Reimann 2015

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Reimann 2015
Geld&Börse
»Mit der Aktie
Jo-Jo spielen«
BÖRSENMANIPULATION | Schmierige Tippgeber ziehen die Kurse Hunderter Aktien
nach oben und kassieren Anleger ab. Wer sind diese Leute, wer sind ihre Hintermänner,
wie arbeiten und woran verdienen sie – und warum sind sie den Ermittlern immer
einen Schritt voraus?
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Nr. 19 5.5.2014 WirtschaftsWoche
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FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE
A
kten, Akten – Stapel auf dem
gegen eine vermeintliche Bande von Kurs- werden: Eigentümer und Mitarbeiter des
Sideboard, Ordner auf dem
manipulateuren gelungen. Sein Staatsan- Verlags dürfen die beschriebenen Papiere
Schreibtisch, Papierberge am
walt Torsten Krach hat monatelang ermit- halten: „Wir möchten (...) davon profitieBeistelltisch. Sein Büro: groß
telt, Telefone abhören lassen, Täter hinter
ren, wenn die Aktien der von uns dargewie ein Tanzsaal. Die „sehr
Decknamen gefunden und mindestens
stellten Unternehmen an Wert gewinnen.“
großen Zimmer“ bräuchten die Frankfur- vier Haftbefehle erwirkt. An die 50 Ordner
Zum Prozessauftakt des Frankfurter Verter Fahnder, meint Oberstaatsanwalt Phi- füllen die Akten des Verfahrens.
fahrens finden sich im Saal I drei Herren ein.
lipp Zmyj-Köbel, „weil man sonst wegen
Der daraufhin eröffnete Prozess vor dem
Die Staatsanwaltschaft hat sie wegen des
der Aktenberge nicht mehr reinkäme“.
Landgericht Frankfurt und Recherchen der
Verdachts auf bandenmäßigen Betrug und
Die Stapel in der Abteilung für Kapital- WirtschaftsWoche zeigen erstmalig im De- Marktmanipulation angeklagt. Der promimarktstrafsachen dürften kaum
nenteste ist Ex-TV-Moderator
kleiner werden. Am Main sind
Markus Frick, 41, Anfang 2013
Viel Lärm um wenig
noch über 100 Verfahren offen, in
festgenommen, 2011 vom Landdenen es um Aktien geht, deren
gericht Berlin wegen MarktmaniWas aus den Untersuchungen der Finanzaufsicht
Kurse Betrüger manipuliert hapulation in 36 Fällen zu 21 Monawegen Marktmanipulation geworden ist
ben: Obskure Rohstoffunternehten auf Bewährung verurteilt. Er
neue Untersuchungen
Von der Staatsanwaltschaft...
men, Energieaktien oder Internethat Aktien empfohlen, die er über
offene Untersuchungen
...eingestellt
Werte, deren Kurse stiegen, nachverschlungene Kanäle besessen
Täter verurteilt
...gegen Geldauflage eingestellt
dem sie in Börsenbriefen oder im
und verkauft hat, als Anleger an250
Internet empfohlen wurden. Wergebissen haben.
218
208
208
den Anleger angelockt, laden die
166
ANLEGER AUSGENOMMEN
Täter oder ihre Hintermänner ei150
116
In Frankfurt wird Frick in Handgene Papiere bei ihnen ab.
115
104
90
schellen vorgeführt. Blasses GeZmyj-Köbel hebt die Tasse mit
71
74
56
sicht, die Hände übereinanderden chinesischen Motiven,
43
24
14 18
11
8
gelegt, der Rücken krumm. Die
nimmt einen Schluck Chai-Bio7
9
16
13
19
21
Anklage: Frick und Komplizen
tee, atmet ruhig durch – und
2009
2010
2011
2012
2013
sollen über die Börsenbriefe
scheint doch innerlich zu koQuelle: BaFin-Jahresberichte
„Deutscher Aktiendienst“ und
chen. Die Akten stapeln sich
„Kursraketen24“ die Kurse des
auch, weil Leute fehlen, die sich
Shoppingportals LetsBuyIt, der heute intail, wie das Netzwerk der Kurspusher
in Wirtschaftssachen auskennen, sagt der
solventen Technologiefirma Autev und der
funktioniert – vom Hintermann über den
50-Jährige. „Wir haben zu wenig Personal
bei der Polizei“, so der Oberstaatsanwalt, Vermittler bis hin zu Aktienhändlern, Ban- auf Online-Spiele spezialisierten Venatus
getrieben haben. Hintermänner hätten die
kern und Werbern.
