Zum Interview

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Zum Interview
FERNSEHEN
Zwei
Und nochmal zwei
Jazz ist nichts weiter als eine gediegene Unterhaltung für Spießer?
Nicht, wenn man hört, was der Chicagoer Trompeter Wadada Leo
Smith und die Saxofonistin Matana
Roberts daraus machen. Sie haben
noch nie zusammen gespielt. Aber
beide erneuern den Jazz auf beeindruckende Weise SEITE 15
Ein Privatsender und das öffentlichrechtliche Fernsehen nehmen sich
in Dokumentationen des Themas
junge Ärzte an. Man sieht: Jungdoktorin am weißen Klavier, Golfplatz,
Designerwohnung. Jedenfalls bei
ZDFneo, der Sender scheut kein
Klischee. Vox macht seine Sache
besser SEITE 17
www.taz.de | [email protected]
„Meine
Frisur
dauert 90
Minuten“
FREITAG, 24. AUGUST 2012
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INTERVIEW ANDRÉ TUCIC
Und was sollte die Glatze um In den vergangenen Jahren haDer
Evergreen
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Abschied?
ben Sie sich aus dem Fundus der
SCHLAGER Dieter Thomas Kuhn kann
keine Lieder schreiben und ist
trotzdem gerade auf DeutschlandTournee. Ein Gespräch
Fotos: Florian Schwinge (o.);
Ch. Fischer Jazzarchiv/
picture alliance
Foto: Brett Walker
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GESELLSCHAFT
KULTUR
MEDIEN
MUSIK
Der Mann: 1992 hat Thomas
Kuhn (47) die Kunstfigur Dieter
Thomas Kuhn erfunden. Seither
hat der Musiker viele Spitznamen
gesammelt: singende Föhnwelle,
Papst des schlechten Geschmacks
oder Godfather of German Schlager. Am Sonnabend spielt Dieter
Thomas Kuhn im Rahmen seiner
Deutschland-Tournee in Berlin.
■ Die Musik: Er covert Lieder unter
anderem von Howard Carpendale,
Rex Gildo, Udo Lindenberg und Marianne Rosenberg und verpasst angestaubten Schlagerliedern eine
Frischzellenkur. Seine Konzerte
sind ein Fest des schlechten Geschmacks und der Emotionen. Feuerzeugflammen wehen durch die
Luft, Paare liegen sich in den Armen, Menschen jeden Alters singen und grölen. Aktuelles Album:
„Hier ist das Leben“.
■ Die Menge: Die Fans tragen Plateauschuhe, Schlaghosen, knallbunte Hemden, große Sonnenbrillen und Perücken. Zu seiner besten
Zeit kamen 20.000 Menschen zu
den Konzerten, mittlerweile sind
es nicht mehr ganz so viele.
■
taz: Herr Kuhn, wer sind Sie,
wenn Sie morgens vor einem
Konzert aufwachen?
Thomas Kuhn: Zunächst bin ich
der Familienvater, der sich um
seine siebenjährige Tochter
kümmert. Ich mache Frühstück
und bringe mein Kind in die
Schule.
Und wann verwandelt sich Thomas Kuhn in Dieter Thomas
Kuhn?
Ich switche erst um, wenn wir auf
Tour sind. Auf der Bühne bin ich
zwar ein Schauspieler, aber in
der Kunstfigur steckt viel von
meiner Persönlichkeit.
Können Sie die beiden noch
voneinander unterscheiden?
Es gibt mittlerweile keine klare
Trennung mehr. Das ist mir bewusst geworden, als wir nicht
mehr gespielt haben. Wenn mich
die Leute gesehen haben, war ich
für sie immer noch der Dieter,
egal ob mit oder ohne Föhnwelle.
Dieter Thomas Kuhn ist mittlerweile zwanzig Jahre alt. Aber
er scheint sich kaum verändert
zu haben.
Die Figur hat sich weder entwickelt noch verändert. Aber genau
das macht uns ja aus. Wir sind
und bleiben das, was wir sind
und immer waren. Eine Zeitlang
habe ich einen Schnauzbart getragen. Mir hatte das gefallen,
doch das Fanlager hatte es ein
Stück weit gespalten.
Ist der Look wichtiger als die
Musik?
Die Musik spielt die tragende
Rolle, aber die Zuschauer kommen ja auch, um mich und die
Band zu sehen.
Vielleicht auch, um sich mal etwas anders anzuziehen?
Viele Fans wollen dem Alltag entfliehen und sich einfach mal verkleiden. Wenn ich ins Publikum
schaue, sehe ich so viele lächelnde Menschen. Das sind immer jene Momente, die mich darin bestätigen, weiterzumachen.
Sie haben während der Schulzeit im Altenheim gearbeitet,
danach waren Sie Masseur im
Tübinger Klinikum. Wollen Sie
den Menschen Gutes tun?
Ich war schon immer jemand,
der es seinem Umfeld recht machen möchte. Denn ich verwöhne und beschenke gerne. Wenn
es den Leuten um mich herum
gut geht, geht es mir auch gut.
Sie haben sich 1999 von der
Bühne verabschiedet. Wieso?
Damals hatten wir schon sieben
Jahre gespielt, ich war müde und
ausgelaugt von den vielen Touren. Darüber hinaus hatte ich das
Gefühl, dass die Figur Dieter
Thomas Kuhn nicht mehr viel zu
erzählen hat.
