Bye-bye, Bad Boy

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Bye-bye, Bad Boy
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KULTUR&GESELLSCHAFT
MZ Samstag, 30. Januar 2010
FOYER
zettel
R E N Z O WE L L I N G E R
In Ihrer Autobiografie fragen Sie
sich, warum Ihre Fans sich alles von
Ihnen, einem ganz normalen Jungen, kaufen. Haben Sie mittlerweile
eine Antwort darauf?
Bushido: Heutzutage gibt es so viele
erfolgreiche Musiker, die letztlich
nur ein konstruiertes Produkt sind.
Hinter Lady Gaga zum Beispiel stecken Leute, die bestimmen: «Morgen
tun wir mal so, als wärst du ein
Zwitter.» Solche Schlagzeilen sorgen
natürlich für Aufsehen. Aber sie ist
dabei nicht sie selbst. Ich habe immer alles aus dem Bauch heraus gemacht. Hinter mir steht keine Maschinerie.
Genau wie Lady Gaga fallen Sie in
erster Linie mit Provokationen auf.
Sind Sie rund um die Uhr Bushido
oder sind Sie privat Anis Mohamed
Youssef Ferchichi?
Bushido: Das klingt ein bisschen
schizophren. Ich würde nie sagen,
beruflich bin ich Bushido und wenn
ich zu meiner Mutter gehe, bin ich
«Ich könnte in die
Bibliothek gehen
und dennoch ein
Gangsta-Rapper sein»
ihr Sohn Anis. Ich versuche einfach,
ich selbst zu sein. Ich bin 24 Stunden ich.
Das bedeutet, dass Sie sich ständig
der Öffentlichkeit preisgeben. Ist das
auf Dauer nicht anstrengend?
Bushido: Ich wüsste nicht, weshalb
F E L I X S TR A U M A N N
Deutsche
sind böse
ES GEHÖRT zu den schönen
Seiten des Älterwerdens, dass
sich plötzlich gewisse Zusammenhänge erschliessen, auf
die man früher nie gekommen
wäre. So musste ich erst Vater
werden, um auf den wahren
Grund zu stossen, warum viele
Schweizer – auch wenn sie es
selbst nicht zugeben – im
Innersten überzeugt sind,
dass die Deutschen böse sind.
Schuld ist nämlich Jörg
Schneider, unser Volksschauspieler und ewiger Kasperli.
Bye-bye,
Bad Boy
Die Songs des
deutschen
Gangsta-Rappers
Bushido (31)
provozieren. Die
Zeiten als böser
Bube seien nun
aber vorbei –
sagt er.
Klar wurde mir das kürzlich
beim Anhören einer uralten
Dialektfassung des GrimmMärchens «Der gestiefelte Kater», die Schneider geschrieben
und zusammen mit den weiteren Mundartstars wie Ruedi
Walter und Inigo Gallo aufgenommen hat. König Pfifferlin,
Hofmarschall Buckelknicks,
Prinzessin Violanda und auch
der arme Müllergeselle Hans –
alle haben ihre Fehler, sind
aber trotzdem irgendwie sympathisch. Und natürlich reden
sie Dialekt, wie es sich für ein
anständiges Mundarthörspiel
gehört. Nicht jedoch Zauberer
Abbrakkarax, der «Meister aller bösen Geister». Dieser
spricht stimmgewaltig ein lupenreines Bühnendeutsch, sodass es einem kalt den Rücken
runterläuft. Und was er sagt,
ist böse, böse, böse. Und fies.
Und gemein.
ich manche meiner Seiten vor der
Öffentlichkeit verstecken sollte. Ich
versuche, mit den Leichen in meinem Keller offen umzugehen, weil
ich nicht möchte, dass jemand, der
mir negativ gesinnt ist – und davon
gibt es einige – mir zuvorkommt.
Deshalb war ich auch damit einverstanden, in meinem Buch sehr intime Dinge zu thematisieren.
war gleichzeitig auch mein Frisör.
Das ist aber Vergangenheit. Heute
konzentriere ich mich lieber auf die
Shows. Oder ich besuche kranke Kinder. Ich möchte lieber den Menschen etwas geben, anstatt abzuchecken, welche Olle ich vögeln könnte.
Ist Bushido zahm geworden?
