbei geht es um die Sozialauswahl nach Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 350. Verwiesen sei hier auf das umfangreiche Schrifttum zur Sozial§ 1 III KSchG. * Der Autor studiert derzeit im 8. Semester Rechtswissenschaft, Staatsexamen, mit dem Wahlfach Arbeitsrecht. Der vorliegende Beitrag entstand als Seminararbeit im Sommersemester 2005. – Für wertvolle Anregungen dankt der Autor Michael Matthiessen, wiss. Mit. am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht, Universität Greifswald (Prof. Dr. Hans-Werner Eckert). BAG, 07.12.1978, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 10. Fortgesetzt u. a. in BAG, 24.10.1979, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 13; BAG, 30.05.1985, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 36; BAG, 30.04.1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47; BAG, 09.05.1996, NZA 1996, 1145 ff.; BAG, 26.09.1996, DB 1997, 178 f.; BAG, 21.09.2000, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 112; BAG, 18.01.2001, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115. Vgl. aus der Literatur Michael Kittner, in: ders./Wolfgang Däubler/ Bertram Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 6. Aufl. 2004, § 1 KSchG, Rn. 253; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 349; Heinrich Kiel, in: Reiner Ascheid/Ulrich Preis/Ingrid Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 1 KSchG, Rn. 442; Rost, Fn. 7, S. 83 (84 ff.). Siehe hierzu unten II. 1) (S. 8 ff.). Siehe hierzu unten II. 1) c) (S. 22 ff.) und II. 2) (S. 25 ff.). auswahl, vgl. etwa Michael Pollmann, Die Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung, 1996; Rüdiger Linck, Die soziale Auswahl bei betriebsbedingter Kündigung, 1990; Michael Knoll, Die Sozialauswahl im Arbeitsrecht, 2001, S. 35 ff.; Berkowsky, Fn. 5, § 6. Durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (siehe Fn. 32) sind die Kriterien der Sozialauswahl modifiziert worden. Hierzu Gregor Thüsing/Donat Wege, Sozialauswahl nach neuem Recht, RdA 2005, 12 ff. m. w. N. St. Rspr., vgl. etwa BAG, 06.11.1997, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 42; BAG, 26.09.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 80; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101. Zur rechtsdogmatischen Einordnung des Begriffs siehe Thum, Fn. 13, S. 30 ff.; Günter Schaub, Aktuelle Fragen zum Kündigungsschutzrecht unter besonderer Berücksichtigung der RdA 1981, 371 (373). Vgl. BAG, 16.06.1991, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 53; BAG, 13.11.1997, AP § 613 a BGB Nr. 169; BAG, 18.01.2001, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115. Siehe etwa Reiner Ascheid, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2005, § 1 KSchG, Rn. 378; Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 254; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 62; Preis, Fn. 20, 241 (245); ferner Günter Schaub, Personalabbau im Betrieb und neueste Rechtsprechung zum Kündigungsschutzrecht, insbesondere zur betriebsbedingten Kündigung, BB 1993, 1089 (1091). Aufsätze Stud. jur. Sven Fischerauer, LL.B., Universität Greifswald* Aufsätze 108 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 a) Freie unternehmerische Entscheidung bb) Ursachen der unternehmerischen Entscheidung aa) Unternehmerische Entscheidung als Ausgangspunkt der betriebsbedingten Kündigung Die kündigungsbegründende unternehmerische Entscheidung kann ihrerseits auf unterschiedlichen Ursachen beruhen. Das BAG unterscheidet in ständiger Die unternehmerische Entscheidung wird im KSchG Rechtsprechung12 zwischen Umständen, die sich aus dem nicht als ausdrückliches Tatbestandsmerkmal erwähnt. Betrieb ergeben (innerbetriebliche Gründe) und solchen, Heute ist jedoch allgemein anerkannt, dass die unterneh- die von außen auf den Betrieb einwirken (außerbetriebmerische Entscheidung die zur betriebsbedingten Kün- liche Gründe). digung führende Kausalkette in Gang setzt und somit (1) Innerbetriebliche Gründe als deren Ausgangspunkt anzusehen ist. Die unternehmerische Entscheidung ist die Entscheidung des Arbeit- Unter innerbetrieblichen Gründen sind alle betrieblichen gebers über seine zukünftige Betriebsführung.10 Mit ihr Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder reagiert er auf bestimmte außer- oder innerbetriebliche wirtschaftlichem Gebiet zu verstehen, die sich auf die BeUmstände, die sich auf das Verhältnis von Arbeitsvolu- schäftigungsmöglichkeiten im Betrieb auswirken.13 Hiermen und Personalbestand im Betrieb auswirken. zu zählen insbesondere die Änderung oder Einführung neuer Fertigungsmethoden14, RationalisierungsmaßStellt sich etwa heraus, dass ein bestimmtes Produkt am Markt nahmen15, die Stilllegung des Betriebs16 oder von Beerfolglos ist und entschließt sich der Unternehmer wegen der triebsabteilungen17, die Verlagerung der Produktion ins damit verbundenen finanziellen Verluste zur Einstellung dieses Ausland18 und allgemein die Umstrukturierung aus KosProdukts, werden die in dieser Produktionsabteilung eingesetz- tengründen.19 ten Arbeitskräfte nicht länger benötigt und können daher aus betrieblichen Gründen gekündigt werden. Die betriebswirtschaftliche Situation (finanzielle Verluste) führt nicht unmittelbar zum Wegfall von Arbeitsplätzen. Erst die in der Produkteinstellung liegende unternehmerische Entscheidung legt das Verhältnis zwischen zu erledigender Arbeit und den dafür benötigten Arbeitnehmern neu fest, und zwar dergestalt, dass nach der Produkteinstellung weniger Arbeitnehmer benötigt werden als vorher. Die infolgedessen ausgesprochenen Kündigungen sind als personelle Maßnahmen der unternehmerischen Entscheidung nachgelagert. Umgekehrt bedeutet dies, dass die betriebsbedingte Kündigung ihren Ursprung in einer auf die zukünftigen Belange des Betriebs gerichteten, vor Ausspruch der Kündigung getroffenen unternehmerischen Entscheidung findet.11 Vgl. – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – v. Hoyningen-Huene/ Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 366; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 375; Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 254 ff.; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, 518; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 13 ff; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 461; Preis, Fn. 10, Rn. 932; ders., Fn. 21, 241 (243); Bernd Schiefer, Betriebsbedingte Kündigung – Kündigungsursache und Unternehmerentscheidung, NZA-RR 2005, 1 (3). Zur Rspr. des BAG siehe auch Peter Schrader, Die geänderte Rechtsprechung des BAG zur Unternehmerentscheidung, NZA 2000, 401; Rost, Fn. 7, S. 83 (84 ff.). 10 Schiefer, Fn. 42, 1 (3). Siehe auch BAG, 20.02.1986, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 11; BAG, 24.04.1997, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 42: Die unternehmerische Entscheidung kann als „Bestimmung der der Geschäftsführung zugrunde liegenden Unternehmenspolitik“ bezeichnet werden. 11 Vgl. Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 375. In der kündigungsrechtlichen Dogmatik wird somit zwischen der unternehmerischen Entscheidung und den sich aus der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung ergebenden arbeits- und kündigungsrechtlich relevanten Folgen unterschieden. So Wilfried Berkowsky, in: Reinhard Richardi (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, Teil 2 (§§ 114 – 239), 2. Aufl. 2000, § 138, Rn. 8 ff.; ders., Fn. 5, § 5, Rn. 13 f. Bei genauerer Betrachtung der innerbetrieblichen Ursachen wird deutlich, dass sie regelmäßig mit der unternehmerischen Entscheidung zusammenfallen, auf die 12 Beginnend mit BAG, 07.12.1978, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 6; fortgesetzt u. a. in BAG, 17.10.1980, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 10; BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102; BAG, 18.01.2001, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 115. 13 BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 519; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 474; Wilfried Hillebrecht, Die „Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitnehmerverhältnissen“ und die Kündigungsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, ZfA 1991, 87 (94). 14 Vgl. BAG, 29.01.2997, RzK I 5 c Nr. 82; BAG, 26.06.1997, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86. 15 Vgl. LAG Köln, 24.08.1999, ZTR 2000, 185; ferner BAG, 15.05.1993, NZA 1993, 1075 ff. 16 Vgl. BAG, 19.06.1991, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 53; BAG, 10.10.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81; BAG, 11.03.1998, AP § 111 BetrVG 1972 Nr. 43; BAG, 07.03.2002, NZA 2002, 1111; LAG Thüringen, 16.10.2000, ZIP 2000, 2321 f. 17 Vgl. BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 71; BAG, 07.05.1998, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 94. 18 Vgl. BAG, 18.09.1997, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 97. 19 Umfassend zu den innerbetrieblichen Ursachen in der jüngeren Rechtsprechung Schiefer, Fn. 42, 1 (5 ff.). Siehe auch v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 367; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 103 ff. Auch die unter dem Begriff des outsourcing bekannte Auslagerung einer bislang von betriebseigenen Arbeitnehmern ausgeübten Tätigkeit an Fremdfirmen gehört zu den innerbetrieblichen Ursachen, vgl. BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102; BAG, 12.11.1998, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 51. GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 109 ländischen Firma besetzt, denen gegenüber er sich das Weisungsrecht vorbehalten hat.28 Ebenso wie innerbetriebliche Gründe müssen die externen Faktoren einen Überhang an Arbeitskräften herbeiführen, durch den unmittelbar oder mittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt.29 In der Praxis ist der unmittelbare Wegfall eines Arbeitsplatzes allein aufgrund von außerbetrieblichen Gründen jedoch ein seltener Ausnahmefall.30 Dem Unternehmer bleibt es in einer freien Marktwirtschaft unbenommen, auf die veränderten Rahmenbedingungen in anderer Weise als durch betriebsbedingte Kündigungen zu reagieren. So könnte er beispielsweise bei sinkenden Absatzzahlen das Marketing der Produkte verstärken. Im Regelfall wird daher nicht der außerbetriebliche Grund allein, sondern erst eine zwischengeschaltete innerbetriebliche Organisationsentscheidung des Unternehmers zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führen.31 Bei sinkendem Absatz (außerbetrieblicher Grund) kann der Unternehmer z. B. mit einer Drosselung der Produktion (= Organisationsentscheidung) reagieren, die zu einem Überhang an Arbeitskräften führt. Diese unternehmerische Entscheidung fungiert insoweit als Bindeglied zwischen außerbetrieblichem Grund und Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit. (2) Außerbetriebliche Gründe Die unternehmerische Entscheidung kann auch auf außerbetrieblichen Gründen beruhen.21 Hierunter sind von der Betriebsgestaltung und Betriebsführung unabhängige Umstände zu verstehen, die einen konkreten Bezug zum Betrieb des Arbeitgebers aufweisen und sich auf bestimmte Arbeitsplätze auswirken.22 Zu den außerbetrieblichen Ursachen zählen u. a. der Auftragsrückgang23, der Rohstoff- oder Energiemangel24 sowie – im Bereich des öffentlichen Dienstes – die Streichung von Haushaltsmitteln25. Allgemeine arbeitsmarkt-, beschäftigungs- oder sozialpolitische Faktoren stellen hingegen keine kündigungsschutzrechtlich relevanten außerbetrieblichen Gründe dar.26 Auch im Falle einer sog. Austauschkündigung fehlt der konkrete Bezug zu den betrieblichen Ver(3) Bedeutung der Unterscheidung hältnissen27: Will etwa ein Arbeitgeber zur Erfüllung der Pflichtplatzquote nach § 71 SGB IX einen Arbeitnehmer Die gesetzlich nicht vorgesehene Unterscheidung zwikündigen, um an dessen Stelle einen Schwerbehinder- schen inner- und außerbetrieblichen Gründen ist eine ten zu beschäftigen, liegt kein dringendes betriebliches rechtliche Hilfskonstruktion, um den der betriebsbeErfordernis vor. Um eine unzulässige Austauschkündi- dingten Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt gung handelt es sich auch dann, wenn der Arbeitgeber zur Senkung der Personalkosten keine eigenen Arbeitnehmer mehr beschäftigt und dann die nach wie vor vor- 28 BAG, 26.09.