Zeugenschaft - Ita Wegman Institut

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Zeugenschaft - Ita Wegman Institut
Zeugenschaft
«Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch», konstatierte
der Philosoph und Kulturkritiker Theodor W. Adorno. Gedichte von Wert
und großer Bedeutung aber wurden bereits in Auschwitz geschrieben, zur
Zeit der Konzentrationslager. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten
dann zahlreiche Überlebende an der inneren Bewältigung des Geschehenen mit ihrer Sprache. Darunter waren Paul Celan (1920–1970) und Nelly
Sachs (1891–1970).
as Diktum Theodor Adornos
wurde in der bundesdeutschen
Nachkriegsdebatte zumeist auf
die ‹Todesfuge› bezogen – ein hochmusikalisches Gedicht, das von Paul Celan
im Mai 1945 in Bukarest niedergeschrieben worden war, im Erinnern an
die Konzentrationslager und ihre Opfer
– «Schwarze Milch der Frühe wir trinken
sie abends …» («in diesem Gedicht habe
ich versucht, das Ungeheuerliche der
Vergasungen zur Sprache zu bringen»).*
Adorno nahm sein hartes Urteil später
zurück, möglicherweise nach der Realbegegnung mit dem lyrischen Werk Celans: «Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie das
Gemarterte zu brüllen; darum mag
falsch gewesen sein, nach Auschwitz
D
Foto: Gisèle Celan-Lestrange
Dichtung nach Auschwitz
Paul Celan, Nelly Sachs und die ‹unverlorene Sprache› | Peter Selg
Rang um die Zukunft der deutschen Sprache: Paul Celan, in seiner Pariser Wohnung, 1958
ließe kein Gedicht sich mehr schreiben.» Und: «Der Begriff einer nach
Auschwitz auferstandenen Kultur ist
scheinhaft und widersinnig, und dafür
hat jedes Gebilde, das überhaupt noch
entsteht, den bitteren Preis zu bezahlen.
Weil jedoch die Welt den eigenen
Untergang überlebt hat, bedarf sie
gleichwohl der Kunst als ihrer bewusstlosen Geschichtsschreibung. Die au-
thentischen Künstler der Gegenwart
sind die, in deren Werken das äußerste
Grauen widerhallt.»
Paul Celan – erinnernde Rechenschaft
1958, zwölf Jahre vor seinem Selbstmord in Paris, sagte Paul Celan in seiner
Rede zur Verleihung des Literaturpreises
der Stadt Bremen: «Erreichbar, nah und
wegung, Unterwegssein, es war der Versuch, Richtung zu gewinnen. Und wenn
ich es nach seinem Sinn befrage, so
glaube ich, mir sagen zu müssen, daß in
dieser Frage auch die Frage nach dem
Uhrzeigersinn mitspricht. / Denn das
Gedicht ist nicht zeitlos. Gewiß, es erhebt einen Unendlichkeitsanspruch, es
sucht, durch die Zeit hindurchzugreifen
– durch sie hindurch, nicht über sie hinweg. / Das Gedicht kann, da es ja eine
Erscheinungsform der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist,
eine Flaschenpost sein, aufgegeben in
dem – gewiß nicht immer hoffnungsstarken – Glauben, sie könnte irgendwo
und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht. Gedichte
sind auch in dieser Weise unterwegs: sie
halten auf etwas zu. / Worauf? Auf etwas
Offenstehendes, Besetzbares, auf ein ansprechbares Du vielleicht, auf
eine ansprechbare Wirklichkeit.»
Bemühen um das «echte
Wort»
Paul Celan stammte aus Czernowitz in der Bukowina, aus einer Gegend, in der «Menschen
und Bücher lebten», aus der
Landschaft der chassidischen Geschichten. Er verlor seine Eltern
und viele seiner Freunde in den
Arbeits- und Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, rettete seine eigene Existenz vor den
Deportationen und schuf sein lyrisches Werk im Exil, in einer (so
Moshé Feldenkrais) «abgrundtiefen Frömmigkeit ohne Glauben»
– «– durchgründet vom Nichts, /
ledig allen / Gebets, / feinfügig».