„mitunter werten meine Staatsanwälte
Die Täter manipulieren Kurse und ziehen
Nachfrage der Leser genutzt, um Papiere
selbst Konten aus, um Geschädigte zu erloszuschlagen. Frick wurde durch seine
mitteln und sie anzuschreiben – eine Auf- Tausende Anleger über den Tisch – mit zum
TV-Show „Make Money“ auf N24 bekannt.
gabe, die eigentlich die Polizei überneh- Teil sehr plumpen Mitteln. Aktuell wirbt ein
Anbieter im Newsletter mit „1000 Prozent
Fans verschlangen sein Buch „Ich mache
men müsste.“
Und doch ist Zmyj-Köbel mit seiner Ab- Gewinn“. Wer das Kleingedruckte liest, Sie reich“, abonnierten seine E-Mail-Hotteilung zuletzt ein bemerkenswerter Schlag
merkt, dass den wohl andere einstreichen
line – und kauften, was er empfahl.
»
Vollbeschäftigter Ermittler
Oberstaatsanwalt Philipp Zmyj-Köbel leitete
bislang die Abteilung für Kapitalmarktstrafsachen in Frankfurt. Die hat noch viel
vor sich. Am Main sind über 100 Verfahren
offen, in denen es um Aktien geht, deren
Kurse Betrüger manipuliert haben sollen.
WirtschaftsWoche 5.5.2014 Nr. 19
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Geld&Börse
» Aus Fricks E-Mail-Dienst
im Prozess verhandelten Marktmanipulation fallen in diese Zeit. ISPSitz ist die Sophie-Charlotten-Straße 30, an der damals auch der Sohn
gemeldet war.
Über das Konto der ISP liefen
auch Einnahmen aus weiteren Börsenbriefen. Eine Rechnung, die der
Redaktion vorliegt, beläuft sich auf
99 140 Euro – für die Vermarktung
eines anderen Börsenbriefes. Fragen dazu haben weder ISP noch
Frick beantwortet.
Walter Frick, schrieb sein Anwalt
schon früher, habe mit den Vorgängen im Prozess gegen Sohn Markus
„nicht das Geringste zu tun“. Er sei
ein „schwer arbeitender“ älterer
Herr, der die Öffentlichkeit nichts
angehe. Seine ISP aber hat zwischen 2010 und Ende November
2012 rund elf Millionen Euro verdient. Sollte der Senior von den
fragwürdigen Geschäften seines
Sohns und Geschäftsführers tatsächlich nichts bemerkt haben?
Real-Depot vom 6. Mai 2012:
„Wir waren vor Ort in Paris und haben (...) mit dem Vorstand gesprochen (...). Alles hat uns überzeugt.
Auch andere Analysten waren vor
Ort und wir erwarten deshalb neue
Kaufempfehlungen für LetsBuyIt.“
„Herr Frick machte einen sehr ehrlichen Eindruck“, sagt die 73-jährige Gisela Günther* aus dem hessischen Taunusstein. Sie und ihr
Mann hatten Frick einst auf einem
Börsenseminar die Hand geschüttelt. In ihrem Wohnzimmer plätschert der Zimmerbrunnen, als es
an der Tür klingelt – der Verkäufer
von Bofrost. Sie wolle nichts, sagt
die alte Dame. Doch der Fahrer
preist eine neue Spezialität an. „Das
kann ich mal probieren“, erwidert
sie – und kauft. Es scheint, als ziehe
sich das durch ihr Leben: Dinge
kaufen, die andere ihr aufdrängen.