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Künhandenen Arbeitsplätze durch Arbeitnehmer einer ausdigung Nr. 80 („Crewing-Fall “). Anders verhält es sich dagegen, 20 Siehe auch BAG, 20.02.1986, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 11; BAG, 11.09.1986, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 54; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 474; Preis, Fn. 10, Rn. 941; ders., Fn. 20, 241 (244). 21 Hierzu umfassend Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 73 ff.; Schiefer, Fn. 42, 1 (5 ff.). 22 Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 517; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 475; Hillebrecht, Fn. 46, 87 (93). 23 Vgl. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120; ferner LAG Köln, 09.08.1996, LAGE § 1 KSchG Nr. 41. 24 Vgl. LAG Hamm, 07.05.1976, DB 1976, 1727. 25 Vgl. etwa BAG, 03.05.1978, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 5; BAG, 18.11.1999, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 55. 26 BAG, 13.03.1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44; ArbG Wetzlar, 08.01.1985, AuR 1986, 122; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 517. Kritisch Klaus-Günther Hahn, Kündigungsschutz für nicht Schutzbedürftige?, DB 1988, 1015 ff. 27 Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 517; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 475; Preis, Fn. 10, Rn. 963 ff.; Eberhard Dorndorf, in: ders./ Bernhard Weller u. a., Heidelberger Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 4. Aufl. 2001, § 1, Rn. 964 f. wenn der Unternehmer betriebliche Aufgaben nicht mehr durch Arbeitnehmer, sondern durch Selbstständige ausführen lässt, vgl. BAG, 09.05.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 79 („Weight-Watchers-Fall “). Es zeigt sich allerdings, dass die Abgrenzung zwischen unzulässiger Austauschkündigung und einem sachlichen unternehmerischen Konzept bisweilen eine Gratwanderung sein kann, deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist. Vgl. zum Ganzen Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 123 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 522 ff.; Peter Schrader/Jens Schubert, Die Ausgliederung oder: Wie weit reicht die unternehmerische Entscheidungsfreiheit (noch)?, NZA-RR 2004, 393 ff. 29 BAG, 30.05.1985, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 36; BAG, 13.03.1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44; Inken Gallner, in: Stefan Fiebig u. a., Kündigungsschutzgesetz Handkommentar, 2. Aufl. 2004, § 1, Rn. 596; Hillebrecht, Fn. 46, 87 (93). 30 Vgl. aber BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45: Koppelt der Arbeitgeber die Beschäftigtenzahl von vornherein an bestimmte Umsatzzahlen, bewirkt ein Umsatzrückgang automatisch den Wegfall von Arbeitsplätzen. Kritisch hierzu Oliver Rommé/Werner Pauker, Die Unternehmerentscheidung bei der betriebsbedingten Beendigungskündigung, NZA-RR 2000, 281 (288 ff.). 31 Reiner Ascheid, Kündigungsschutzrecht, 1993, Rn. 238; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 518; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 71 f.; ferner Preis, Fn. 10, Rn. 942; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 368 m. w. N. Aufsätze der Arbeitgeber die betriebsbedingte Kündigung stützt.20 Trifft der Unternehmer bspw. den Entschluss, die gleiche Produktionsmenge mit weniger Personal durch die Anschaffung neuer Maschinen herzustellen, so liegt gerade in dieser Rationalisierungsmaßnahme die eigentliche unternehmerische Entscheidung, aufgrund derer ein Überhang an Arbeitskräften entsteht. Wie der Beispielsfall zeigt, sind innerbetriebliche Gründe mit der Unternehmerentscheidung oftmals identisch und haben eine unmittelbare Auswirkung auf die im Betrieb vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten. Aufsätze 110 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 transparent zu machen und einen hinreichend präzisen Sachvortrag im Prozess zu fördern.32 In der arbeitsgerichtlichen Praxis soll die Unterscheidung zugleich Bedeutung für die prozessuale Darlegungs- und Beweislast haben.33 Nach § 1 II 4 KSchG sind die dringenden betrieblichen Erfordernisse vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Stützt der Arbeitgeber die betriebsbedingte Kündigung auf innerbetriebliche Ursachen (sog. gestaltende Unternehmerentscheidung), so prüft das Arbeitsgericht das Vorliegen einer entsprechenden unternehmerischen Entscheidung sowie den auf ihrer Umsetzung beruhenden Wegfall von Arbeitsplätzen.34 Sobald sich der Arbeitgeber dagegen auf außerbetriebliche Faktoren beruft, ist er an diese Begründung gebunden (sog. Selbstbindung des Arbeitgebers)35. In diesem Fall muss er substantiiert darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass der angeführte außerbetriebliche Grund tatsächlich vorgelegen und sich unmittelbar und zwingend auf die jeweilige Beschäftigungsmöglichkeit ausgewirkt hat.36 Indes ist in der Literatur die Unterscheidung zwischen innerund außerbetrieblichen Gründen und deren Bedeutung im Hinblick auf Darlegungs- und Beweislastfragen nicht unumstritten. Sowohl bei innerbetrieblichen als auch bei außerbetrieblichen Gründen gebe es stets „(1) einen Anlass, der (2) zu einer Unternehmerentscheidung führt, deren Umsetzung (3) zu einem Arbeitskräfteüberhang führen und deshalb Kündigungen bedingen muss“37. Selbst wenn ein außerbetrieblicher Grund wie z. B. Auftragsrückgang vorliegt, beruht die betriebsbedingte Kündigung dennoch auf der erst noch zu treffenden unternehmerischen Entscheidung, auf diesen externen Anlass mit dem Verzicht auf einen Teil der Arbeitsleistung (= innerbetriebliche Organisationsentscheidung) und insoweit mit dem Abbau von Arbeitsplätzen zu reagieren.38 Auch die auf eine gestaltende Unternehmerentscheidung gestützte betriebsbedingte Kündigung hat ihrerseits immer eine Ursache, wie z. B. 32 Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 379; ders., Die betriebsbedingte Kündigung § 1 KSchG – § 54 AGB-DDR – § 613 a IV 2 BGB, NZA 1991, 873 (876); Preis, Fn. 20, 241 (245). 33 Ascheid, Fn. 65, 873 (876); Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 258; Hillebrecht, Fn. 46, 87 (97 f.). 34 Vgl. BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101; BAG, 26.09.1999, NZA 1997, 202 f.; Ascheid, Fn. 64, Rn. 264; ders., Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 393; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 597 f.; ferner Wolf-Dietrich Walker, Die freie Unternehmerentscheidung im Arbeitsrecht, ZfA 2004, 501 (515). 35 BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 15.06.1989, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 63; LAG Köln, 07.09.1995, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 34; Ascheid, Fn. 64, Rn. 273; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 595; Schiefer, Fn. 42, 1 (3). 36 Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 388; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 598; Schiefer, Fn. 42, 1 (2). Da bei einer Berufung auf außerbetriebliche Faktoren der im Kündigungsschutzprozess erforderliche Sachvortrag bereits mit diesen Umständen beginnen muss, wird teilweise vertreten, dass die Chancen des Arbeitgebers im Falle einer Berufung auf innerbetriebliche Gründe besser seien. In diese Richtung Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 858; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 359. 37 So Walker, Fn. 67, 501 (515 f.). Kritisch auch Thum, Fn. 13, S. 131 ff.; Rommé/Pauker, Fn. 63, 281 (288 f.); Volker Rieble, Anm. zu BAG, 17.06.1999, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102, S. 9 (16). 38 Walker, Fn. 67, 501 (516). In diesem Sinne Schiefer, Fn. 42, 1 (2); Franzen, Fn. 23, 805 (809); Rieble, Fn. 70, S. 9 (16). das Streben nach Gewinnmaximierung.39 In beiden Fällen muss der Arbeitgeber entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 1 II 4 KSchG die Kausalkette von der unternehmerischen Entscheidung über die tatsächliche betriebliche Umsetzung bis hin zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit darlegen und ggf. beweisen. Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast kommt der Unterscheidung zwischen inner- und außerbetrieblichen Gründen somit keine Bedeutung zu; der deskriptive Charakter der Unterscheidung trägt im Ergebnis lediglich zum besseren Verständnis der jeweiligen Kündigungsursache bei.40 cc) Gerichtliche Kontrolle und Grenzen der unternehmerischen Entscheidung Aufgrund der Unterscheidung zwischen der unternehmerischen Entscheidung und dem Kündigungsakt als solchem muss nunmehr die Frage geklärt werden, ob und ggf. inwieweit beide Maßnahmen einer justiziellen Kontrolle unterworfen sind. Bereits aus der Existenz des KSchG folgt, dass eine betriebsbedingte Kündigung kündigungsrechtlich nicht als gerichtlich nicht überprüfbare Unternehmerentscheidung anerkannt werden kann.41 Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung, die vollumfänglich daraufhin überprüft werden kann, ob sie durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 II 1 3. Alt. KSchG bedingt ist.42 Andernfalls wären betriebsbedingte Kündigungen nie überprüfbar; das KSchG wäre überflüssig.43 Ob diese umfassende gerichtliche Kontrolle jedoch auch für die der betriebsbedingten Kündigung vorgelagerte unternehmerische Entscheidung gilt, hat der Gesetzgeber offen gelassen. Diese Frage zielt auf das zentrale Problem der betriebsbedingten Kündigung: Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung geht das BAG vom Grundsatz der freien Unternehmerentscheidung aus: Danach sind die Arbeitsgerichte nicht befugt, die kündigungsbegründende unternehmerische Entscheidung auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit zu prüfen. Eine gerichtliche Überprüfung kann sich nur darauf erstrecken, ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich getroffen wurde und ob diese offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.44 Die Auf39 Vgl. Walker, Fn. 67, 501 (516) m. w. N. 40 Im Ergebnis ebenso Walker, Fn. 67, 501 (516); Bernd Preis, Betriebsbedingte Kündigung zwischen Arbeitsplatzschutz und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, AuR 1997, 60 (69); Franzen, Fn. 23, 805 (810); Rieble, Fn. 70, S. 9 (16); Schiefer, Fn. 42, 1 (2 f.); Sowka, Fn. 7, 1195; Rost, Fn. 7, S. 83 (85). Siehe auch Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 476. 