Paul Celan für Nelly Sachs: Gedichthandschrift
Paul Celan schrieb in deutscher
‹Zürich, Zum Storchen›, 30. Mai 1960
Sprache, an der er ungebeugt festhielt und um deren Zukunft er
unverloren blieb inmitten der Verluste rang, angesichts all dessen, was mit ihr
dies eine: die Sprache. / Sie, die Sprache, und durch sie geschehen war, in den
blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie «tausend Finsternissen todbringender
mußte nun hindurchgehen durch ihre Rede»: «Parolen und Diffamierungen,
eigenen Antwortlosigkeiten, hindurch- pseudowissenschaftliches Dogma, Progehen durch furchtbares Verstummen, paganda, Euphemismus und Jargon wahindurchgehen durch die tausend Fins- ren es, die jede Vernichtungs-‹Aktion› in
ternisse todbringender Rede. Sie ging Gang setzten, von den ersten Rasse-‹Gehindurch und gab keine Worte her für setzen› über die ‹Sonderbehandlung› in
das, was geschah; aber sie ging durch den Lagern bis zur letzten ‹Umsiedlung›
dieses Geschehen. Ging hindurch und von jüdischen Waisenkindern» (John
durfte wieder zutage treten, ‹angerei- Felstiner). Celan schrieb in deutscher
chert› von all dem. / In dieser Sprache Sprache und in der Bemühung, «in den
habe ich, in jenen Jahren und in den Worten wieder die Namen der Dinge [zu]
Jahren nachher, Gedichte zu schreiben vernehmen», in der Bemühung um das
versucht: um zu sprechen, um mich zu «echte Wort», das dem Namen Gottes
orientieren, um zu erkunden, wo ich zugehörig ist, in der Bemühung um die
mich befand und wohin es mit mir heile Innenseite der gebrochenen Sprawollte, um mir Wirklichkeit zu entwer- che in einer entstellten Welt. Celans Lyfen. / Es war, Sie sehen es, Ereignis, Be- rik war den Opfern verbunden, den ToDas Goetheanum | Nr. 50 · 08 | Schwerpunkt Sprache
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Foto: Anna Riwkin
Heilende Bemühung um die erkrankte Sprache: Nelly Sachs, undatiert
ten, deren er mit seiner Sprache gedachte,
in der «messianischen Kraft der Erinnerung» (Walter Benjamin) und im Hinblick
auf die Zukunft, in der Sammlung der Fragmente, des Zerschlagenen und der «Funken». Paul Celan setzte sich in der zweiten
Hälfte seines Lebens intensiv mit dem esoterischen Judentum auseinander, wie auch
Nelly Sachs; sein letztes Gedicht vor dem
todbringenden Gang in die Pariser Seine
(am 20. April 1970), endete mit dem Sabbath-Wort:
Rebleute graben
die dunkelstündige Uhr um,
Tiefe um Tiefe,
du liest,
es fordert
der Unsichtbare den Wind
in die Schranken,
du liest,
die Offenen tragen
den Stein hinterm Aug,
der erkennt dich,
am Sabbath.
Nelly Sachs – «ekstatische Seele»
Am Tag der Bestattung ihres Freundes
und Kollegen Paul Celan auf dem Pariser
Friedhof Thiais starb in Stockholm Nelly
Sachs, als «jüdische Dichterin deutscher
Sprache». Nelly Sachs, fast drei Jahrzehnte älter als Celan, war am 16. Mai
1940 aus Berlin mit einer der letzten Passagiermaschinen der ‹Endlösung› nach
Schweden entkommen, mit ihrer alten
Mutter. Bereits 1942 hatte sie begonnen,
in ihren Exilgedichten vom Marytrium
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Schwerpunkt Sprache | Das Goetheanum | Nr. 50 · 08
des jüdischen Volkes zu sprechen und
seiner Opfer individuell zu gedenken –
parallel zu den Geschehnissen in Auschwitz und an anderen Orten, in einer immensen Anstrengung der Teilhabe und
versuchten inneren Begleitung. Über die
Entstehung ihrer ‹Elegien von den Spuren im Sand› und ihrer ‹Grabschriften in
die Luft geschrieben› betonte sie in einem
Brief vom September 1944: «Krank vor
Schreck und Entsetzen um alles was wir
vorher erlebten, die geliebtesten Menschen sind mir von der Seele gerissen in
Polen dahingegangen, und da waren es
einige Nächte, wo ich ihr Sterben fühlte
oder vielmehr zerrissen wurde vor
Schmerz. Das sind die Elegien, das sind
die Grabschriften. […] Ich habe nichts
an den Elegien getan, ich habe sie niedergeschrieben, wie die Nacht sie mir gereicht hat.» Anders als Paul Celan, dessen
Arbeit sich in der erinnernden Rechenschaft vollzog, in der Dauerpräsenz des
scheinbar Vergangenen, lebte Nelly
Sachs’ «ekstatische Seele» in Bildern und
Gesichten, im Pathos eines sehnsuchtsgetragenen Aufbruchs, einer kosmischen
Poesie. Aber auch ihre Arbeit war eine
Form der Zeugenschaft, des Erinnerns um
der Zukunft willen – im Angesicht einer
zuvor unvordenklichen Zäsur der Geschichte. Im ersten Sommer nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb
Nelly Sachs vom ‹Chor der Tröster›:
Gärtner sind wir, blumenlos gewordene
Kein Heilkraut läßt sich pflanzen
Von Gestern nach Morgen.