Dreister Kurspusher
WERBUNG FÜR AKTIEN
Wie das System arbeitet, zeigt das
Markus Frick hat euphorisch Aktien in Börsenbriefen
Beispiel der Aktie LetsBuyIt, die
empfohlen und profitierte mit Millionen. Er wurde weFrick empfahl. Einen Teil der Papiegen Marktmanipulation verurteilt.
re des Unternehmens hielt 2012 zumindest indirekt der Investor Castro
Real-Depot vom 31. Mai 2012:
Khatib. Der gebürtige Israeli lebt in Mona„Wir (...) wurden gefragt, warum wir am
co, Mitglieder seiner Familie wechselten
Die Werbung für Fricks Aktiendienst lan- Dienstag nicht mutig waren und nochmals
sich zwischen 2009 und Mitte 2011 im VerLetsBuyIt bei 0,60 Euro einkauften (...)
dete ungefragt im E-Mail-Postfach des
waltungsrat der LetsBuyIt ab. Auch Khatib
Ehepaares. Im Mai 2012 bestellen die Gün- aber nach diesem Kursdesaster hat uns
mischt dort zeitweise mit.
thers den Börsenbrief – ohne zu wissen, echt der Mut gefehlt.“
Khatib soll, so sagte in Frankfurt ein Zeudass Frick dahintersteckt. 249 Euro kostet
ge vor Gericht, „großes Interesse“ an Werdas Sonderangebot für gut sieben Monate. Eilig holt der Ehemann einen Stapel Bör- bung für die Aktie gehabt haben – vermutsenbriefe. „Kennen Sie den? Oder den?“, lich, um profitabel verkaufen zu können.
Die Macher des Briefes empfehlen solide
fragt er. Ein bisschen Hilfe brauche er bei
Werte: BMW, Lanxess, Hugo Boss. Das ist
Für eine Stellungnahme war Khatib nicht
der Anlageentscheidung, sagt der 75-Jähri- erreichbar. In der Frick-Anklage heißt es,
typisch: Haben Anleger erst mal Vertrauen
ge und deutet auf ein Buch: „Tradingpsy- dass LetsBuyIt an der Börse Frankfurt von
gefasst, kommen die dubiosen Tipps.
Sie habe sich dann schon gewundert, chologie – So denken und handeln die Pro- Januar bis Ende April 2012 zwischen 1,80
fis“. Menschen, zitiert er den Inhalt aus der
sagt die Rentnerin, dass auf einmal total
und 2,05 Euro notiert habe. „Der Umsatz“
unbekannte Aktien empfohlen worden sei- Erinnerung, würden vom Unterbewusst- sei gering gewesen, „insgesamt wurden
sein gesteuert. „Sie wissen, was Sie falsch
en. Trotzdem investierte das Ehepaar über
überhaupt nur an 11 Tagen Aktien gehanmachen und machen es wieder falsch.“
20 000 Euro in LetsBuyIt .
delt. An den übrigen Handelstagen blieb
Im Zentrum der Frankfurter Ermittlun- die Aktie umsatzlos“. Khatib hätte seine AnSolange die Bande für die Aktie trommelte, fragten Anleger das Papier nach – gen steht die Berliner ISP Finanz. Geld ver- teile bis dahin kaum verkaufen können,
und wurden reichlich mit Aktien bedient. dient sie offiziell mit der Web-Seite money- schon gar nicht zu einem guten Preis.
money.de und dem Börsenbrief „MoneyNach rund drei Wochen aber wirkten die
Khatib soll nach Aussage des Zeugen
Money“, den sie an Anleger vertreibt. Allei- Manfred Haindl* vor Gericht Drahtzieher
Empfehlungen nicht mehr, drückte das
niger Gesellschafter war mindestens bis Ju- der LetsBuyIt-Manipulation gewesen sein.