41 BAG, 20.03.1986, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 14; BAG, 20.02.1986, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 11; Berkowsky, Fn. 44, § 138, Rn. 30; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 412. 42 Vgl. BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102; LAG Köln, 15.08.1997, MDR 1998, 477; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 31; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 524; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 364. 43 Vgl. BAG, 20.02.1986, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 11; ferner Berkowsky, Fn. 44, § 138, Rn. 30; Preis, Fn. 20, 241 (242). 44 BAG, 07.12.1978, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kün- GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 111 46 47 48 49 § 1, Rn. 365; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 599; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 859; Thum, Fn. 13, S. 149 ff.; Marion Tenczer, Freie Unternehmerentscheidung und betriebsbedingte Kündigung, 1999, S. 62; Schiefer, Fn. 42, 1 (3); Franzen, Fn. 23, 805 (811); Schrader/ Schubert, Fn. 61, 393 (394); Bernd W. Feudner, Betriebsbedingte Kündigung quo vadis?, NZA 2000, 1136 (1140 f.); Sowka, Fn. 7, 1195. Gegen jegliche gerichtliche Kontrolle der unternehmerischen Entscheidung Heinz-Josef Möhn, Zur Überprüfbarkeit der unternehmerischen Entscheidung im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung, ZTR 1995, 356 f. Für eine weitergehende Kontrolle dagegen Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 256 ff.; Peter Stein, Freiheit und Dringlichkeit der unternehmerischen Entscheidung im Kündigungsschutzrecht, BB 2000, 457 (461 ff.); Bernd Preis, Stellenabbau als unternehmerische Entscheidung?, DB 2000, 1122 (1124 ff.); Rütger Boeddinghaus, Die alte und neue Rechtsprechung zur betriebsbedingten Kündigung, AuR 2001, (8) 11. V. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371 a; Berkowsky, Fn. 44, § 138, Rn. 22; Preis, Fn. 10, Rn. 944; Hergenröder, Fn. 10, 355 (356 ff.); Walker, Fn. 67, 501 (509 ff.). Vgl. auch Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 860. So wörtlich BAG, 17.06.1999, NZA 1999, 1095 (1097). Siehe auch BAG, 26.09.2002, NZA 2003, 549 (550). BAG, NZA 1999, 1095 (1097); Dirk Gilberg, Die Unternehmerentscheidung vor Gericht, NZA 2003, 817 (819). Kritisch etwa Tenczer, Fn. 78, S. 16 ff.; Walker, Fn. 67, 501 (508 f.). 50 Vgl. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 103; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 861; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371; Schiefer, Fn. 42, 1 (3). 51 Vgl. hierzu BAG, 24.10.1979, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8; BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 876; Franzen, Fn. 23, 805 (810); ferner Walker, Fn. 67, 501 (518). 52 Siehe Walker, Fn. 67, 501 (518), mit Verweis auf BAG, NZA 2003, 549. 53 Vgl. stellvertretend BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101. 54 Walker, Fn. 67, 501 (518). 55 Vgl. Walker, Fn. 67, 501 (518); Gregor Thüsing/Volker Stelljes, Anm. zu BAG, 26.09.2002, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 124, S. 11 (13). 56 So Mustafa Alp, Die Berücksichtigung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes, 1998, S. 99; Walker, Fn. 67, 501 (518); wohl auch v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371. Aufsätze fassung des BAG hat im Schrifttum45 überwiegend Zu- des Kündigungsrechts muss der Richter oft ohne ausstimmung gefunden. reichende Sachkompetenz entscheiden, ohne dass er die wirtschaftlichen Konsequenzen seiner Entscheidungen Die innere Rechtfertigung des Grundsatzes der freien Un- zu tragen hätte. ternehmerentscheidung ist primär im Verfassungsrecht zu suchen. Während die betriebsbedingte Kündigung als Ungeachtet des Grundsatzes der freien Unternehmersolche vor dem Hintergrund des Bestandsschutzinteres- entscheidung ist daher gerichtlich in vollem Umfang ses des Arbeitnehmers einer umfassenden gerichtlichen nachprüfbar, ob tatsächlich eine unternehmerische EntKontrolle zugänglich ist, liegt der Grund für die einge- scheidung vorliegt, deren Umsetzung zum Wegfall der schränkte Überprüfbarkeit der kündigungsbegründenden Beschäftigungsmöglichkeiten für einzelne Arbeitnehmer Unternehmerentscheidung in der verfassungsrechtlich führt.50 Das Arbeitsgericht kann zudem kontrollieren, ob über Art. 12 I, 14 I und 2 I GG geschützten unternehme- die unternehmerische Entscheidung als solche rechtsrischen Entscheidungsfreiheit.46 Zudem soll es angesichts missbräuchlich ist.51 Sofern dies der Fall ist, fehlt es an fehlender Sachkompetenz nicht Sache der Arbeitsgerichte einem dringenden betrieblichen Erfordernis im Sinne des sein, „dem Arbeitgeber eine bessere oder richtigere Unter- § 1 II 1 3. Alt. KSchG.52 Im Lauf der Zeit haben sich drei nehmenspolitik vorzuschreiben und damit in die Kosten- Fallgruppen herauskristallisiert, bei denen die gerichtkalkulation einzugreifen“47, zumal die Arbeitsgerichte für liche Kontrolle durchschlägt. Fehlentscheidungen nicht haften.48 Diese eher praktisch (1) Missbrauch durch unsachliche, unvernünftige ausgerichteten Begründungsansätze können jedoch nur 49 oder willkürliche unternehmerische bedingt überzeugen : Auch in Rechtsgebieten außerhalb Entscheidung digung Nr. 10; BAG, 24.10.1979, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebs- Unternehmerische Entscheidungen unterliegen zunächst bedingte Kündigung Nr. 13; BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG einer Überprüfung dahingehend, ob sie offensichtlich un1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42; BAG, 29.03.1990, sachlich, unvernünftig oder willkürlich sind.53 Durch die AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, Begriffe „unsachlich“ und „unvernünftig“ wird allerdings 09.05.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 79; BAG, 26.09.1996, EzA § 1 KSchG 1969 Betriebsbe- der Eindruck erweckt, als könne das Arbeitsgericht entdingte Kündigung Nr. 86; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG gegen des Grundsatzes der freien Unternehmerentschei1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102; BAG, 21.09.2001, dung doch nach einer besseren – eben sachlicheren und AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 112; BAG, vernünftigeren – unternehmerischen Konzeption suchen 26.09.2002, NZA 2003, 549 ff.; BAG, 22.04.2004, NZA 2004, 1158 ff. Einen Überblick über das Meinungsspektrum bei Einfüh- und diese an die Stelle der getroffenen Unternehmerentrung der ersten Fassung des KSchG im Jahr 1951 gibt Etzel, Fn. 5, scheidung setzen, was aber gerade vermieden werden soll.54 § 1 KSchG, Rn. 521. Entscheidend ist daher allein, ob die unternehmerische 45 Vgl. aus dem umfangreichen Schrifttum: v. Hoyningen-Huene/ Entscheidung irgendeines nachvollziehbaren Grundes Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 522; 55 Preis, Fn. 10, Rn. 945; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 463; Ber- entbehrt und somit als willkürlich anzusehen ist. Mit56 hin geht es um eine bloße Willkürkontrolle , die allerkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 14 ff.; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 401; Manfred Löwisch/Günter Spinner, Kommentar zum Kündigungs- dings in der arbeitsgerichtlichen Praxis trotz zahlreicher, schutzgesetz, 9. Aufl. 2004, § 1, Rn. 265; Dornbusch/Volk, Fn. 5, die o. g. Kriterien nennenden Entscheidungen nur eine ge- Aufsätze 112 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 ringe Rolle spielt.57 Dies liegt einerseits daran, dass unternehmerische Entscheidungen wohl immer einen Grund haben, und sei es auch nur der legitime Wunsch, Kosten einzusparen oder die Gewinne zu steigern.58 Andererseits dürfte ein entsprechender Prozessvortrag eher selten sein, da der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist59 und er in innerbetriebliche Entscheidungsprozesse regelmäßig keinen Einblick haben wird. (2) Missbrauch durch Verstoß gegen gesetzliche oder tarifliche Normen Die unternehmerische Entscheidung unterliegt neben der Willkürkontrolle einer allgemeinen Rechtskontrolle: Vom Arbeitsgericht ist jeweils zu prüfen, ob die unternehmerische Entscheidung gegen ein Gesetz60 oder einen Vertrag – insbesondere einen Tarifvertrag61 – verstößt.62 Eine rechtswidrige Unternehmerentscheidung ist zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung von vornherein nicht geeignet.63 (3) Missbrauch durch Umgehung – zugleich Besprechung von BAG, NZA 2003, 549 („Rheumaklinik-Urteil“) Als letzte der drei denkbaren Fallgruppen der Missbrauchskontrolle sind die sog. Umgehungsfälle zu nennen. Im Jahr 2002 hat der 2. Senat des BAG64 erstmals eine unternehmerische Entscheidung als rechtsmissbräuchlich angesehen, die nach seinem Dafürhalten allein zu dem Zweck getroffen wurde, sich in Umgehung des KSchG von missliebigen Arbeitnehmern zu trennen. In der juristischen Diskussion gilt dieses „RheumaklinikUrteil“ als die wichtigste kündigungsrechtliche Entscheidung der letzten 15 Jahre.65 Sie zeigt exemplarisch, dass 57 Vgl. aber ArbG Gelsenkirchen, 28.10.1997, NZA 1998, 944 f., wonach die unternehmerische Entscheidung, Personal abzubauen, obwohl der Betrieb seit Jahren große Gewinnsteigerungen verzeichnete, als willkürlich angesehen wurde. A.A. Rieble, Fn. 70, S. 9 (15 f.); Franzen, Fn. 23, 805 (810); Walker, Fn. 67, 501 (521); Schiefer, Fn. 42, 1 (5). 58 Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 (13); Walker, Fn. 67, 501 (518 f.). 59 BAG, 24.10.1979, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8; BAG, 09.05.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 79; Alp, Fn. 89, S. 99; v. Hoyningen-Huene/ Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371 f; Preis, Fn. 10, Rn. 1035; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 556; Hromadka, Fn. 23, 383 (393). Offen gelassen in BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102, 103. 60 Vgl. etwa BAG, 24.04.1997, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 42 zu § 2 BeschFG (seit 01.01.2001: § 4 I TzBfG). 61 Vgl. etwa BAG, 18.12.1997, NZA 1998, 304 ff.; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102, 103. 