Italienisch mit fränkischem Akzent
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Italienisch mit fränkischem Akzent
Samstag/Sonntag, 4./5. Juni 2016 HERSBRUCKER SCHWEIZ Seite 9 Italienisch mit fränkischem Akzent Bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern gibt es einige Besonderheiten – Meinungen über Vor- und Nachteile gehen auseinander Vanesa Rafaila Elena spricht rumänisch mit ihren Eltern und Großeltern, spanisch mit ihren Kindergartenfreundinnen und Deutsch mit ihren Klassenkameradinnen. Sie ist vor fast neun Jahren in Madrid geboren und mit fünf Jahren mit ihren rumänischen Eltern nach Deutschland gezogen. HERSBRUCK – Ada spricht mit ihrer Mama Italienisch und mit ihrem Papa Deutsch, besser gesagt: Hersbruckerisch. Deswegen kann sie den fränkischen Zungenschlag auch in ihrem ansonsten astreinen Italienisch nicht ganz verleugnen. Das und viele andere kleine Besonderheiten von Kindern, die mit mehr als einer Sprache jonglieren müssen, sieht die Forschung heute gelassener als noch vor ein paar Jahren. Mehrsprachigkeit bei Kindern wird heute fast durchweg als vorteilhaft eingestuft. Die ersten Wochen im Kindergarten, erst in Madrid, dann in Hersbruck, waren nicht leicht für sie, denn sie konnte sich überhaupt nicht mit den anderen Kindern verständigen, nicht einmal fragen: „Darf ich mitspielen?“. Aber sie fand immer geduldige Lehrerinnen, die ihr beim Einstieg in die fremde „Umgebungssprache“ geholfen haben. „Mamma, vieni con me al Kaufladen!“, fordert Ada ihre Mutter zum Mitspielen auf. Solche Vermischungen der zwei Sprachen, mit denen ein Kind aufwächst, fanden die Wissenschaftler noch vor kurzem bedenklich. Inzwischen sind sie der Meinung: Das wächst sich aus. Und die Vorteile der Mehrsprachigkeit überwiegen: Die Kinder können sich besser konzentrieren und Konflikte lösen, sich besser in andere hineinversetzen. Ihr Gehirn ist viel flexibler, bis ins hohe Alter. Geforscht wird auf diesem Gebiet fleißig und das ist auch gut so. Dr. Anja Leist-Villis, Verfasserin von „Elternratgeber Zweisprachigkeit“, stellt auf ihrer Webseite „Zweisprachigkeit.net“ fest, dass frühkindliche Zweisprachigkeit im vereinten Europa längst nicht mehr die Ausnahme ist. Mehr „Mischehen“ Durch flexible Wahl des Arbeitsortes, wirtschaftliche Kooperationen über nationale Grenzen hinweg, Wanderungsbewegungen und durch Angehörige der zweiten und dritten Einwanderergeneration kommt es mit stetig steigender Tendenz dazu, dass Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher Muttersprache geschlossen werden: In Deutschland waren im Jahr 1991 drei Prozent aller Ehen mit Kindern unter 18 Jahren binational, 2014 waren es bereits 12 Prozent. Betrachtet man, so LeistVillis, allein die unter Sechsjährigen, so sind es sogar 14 Prozent, die in diesem für den Spracherwerb entscheidenden Alter in binationalen Familien aufwuchsen. Bedenklich finden das nur noch Einzelne, zum Beispiel die Forscherin und Psychologin Erika Hoff von der Florida Atlantic Universität in Davie, USA. Wer seinen Nachwuchs zweisprachig großzieht, tut ihm ihrer Meinung nach nicht nur Gutes. Sprachen sind Eine Multikulti-Gesellschaft bringt auch Bilingualität mit sich. selbst für die Jüngsten kein Kinderspiel, warnt die Psychologin. Bilinguale Kinder bräuchten länger als Gleichaltrige, um die Muttersprache zu erlernen, und mehrere Studien zeigten, dass diese Kinder in beiden Sprachen einen geringeren Wortschatz haben und sich mit der Grammatik schwerer tun. Das könne sie in Kindergarten und Schule benachteiligen. Doch meistens handelt es sich bei den „Problemkindern“ nur um Spätentwickler, räumt die Studie, an der Hoff mitgearbeitet hat, ein. „Vier Fünftel von ihnen holen ihr anfängliches Sprachdefizit von allein nach.