Ausstellungstext - Dresdner Comicfest

Transcription

Ausstellungstext - Dresdner Comicfest
20 Jahre "SCHRÖDER"
Begonnen hat alles mit einer Anzeige im SAX, irgendwann um 1995 - die Details sind im Nebel der
Geschichte verschwunden, und das Aufbewahren alter Stadtmagazine gehört glücklicherweise nicht
zu meinen Hobbys. Dresden war in jener Zeit eine wahre Comic-Wüste. Der in der NachwendeEuphorie in der Neustadt gegründete Laden war pleite, seine Remittenden wurden auf der Prager
Straße in Zelten verramscht. Es gab keine Verlage oder Magazine; Kreative blieben weitgehend unter
meinem Radar, vielleicht lebte ich in Campusnähe auch nur zu weit ab von der alternativen Szene. Ich
suchte Leute, mit denen man über Comics quatschen konnte, und gab mein Wohnheimzimmer in einem
der 15-Geschosser in der Wundtstraße als mittwochabendlichen Treffpunkt an. Tatsächlich fanden
sich ein paar junge Herren, später tatsächlich auch Damen ein, und es entwickelte sich eine kleine,
feine, comic-affine Gesellschaft, die sich von da ab etwa monatlich traf, wobei das Sofa bald gegen
den Studentenclub ein paar Etagen tiefer eingetauscht wurde, später gegen Wohnzimmer in der
Neustadt.
Die Fans der ersten Stunde waren, wie ich selbst, hauptsächlich Leser und Sammler, aber
zunehmend zogen die weiteren SAX-Inserate auch Kreative an, und es entstand folgerichtig die
Idee, etwas magazinartiges zu produzieren, möglichst billig, also schwarz-weiß, aber inhaltlich bunt
gemixt, mit diversen Comics und redaktionellen Beiträgen. Schließlich fanden wir uns im Frühjahr
1996 im Albatros-Copyshop im Robotron-Gebäude wieder, wo wir das eine Master-Exemplar der
Nullnummer von SCHRÖDER in einer selbst finanzierten 200er Auflage durch den Kopierer jagten,
eigenhändig tackerten und beschnitten. Der "innere Kreis" bekam ein paar Belegexemplare mit
andersfarbigem Umschlag, der Rest wurde für läppische 2 € pro Stück im Freundes- und
Bekanntenkreis vertickt - wir reden von einer Zeit, in der das Internet in den Kinderschuhen
steckte und Werbung über Mundpropaganda laufen musste.
Die Euphorie der Nullnummer begann sich schon während ihrer Erstellung zu zerstreuen - zu viele
verschiedene Ansichten, wie ein solches Produkt aussehen sollte, waren unter einen Hut zu bringen,
und keiner von uns wollte mit eiserner Redakteurshand schalten und walten. Dennoch stellten wir
noch eine "richtige" Nummer 1 zusammen. Den wertvollen Dummy inklusive Farbcover-Original drückte
ich im Herbst 1996 in Leipzig Dirk "Bela B." Felsenheimer in die Hand, der gerade mit dem Leipziger
Künstler Schwarwel die Gründung von Extrem Erfolgreich Enterprises feierte, eines Comicverlages,
der als Steuerabschreibungsobjekt gedacht war, letztlich aber so viel Geld verbrannte, dass der
Ärzte-Schlagzeuger nach ein paar Jahren den Geldhahn wieder zudrehte - vermutlich mit dem
Rohling von SCHRÖDER #1 in der Konkursmasse.
Mir persönlich sind ein paar wertvolle Bekanntschaften geblieben, aber die meisten Namen der
Kreativen im Impressum der Nullnummer, und damit auch der Künstler, deren Seiten hier an den
Wänden hängen, haben ihren Weg meines Wissens nach nicht in die professionelle Comicwelt
gefunden. Dennoch - es war gut, als es geschah, und auf irgendeine unergründliche Weise vielleicht
ein kleines Samenkorn auf dem Weg zu dem Platz, den der Comic heute in Dresden hat.
Denn heute gibt es hier nicht nur Verlage, die in den letzten Jahren diverse Comics veröffentlicht
haben, wie Holzhof, Voland & Quist und die Verlagsgesellschaft, sondern auch erfolgreiche
Comicmacher wie Ivo Kircheis oder Lutz Anke; eine Kunsthochschule, die überregional bekannte
Autoren und Zeichner wie Matthias Lehmann und Katja Klengel hervorgebracht hat, sowie einen
Comicladen in der Bautzner Straße, der seit Jahren die Fans und Sammler zuverlässig und
fachkundig mit Ware versorgt, und seit 2008 das jährliche Dresdner Comicfest, zu dessen
Rahmenprogramm in diesem Jahr diese Ausstellung gehört.
Und selbst meine ursprüngliche Intention, aus der sich SCHRÖDER entwickelte, nämlich sich mit
Gleichgesinnten auszutauschen, hat heute ihr gut etabliertes Pendant gefunden in einem
monatlichen Comicstammtisch unter Schirmherrschaft des lokalen MOSAIK-Fanclubs mosa.X, nicht
mehr auf einem Wohnheimsofa, sondern jeden letzten Freitag im Monat in der Johannstädter
Spielekneipe TRIANGEL.
Guido Weißhahn, Juni 2016