62 Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 467 a; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 878; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 402; Preis, Fn. 10, Rn. 946; Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 271; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 371 b. Kritisch Rieble, Fn. 70, S. 9 (26); Walker, Fn. 67, 501 (519). 63 BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102, II 1 c dd. 64 BAG, 26.09.2002, NZA 2003, 549 ff. 65 So Georg Annuß, Die rechtsmissbräuchliche Unternehmerentscheidung im Konzern, NZA 2003, 783. die Missbrauchskontrolle vor allem angesichts neuer unternehmerischer Organisationskonzepte oftmals eine schwierige juristische Gratwanderung bedingt. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen66: Eine Rheumaklinik beschloss angesichts hoher wirtschaftlicher Verluste, einige Servicebereiche stillzulegen und den dort beschäftigten Arbeitnehmern betriebsbedingt zu kündigen. Die Dienstleistungen sollten aus umsatzsteuerlichen Gründen auf eine noch zu gründende, finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch voll in die Klinik eingegliederte Organgesellschaft (§ 2 II Nr. 2 UStG) übertragen werden. Diese sollte die ausgelagerten Dienstleistungen mit neu einzustellenden Arbeitnehmern weiter durchführen. Nach Ansicht des BAG waren die ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen wegen einer missbräuchlichen Unternehmerentscheidung unwirksam. Das unternehmerische Ziel der kosteneffizienteren Gestaltung der betrieblichen Abläufe könne durch andere Maßnahmen (u. a. Änderungskündigungen, Teilbetriebsübergang, Werkverträge mit Fremdunternehmen) verwirklicht werden. Die gewählte Organisationsform ziele allein darauf ab, den Arbeitnehmern ihren Kündigungsschutz zu nehmen und den nach wie vor bestehenden Beschäftigungsbedarf mit dem kostengünstigeren Personal der Organgesellschaft zu bewältigen. Die Entscheidung ist in der Literatur67 zu Recht auf Kritik gestoßen. Schon aus rein dogmatischer Sicht ist zu kritisieren, dass die Voraussetzungen der üblicherweise im Kontext des § 134 BGB erörterten Umgehungsfälle68 vom BAG nicht näher präzisiert worden sind. Die neu eingeführte Kategorie des Missbrauchs durch Umgehung ist nach Thüsing/Stelljes lediglich schlagwortartig.69 Weitaus schwerwiegender ist indes die seitens der Literatur geäußerte Befürchtung, die unternehmerische Entscheidung unterliege künftig einer stärkeren gerichtlichen Kontrolle.70 Tatsächlich stehen die Ausführungen im „Rheumaklinik-Urteil“ im Widerspruch zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die unternehmerische Entschei66 Vgl. BAG, 26.09.2002, NZA 2003, 549 f. Zusammenfassend auch Annuß, Fn. 98, 783 f. 67 Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 367; Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 (14 f.); Annuß, Fn. 98, 783 (784 f.); Klaus Adomeit, Kündigungsschutz – Grenzen der Unternehmerentscheidung – „Rheumaklinik-Urteil“, SAE 2003, 237 ff.; Wilhelm Moll, Zum dringenden betrieblichen Erfordernis i. S. d. § 1 II KSchG, EWiR 2003, 779 (780); Walker, Fn. 67, 501 (520 f.). Dem BAG folgend Dieter Reuter, Unternehmerische Freiheit und betriebsbedingte Kündigung, RdA 2004, 161 ff. 68 Theo Mayer-Maly/Christian Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2001, § 134, Rn. 11 ff. 69 Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 (15); zustimmend Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 367. Zur Einordnung dieses Urteils vor dem Hintergrund der Entscheidungen im „Crewing-Fall “ und „Weight-Watchers-Fall “ (Fn. 61) siehe Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 522 ff. und Reuter, Fn. 100, 161 f. 70 Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 367; Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 (14 f.). In diese Richtung auch Annuß, Fn. 98, 783 (784 f.); Adomeit, Fn. 100, 237 ff. Relativierend hingegen Walker, Fn. 67, 501 (521). GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 113 teuren Arbeitnehmern in Umgehung des Kündigungsschutzes zu trennen, ohne dabei die gleichfalls gewichtigen umsatzsteuerlichen und kontrollbezogenen Gründe zu berücksichtigen. Der unternehmerischen Konzeption der Beklagten kann daher nicht der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs gemacht werden. Auch wenn der Vorsitzende des 2. Senats Rost 78 in der Entscheidung lediglich eine „Warnboje“ zur Verdeutlichung des nicht nur theoretischen Falls der Rechtsmissbräuchlichkeit einer Unternehmerentscheidung sieht, löste das Urteil in der arbeitsrechtlichen Praxis eine erhebliche Unsicherheit aus.79 Dies liegt auch daran, dass Fallgestaltungen wie die hier vorliegende im unternehmerischen Alltag durchaus verbreitet sind und die Bestandsschutzinteressen der Arbeitnehmer anscheinend selbst zweckmäßige und sachliche unternehmerische Entscheidungen überwinden können. b) Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten Die Umsetzung oder eingeleitete Durchführung der unternehmerischen Entscheidung muss zum Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten für den gekündigten Arbeitnehmer führen.80 Nur unter dieser Voraussetzung liegt ein betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 II 1 3. Alt. KSchG vor. aa) Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung Als bloßer Willensentschluss lässt allein die unternehmerische Entscheidung noch keine BeschäftigungsmögDie Entscheidung des BAG verwehrt dem Arbeitgeber, lichkeit entfallen. Vielmehr muss der Arbeitgeber sein die aus seiner Sicht sinnvolle und zweckmäßige betriebs unternehmerisches Konzept auch in die betriebliche organisatorische Gestaltung zu wählen, deren Ergebnisse Wirklichkeit entlassen. Ein betriebliches Erfordernis und Folgen durch andere rechtliche Konstruktionen nicht kann somit erst dann vorliegen, wenn entweder die untererreichbar sind.76 Es ist nicht ersichtlich, warum die aus nehmerische Entscheidung bereits umgesetzt wurde oder nachvollziehbaren und gewichtigen Gründen getroffene die geplante Maßnahme zumindest greifbare Formen anEntscheidung, die ausgelagerten Dienstleistungen durch genommen hat und eine vernünftige, betriebswirtschaftArbeitnehmer einer Organgesellschaft durchführen zu liche Betrachtung die Prognose ergibt, dass mit hinreilassen, einen Missbrauch durch Umgehung darstellen chender Sicherheit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist soll.77 Das BAG stellt allein darauf ab, dass die unterneh- die Maßnahme durchgeführt und der Arbeitnehmer damerische Konzeption nur dem Zweck diente, sich von mit entbehrlich sein wird.81 71 Walker, Fn. 67, 501 (520). 72 Vgl. Moll, Fn. 100, 779 (780). 73 Siehe Adomeit, Fn. 100, 237 (238); Reuter, Fn. 100, 161 (162); Walker, Fn. 67, 501 (520). 74 Siehe Moll, Fn. 100, 779 (780); Reuter, Fn. 100, 161 (162). Zur Wirksamkeit einer Änderungskündigung zum Zweck der Sanierung eines Betriebs mittels Personalkostensenkung muss der Arbeitgeber nachweisen, dass ohne die Maßnahme die Existenz des Betriebs gefährdet wäre, vgl. BAG, 26.01.1995, NZA 1995, 626 (627 f.). 75 Siehe Adomeit, Fn. 100, 237 (239). Zustimmend Reuter, Fn. 100, 161 (162). 76 So Moll, Fn. 100, 779 (780). 77 Vgl. Thüsing/Stelljes, Fn. 88, S. 11 ff.; Walker, Fn. 67, 501 (520 f.); Adomeit, Fn. 100, 237 (239); Moll, Fn. 100, 779 (780). Siehe auch Preis, Fn. 20, 241 (248 f.), der selbst eine kosten- und rentabilitätsneutrale Umstrukturierung nicht in allen Fällen für willkürlich hält. 78 Friedhelm Rost, Neues zum Kündigungsrecht, NZA 2004, Sonderbeilage 1, 34. 79 So auch die Einschätzung von Annuß, Fn. 98, 783 (785). 80 BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 71; BAG, 07.03.1996, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 84; Ascheid, Fn. 64, Rn. 236; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn 30, § 1, Rn. 372; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 477; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 615; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 371. 81 BAG, 27.02.1987, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 41; BAG, 19.06.1991, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 53; BAG, 10.01.1994, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 8; BAG, 27.02.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 1; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 550; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 387; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 375. Im letzteren Fall trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, vgl. BAG, 23.03.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 38; BAG, 19.06.1991, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 53. Siehe zum Aufsätze dungen gerade nicht auf ihre wirtschaftliche Richtigkeit hin überprüfen will. Indem der 2. Senat darauf verweist, dass zur Sanierung der Servicebereiche andere rechtliche und organisatorische Konstruktionen zur Verfügung gestanden hätten, gibt er der Beklagten ein aus seiner Sicht richtigeres bzw. besseres unternehmerisches Konzept vor.71 Da es der Rheumaklinik erstens um die Umsatzsteuerersparnis, zweitens um das Know-how und die Kontrollmöglichkeit bzgl. der Service-GmbH und drittens um die Reduzierung der Personalkosten ging72, kann indes bezweifelt werden, ob die Erreichung dieser Ziele mit den vom BAG angeführten Alternativmaßnahmen möglich gewesen wäre. Änderungskündigungen waren als Instrument der Personalkostenersparnis aufgrund der im vorliegenden Fall bestehenden Tarifbindung der betroffenen Arbeitnehmer untauglich.73 Dessen ungeachtet sind die Anforderungen der Rechtsprechung an eine Änderungskündigung zwecks Personalkostensenkung höher als an eine Beendigungskündigung als Folge einer Betriebsstilllegung.74 Auch die anderen aufgezeigten rechtlichen Konstruktionen – Teilbetriebsübergang, Werkverträge mit Drittunternehmen, Umwandlung nach § 123 UmwG – können nicht überzeugen: In einem Krankenhaus kann die Verantwortung für bestimmte Servicebereiche wie etwa Reinigung und Küche aus medizinischhygienischen Gründen nicht so weitgehend an Dritte delegiert werden, wie es die Alternativmaßnahmen erfordern.75 Durch die Übernahme der Geschäftsführung der Service-GmbH konnte die Beklagte hingegen eine ausreichende Kontroll- und Einflussmöglichkeit sicherstellen. Aufsätze 114 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 bb) Auswirkung auf die Beschäftigungsmöglichkeit Die (geplante) Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung muss eine konkrete Auswirkung auf die Beschäftigungsmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers haben. Das betriebliche Erfordernis muss allerdings nicht zum Wegfall eines bestimmten Arbeitsplatzes führen.82 Vielmehr genügt es, wenn nach der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung im Betrieb rechnerisch ein Überhang an Arbeitskräften entstanden ist, durch den unmittelbar oder mittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt.83 Entscheidet sich der Unternehmer z. B. für eine endgültige Schließung einer