“ (Welt.de: „Zweisprachige Erziehung verzögert Sprachentwicklung“, 25.02.2012). tiert, das in einer gelernten Sprache unter den Tisch fallen würde, erläuterte Julia Blanco Lopez von der Ludwigs-Maximilians-Universität in ihrem Vortrag über mehrsprachig aufwachsende Kinder in Hersbruck: Emotionen, spontane Äußerungen, Kosenamen, kulturelle Gepflogenheiten, Liedgut seien im eigenen „Sprach-Zuhause“ selbstverständlich und könnten so in ihrem ganzen Reichtum dem Kind übermittelt werden. Negative Reaktionen Die Bildungslandschaft ist allerdings auch noch nicht so recht auf diese Entwicklungen eingestellt, merkt Silke Lode in ihrem Artikel „Kinderleicht“ in der Süddeutschen Zeitung vom 11. Januar 2016 an. So bleiben die Eltern häufig auf sich gestellt. Für den Gebrauch ihrer Muttersprachen gegenüber den Kindern müssen sie klare Entscheidungen treffen. Es käme vor, dass ausländische Mitbürger in der Öffentlichkeit nicht gerne in ihrer Muttersprache sprächen, weil sie negative Reaktionen befürchteten – Integration aber, so Lopez, heiße nicht, dass man seine Muttersprache vergessen müsse. Und weil neben den wissenschaftlichen Aspekten auch Erfahrungen und Tipps wichtig sind, hatten Eltern nach Lopez´ Vortrag die Möglichkeit, sich in kleinen „Elterntalk“-Runden – eine davon in Russisch – auszutauschen, ganz nach dem Motto von „Elterntalk“: „von Eltern – für Eltern“. Viele entschließen sich instinktiv für das Modell, das dem aktuellen Stand der Forschung entspricht: Jedes Elternteil spricht mit dem Kind in der Sprache, mit der er oder sie selbst aufgewachsen ist. Denn mit der Muttersprache wird auch nonverbal Vieles transpor- Das „Mehr an Mühe“, das es sich bilinguale Paare kosten lassen, ihren Nachwuchs in beiden Sprachen zu erziehen, ist auch nötig, berichtet Christiane Klippel, die für die Sprachbildung an den städtischen Kitas und Kindergärten in Hersbruck zuständig ist. In enger Sprachvielfalt beim Ringelreihen Foto: imaginando - Fotolia Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen vor Ort hilft sie einzelnen Kindern, sprachliche Defizite zu überwinden. „Kinder lernen die Grammatik einer Sprache zunächst wie nebenbei“, so Klippel, „wichtig ist aber das Vorbild: Eltern, die viel mit dem Kind sprechen und singen, helfen ihm in der Sprachentwicklung, egal in welcher Sprache.“ Beim „Café International“ kommen Mütter und Kinder zusammen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Fotos: U. Scharrer (2) Babylonisches Sprachengewirr herrscht aber keineswegs – klar: die allen gemeinsame „Umgebungssprache“ ist Deutsch. Auf Deutsch tauschen sich die jungen Mütter über die besonderen Herausforderungen aus, die das Leben in einem fremdsprachigen Umfeld für sie und ihre Kinder bedeuten. Mancher Zuruf erfolgt dann spontan und quer durch den Raum aber doch in der „Muttersprache“. Als „Vatersprache“ kommt ab und zu noch ein drittes Idiom ins Spiel. Die jungen Eltern halten es meist so, wie es die Wissenschaft inzwischen empfiehlt: Jedes Elternteil spricht mit den Kindern so, wie er oder sie sprachlich aufgewachsen ist. Das kann auch heißen: Der kleine Jan hört von seiner Mutter Tschechisch, von seinem kolumbianischen Vater Spanisch. Beim Einkaufen gehen und in der Kita gewöhnt er sich ans Deutsche. Wenn sich die ganze Schar des Café International am Ende für das Ringelreihen die Hände reicht, dann kommen sogar noch ein paar Sprachen hinzu: Giro, Giro, Tondo heißt es auf Italienisch und dann kommen noch Russisch, Spanisch, Tschechisch und Türkisch