Bernd Geburtstagsrede zum 60. - Institut für systemische Beratung

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Bernd Geburtstagsrede zum 60. - Institut für systemische Beratung
Schon von Kindheit an berührten mich Agaven.
Diese hier verstreut unzählige Abkömmlinge von ihrem Fruchtstand, um den herum sie vergeht.
Bernd Schmid 12.12. 2006
Rede zum 60. Geburtstag vor einigen Freunden.
Ich wollte keine Reden. Doch ( und mal wieder unter der Dusche) raunte mir der
Weltgeist, Sektion Altwiesloch heute morgen einiges zu, das ich meinte festhalten zu
müssen. Es ist noch wenig abgeklärt, doch dafür frisch!
Und wenn ich dann in poetische Strömungen gerate, fallen mir allerlei irgendwie dazu
gehörenden Gedanken und Bilder wieder ein, die mich schon länger begleitet haben
oder mich in jüngster Zeit heimsuchten. Solche Gedanken sind wie Herbstblätter, die
mir der Wind vor die Füße weht und von denen ich einige aufhebe, weil sie in mir
eine besinnliche Reaktion auslösen.
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von Fernando Pessoa ( Buch der Unruhe) hat mich das Bild von Postkutsche
in den Abgrund beeindruckt. Wir sind die Reisegesellschaft, die auf diese
Postkutsche wartet. Jeder vertreibt sich die Zeit bis dahin in seiner Weise.
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Arthur Schopenhauer formulierte: „von Illusionen genarrt, tanzen wir dem
Tod in die Arme!“
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Bei Eric Berne fand ich schon in den 80er Jahren das Konzept
Zeitstrukturierung wert mehr beachtet zu werden: Menschen engagieren sich
in allerlei Zeitvertreib, while waiting for rigor mortis. Beim Streben der „stillen
Verzweiflung“ zu entgehen, engagieren sie sich in unfruchtbaren bis
tragischen Beziehungsspiele und Schicksalsverstrickungen.
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Walter Andreas Schwarz (Kabarettist) hat für den Grand Prix
d´Eurovision 1956 einen deutschen Beitrag geliefert. Ich war da
10 Jahre alt und doch ist mir lebenslang der Refrain geblieben:
Im Wartesaal zum großen Glück
da warten viele, viele Leute
die warten seit gestern
auf das Glück von morgen
und leben mit Wünschen von übermorgen
und vergessen, es ist ja noch heute
ach, die armen, armen Leute
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Auch blieb folgender Spruch eines mir nicht mehr erinnerlichen Autors im Netz
meiner Seele hängen: „Eines Tages wurde mir klar, dass das, was ich für das
Stimmen der Instrumente gehalten habe, das Konzert gewesen sein würde.“
Und Irenes Onkel der heute 86jährige Jungianer Viktor Zielen zitiert gerne:
„Nicht wie die Rose erblüht ist entscheidend, sondern wie sie verblüht!“
Dazu ergänzend liefen mir gerade zwei Bücher über den Weg, die näherer
Beachtung harren: George Steiner : „Warum denken traurig macht“. Und
Friedrich Nietzsche : „Fröhliche Wissenschaft“
Also keine Sorge:
Ich mache am Beginn der Jugend des Alters nicht auf Weltschmerz! Doch ein
unbekümmerter Spaziergang ist Altern ja auch nicht gerade. Ich versuche mich
möglichst ungeschönt mit allem auseinander zu setzen und fühle mich dabei meist
heiter und dankbar.
Die Flucht in einen religiösen Habitus (ein Wort von Wolf Lepenies) ist mir ziemlich
fern. Leider habe ich keinen Glauben an ein Jenseits, in dem man als Individuum
irgendwie fortleben könnte oder für das sich Vorstellungen aus der jetzigen Existenz
eignen. ( Peter zitierte gelegentlich: „ Gott sei Dank bin ich Atheist!“ )
Doch habe ich manchmal das Gefühl, dass sich irgendwie Türen zu einer Spiritualität
zwischen Banalisierung und Romantisierung öffnen könnten.
Heute morgen hatte ich plötzlich das Bild des Planeten Erde in diesem unendlichen
Weltall vor Augen. Alles Leben auf diesem Planeten ist von dieser hauchdünnen
Schale der Atmosphäre abhängig. Alle Lebewesen leben von und mit dieser
Atmosphäre und tragen durch ihren Metabolismus zu ihr bei.
Ich habe dann dazu analog unsere kulturelle Atmosphäre gesehen. Unser geistigseelischer Metabolismus findet in dieser Atmosphäre statt und muss sich mit ihr
auseinander setzen. Manchmal möchte einem der Atem stocken, doch man hat keine
Wahl: Es bleibt nichts als einzuatmen und wieder auszuatmen, als aufzunehmen,
sich daraus zu nähren und auszuscheiden. Es gibt kein Entrinnen.
Ich selbst suche mir Milieus, in denen ich ohne Beklemmungen frei einatmen mag
und Bühnen, auf denen ich voll ausatmen, beziehungsweise meine Stimme erklingen
lassen kann.
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Ich weiß: Ich bin einer von Millionen, auf den es nicht ankommt. Doch zusammen
tragen wir unsere kulturelle Evolution. Ich will meinen Platz in der Evolution nüchtern
ausloten und annehmen, durchaus mit Streben nach der mir möglichen Größe, doch
ohne Größenwahn und bereit, meine Grenzen ohne Resignation zu erkennen und
anzunehmen.
Ich weiß: Ich bin nicht Ziel und nicht Ursprung kultureller Bewegungen, doch aber
Medium. Ich kann in meiner Weise ein wenig zur Transformation kultureller
Atmosphären beitragen. Das ist schon viel.