Betriebsabteilung, so führt dies zu einem Arbeitskräfteüberhang, der das Beschäftigungsbedürfnis für die dort tätigen Arbeitnehmer entfallen lässt. An einer negativen Auswirkung auf die Beschäftigungslage fehlt es hingegen dann, wenn im Rahmen einer Umorganisation eine Betriebsabteilung geschlossen wird und die dort erledigten Arbeiten in unveränderter Form einer anderen Abteilung zugeordnet werden.84 Verändert sich im Zuge der Unternehmerentscheidung das Anforderungsprofil der Arbeitsplätze (z. B. wenn ein Pilot mit Fluglizenz für Propellermaschinen Düsenflugzeuge fliegen soll85) ist ausschlaggebend, ob die nach der unternehmerischen Entscheidung an dem Arbeitsplatz zu verrichtende Arbeit mit der bisherigen Tätigkeit identisch ist (sog. Identität und Kontinuität des Arbeitsplatzes86). Sofern dies verneint wird, ist die Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfallen. den, da der gesetzliche Kündigungsschutz grundsätzlich betriebsbezogen ausgestaltet ist.88 cc) Gerichtliche Überprüfung Im Kündigungsschutzprozess ist der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit im Gegensatz zur unternehmerischen Entscheidung vollumfänglich nachprüfbar. Der Arbeitgeber ist hierfür darlegungs- und beweispflichtig89: Er muss anhand von konkreten Tatsachen darlegen und im Bestreitensfall beweisen, inwieweit sich die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung auf die Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb auswirkte und zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses führte. c) Dringlichkeit des betrieblichen Erfordernisses Die ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung ist schließlich nur dann sozial gerechtfertigt, wenn die ihr zugrunde liegenden betrieblichen Erfordernisse dringend im Sinne des § 1 II 1 3. Alt. KSchG sind. Durch das Merkmal der Dringlichkeit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Arbeitgeber nur dann betriebsbedingt kündigen darf, wenn dies im Interesse des Betriebs wirklich notwendig ist.90 Dem Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses wird dadurch zusätzliches Gewicht verliehen.91 aa) Dringlichkeit und Grundsatz der Die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung Verhältnismäßigkeit muss schließlich zu einem dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führen.87 Steht bereits im Zeit- Dringende betriebliche Erfordernisse liegen vor, wenn es punkt der Kündigung fest, dass die Arbeitskraft bereits dem Arbeitgeber nach der Umsetzung der Unternehmerkurz nach Ablauf der Kündigungsfrist weiter benötigt entscheidung nicht möglich ist, der neuen betrieblichen wird, ist eine betriebsbedingte Kündigung sozial unge- Lage durch andere Maßnahmen auf technischem, orgarechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Für die Beur- nisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als durch teilung der Auswirkung der unternehmerischen Entschei- eine Kündigung zu entsprechen.92 Damit wird nach dung auf die Beschäftigungslage dürfen dabei nur die 88 Hierzu BAG, 27.11.1991, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte KünVerhältnisse des jeweiligen Betriebs herangezogen werdigung Nr. 72; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 374; 82 83 84 85 86 87 Beurteilungszeitpunkt bei der betriebsbedingten Kündigung auch unten 3) (S. 31 f.). So aber noch BAG, 07.12.1978, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 6. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102, 103; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 477; ferner Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 62 ff. BAG, 10.11.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65; BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 71. Siehe aber auch BAG, 18.10.2000, NZA 2001, 437 ff. BAG, 13.05.1968, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 18. Hierzu ausführlich v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 373 a; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 481. Hierzu v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 373; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 480; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 615. BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 101, 102; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 478; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 527. 89 90 91 92 Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 537 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 482; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 383. Ausführlich zum Betriebsbegriff Löwisch/Spinner, Fn. 78, § 1, Rn. 250 ff. Dagegen ist die Prüfung der anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 II S. 2, 3 KSchG grundsätzlich unternehmensbezogen ausgestaltet, siehe unten 2) a) (S. 25 ff.). Vgl. hierzu BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102; BAG, 13.06.2002, NZA 2003, 608 (610 f.); v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 376 f.; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 554; Bernd Schiefer, Kündigungsschutz und Unternehmerfreiheit – Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf die betriebliche Praxis, NZA 2002, 770 (774). BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45, II 1 a; Berkowsky, Fn. 44, § 138, Rn. 124; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 561; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 377. Für Preis, Fn. 10, Rn. 950, ist die Dringlichkeit „ein Merkmal zur Bewertung der Gewichtigkeit des betrieblichen Interesses“. So Preis, Fn. 10, Rn. 950. Ähnlich Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 527. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündi- GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 115 Die Dringlichkeit bezieht sich nach dem Wortlaut des § 1 II 1 3. Alt. KSchG allein auf die betrieblichen Erfordernisse und nicht auf die unternehmerische Entscheidung. Im Rahmen der Dringlichkeitsprüfung erfolgt daher lediglich eine Überprüfung der Art der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung.98 Es ist somit sorgfältig zwischen der vorgelagerten gestaltenden Unternehmerentscheidung einerseits und der umsetzenden Unternehmerentscheidung (Kündigung) andererseits zu differenzieren. Letztere unterliegt einer justiziellen Kontrolle dahingehend, ob andere betriebsorganisatorische Reaktionsmöglichkeiten in Betracht kommen. 93 94 95 96 97 98 gung Nr. 24; BAG, 15.06.1989, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 45; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 396; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 381; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 562; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 146. BAG, 18.01.1990, AP § 2 KSchG Nr. 27; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 528; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 397; ders., Fn. 64, Rn. 284; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 558 f.; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 378; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 149; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 618; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 886 f.; Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 279; Preis, Fn. 23, S. 305 ff.; Rolf Wank, Rechtsfortbildung im Kündigungsschutzrecht, RdA 1987, 129 (136). V. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 378; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 559. Vgl. BAG, 30.05.1985, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 24; BAG, 26.06.1997, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86. Vgl. BAG, 18.01.1990, AP § 2 KSchG Nr. 27; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 153; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 562; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 619. Nach überwiegender Auffassung handelt es sich nach dem Wortlaut der Regelung („sollen“) um einen Programmsatz, der lediglich wiederholt, dass zur Vermeidung der betriebsbedingten Kündigung alternative Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet in Betracht zu ziehen sind. Vgl. Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 529 a; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 565. So Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 399. Vgl. auch Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 558; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 382; Wank, Fn. 126, 129 (136). Noch bis zum Jahr 1980 vertrat das BAG99 die Auffassung, dass auch bei der betriebsbedingten Kündigung im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen sei, ob die sozialen Folgen für den Arbeitnehmer und die betrieblichen Erfordernisse des Arbeitgebers in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Im Schrifttum100 ist dies überwiegend abgelehnt worden. Mittlerweile hat das BAG von der Interessenabwägung Abstand genommen, allerdings ohne sie verbal völlig aufzugeben.101 bb) Mildere Mittel im Rahmen der Dringlichkeitsprüfung Als mildere Mittel kommen u. a. die Arbeitsstreckung102, der Abbau von Überstunden und Leiharbeitnehmerstellen103, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung104 sowie die Einführung von Kurzarbeit105 in Betracht. In der Praxis bewähren sich diese Maßnahmen jedoch nicht als Allheilmittel gegen betriebsbedingte Kündigungen, da sie regelmäßig einen lediglich vorübergehenden Arbeitsmangel voraussetzen, der aber nur in den seltensten Fällen vorliegen wird.106 Dies schließt indes nicht völlig aus, dass im Einzelfall die genannten Maßnahmen ein gegenüber der betriebsbedingten Kündigung milderes Mittel darstellen können.107 99 Erstmals in BAG, 04.02.1960, AP § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 5. Fortgesetzt u. a. in BAG, 24.10.1979, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8; BAG, 07.03.1980, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9; BAG, 17.10.1980, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 10. 100Vgl. etwa Preis, Fn. 10, Rn. 922; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 651; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 380; Dorndorf, Fn. 60, § 1 KSchG, Rn. 942. So bereits Eduard Bötticher, in: Hans Carl Nipperdey (Hrsg.), Festschrift für Erich Molitor, 1962, S. 123 (127 ff.). Gegen eine umfassende richterliche Interessenabwägung spricht vor allem der bereits durch den Gesetzgeber vorgenommene gesetzliche Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, vgl. hierzu Thum, Fn. 13, S. 215, 217 ff.; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 549; Eugen Stahlhacke, Grundfragen der betriebsbedingten Kündigung, DB 1994, 1361 (1367). A.A. dagegen Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 293. 101 Vgl. etwa BAG, 30.04.1987, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 42: Bei einer „an sich“ betriebsbedingten Kündigung kann sich eine Abwägung der beiderseitigen Interessen nur noch in seltenen Ausnahmefällen zugunsten des Arbeitnehmers auswirken. Vgl. neuerdings auch BAG, 17.06.1999, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102. Kritisch zu dieser Rechtsprechung Preis, Fn. 10, Rn. 922. 