überreiche Angebot den Kurs: „Plötzlich
sind die Dinger voll runtergegangen“, ni 2012 Walter Frick, Vater von Markus
Haindl, der sich selbst „KapitalmarktberaFrick. Der Senior hat die Firma 2008 ge- ter“ nannte, saß einige Wochen in Untersuschimpft die alte Dame – ihr Geld war weg.
gründet und Sohn Markus bis Mitte 2012
chungshaft, weil die Staatsanwaltschaft
* Name geändert und der Redaktion bekannt
zum Geschäftsführer bestellt; die Taten der
vermutet, dass er ein Mitglied der Bande »
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FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA (2)
Real-Depot vom 6. Mai 2012:
„Wichtig ist, dass Sie vor uns
investiert sind, denn wir werden
im Mai die Aktie LetsBuyIt neu
ins Real-Depot aufnehmen. Wir
müssen uns jetzt beeilen, denn
gestern sind die Umsätze drastisch
angestiegen.“
Geld&Börse
» um
Frick gewesen sei. Fragen
dazu beantwortete er nicht. Vor Gericht sagte der Anfang 30-Jährige
mit den gegelten Haaren, er sei
durch die Frankfurter Wertpapierhandelsbank Renell auf LetsBuyIt
aufmerksam gemacht geworden.
„Renell hat mich darauf angesprochen, ob es eine Empfehlung zu der
Aktie geben kann“, so Haindl. Renell beteuert, dass die Bank „kein
Interesse“ habe, „Wertpapieraufträge mit zweifelhaftem Hintergrund“ auszuführen. „Eine aktive
Beteiligung unseres Unternehmens
an Marktmanipulationen hat es
nicht gegeben.“
sicht auf den Plan. Die BaFin wollte
wissen, wann und für wen die Bank
Aufträge abgewickelt habe. Abzuliefern seien Mails, Audiomitschnitte, Chatprotokolle, Verträge
und Namen und Adressen von Auftraggebern.
Renell zierte sich, Antworten
blieben schwammig. Die BaFin
musste mehrfach nachhaken. Aufträge seien „in der Regel mündlich
erteilt“ worden, so die Bank. Nicht
immer: In einer Mail zum Beispiel
schreibt Khatib an einen RenellHändler: „Let’s sell at 2.11“ – er
wollte für 2,11 Euro verkaufen. Renell legt Wert darauf, dass die Bank
Anfragen der Aufsicht „stets umfasMACHTLOSE AUFSICHT
send beantwortet“ habe.
Renell hat nicht nur die „neue“
Der Aufsicht reichten die AntLetsBuyIt – es gab schon einmal ein
worten der Bank jedoch nicht: Sie
gleichnamiges
Vorgängerunterdrohte Zwangsgeld an, Renell sollte
nehmen am Neuen Markt – an die
5000 Euro zahlen, weil nicht alle
Börse gebracht, sondern auch eiFragen beantwortet worden seien.
nen großen Teil der Aktien im beEs war nicht das erste Mal, dass Rerüchtigten First Quotation Board
nell ins Visier der Behörde geraten
der Deutschen Börse. Im Jahr 2010,
ist: Eine Geldwäsche-SonderprüEiskalter Abverkäufer
brüstete sich Renell in einer Präsenfung der Aufsicht soll zu dem Ergebtation, sei die Bank mit 65 Notierunnis geführt haben, dass die Bank bei
Geschäftsmann Castro Khatib beauftragte seine Bank,
gen hier Marktführer gewesen. Das
Geldwäsche-Kontrollen
schwerAktien von LetsBuyIt zu verkaufen – wenige Tage, bevor
Board war der am wenigsten reguwiegende Fehler machte. Die Bank
ein Börsenbrief massiv für diese Aktie warb.
lierte Bereich der Börse.
schwieg dazu. Konsequenzen hat
In Börsenkreisen heißt es, dass
das alles ohnehin kaum. Die Vorbei mindestens einem Drittel der Papiere
häufigen Verdachtsfällen auf Marktmani- stände amtieren noch, Renell betreut in
im Board manipuliert worden ist. „Im First
pulation“. Recherchen belegen, dass Cas- Frankfurt rund 60 Aktien.