Die Föhnwelle war und ist mein
Markenzeichen. Damals wollten
wir den Leuten auch symbolisch
zeigen, dass unsere Zeit zu Ende
ist. Haare weg, Kuhn weg.
Inzwischen haben Sie Ihre Frisur ja wieder. Wie lange dauert
es eigentlich, bis die sitzt?
Rund 90 Minuten. Früher hatten
wir eine Friseurin, die uns auf
der Tour begleitet hat. Doch sie
wurde uns zu teuer, seitdem frisieren wir uns selber.
Nach ihrem Abgang als Schlagersänger haben Sie sich mit einem Deutschpop-Projekt versucht. Kritiker sagten, das sei
gescheitert.
Ich hatte das Gefühl, dass wir uns
musikalisch verändern müssen,
und ich finde, dass wir eine schöne Platte aufgenommen haben.
Aber trotzdem war uns nach ein
paar Konzerten klar, dass das
nicht unser Ding ist. Außerdem
wurden wir mit Pur verglichen.
Das war aus meiner Sicht hanebüchen.
Weshalb sind Sie 2004 zurückgekommen?
Während unserer Pause sind viele Leute auf uns zugekommen
und haben uns ermuntert wieder zu spielen. Offenbar wurden
wir also vermisst. Ursprünglich
war nur ein Konzert angedacht,
ein Heimspiel in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Doch viele
Fans haben sich beschwert, dass
wir nur in Stuttgart spielen. Also
sind wir nochmals auf Tour gegangen. Wir wollten spielen, bis
man uns nicht mehr haben will –
und mittlerweile befinden wir
uns in einer Endlosschleife.
Überrascht es Sie manchmal
noch, dass Sie mit gecoverten
Schlagern so erfolgreich sind?
Ja, ich finde das selber erstaunlich. Wir haben denselben Spaß
wie in den Anfangszeiten. Das
sieht man uns an und scheint
auch unsere Fans zu begeistern.
Ebenso achten wir darauf, in den
Medien nicht allzu präsent zu
sein, vor allem nicht im Fernsehen. Denn es gibt so viele Leute, die vor laufenden Kameras
Unsinn erzählen, da entsteht bei
mir oft ein Gefühl von Fremdschämen.
Warum schreiben Sie keine eigenen Lieder?
Ich kann es nicht. Im Laufe der
Jahre habe ich das mal versucht,
aber ich wurde meinem eigenen
Anspruch nicht gerecht.
Wie muss ein Song beschaffen
sein, damit Sie ihn covern?
Anfangs konnten die Lieder
nicht albern genug sein. Aber im
Laufe der Zeit wollten wir nur
noch Songs spielen, die uns
ernsthaft gut gefallen.
deutschen Schlagerlieder aus
den 70er-Jahren bedient. Auf
der neuen Platte gibt es nun einige Disco-Songs.
Wir sind diesmal auf einige Disco-Nummern gestoßen, die ursprünglich auf Englisch aufgenommen, aber damals schon auf
Deutsch gesungen worden sind.
Ein Beispiel ist „Killing me softly“
von Roberta Flack. Die deutsche
Version hieß „Etwas in mir wurde
traurig“. Die deutschen Versionen waren damals sehr schlecht
und sind kaum beachtet worden,
nun lassen wir sie aufleben.
Und welche Musik hört Thomas
Kuhn privat?
Ich bin mit Pink Floyd, Neil Young
und 10cc aufgewachsen. Aber im
Moment höre ich viel Folk, zum
Beispiel John Mayer. Der war mal
mit Jessica Simpson zusammen
und ist mir damals aufgefallen,
als er sagte, sie sei wie Napalm im
Bett.
Wenn Sie auftreten, fliegt mitunter Unterwäsche auf die Bühne. Sammeln Sie die?
Natürlich, es wird nichts weggeschmissen, wir sind ja Schwaben.
Diese Klamotten werden in unserem Garderobenschrank aufbewahrt.
Appropos Gaderobe, wer kleidet
Sie eigentlich ein?
Mittlerweile lassen wir alles
schneidern. Das Einzige, das
keine Eigenkreation ist, sind die
alten NVA-Trainingsanzüge, die
wir schon bei unseren ersten
Konzerten getragen haben. Die
ollen Dinger sind vermutlich erst
einmal gewaschen worden.
Und wer ist Ihr Modeschöpfer?
Philipp, unser Gitarrist, hat die
meisten Ideen für Schnitte und
Farben. Dann ziehen wir los und
suchen die entsprechenden Stoffe. Im Anschluss lassen wir uns
hinsichtlich der Nähtechnik beraten. Eine kleine Firma aus unserer Heimatstadt Tübingen
setzt dann unsere Wünsche um.
Wie viele Anzüge hängen in der
Garderobe?
Die ist gar nicht so umfangreich.
Ich habe zwei Goldanzüge, einen
Silberanzug und fünf bis sechs
weitere schrille Dinger.
Beim letzten Mal hatten Sie
nach sieben Jahren von Dieter
Thomas Kuhn genug, seit dem
Comeback sind schon acht vergangen. Wie lange singen Sie
noch?
Solange wir noch spüren, dass
man uns sehen will, werden wir
live spielen.
Schlager bis in alle Ewigkeit?
Philipp und ich haben neulich eine Folk- und Country-Platte aufgenommen, die soll demnächst
veröffentlicht werden.