Dass es Größere gibt, darf mich nicht entmutigen, dass es Kleinere gibt als mich darf
mich nicht erheben. Dass ich in meiner Weise Anteil nehmen und geben darf,
beschert mir Freude, die bei mir als Schöpfermut zum Ausdruck kommt.
Es soll ja zwei Arten von Narzissmus geben: Der eine Narzisst will sich mit der Welt
füllen. Der andere die Welt mit sich. Ich neige sicher zu Letzterem.
Doch mir ist klar, dass ich persönlich zwar ein Gefühl von Aufbruch, von Pioniertat,
von gesellschaftlicher Erneuerung brauche, dass aber nichts von dem, was ich dabei
vom Leben begreife, neu ist.
Aber es kommt ja auch gar nicht darauf an, Neues zu entdecken oder zu erschaffen.
Es kommt darauf an, neu zu beseelen!
Es kommt darauf an, die geistreichen Elemente der uns umgebenden kulturellen
Atmosphäre aufzunehmen und beseelt weiterzugeben. Jeder ist aufgerufen,
mitzuhelfen, sich selbst und andere von Verkrustung zu reinigen und neu zu beleben.
Vielleicht sind irgendwo in uns unversehrte Seelenkräfte, die ähnlich wie Gene (oder
Stammzellen) im Körper wirken. Sie sind in der Lage mit der Materie, die der
Entropie (dem Verfall) unterliegt, neues Leben zu schöpfen, vielleicht gerade durch
ihre Ungebildetheit, durch die Kraft der Vervielfältigung, durch die Fähigkeit zu neuer
Anpassung. Sie können damit zur kulturellen Neg-Entropie (zum Aufbau) beitragen
und so vielleicht helfen, das Gleichgewicht lebendiger Kultur zu erhalten.
Meine Frau Irene als Ex-Pfadfinderin hat -etwas lebenspraktischer vorgetragendazu die Maxime: Alle Orte ein bisschen besser hinterlassen, als wir sie antreffen!“
Jeder ist aufgerufen, seinem Vermögen gemäß zu lebendiger Kultur beizutragen.
Das Schönste daran ist, dass man selbst dadurch Anteil am Lebendigen hat und z.B.
durch schöpferische Beiträge Anteil an einem schöpfer-göttlichen Prinzip der
Evolution.
Bislang brauche ich dazu keine Vorstellung von Ewigkeit und von individuellem
Fortleben jenseits meiner biologischen Existenz. Allein während dieser Existenz
daran Anteil zu haben und dabei möglichst tief ein- und auszuatmen, scheint mir
genug.
Das Wunder des Planeten Erde und unserer Schöpfung hängt auch nicht vom
Fortbestand ab. Alles wird eines Tages ohnehin verglühen. Für mich eignet sich also
eher eine Spiritualität der Endlichkeit. ( die Ewigkeit der Religionen meint ja auch
nicht die unbegrenzte metrische Zeit.)
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Seit Tagen geht mir immer durch den Sinn, wie es wäre, wenn wir statt „Wie geht
es?“ unsere Freunde regelmäßig fragen würden: "Und? Was hast du noch so vor bis
Du abberufen wirst?"
Nun ich habe vor, tief ein- und auszuatmen, auch wenn die Luft mir manchmal nicht
die beste scheint, weder die, die ich einatme, noch die, die ich ausatme.
Ich habe vor, Räume zu organisieren und zu bewohnen, in denen Gelingen und
Scheitern beim Versuch, gute Varianten von Persönlichkeit und Kultur zu leben, sich
vertragen. Für mich sollen es auch Räume sein zum Erfahren und Verstehen, zum
Denken und Schreiben, für Gemeinsamkeit und Begegnung mit Menschen, die mit
mir ein weltoffenes Wieslocher Kleinklima teilen wollen.
Und dies ganz besonders mit Irene, mit der ich nicht nur ein besonderes geistigseelisches Kleinklima, sondern seit nunmehr 38 Jahren Tisch und Bett teile und wie
Ihr wisst neben Freude auch großes Leid.
Mögen es noch mal 38 Jahre werden. Und mögen wir mit unseren beiden Kindern im
Herzen unzertrennlich sein und mit den vielen anderen Menschen, die uns liebevoll
verbunden sind.
Für viele Anfragen an meine Zeit und Lebenskraft behalte ich mir die Antwort eines
Hippies vor, den wir in den 70er Jahren in Kalifornien kennen gelernt haben. Die
meisten Ansprüchen an ihn beschied er nach kurzem Überlegen mit: „Life is too short
for that!“. Hierzu passt ein anderer Spruch aus dieser Zeit, der mehr und mehr seine
Kraft entfaltet: „This day is the first day of the rest of your life.
Da hatte ich in der Nacht auf den 11. Dezember einen Traum: In einer Hütte am
Strand saßen in einer Ecke und in eine Decke gekuschelt Mary Anne Kübel ( die
Gründerin und langjährige Leiterin des Odenwald-Instituts ) und Fanita English (eine
eigenwillig-kreative und heute mit ca. 90 Jahren noch international aktive TALehrerin). Ich stand ihnen gegenüber und plauderte mit ihnen als sich eine mächtige
Welle aus dem Meer hob und die Hütte umspülte. Ich hatte Sorge, das Haus könnte
mit ins Meer gerissen werden, und ich fühlte mich alarmiert. Ich fragte die beiden, ob
das hier üblich sei. Bevor ich eine Antwort erhielt, wachte ich auf.
Aber was sollen wir fürchten? Leben ist ohnehin wie am Strand Sandburgen bauen,
Jeder kann wissen, dass die nächste Flut kommt.
Lasst uns also gegenwärtig sein und unserer Bestes geben!
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