Quotation Board war ein großer Teil der
Schläft die Bankenaufsicht?
tro Khatib Kunde von Renell war und er
Aktien, die an die Börse gebracht worden
Klären kann das womöglich ein Bankder Bank kurz vor Fricks Werbeaktion für
sind, eine Erfindung, um den Aktienkurs
insider. Er will anonym bleiben, beim
LetsBuyit Verkaufsaufträge für die Aktie
zu manipulieren und wertloses Papier
Treffen in einem Hinterhofcafé blickt er
erteilt hat. Unterlagen eines Bankinsiders
teuer zu verkaufen“, sagt Oberstaatsanwalt
zufolge hat Renell „umfangreiche Ver- nervös umher. Die Aufsicht habe Renell
Zmyj-Köbel. Ende 2012 schloss die Börse
käufe“ von LetsBuyIt-Aktien ausgeführt. mit Auskunftsersuchen überschüttet, sagt
das Board, aufgrund von „massiven und
Die riefen im Sommer 2012 die Finanzauf- er. „Die BaFin hat zwar wild gefaucht, »
6. Mai
„10 000 Aktien von LetsBuyIt
kommen NEU ins Real-Depot“
Let’s push it!
Wie der Aktienkurs von LetsBuyIt im Mai 2012 per Börsenbrief manipuliert worden ist
3. Mai
Ein Hintermann gibt Auftrag an
seine Bank, Aktien zu verkaufen
20
10. Mai
„Wir raten Ihnen dringend Aktien von
LetsBuyIt zu kaufen“
7. Mai
Aktienumsätze an der Börse ziehen an
16
Kurs (Euro)
Tagesumsatz (Stück)
Mai
31. Mai
„Nach diesem Kursdesaster fehlt
uns der Mut, erneut zu kaufen“
12
8
4. Juni
Umsätze an der Börse
flauen ab
Juni
4
60 000
40 000
20 000
0
Kurse um Kapitalmaßnahme (Zusammenlegung von Aktien) bereinigt; Quelle: Bloomberg, „Real-Depot“, eigene Recherche
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Geld&Börse
Tiger.“ Die BaFin verwies in einer
Stellungnahme auf ihre Verschwiegenheitspflicht.
Die Bank habe Dutzende zweifelhafte Aktien ins First Quotation
Board gebracht. „Es hat sich sehr
schnell rumgesprochen, dass Renell einfach alles an die Börse
bringt“, sagt er. Banken bekommen
für solche Listings Geld. Diese Gebühren aber sollen für Renell nur
Peanuts gewesen sein: Zusätzlich
hätten Manager von Renell auch
mit dem Gedanken gespielt, sich
Aktien übertragen zu lassen, sagt
der Mann, und hebt seine Tasse an
den Mund, als könne er sich dahinter verstecken. Renell bestreitet, jemals eine „Entlohnung in Form von
Aktien“ bekommen zu haben.
Der Insider schiebt ein Blatt über
den Tisch, die letzte Seite eines Vertrags, den Chef Marc Renell unterschrieben hat. Darin wurde festgelegt, zu welchem Preis wie viele Aktien eines Unternehmens verkauft
und wie die Erlöse unter mehreren
Partnern verteilt werden sollten.
Renell sollte demnach 20 Prozent
des Verkaufserlöses bekommen –
für eine Bank extrem ungewöhnlich. Renell hat Fragen der Redaktion zu dem Vertrag nicht beantwortet.
hieß es über den Spielanbieter Venatus, dass der erst „ganz schnell
auf vier Euro steigen“ sollte und
dann zwischen drei und fünf Prozent am Tag. Für Leser der Börsenbriefe sollte es wohl nach einem gesunden Kursanstieg aussehen.
Fricks Anwalt wollte insgesamt keine Stellungnahme abgeben.