102 Hierzu Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 161 f.; Preis, Fn. 10, Rn. 1019; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 577. 103 Hierzu Preis, Fn. 10, Rn. 1023; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 567 ff.; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 163 f. 104Hierzu Preis, Fn. 10, Rn. 1022; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 578. 105 Hierzu Preis, Fn. 10, Rn. 1020 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 570 ff.; Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 165 ff. 106Skeptisch etwa Berkowsky, Fn. 5, § 5, Rn. 162 in Bezug auf die Arbeitsstreckung sowie Preis, Fn. 10, Rn. 1020 und v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 385 in Bezug auf die Kurzarbeit. 107 Für die Kurzarbeit siehe LAG Berlin, 05.12.1997, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 49; ArbG Mannheim, 09.12.1982, BB 1983, 1031. Für die Arbeitsstreckung siehe LAG Aufsätze allgemeiner Auffassung93 der das gesamte Kündigungsschutzrecht beherrschende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit konkretisiert. Bei der betriebsbedingten Kündigung reduziert sich die Verhältnismäßigkeitskontrolle im Wesentlichen auf die Überprüfung der Erforderlichkeit94: Die Kündigung muss als die den Arbeitnehmer am härtesten treffende Maßnahme stets ultima ratio sein95; mildere Maßnahmen dürfen also nicht in Betracht kommen. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung sind nur solche Mittel zu berücksichtigen, die Entlassungen entbehrlich machen, dabei aber gleich wirksam sind, um das vorgegebene unternehmerische Ziel zu erreichen.96 Aus der in § 2 II, 4, 5 SGB III genannten Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ergeben sich für die Auslegung des Merkmals „dringende betriebliche Erfordernisse“ dagegen keine weiteren Anforderungen.97 Aufsätze 116 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 cc) Darlegungs- und Beweislast ze in derselben oder einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs.110 Im Gegensatz zu den teilweise Im Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber die umstrittenen milderen Mitteln im Rahmen der DringTatsachen darlegen und ggf. beweisen, die die Dring- lichkeitsprüfung wird hier also bereits qua Gesetz ein oblichkeit der betrieblichen Erfordernisse zur Kündigung ligatorisch zu prüfender Katalog von Alternativmaßnahbedingen.108 Dabei kann er nach den Grundsätzen der men vorgegeben. abgestuften Darlegungs- und Beweislast seinen Vortrag zunächst auf die Behauptung beschränken, dass mildere Nach § 1 II 2 Nr. 1 a. E. und Nr. 2 a. E. KSchG bedarf es Mittel als die Kündigung nicht zur Verfügung standen. zur Geltendmachung der Sozialwidrigkeit eines fristgeSobald der Arbeitnehmer darlegt, durch welche konkrete rechten Widerspruchs des Betriebsrats bzw. einer entspreMaßnahme die Kündigung zu vermeiden gewesen wäre, chenden Einwendung der zuständigen Personalvertremuss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, aus welchen tung. Erweist sich der Widerspruch bzw. die Einwendung Gründen diese Maßnahme nicht realisierbar war. als sachlich berechtigt – liegt also der geltend gemachte Widerspruchstatbestand aus dem Bereich des § 1 II 2 oder 3 KSchG vor –, so ist die Kündigung sozialwidrig (sog. 2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit absoluter Sozialwidrigkeitsgrund).111 Einer Prüfung der Allein das Vorliegen dringender betrieblicher Erfor- allgemeinen Voraussetzungen des § 1 II 1 3. Alt. KSchG dernisse nach § 1 II 1 3. Alt. KSchG rechtfertigt noch bedarf es dann ebenso wenig wie einer – ohnehin abzunicht die betriebsbedingte Kündigung. In einem zweiten lehnenden112 – Interessenabwägung.113 Der Widerspruch Schritt ist vor dem Hintergrund des § 1 II S. 2, 3 KSchG erlangt zudem Bedeutung für die Darlegungs- und Bezu prüfen, ob für den zu kündigenden Arbeitnehmer eine weislast sowie für den Weiterbeschäftigungsanspruch aus zumutbare anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zur § 102 Abs. 5 BetrVG.114 Verfügung steht. Liegt eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vor, so ist eine betriebsbedingte Kündigung trotz Nach gefestigter Auffassung115 ist eine Berufung des geVorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse sozial kündigten Arbeitnehmers auf die Weiterbeschäftigungsungerechtfertigt. möglichkeiten des § 1 II 2, 3 KSchG auch unabhängig vom Widerspruch des Betriebs- bzw. Personalrats möglich. Ansonsten käme der gekündigte Arbeitnehmer nicht a) Überblick und allgemeine Grundsätze in den Genuss des vollen Kündigungsschutzes, falls im Dogmatisch ist das Erfordernis der fehlenden Weiter- Betrieb keine Arbeitnehmervertretung besteht bzw. diebeschäftigungsmöglichkeit Ausfluss des ultima-ratio- se von ihrem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch macht. Prinzips.109 Wie bei der Dringlichkeit der betrieblichen Für einen wirksamen Kündigungsschutz muss daher der Erfordernisse ist zu prüfen, ob mildere Mittel als die be- Arbeitgeber auch in diesen Fällen die entsprechenden triebsbedingte Kündigung in Betracht kommen. Hierbei Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten prüfen. bestimmt das KSchG in § 1 II 2, 3 die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung Nach dem Wortlaut des § 1 II 2 Nr. 1 b KSchG ist die Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht al- auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben oder lein auf den Betrieb, sondern auf das gesamte Unterneheinem anderen Betrieb des Unternehmens (§ 1 II 2 men des Arbeitgebers bezogen.116 Eine betriebsbedingte Nr. 1 b KSchG), - unter geänderten Bedingungen (§ 1 II 3 2. Alt. KSchG) und/oder - nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen (§ 1 II 3 1. Alt. KSchG) als mildere Mittel. Für den Bereich des öffentlichen Dienstes erstreckt sich die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gemäß § 1 II 2 Nr. 2 b KSchG auf ArbeitsplätStuttgart, 02.06.1954, DB 1954, 784. Für die allgemeine Arbeitszeitverkürzung siehe ArbG Bocholt, 22.06.1982, DB 1982, 1938. 108Vgl. hierzu und zum Folgenden Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 566; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 555. 109Vgl. BAG, 17.05.1984, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 32; BAG, 25.04.2002, NZA 2003, 605 (606); Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 580; Roland Stückmann/Christina Kohlepp, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und „ultima-ratio-Prinzip“ im Kündigungsrecht, RdA 2000, 331 (335 ff.). 110 Hierzu ausführlich Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 598 ff.; ferner Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 56 ff. 111 Vgl. BAG, 13.09.1973, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 2, II 7 a; BAG, 06.06.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 16; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 508; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 583; Preis, Fn. 10, Rn. 1001; Gallner, Fn. 62, § 1, Rn. 622. 112 Siehe oben 1) c) aa) (S. 22 ff.). 113 BAG, 13.09.1973, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 2, II 7 a. 114 Hierzu Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 583, 648 ff. 115 BAG, 17.05.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21; BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 66; BAG, 25.04.2002, NZA 2003, 605 (606); Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 529; Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 4; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 500 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 582; Preis, Fn. 23, S. 295 ff.; ders., Fn. 10, Rn. 1000; Walter Bitter/Heinrich Kiel, 40 Jahre Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Sozialwidrigkeit von Kündigungen, RdA 1994, 333 (341 ff.). 116 Vgl. BAG, 13.09.1973, AP § 1 KSchG 1969 Nr. 2; BAG, 17.05.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21; BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 117 Der Arbeitnehmer hat jedoch weder einen Anspruch auf Einrichtung neuer Arbeitsplätze noch kann er vom Arbeitgeber verlangen, dass eine Stelle für ihn freigekündigt wird.123 Wendet der aus betrieblichen Gründen gekündigte Arbeitnehmer ein, er könne auf einem gegenwärtig besetzten Arbeitsplatz beschäftigt werden und dem dort tätigen Arbeitnehmer müsse zuerst gekündigt werden, so ist dies eine Frage der Sozialauswahl nach § 1 III KSchG. c) Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz zu unveränderten Bedingungen Die betriebsbedingte Kündigung ist nach § 1 II 2 Nr. 1 b KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz zu unveränderten Bedingungen möglich ist. Der in Frage stehende Arbeitsplatz muss insoweit mit der bisherigen Stelle des gekündigten Arbeitnehmers vergleichbar sein.124 Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer die Anforderungen des freien Arbeitsplatzes erfüllt und der Arbeitgeber ihn aufgrund seib) Vorhandene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nes arbeitsvertraglichen Weisungsrechts ohne Änderung des Arbeitsvertrags auf dieser Stelle beschäftigen kann.125 (freier Arbeitsplatz) Fehlt dem Arbeitnehmer die erforderliche Qualifikation Eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung besteht für oder ist eine Änderung des Arbeitsvertrags notwendig, so den Arbeitgeber immer nur dann, wenn er über freie Ar- scheidet eine Versetzung auf die freie Stelle als milderes beitsplätze in den Betrieben seines Unternehmens ver- Mittel aus. In diesen Fällen ist jedoch die Möglichkeit fügt.121 Als frei sind Arbeitsplätze anzusehen, die entwe- der Weiterbeschäftigung nach Umschulungs- oder Fortder im Zeitpunkt der Kündigung unbesetzt sind oder bis bildungsmaßnahmen oder zu geänderten Bedingungen zum Ablauf der Kündigungsfrist oder in absehbarer Zeit (Änderungskündigung) zu prüfen. danach unbesetzt sein werden, sofern die Überbrückung dieses Zeitraums für den Arbeitgeber zumutbar ist.122 Beinhaltet der Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel, bezieht sich der Kreis der zu prüfenden Einsatzmöglichkeiten je nach Ausgestaltung der Klausel auf den Betrieb, Kündigung Nr. 66; BAG, 21.09.2000, NZA 2001, 535 (538 f.); Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 6; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 889 f.; das Unternehmen oder sogar den Konzern des ArbeitnehEtzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 538; v. Hoyningen-Huene/Linck, mers.126 Da dem Arbeitnehmer aus dem Wegfall seines Fn. 30, § 1, Rn. 391; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 587. Für den Bereich des öffentlichen Dienstes siehe Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Arbeitsplatzes kein Anspruch auf Beförderung erwächst, sind in diesen Kreis nur Stellen mit gleich- oder geringerRn. 394 mit Fn. 618. 