Griechenland: „Das Schlimmste wären die Nazis“

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Griechenland: „Das Schlimmste wären die Nazis“
EU und Griechenland 3
Mai 2015
SERIE Die EU einfach erklärt – Teil 4
Finden EU und Griechenland noch einen Ausweg aus der Krise? Oder ist
es zu spät? Pyrovolikos Panagiotis war zu Ostern in seiner Heimat.
Griechenland:
„Das Schlimmste
wären die Nazis“
Zu Ostern in Athen
Seine Heimat heißt Ikaria. Die
knapp 255 Quadratkilometer große Insel liegt westlich von Samos.
Ein tragischer Held
gab ihr
den Namen. Von
Ikaros erzählt
der Mythos,
dass ihm mit
seinem Vater Daedalus und selbst
gebastelten Flügeln die Flucht von
der Insel Rhodos gelang. Aber dann
wurde der Sohn übermütig. Höher
und höher stieg er allen Warnungen
zum Trotz, bis die Sonne seine Flügel verbrannte. Er stürzte ins Meer.
Eine Metapher für das Griechenland
von heute?
Panagiotis lächelt gequält: „Ja,
das war der Grund, weshalb wir so
weit gekommen sind. Alle sind zu
hoch geflogen. Mit fremdem Geld.
Mit Wirtschaftswachstum null. Alle
haben gut gelebt. Jeder Grieche hat
ein Ferienhaus, ein Boot, das beste
Auto, aber kein Geld.“ Wie das funktioniert hat? „Mit unserer Para-Ökonomie – niemand zahlt Steuern, die
Korruption blüht.“ Es gibt kein Wort
in der deutschen Sprache dafür, am
ehesten trifft es noch „Schattenwirtschaft“.
Panagiotis reiste für das orthodoxe Osterfest nach Athen zu seiner 81-jährigen Mutter. Sie hat noch
Glück. Ihr Mann hat über 40 Jahre
lang in Amerika gearbeitet. Von
dort bezieht sie ihre Pension und
„kann ganz gut leben“. Ansonsten
ist es in Athen „schlimmer als früher“. Alle haben sie gehofft,
dass es mit der neuen Regierung besser wird. „Aber
jetzt glaubt die Mehrheit
an den Grexit, den Austritt Griechenlands aus
der Währungsunion.
Und die Leute sagen:
„Schlimmer kann es
nicht mehr werden.“
„Nicht bereit“
Panagiotis nennt die
Einführung
des
Euro in Griechenland
heute einen Fehler. „Wir waren
nicht bereit, in die Eurozone
zu kommen.“ Allein ein Blick
auf die staatliche Verwaltung
reicht ihm als Bestätigung:
Internationale Hilfe (in Mrd. Euro)
„Beim Staat angestellt zu sein ist
für viele Griechen das Größte. Griechenland hat gerade mal elf Millionen Einwohner, aber fast 800.000
Beamte, das ist ja absurd.“
Die Stunde der Rechten
Wie das alles weitergeht? Panagiotis steckt sich nachdenklich eine
Zigarette an, dann sagt er: „Ich befürchte, dass die Nazi-Partei ,Goldene Morgenröte‘ abkassieren wird.“
Wenn die jetzige Syriza-Regierung
scheitert, „driften die Leute ganz
nach rechts. Das wäre das Allerschlimmste. Griechenland mit seiner Geschichte von Demokratie, und
dann von Rechtsradikalen regiert …“
Mit Nachdruck dämpft Panagiotis
die eben begonnene Zigarette wieder aus.
Und doch bleibt da immer ein
wenig Hoffnung. „2014 war ein Superjahr für den Tourismus. Das ist
ja unsere einzige Einnahmequelle.
Auch dieses Jahr wird gut, sagen
die Prognosen. Viele Ressorts sind
schon ausgebucht zwischen Juli
und August.“ Dies und der enorme
Stellenwert der Familie dämpfen
die Wucht der erdrückenden Probleme etwas ab:. Da sind die hohe
Jugendarbeitslosigkeit, die wachsende Armut, die aggressive Stimmung gegen Deutschland. Aber da
ist auch das Netzwerk der Familien.
Die funktionieren in Griechenland
noch anders – „jeder hilft“.
Ob Griechenland der EU langfristig erhalten bleibt? Das getraut
sich Panagiotis nicht zu sagen. „Ich
weiß nur eines: Die Probleme haben
wir verursacht, nicht die EU.“
AK-Seite mit allen
Grafiken zum Thema
EU, die bislang veröffentlicht wurden.
37,3
GER
FRA
ITA
ESP
NED
BEL
5,8
ÖST
IWF
32
3,7
FIN
1,5
SVK
3,6
Sonst.
195,4
2005
224,2
2006
239,3
2007
2008
118
2009
75
2005
2010
2011
125
114
108
94
82
2006
91
2007
95
2008
2012
private
Gläubiger 39
2013
2014
Staatsausgaben (in Mrd. Euro)
106
86
316,4 318,4
263,3
Staatseinnahmen
89
90
2009
2010
98
88
86
2011
2012
86
85
82
80
2013
2014
2013
2014
Inflationsrate (gegenüber dem Vorjahr in Prozent)
4,7
4,2
3,6
3,2
3,3
2,9
1,5
1,2
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
-0,4
-0,9
Arbeitslosenquote (in Prozent)
24,2
26,3
17,7
12,5
322
24,8
7,2
303,9
299,7
2. Hilfspaket
der Euroländer
2012–14 (EFSF)
142
EZB
27
11,9
355,2
27,3
1. Hilfspaket der
Euroländer 2010–11
(Bilaterale Kredite)
53
42,4
329,5
▸ QR-Code führt zur
Gläubigerstruktur (in Mrd. Euro)
56,5
Staatsverschuldung (in Mrd. Euro)
9,9
8,9
8,3
7,7
2006
2007
2008
9,5
andere
Kredite 15
Geldmarktpapiere 14
2005
2009
2010
2011
2012
2013
2014
Grafik: KEYSTONE, Quelle: Statista.de, EU, IWF, Raiffeisen
NIEDERGANG. Seit 20 Jahren
macht er Griechenland auf dem Bregenzer Leutbühel erfahrbar. Nicht
dieses umstrittene Hellas, das die
Solidargemeinschaft der EU seit Monaten in die Zerreißprobe zwingt.
Unter diesem Image seiner Heimat
leidet Pyrovolikos Panagiotis (57).
Sein Griechenland ist unbekümmert, hell und freundlich. Dem
gestressten Städter verspricht es
mit ein paar blauen Stühlen, reifen
Oliven und einem Glas Retsina Erlösung vom Alltag. Das gilt für die Bregenzer wie für Millionen Touristen
an der Ägäis gleichermaßen.