Die Verkäufer hatten bereits zu
Beginn der Aktion Verkaufslimits
an der Börse platziert. Sie achteten
offenbar darauf, dass nicht zu
schnell zu viel verkauft wurde,
schließlich sollte der Kurs steigen.
Real-Depot vom 6. Mai 2012:
„Bitte schreiben Sie uns Anfang
Juni keine Email, ob Sie nun bei
3 Euro noch einsteigen können,
denn heute bekommen Sie das
Papier für nur 2,05 Euro. Günstiger
wird es nicht mehr werden.“
Anleger Fridolin Wagner* besitzt
noch LetsBuyIt-Aktien – unverkäufliche Depotleichen. Der dunkelEntgegenkommender Banker
haarige Mann im grau melierten
Sakko wirkt keineswegs naiv. Er ist
Die Bank Renell (Foto: Chef Marc Renell) verschaffte
kaufmännischer
Leiter bei einem
dubiosen Firmen eine Börsennotierung. Mitarbeiter sollen
internationalen Unternehmen, ist
Aktienumsätze manipuliert haben. Dazu schweigt Renell.
verheiratet, hat vier Kinder und ein
großes Haus mit Garten.
sei sich mit Khatib handelseinig geworden.
Anfang 2012 kam die erste Werbemail
Die Provision sei an den Kurs gekoppelt ge- vom Deutschen Aktiendienst, ungefragt –
wesen. Etwa die Hälfte, von dem, was ver- und weckte doch Interesse. „Ich musste
HIN- UND HERGEHANDELT
kauft worden sei, sollte fließen – vor Ge- Wochen warten, bis ich in den Verteiler
Die Frankfurter Staatsanwälte verdächtigen
richt sprach Haindl von rund zwei Millio- aufgenommen worden bin“, sagt Wagner.
Renell-Mitarbeiter zudem, den Kurs und
nen Euro. Dafür habe er auch den Kontakt
das Handelsvolumen einer anderen Aktie
So glaubte er, Zugang zu einem ausgewählbeeinflusst zu haben. Geschäfte sollen ab- zwischen Khatib und Frick organisiert.
ten Kreis zu bekommen.
Schon eine Woche nach Beginn der Wergesprochen worden sein. Mitte März rückte
beaktion in den Börsenbriefen – so sagte es
Real-Depot vom 10. Mai 2012:
dann die Staatsanwaltschaft Stuttgart bei
„Wenn Sie schon investiert sind, dann
drei Händlern an. Die Ermittler vermuten, Zeuge Haindl aus –, soll Khatib per Kurier
können Sie sich freuen, denn LetsBuyIt
dass sie die Aktie von Clean Enviro Tech, 500 000 Euro in bar an den Main bringen
angeblich ein Technologieunternehmen, lassen haben, per Auto aus der Schweiz. wird in den nächsten Wochen über 3,50
Mehrere Zehntausend Euro behielt Haindl
Euro steigen.“
immer wieder ge- und verkauft haben.
Das ist zwar verboten, aber typisch beim
ein, er bezahlte damit den Fahrer und eiAktienpush: Anleger sollen glauben, dass
nen Mann, der 30 000 Euro bekommen ha- Der Kurs der LetsBuyIt stieg tatsächlich.
ein Papier liquide ist, also jederzeit handel- ben soll. Nach Informationen der Wirt- Wagner verabschiedet sich auf eine Gebar. Weder Renell noch Clean Enviro Tech
schaftsWoche handelte es sich bei dem
schäftsreise. „Ich habe kurz an Verkaufen
haben Fragen dazu beantwortet. Letztere
Mann um einen Aktienhändler. Den Rest
gedacht, aber die Gier war doch größer als
soll nur eine Briefkastengesellschaft ohne
des Khatib-Geldes hat Haindl dann zu
das Hirn“, sagt er. Es lief schief, als er wieder
Mitarbeiter und Umsatz sein. Und der
Frick gebracht. Der hatte laut seinem Ge- nach Hause kam, stand die Aktie am EinPush soll gelaufen sein, wie so oft: Aggres- ständnis stolze 1,9 Millionen Euro in bar
standskurs, am Ende hat er 22 000 Euro in
sive Werbung für die Aktie, massiver Kurs- kassiert.