Bushido: Das war ich schon immer.
War das rüpelhafte Benehmen
also lediglich ein Image?
Bushido: Das habe ich mir nicht
ausgedacht. Ich habe einfach verschiedene Facetten. Ich könnte mit
meinen Kumpels in die Bibliothek
gehen und Bücher über Quantenphysik lesen und dennoch ein
Gangsta-Rapper sein. Ich bin nicht
nur Gangster. Dass ich mit 31 noch
immer mit meiner Mutter zusammenlebe, sie für mich kocht und ich
mich um sie kümmere, ist genauso
ein Teil meines Lebens. Ich sehe mir
auch Bundestagsdebatten im Fernsehen an, lese Zeitungen und Bücher – das bin alles ich.
Im Februar erscheint Ihr neuntes
Solo-Album. Sind darauf Songs enthalten, die wieder auf dem Index
landen könnten?
Bushido: Auf keinen Fall! Ich wur-
de seit 2005 nicht mehr indiziert.
Ich habe schon vor Jahren den
Kontakt zur Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien gesucht. Denn im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen habe ich mich
immer dafür interessiert, was die
Verantwortlichen dort zu sagen
haben. Natürlich kann man, wenn
sie deine Musik verbieten, den Mittelfinger hochstrecken und sagen
«Fick den Index!» – das würde ich
aber nie machen. Das ist eine Institution, genau wie das Finanzamt,
SONY MUSIC
Wie zum Beispiel den während der
Tour von einem «Gangbang-Koordinator» organisierten Sex?
Bushido: Ja, den gab es wirklich. Er
die man sich nicht einfach wegwünschen kann.
Sie gelten als Inbegriff des deutschen Rüpel-Rappers. Stimmt es,
dass Sie früher Madonna
und Roxette gehört haben?
Bushido: Immer noch. Unglaublich,
wa! Depeche Mode, U2, Oasis,
Rammstein . . .
Deutschlands Gangsta-Rapper Nummer eins hört also nicht nur Rap?
Bushido: Ich interessiere mich
kaum mehr für Rap – für deutschen
Rap sowieso nicht. Ich möchte mir
durch Rap nicht meinen Horizont
verkleinern.
Sie hören keinen Rap, leben mit Ihrer Mutter zusammen und respektieren die Jugendschützer. Sind Ihre
Zeiten als Gangsta-Rapper vorbei?
Bushido: Zeiten ändern dich! Natür-
lich kann man einen auf Peter Pan
machen und seiner Jugend hinterherrennen. Aber wir alle müssen irgendwann das eigene Spiegelbild
betrachten und erkennen, wer da
vor uns steht. Ich glaube, ich habe
das ganz gut hingekriegt, mich einerseits zu verändern, aber mir
gleichzeitig treu zu bleiben.
Wie hat Ihre Mutter darauf reagiert,
als sie erfuhr, dass sie von Hannelore Elsner dargestellt wird?
Bushido: Meine Mutter konnte das
im ersten Moment gar nicht fassen.
Plötzlich stand in der BoulevardPresse: «Hannelore Elsner spielt Bushidos Mama». Da hat dann auch
meine Oma aus Bayern angerufen
«Ich möchte mir durch
deutschen Rap nicht
meinen Horizont
verkleinern»
und war ganz stolz, dass ihre Tochter von einer so prominenten Schauspielerin dargestellt wird. Das war
für uns wie ein kleines Wunder von
Bern.
Hatten Sie Schauspielunterricht?
Bushido: Nein.
Sind Sie etwa ein Naturtalent?
Bushido: Das kann ich nicht beur-
teilen. Alle von der Crew waren jedenfalls sehr zufrieden mit meiner
schauspielerischen Leistung – das
sind Lorbeeren von Experten. Und
das bedeutet mir mehr als eine gute
Filmkritik.
Was ist es für ein Gefühl, sein eigenes Leben, von bekannten Schauspielern dargestellt, auf der grossen
Leinwand zu sehen?
Bushido: Ich hab mir den Film ge-
Was denken Sie, wie der Film aufgenommen wird, insbesondere in der
Hip-Hop-Szene?