Der Salbei hat abgeblüht in den Wiegen –
Rosmarin seinen Duft im Angesicht der
neuen Toten verloren –
Selbst der Wermut war bitter nur für
gestern.
Die Blüten des Trostes sind zu kurz entsprossen
Reichen nicht für die Qual einer Kinderträne.
Neuer Same wird vielleicht
im Herzen eines nächtlichen Sängers
gezogen.
Wer von uns darf trösten?
In der Tiefe des Hohlwegs
Zwischen Gestern und Morgen
Steht der Cherub
Mahlt mit seinen Flügeln die Blitze der
Trauer
Seine Hände aber halten die Felsen auseinander
Von Gestern und Morgen
Wie die Ränder einer Wunde
Die offenbleiben soll
Die noch nicht heilen darf.
Nicht einschlafen lassen die Blitze der
Trauer
Das Feld des Vergessens.
Wer von uns darf trösten?
Gärtner sind wir, blumenlos gewordene
Und stehn auf einem Stern, der strahlt
Und weinen.
Ringen um das «gesegnete Wort»
In einem Brief an Carl Seelig vom Oktober 1947 hielt Nelly Sachs über ihr Gedicht ‹Chor der Tröster› und über ihr lyrisches Selbst- und Arbeitsverständnis ‹nach
Auschwitz› fest: «Wir nach dem Martyrium unseres Volkes sind geschieden von
allen früheren Aussagen durch eine tiefe
Schlucht, nichts reicht mehr zu, kein
Wort, kein Stab, kein Ton – (schon darum
sind alle Vergleiche überholt) was tun,
schrecklich arm wie wir sind, wir müssen
es herausbringen, wir fahren zuweilen
über die Grenzen, verunglücken, aber wir
wollen ja dienen an Israel, wir wollen doch
keine schönen Gedichte nur machen, wir
wollen doch an unseren kleinen elenden
Namen, der untergehen kann, nicht das
Unsägliche, das Namenlose heften, wenn
wir ihm nicht dienen können. Nur darum
geht es, denke ich, nur darum, und deswegen unterscheiden wir uns von den früheren, denn der Äon der Schmerzen darf
nicht mehr gesagt, gedacht, er muß durchlitten werden. – So glaube ich auch oder
besser, ich fühle es von immer her, wie
die Kräfte, die das Leiden gelöst hat, sich
im Unendlichen sammeln, um ‹Neues› zu
gebären, daß die Liebe Welten schaffen
kann […].» Auch die Geheimnisse einer
«apokalyptischen Zeit» müssen, so Nelly
Sachs, ihren künstlerischen Ausdruck finden («es muss mit allen neuen Mitteln gewagt werden, denn die alten reichen nicht
mehr aus»). In dieser zukunftsweisenden,
heilenden Bemühung um das «leidende
Papier» und die erkrankte Sprache, als Ausdruck einer inneren Arbeit in der «Durchschmerzung» und «Durchseelung des Staubes», sah Nelly Sachs Paul Celan
vorausgehend, den «Hölderlin unserer
Zeit». Aber auch sie selbst war bis zuletzt
darum bemüht, das gefallene und dennoch «gesegnete Wort» in seine ureigentliche Heimat zu entführen, «vielleicht zurück zu seinem magnetischen Punkt / der
Gottdurchlässig ist». An Paul Celan schrieb
sie in einem Brief: «Ich glaube an ein unsichtbares Universum darin wir unser dunkel Vollbrachtes einzeichnen.» ó
* Alle Zitate nach Schreibweise der Originalquellen, siehe Peter Selg:«Alles ist unvergessen.
Paul Celan und Nelly Sachs», Dornach 2008.