dazu, so dass sich jedes Kind in der eigenen Sprache finden kann. us Die erste Klasse hat sie wiederholt, um sattelfester in der neuen Sprache zu werden, und sie bekommt Hilfe bei den Hausaufgaben von einer deutschen Frau. Ihrem gesprochenen Deutsch hört man nichts mehr an und auch das Schriftdeutsch geht ganz gut. Nur die Zahlen im Deutschen findet Vanesa unlogisch: Im Rumä- Vor einigen Jahren empfahlen die Kindertagesstätten fremdsprachigen Eltern noch, ihren Kindern vor dem ersten Tag in einer Einrichtung ein paar Brocken Deutsch beizubringen, so dass sie nach der Toilette oder etwas zu trinken verlangen können. Heute lernen Kinder die neue Sprache in der Einrichtung, bestätigt auch Erzieherin Christine Kohl aus dem Evangelischen Haus für Kinder im Emil-Held-Haus. Und sie lernen schnell und scheinbar mühelos. Knifflige Schriftzeichen Knifflig wird es wieder, wenn die Einführung in die Schriftsprache beginnt, vor allem, wenn die Schriftzeichen sich von den deutschen unterscheiden, wie etwa im russischen oder griechischen Alphabet. Vielleicht können die Eltern aber etwas von der Gelassenheit der Sprachforscher übernehmen: Diese sehen es nicht tragisch, wenn ein Kind eine der gelernten Sprachen eine Zeit lang nicht sprechen möchte, dem Vater in der Sprache der Mutter antwortet oder in einem Satz Elemente aus mehreren Sprachen mischt. Denn noch einmal: Die Vorteile überwiegen! Und: „Wenn Kinder von Geburt an mehrsprachig aufwachsen, haben sie eine bessere Aufmerksamkeitskontrolle“, sagt Julia Blanco Lopez. Bestimmte Gehirnareale werden anders aufgebaut. Vor allem aber fällt es den Kindern später sehr viel leichter, neue Sprachen zu erlernen. „Café International“ heißt die Initiative, die Angelika Pflaum ins Leben gerufen hat und die Federica Burzi und Katrin Schmidt gemeinsam weiterführen. Russische, tschechische, italienische und türkische Mütter treffen sich jeden Donnerstag ab 15 Uhr im Emil-Held-Haus und bringen Anna, Josefine, Adam, Elisabeth, Amelie, Lia, Nico, Lenard, Alma, Erva, Phillip, Timo, Alexander und Albert mit. Zahlen sind unlogisch Vanesa Rafaila Elena spricht rumänisch, spanisch und Deutsch. nischen und Spanischen heißt es „achtzig-zwei“, im Deutschen „zweiundachtzig“. Manchmal hat Vanesa deutsche und rumänische Freundinnen gleichzeitig zu Gast, dann verständigen sich alle auf Deutsch. Besucht Vanesa in den Ferien ihre Oma in Sibiu/Hermannstadt, dann kann sie mit ihr rumänisch sprechen. Im Urlaub in Spanien kann sie zumindest noch eloquent ein Eis bestellen, auch wenn die nicht gesprochene Sprache langsam verblasst. us Das macht Mut für die „lange“ Zeit des Wartens, den etwa eineinhalb Jahren, in denen die Kinder ihren Eltern noch nicht antworten können, während diese vielleicht noch gespannter als andere Eltern auf das erste Wort ihres Sprösslings warten. UTE SCHARRER ADRESSEN & INFOS Café International: Treff für junge Mütter mit ihren Kindern, Emil-Held-Haus, Amberger Straße 27, 1. Tür links nach dem Eingang, Donnerstag, 15 bis 17 Uhr Bündnis für Familie: Landratsamt Nürnberger Land. Annette Zimmermann, Telefon 09123/9506057, E-Mail [email protected] Elterntalk: für Erfahrungsaustausch, zur gegenseitigen Information und für mehr Sicherheit in Erziehungsfragen. Ein Projekt der Aktion Jugendschutz. www. Elterntalk.net. Regionalkoordinatorin: Angelika Pflaum, 09151/830 9666, E-Mail [email protected] Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit der LMU: Beratung für Eltern, Infos unter www.ifm.daf.lmu.de www.Zweisprachigkeit.net: eine von Anja Leist-Villis erstellte und sehr informative Webseite mit vielen Tipps und Forschungsergebnissen.