Bushido: Die Szene ist bekannt da-
meinsam mit der ganzen Bande –
Uli Edel, Bernd Eichinger und den
Leuten von der Produktion – angesehen. Als der Film zu Ende war und
das Licht im Saal anging, war ich
sprachlos und hab mir gedacht:
«Krass, Mann, das ist dein Leben.»
für, dass sie von Neid geprägt ist.
Das ist wie beim Fussball: Die Anhänger eines bestimmten Vereins
schwärmen nicht für die Spielerleistungen eines anderen. Dadurch,
dass ich so erfolgreich bin, hat sich
meine Hater-Gemeinschaft, also die
BUSHIDO
Der 1978 geborene
Anis Mohamed
Youssef Ferchichi
alias Bushido ist
mit über 1,5 Mio.
verkauften Tonträgern sowie acht
goldenen und zwei
Platin-Schallplatten
der erfolgreichste
deutsche Rapper.
Seine im Herbst
2008 veröffentlichte
Autobiografie
avancierte zum
Bestseller. Basierend auf dem Buch,
bringt das Dreamteam Bernd Eichinger und Uli Edel
(«Der Baader Meinhof Komplex») das
Leben des Rappers
auf die Leinwand.
«Zeiten ändern
dich» läuft ab Donnerstag im Kino.
Mitte Februar erscheint Bushidos
neuntes Solo-Album. Im Frühjahr
geht er damit auf
Tour. (RW)
Zahl der Missgönner, vergrössert.
Diese Kritiker habe ich ja nach wie
vor überall – ob in der Mittelstandsgesellschaft, bei der Polizei, in der
Hip-Hop-Community oder in der Politik. Dennoch glaube ich, dass viele,
die sich den Film ansehen, positiv
überrascht sein werden.
Warum?
Bushido: Es geht nicht um einen Ty-
pen, der Drogen verkauft und sein
Geld im Puff vervögelt. Das wäre das
typische Bild des Gangsta-Rappers.
Man muss nicht immer auf die Kacke hauen, um die Leute zu provozieren.
Hätten Sie bei der Verfilmung Ihres
Lebens nicht gerne selbst Regie
geführt?
Bushido: Uli Edel hat mir diverse
Freiheiten gelassen. Er hat zwar immer klargemacht, wer der Regisseur
ist, seine Ideen waren aber nicht in
Stein gemeisselt. Ich konnte immer
meinen Senf dazugeben. Das war
ein schönes Miteinander.
Apropos «Schönes Miteinander»:
Sie sind muslimisch erzogen worden. Was sagen Sie zum Minarettverbot?
Bushido: Ich finde es traurig, dass
ein Land sich dafür entscheidet, eine bestimmte Glaubensgruppierung bei der Ausübung ihrer Religion zu behindern. Aber das ist nicht
das Resultat von Fremdenhass, sondern von Angst. Wenn in den Medien jeden Tag Angst geschürt wird,
darf man sich nicht beschweren,
wenn die Mehrheit der Bevölkerung dann eingeschüchtert ist. Ich
hätte eigentlich Politiker werden
sollen.
Wer in der Kindheit mit solchen Rollen konfrontiert wird,
der kann nichts für die Bilder
in seinem Innersten. Da
braucht man sich nicht zu
wundern. Doch wäre es heute
nicht angebracht, dass wir unseren Nachwuchs endlich mit
politisch korrekten Mundarthörspielen versorgen? Ich finde, dass der Kaschperle auch
mal schwäbeln könnte. Und
dass dem Prinzessche eine Berliner Schnauze gut stehen
würde. Dann würde sich unser
leidiges Deutschlandproblem
flugs wie von selbst lösen.
[email protected]
Felix Straumann
ist Redaktor im Foyer.
aktuell
Filmfestivals
vereinigen sich
Im Rahmen der 45. Solothurner
Filmtage haben sich Schweizer
Filmfestivalveranstalter getroffen und beschlossen, deren
Kräfte zu bündeln. Ziel der Vereinigung, die formell während
des Internationalen Filmfestivals Freiburg im März gegründet wird und bei der von Locarno bis Fantoche alle grossen
Festivals dabei sind, seien die
Vertretung gemeinsamer Interessen in der Öffentlichkeit sowie die Aufstockung der Bundesbeiträge zur Stärkung der
Festivals. Angestrebt wird ferner ein intensivierter Austausch
im operativen, technischen und
strategischen Bereich. (MZ)