117 Vgl. stellvertretend v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, wertigen Arbeitsbedingungen einzubeziehen.127 Rn. 391. 118 Siehe BAG, 14.10.1982, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 1; BAG, 27.11.1991, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 6; BAG, 10.01.1994, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 8; BAG, 21.01.1999, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 9; Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 10 ff.; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 539; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 590; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 392; Preis, Fn. 10, Rn. 1014; Uwe Silberberger, Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und Kündigungsschutz im Konzern, 1994, S. 147 ff., 185 ff. Eine konzernbezogene Ausweitung generell ablehnend Bernd W. Feudner, Kündigungsschutz im Konzern, DB 2002, 1106 ff. 119 BAG, 14.10.1982, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 1; BAG, 27.11.1991, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 6. 120Vgl. hierzu BAG, 18.10.1976, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 3; BAG, 21.01.1999, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 9. Hierzu und zu weiteren Ausnahmefällen siehe Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 592 ff.; Preis, Fn. 10, Rn. 1014 ff. 121 V. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 394. 122BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 67; BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; BAG, 25.04.2002, NZA 2003, 605 (606 f.); v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 394 f.; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 396; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 600 ff. 123Vgl. BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 394; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 397; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 719; Bitter/Kiel, Fn. 148, 333 (339). 124BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 15.12.1994, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 67. 125 Vgl. BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 401; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 609; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 908. 126Hierzu Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 404 ff.; Klaus Kukat, Betriebsbedingte Kündigung und konzernbezogener Kündigungsschutz in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, BB 2000, 1242 (1244). 127Vgl. BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 21.09.2000, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 111; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 409; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 414; v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 398 ff.; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 610. Nach BAG, 05.10.1995, AP § 1 KSchG 1969 Betriebs- Aufsätze Kündigung ist demnach nur dann sozial gerechtfertigt, wenn in allen Betrieben des Unternehmens des Arbeitgebers keine adäquate Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer besteht.117 Bedeutsam ist dies, weil das Reservoir an potenziellen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Falle einer unternehmensbezogenen Prüfung größer ist als bei bloßer Betriebsbezogenheit. Trotz der Konzentrationstendenzen im Unternehmensbereich, die zunehmend zu einer Verlagerung der Entscheidungsprozesse auf Konzernebene führen, wird eine Ausdehnung der Überprüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf andere Unternehmen desselben Konzerns dem Grundsatz nach abgelehnt.118 Gegen eine solche Konzernbezogenheit spricht die rechtliche Selbstständigkeit der Unternehmen.119 Eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungsverpflichtung kann sich allerdings in Ausnahmefällen ergeben: Denkbar ist z. B., dass der Arbeitnehmer bereits im Arbeitsvertrag für den gesamten Konzernbereich eingestellt worden ist und sich mit einer konzernweiten Versetzung einverstanden erklärt hat.120 Aufsätze 118 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 d) Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz nach Umschulung oder Fortbildung Liegt ein freier, aber nicht vergleichbarer Arbeitsplatz vor, so kann eine Weiterbeschäftigung nach Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen in Betracht kommen, § 1 II 3 1. Alt. KSchG. Anhaltspunkte zur inhaltlichen Konkretisierung der Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen können den §§ 1, 46, 47 BBiG und dem § 87 SGB III entnommen werden: Eine Umschulung beinhaltet demnach die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten für eine andere berufliche Tätigkeit als die bisherige, während eine Fortbildung eine Weiterbildung ist, die den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, den gestiegenen Anforderungen in seinem gegenwärtig ausgeübten Beruf gerecht zu werden.128 beitgeber ist ferner auszugehen, wenn der Arbeitnehmer sein Einverständnis mit der qualifizierenden Maßnahme ausdrücklich verweigert.133 e) Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz zu geänderten Bedingungen Der ultima-ratio-Grundsatz steht der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung auch dann entgegen, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sich hiermit einverstanden erklärt. Aus § 1 II 3 2. Alt. KSchG folgt, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer betriebsbedingten Beendigungskündigung stets auch eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen in Betracht ziehen muss, sofern ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist (VorDer Arbeitgeber ist allerdings nur dann zur Durchfüh- rang der Änderungskündigung vor der Beendigungskünrung einer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme digung).134 Neben der Beschäftigung auf einem anderen verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer umschulungswillig (ggf. geringerwertigen) Arbeitsplatz kommen als geänist, die Maßnahme für den Arbeitgeber zumutbar ist und derte Bedingungen alle Vertragsänderungen in Betracht, im Anschluss an die Maßnahme eine Weiterbeschäfti die das konkrete betriebliche Bedürfnis befriedigen.135 gungsmöglichkeit vorhanden ist, die der dann erworbenen Qualifikation des Arbeitnehmers entspricht.129 Im Wege der Rechtsfortbildung hat das BAG136 den ArDie Frage der Zumutbarkeit ist anhand einer Interessen- beitgeber zudem dazu verpflichtet, dem Arbeitnehmer abwägung unter Heranziehung arbeitsvertraglicher sowie die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf dem freien Arbetriebs- und unternehmensbezogener Umstände zu be- beitsplatz zu geänderten Bedingungen mit einer Annahantworten.130 Als Faustformel kann gelten, dass die Um- mefrist von mindestens einer Woche anzubieten und ihm schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen umso nach- unmissverständlich zu erklären, dass er bei Ablehnung haltiger die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im dieses Änderungsangebots betriebsbedingt gekündigt Unternehmen sichern müssen, je stärker sie in die betrieb- wird. Die Initiativlast liegt somit beim Arbeitgeber.137 lichen und wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers Lehnt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot vorbeeingreifen.131 Die Grenze der Zumutbarkeit dürfte jeden- haltlos und endgültig ab, so kann der Arbeitgeber eine falls dann überschritten sein, wenn Dauer und Kosten betriebsbedingte Beendigungskündigung aussprechen.138 der Maßnahme zur Restdauer des Arbeitsverhältnisses außer Verhältnis stehen oder die Maßnahme keinen Er- 133 Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 926; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 622; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 539; Dornbusch/Volk, folg verspricht.132 Von einer Unzumutbarkeit für den Ar- bedingte Kündigung Nr. 71 soll eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auch dann bestehen, wenn bei einer Verlagerung von Arbeiten in eine andere Betriebsabteilung eine neue Stelle entsteht, die überwiegend den Anforderungen des bisherigen Arbeitsplatzes entspricht, aber höher vergütet wird. Ablehnend v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 398 a m. w. N. Siedelt der Arbeitgeber eine passende freie Stelle ohne wesentliche inhaltliche Veränderung auf einer höheren betriebshierarchischen Ebene an, um eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auszuschließen, handelt er nach BAG, 18.11.2000, RzK I 5 c Nr. 128 rechtsmissbräuchlich. 128Vgl. BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 723; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 921; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 412; Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 30. 129BAG, 07.02.1991, AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 399, 539 ff.; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 922 f. 130LAG Frankfurt, 19.07.1999, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 55; Preis, Fn. 10, Rn. 1018; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 923; Kittner, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 402. 131 Siehe Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 32; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 619; Preis, Fn. 23, S. 169, 304; Bitter/Kiel, Fn. 148, 333 (342 ff.). 132 Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 32. Fn. 5, § 1, Rn. 415; Löwisch/Spinner, Fn. 78, § 1, Rn. 297. 134BAG, 27.09.1984, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 8; BAG, 29.03.1990, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; BAG, 20.08.1998, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 50; BAG, 12.11.1998, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 51. Ausführlich auch Gerrick v. HoyningenHuene/Rüdiger Linck, Betriebsbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigungspflicht, DB 1993, 1185 (1187 f.). 135 Preis, Fn. 10, Rn. 1008; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 623. Als Beispiele sind das Angebot der Teilzeitbeschäftigung (vgl. LAG Düsseldorf, 06.05.1977, DB 1977, 1370), die Änderung der Arbeitszeit (vgl. LAG Berlin, 16.08.1982, AuR 1983, 281) sowie die Kürzung übertariflicher Leistungen und des Arbeitsentgelts zu nennen. 136BAG, 27.09.1984, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 8; BAG, 29.11.1990, RzK I 5 a Nr. 4; BAG, 21.09.2000, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 111. Zur Rspr. der Instanzgerichte siehe LAG Hamm, 22.06.1998, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 51; LAG Berlin, 13.01.2000, NZA-RR 2000, 302. 137Hierzu umfassend Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 625 f. Zu den Folgen bei unterlassener Unterbreitung eines Änderungsangebots siehe Preis, Fn. 10, Rn. 1012 f. m. w. N. 138BAG, 27.09.1984, AP § 2 KSchG 1969 Nr. 8; BAG, 20.11.1990, RzK I 5 a Nr. 4; BAG, BAG, 07.12.2000, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 108; LAG Köln, 28.02.1995, NZARR 1996, 89. GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) 119 139 Siehe nur Preis, Fn. 10, Rn. 1009; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 419. 