den Sand gesetzt. „An Betrug habe ich
anstieg, Auftraggeber verkaufen eigene PaDer Prozess in Frankfurt macht klar, wie
nicht gedacht, eher: shit happens“, sagt er
piere. Brutto sollen die Täter 2,3 Millionen
detailliert Aktienpusher ihre Aktionen pla- heute. Dass etwas nicht mit rechten DinEuro erlöst haben.
nen. Abgesprochen war, wie lange die Wer- gen zugeht, merkte er erst, als auf seine »
Zurück zu LetsBuyIt und dem Frick-Ver- bung pro Aktie dauern und über welchen
* Name geändert und der Redaktion bekannt
fahren: Berater Haindl sagte vor Gericht, er
Börsenbrief sie gepusht werden sollte, so
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FOTO: WERNER DUPUIS
» aber ist ja doch nur ein zahnloser
Geld&Börse
» Anfragen
Die Durchsuchung im Zuge des
Frankfurter Verfahrens hat der ISP
nicht das Genick gebrochen. Der
Laden von Vater Frick macht weiter,
sein Frontmann heißt nicht mehr
Markus Frick, sondern Jan Pahl.
Der junge Mann nennt sich Finanzjournalist, hat Knopfaugen und das
Real-Depot vom 28. Mai 2012:
perfekte Lächeln für Zahnpasta„Nun spekulieren wir auf einen
werbung. Einer, dem Großmutti
Wieder-Einstieg bei LetsBuyIt im
wohl jedes Versprechen abnehmen
Real-Depot. Bitte bedenken Sie,
würde. Mitte März ist Pahl in Sakko
dass die Analysten (...) ein Kursziel
und Schlips zum „MoneyMoneyvon über 5,00 Euro angesetzt
Seminar“ gereist. Im InterCity Hohaben.“
tel am Flughafen Frankfurt hat ISP
die Räume „Euro“ und „Dollar“ geSeine Geschichte muss Wagner als
mietet. 100 Menschen waren da,
Zeuge vor Gericht wiederholen,
um Pahls Tipps zu lauschen.
„bestimmt eine Stunde lang“. Frick
Pahl weiß, wie er Aufmerksamhabe „keinen Ton“ gesagt, bloß
keit bekommt – und hält sein Buch
„sein smarter Anwalt“ habe ihn
zwischen den Zuschauerreihen in
ganz schön auseinandergenomdie Luft. „Wer als Erster aufspringt
men. Ob er noch mal mit einem
und es greift, bekommt das Buch“,
Börsenbrief anlegen würde? „Nur,
ruft Pahl ins Mikrofon. Exklusiv auf
wenn ich ihn selbst gefälscht habe“,
dem Seminar soll das Buch zusamsagt er und lupft die Brille.
men mit einer DVD über DevisenFrick wurde Ende Februar gehandel 39 Euro kosten. 2000 Euro
meinsam mit einem MitangeklagGeprellter Anleger
Gewinn könne man am Tag mit Deten wegen Marktmanipulation vervisenhandel erzielen, verspricht
urteilt. Das Verfahren des dritten
Dieser Investor möchte anonym bleiben – der FamilienPahl. „Ich will doch kein Hoeneß
Angeklagten wurde gegen Zahlung
vater hat mehrere Zehntausend Euro mit Investments
werden“, ruft ein Zuschauer. Pahl
von 20 000 Euro eingestellt. Der
aus dem Frick-Börsenbrief verloren.
kontert: „Sie wollen nur nicht ins
Mann war nur für Technik zustänGefängnis. Hoeneß hat damit auch
dig. Die beiden anderen Angeklagten aber, sagte Richter Klaus Wiens, mit den Börsenbriefen nichts zu tun hat- 70 Millionen gemacht. Wenn man an der
„handelten vorsätzlich“. Ihre Werbeschrei- ten. „Wir hätten filtern müssen, welche Ak- Börse was machen will, kommt man um
ben enthielten „unwahre Angaben“. So gab tien von den Tätern verkauft worden sind“, Devisenhandel nicht herum.“ ISP und Pahl
haben nicht auf Fragen geantwortet.