140 Vgl. etwa Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 627 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 147; Preis, Fn. 10, Rn. 1010; Ascheid, Fn. 64, Rn. 306; Berkowsky, Fn. 5, § 8, Rn. 41; Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 420; Björn Gaul/Mathias Kühnreich, Weiterbeschäftigung statt betriebsbedingter Kündigung, BB 2003, 254 (257); Alfons Kraft, Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis – Lohn ohne Arbeit – Überlegungen zur Reduzierung der Regelungsdichte des Arbeitsrechts und zur Wiederherstellung der Äquivalenz im Arbeitsverhältnis, ZfA 1994, 463 (474). 141 Darauf hinweisend Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 419. 142 Vgl. hierzu Dornbusch/Volk, Fn. 5, § 1, Rn. 420; Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 629; Preis, Fn. 10, Rn. 1010. 143 BAG, 24.03.1983, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 12; BAG, 18.01.1990, AP § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 19; BAG, 29.03.1990, § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50. Vgl. zum Folgenden auch Reiner Ascheid, Beweislastfragen im Kündigungsschutzprozess, 1989, S. 151 ff. 144Siehe etwa BAG, 20.01.194, AP § 1 KSchG 1969 Konzern Nr. 8. 145 Hierzu Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 649 f. 146 BAG, 06.06.1984, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 16; BAG, 10.10.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81; BAG, 27.02.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 1; BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 406; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 550; v. HoyningenHuene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 406. 147 Vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 406; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 406. 148 BAG, 27.09.1984, AP § 613 a BGB Nr. 39; BAG, 27.02.1987, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 41; BAG, 19.06.1991, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70; BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 550; Dorndorf, Fn. 60, § 1, Rn. 944. Teilweise hält es das BAG bereits für ausreichend, dass „mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben ist“, vgl. BAG, 19.05.1988, AP § 613 a BGB Nr. 75; BAG, 18.01.2001, DB 2001, 1370. Differenzierend dagegen Kiel, Fn. 34, § 1 KSchG, Rn. 454. 149 BAG, 12.04.2002, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120. 150 Kritisch daher auch Jobst-Hubertus Bauer/Ulrich Baeck, Anm. zu BAG, Urteil vom 12.4.2002, 2 AZR 256/01, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, RdA 2003, 173 (174). Aufsätze Im Falle einer unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG er- 3. Beurteilungszeitpunkt (Prognoseprinzip) klärten Annahme des Änderungsangebots muss der Arbeitgeber dagegen eine Änderungskündigung erklären.139 Für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung ist auf den Zeitpunkt des Im Schrifttum140 wird die vom BAG vertretene vorrangige Zugangs der Kündigungserklärung abzustellen.146 Als in Verhandlungslösung überwiegend abgelehnt. Im letztge- die Zukunft gerichtete personelle Maßnahme müssen nannten Fall der Vornahme unter Vorbehalt führte sie bei der Kündigung jedoch auch die zu diesem Zeitpunkt zu der merkwürdigen Konstruktion, dass der Arbeitgeber feststehenden künftigen Entwicklungen berücksichtigt ein inhaltlich identisches Angebot mal in Form eines Än- werden.147 Bei der betriebsbedingten Kündigung ist also derungsangebots und mal in Form einer Änderungskün- nach dem künftigen Beschäftigungsbedarf zu fragen: Es digung machen muss.141 Gegen die Auffassung des BAG ist ausreichend, wenn die der Kündigung zugrunde liespricht zudem, dass die Interessen des Arbeitnehmers genden Maßnahmen bereits greifbare Formen angenomauch dann gewahrt bleiben, wenn der Arbeitgeber kein men haben und eine vernünftige betriebswirtschaftliche vorheriges Änderungsangebot unterbreitet.142 Entgegen Betrachtung zu der Prognose führt, dass spätestens mit der Auffassung des BAG sollte es daher dem Arbeitgeber Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist die geplante unbenommen bleiben, sofort eine Änderungskündigung Maßnahme durchgeführt und der Arbeitnehmer damit verbunden mit schlechteren Arbeitsbedingungen auszu- entbehrlich sein wird.148 sprechen. An dieser Voraussetzung fehlt es nach Auffassung des BAG bei einer sog. Vorratskündigung: Beteiligt sich ein f) Darlegungs- und Beweislast Reinigungsunternehmen an der Neuausschreibung eines Für die gerichtliche Nachprüfung des Fehlens einer Auftrags, weil der noch laufende Reinigungsauftrag nicht Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gelten wiederum die verlängert worden ist, so ist eine vor der VergabeentscheiGrundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweis- dung erklärte Kündigung vorsorglich für den Fall, dass last143: Demnach muss der Arbeitgeber zunächst dar- die Ausschreibung nicht gewonnen wird, als sog. Vortun, dass eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ratskündigung unwirksam.149 Hiergegen ist jedoch einim Betrieb oder Unternehmen nicht vorhanden ist. Erst zuwenden, dass allein aus der Teilnahme an einer Ausdann obliegt es dem Arbeitnehmer darzulegen, wie er schreibung noch nicht auf den Erhalt des Auftrags und sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Nach ent- somit auf das Bestehen eines Beschäftigungsbedarfs gesprechender Rüge des Arbeitnehmers muss der Arbeit- schlossen werden kann.150 geber schließlich im Einzelnen erläutern, warum eine Versetzung nicht möglich ist.144 Bei einer Weiterbeschäf- Liegen zum Zugangszeitpunkt der Kündigungserklärung tigungsmöglichkeit nach Umschulung bzw. Fortbildung die Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung oder zu geänderten Bedingungen gelten diese Grundsät- vor, so wird diese nicht nachträglich unwirksam, wenn ze entsprechend.145 sich die betrieblichen Verhältnisse z. B. durch eine unerwartet gute Entwicklung der Auftragslage bis zum Ablauf Aufsätze 120 Sven Fischerauer – Betriebsbedingte Kündigung (Teil 2) GreifRecht Heft 2/Oktober 2006 der Kündigungsfrist positiv verändern.151 Zum Schutz IV. Schlussbetrachtung des Arbeitnehmers vor einem grundlosen Verlust seines Arbeitsplatzes kommt aber in diesen Fällen ein Wieder- Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass im Beeinstellungsanspruch in Betracht.152 reich der betriebsbedingten Kündigung bislang nur die vom BAG entwickelten groben Prüfungsraster unumstritten sind. Nähert man sich den Einzelproblemen, so III. Exkurs: Abfindungsanspruch bei wird deutlich, dass auch nach einer über 50jährigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema der betriebsbedingter Kündigung, § 1 a KSchG Teufel letztlich im Detail steckt. Die „Gretchenfrage“157 In Reaktion auf die gerichtliche und außergerichtliche ist dabei regelmäßig die Reichweite der gerichtlichen Abfindungspraxis153 hat der Gesetzgeber im Jahr 2004 Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen. Angesichts mit § 1 a KSchG einen gesetzlichen Abfindungsanspruch der verfassungsrechtlich geschützten unternehmerischen bei betriebsbedingter Kündigung geschaffen. Nach § 1 a I Freiheit ist die der betriebsbedingten Kündigung vorgelaKSchG steht dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht zwischen gerte Unternehmerentscheidung nur einer MissbrauchsKündigungsschutzklage und Abfindung zu, wenn der kontrolle unterworfen, die keinesfalls dazu führen darf, Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass im Ergebnis doch die Unternehmerentscheidung auf dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erforder- ihre wirtschaftliche Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit nisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichen- geprüft wird. Wie das „Rheumaklinik-Urteil“ exemplalassen der Klagefrist des § 4 1 KSchG eine Abfindung be- risch verdeutlicht, birgt bislang jeder Kündigungsschutzanspruchen kann.154 Darin liegt ein erster Versuch155, den prozess für den Arbeitgeber ein erhebliches Prozessrisiko. Arbeitgeber im Falle der betriebsbedingten Kündigung Insofern ist es nicht verwunderlich, dass viele Arbeitgeber vor dem erheblichen Prozessrisiko einer Kündigungs- früher oder später die Flucht in eine gerichtliche oder auschutzklage zu bewahren, indem er das unbeanstandete ßergerichtliche Abfindungsvereinbarung antreten.158 Ausscheiden des Arbeitnehmers mit einer Abfindung „belohnt“. In der Sache soll neben den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit eines arbeitgeberseitig initiierten Abfindungsschutzes treten.156 151 BAG, 28.04.1988, AP § 613 a BGB Nr. 74; BAG, 10.10.1996, AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81; BAG, 27.02.1997, NZA 1997, 757; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 407; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 729; v. Hoyningen-Huene/Linck, Fn. 30, § 1, Rn. 407. 152 BAG, 27.02.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 1; BAG, 06.08.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 2; BAG, 04.12.1997, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 4; BAG, 12.11.1998, AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 5; BAG, 28.06.2000, ZIP 2000, 1781 (1783 f.). Zu den Voraussetzungen und zur dogmatischen Herleitung siehe auch Preis, Fn. 10, Rn. 1026 ff.; Ascheid, Fn. 41, § 1 KSchG, Rn. 433; Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 552, 729 ff.; Martin Beckschulze, Der Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung, DB 1998, 417 ff.; Hartmut Oetker, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes, ZIP 2000, 643 ff. 153 Hierzu Bauer, Fn. 6, 529 f.; Willemsen, Fn. 8, 2779 (2780). 154 Ausführlich zu den Anspruchsvoraussetzungen Etzel, Fn. 5, § 1 a KSchG, Rn. 23 ff.; Ulrich Preis, Die „Reform“ des Kündigungsschutzrechts, DB 2004, 70 ff.; Heinz Josef Willemsen/Georg Annuß, Kündigungsschutz nach der Reform, NJW 2004, 177 (181 ff.). 155 Kritisch zur Bedeutung der Norm Etzel, Fn. 5, § 1 KSchG, Rn. 11; Bauer/Preis/Schunder, Fn. 32, 195 (196 f.); Alexander Wolff, Die qualifizierte Abfindungsvereinbarung nach § 1 a KSchG – eher Steine als Brot für die Praxis, BB 2004, 378 (381). 156 Vgl. hierzu und zum verfassungsrechtlichen Hintergrund Sudabeh Kamanabrou, Verfassungsrechtliche Aspekte eines Abfindungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen, RdA 2004, 333 ff. Zu den Vor- und Nachteilen der Neuregelung für den Arbeitgeber und Arbeitnehmer siehe Etzel, Fn. 5, § 1 a KSchG, Rn. 15 ff.; Frank Maschmann, Neuer gesetzlicher Abfindungsanspruch, AuA 2003, 6 ff. 157 Bernd Preis, Betriebsbedingte Kündigung zwischen dringenden betrieblichen Erfordernissen und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, NZA 1997, 625. 158 Siehe stellvertretend die Einschätzung von Bauer, Fn. 6, 529.