es weder den namentlich genannten erklärt Zmyj-Köbel. Verkäufe aber laufen
Chefredakteur Schindler, noch ein Real- oft über ausländische Banken. „Wir hätten
Depot. Um nicht entdeckt zu werden, hat- uns daran einen Wolf ermittelt“, sagt Zmyj- NEUE WEGE, ALTE TRICKS
ten die Männer Synonyme verwendet. Ihre Köbel. „In Wirtschaftsstrafsachen mit kom- Die Szene organisiert sich neu, einige verMobiltelefone waren auf falsche Namen plexen Sachverhalten ist es schwer, zu ei- suchen, ihr Geschäft zu legalisieren. Entscheidend für die Verurteilung sei, hatte
ner Verurteilung zu kommen“, hatte er
zugelassen.
Frick hat der Richter zwei Jahre und sie- schon im Schlussplädoyer in Frankfurt ge- Richter Wiens im Frick-Prozess betont,
ben Monate aufgebrummt. Das Urteil ist sagt, „wenn man sieht, welche Anforde- dass die Täter nicht offengelegt hatten,
nicht rechtskräftig, da Frick Revision einge- rungen die Rechtsprechung stellt, und die
dass sie von steigenden Kursen profitieren.
legt hat. Für ihn dürfte das Verfahren in sind ja in den vergangenen zehn Jahren
Die Gauner haben verstanden. Viele arFrankfurt ohnehin nicht das letzte gewesen massiv gestiegen.“
beiten jetzt mit Warnhinweis. „Da steht
sein. Die Staatsanwälte am Main ermitteln
Anleger können sich nicht darauf verlas- drin: ‚Wir handeln grundsätzlich in diesen
weiter gegen ihn – wegen anderer Börsen- sen, dass die Justiz ihr Geld schon zurück- Werten und behalten uns vor, jederzeit und
briefe. Eine Stellungnahme dazu gab er holen wird.
ohne Ankündigung zu kaufen und zu vernicht ab. Sein Komplize hat ein Jahr und
kaufen.‘ Solange die Täter nur Stimmungen
sechs Monate auf Bewährung bekommen Real-Depot vom 31. Mai 2012:
schildern und keine nachweisbar falschen
„In der Redaktion haben wir (...) heftig
und das Urteil akzeptiert.
Informationen geben, kommen wir da
Den Vorwurf des Betruges – ungleich diskutiert, wie man so etwas in Zukunft
rechtlich schwer dran“, sagt Zmyj-Köbel.
gravierender als Marktmanipulation – hat vermeiden kann. Die Lösung ist, dass wir
Sein Problem ist das nicht mehr: Der erZmyj-Köbel fallen lassen. Für Betrug müs- (...) keine SmallCaps mehr empfehlen
folgreiche Oberstaatsanwalt wechselt nach
sen der Schaden beim Anleger und der werden. Wir haben festgestellt, dass
Gießen, weit weg von der Börse. Mit den
Vermögensvorteil beim Täter deckungs- solche Empfehlungen von Spekulanten
Aktenstapeln muss sich seit Anfang Mai
gleich sein. Doch als die Kurse stiegen, ha- und Altaktionären dazu genutzt werden,
sein Nachfolger herumschlagen.
n
ben auch Menschen Aktien verkauft, die um mit der Aktie Jo-Jo zu spielen.“
[email protected], melanie bergermann | Frankfurt
98
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FOTO: KLAUS WEDDIG FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE
hin keine Antwort
mehr vom Aktiendienst kam. „Ohne die Empfehlung wäre ich nie auf
die Papiere gekommen –, aber die
Entscheidung zum Kauf habe ich
ganz alleine getroffen“, sagt Wagner.

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