Ein Mythos: Autobahnerfinder Hitler
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Ein Mythos: Autobahnerfinder Hitler
KREIS GERMERSHEIM DIE RHEINPFALZ — NR. 163 MONTAG, 16. JULI 2012 02_LWOR IM BLICKPUNKT: ZEITUNG IN DER SCHULE – GOETHE-GYMNASIUM GERMERSHEIM Ein Mythos: Autobahnerfinder Hitler NILS FRAGT Was ist ein KdF-Wagen? 78 Jahre nach dem ersten Spatenstich zum Bau der ersten Autobahn in Deutschland glauben noch viele, dass Hitler deren Initiator, Planer und Erbauer ist. Die Nazis wollten mit dem Projekt aus der Weimarer Republik die Deutschen für ihre Ziele und ihren Führer begeistern. Als unsere Großeltern noch Kinder waren, gab es im Dritten Reich in Deutschland eine Organisation, die sich „Kraft durch Freude“ (KdF) nannte. Sie wirkte von 1933 bis 1945 und hatte die Freizeitgestaltung des Volkes übernommen, das es in den Kriegszeiten bei Laune zu halten versuchte. Veranstaltet wurden zum Beispiel bunte Abende, Sport- und Nähkurse, Konzerte und Reisen; sie war weltweit der größte Reiseveranstalter. Die Regierung wollte so die Arbeitskraft der Bürger stärken und ein gesundes, kriegstüchtiges und nervenstarkes Volk aufbauen und für den Zweiten Weltkrieg rüsten. Zudem sollte anderen Ländern ein selbstbewusster, starker Staat präsentiert werden. Ein weiteres Projekt von KdF war der KdF-Wagen. Diesen konnten Bürger mit Geld kaufen oder mit gekauften Sparmarken erwerben, die sie auf Sparkarten klebten, um mit genügend gesammelten Marken einen KdF-Wagen zu erhalten. Jedoch wurden die durch die Sammelaktion erworbenen Wagen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges größtenteils entweder nie ausgeliefert oder gleich wieder eingezogen. Sie wurden als Transportmittel während des Krieges benötigt. Für diesen wurden dann nur noch sogenannte Kübelwagen produziert. Später wurden im extra dafür gebauten Werk im heutigen Wolfsburg nur noch „Volkswagen“ genannte KdF-Wagen hergestellt, der spätere VW-Käfer. (Melissa Betsch) VON PAUL SCHRÖCK UND EVA WEISSER „Willy Hof und Adolf Hitler: die genialen Bahnbrecher für den deutschen Autobahngedanken.“ So steht es in einem am 6. Dezember 2012 erschienenen Zeitungsartikel im „Nassauer Boten“, der Hitler als Erfinder und Erbauer der Autobahnen preist. Dabei hatten bereits 1926 der Oberbürgermeister von Frankfurt, Ludwig Landmann, und seine Anhänger die Idee, ein neues Schnellstraßennetz für den öffentlichen Verkehr zu bauen. Auch das 1926 gegründete HAFRABA-Konsortium (Hamburg-Frankfurt-Basel-Autobahn) wollte norddeutsche Städte wie Bremen und Hamburg mit Autobahnen verbinden. Allerdings blieb das Projekt Straßenbau in der Weimarer Republik unvollendet. Obwohl die NSDAP noch bis 1930 als Oppositionspartei gegen den Autobahnbau gewettert hatte, versuchte Hitler bereits wenige Monate nach der Machtergreifung 1933 den Ausbau des Straßennetzes in Deutschland als Erfolg für sich auszuschlachten. So kündigte er an, mit seiner eigens gegründeten Organisation „Reichsautobahn“ das Netz auf 7000 Kilometer auszuweiten. Dabei machte er sich geschickt die wirtschaftlichen, verkehrstechnischen und politischen Probleme zu Eigen, indem er den Bau als große Arbeitsbeschaffungsmaßnahme darstellte. Zusätzlich verband er das KdF-Sparprogramm und seiner durch den „Volkswagen“ vorausgesagten Massenmotorisierung mit dem Bau der Autobahnen. Tatsächlich lagen die Ausgaben für die Aufrüstung der damaligen Reichswehr bereits 1934 sechsmal höher als die Finanzierung der Straßen und auch die Arbeitslosenrate war nicht durch den Straßenbau, sondern durch eine sich seit 1932 vollziehende allgemeine wirtschaftliche Erholung, zurückgegangen. Selbst die Löhne der Arbeiter blieben während dieser Zeit deutlich unter dem Lohnniveau von 1929. Obwohl der Bau der Autobahnen bis 1936 große Fortschritte machte und zwischen 1936 und 1938 bis zu 1000 Kilometer Straßen pro Jahr fertiggestellt wurden, stockte die Wei- DATEN & FAKTEN: Straßenverkehrssicherheit 1 1903 Erfindung der Sicherheitsgurte 1 1949 Entwicklung erster Dummy 1 1951 Einführung der technischen Überwachung für Kraftfahrzeuge 1 Die Sicherheitsfahrgastzelle von Daimler-Benz wird zum Patent angemeldet 1 1956 Erfindung Dreipunkt-Sicherheitsgurt von Volvo 1 1959 Erste Sicherheitskarosserie bei Mercedes-Benz 1 1967 Entwicklung des Airbags von Mercedes-Benz 1 1978 Das Antiblockiersystem (ABS) geht in Serie 1 1980 Der Fahrer-Airbag wird angeboten 1 1985 Der Beifahrerairbag wird angeboten 1 1988 Das ABS geht auch bei Motorrädern in Serie 1 1994 Volvo führt Seitenairbag für Fahrer und Beifahrer ein 1 1995 Erstes elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP) 1 Weltweit erster Gurtstraffer mit integriertem Gurtkraftbegrenzer 1 1996 Erster Bremsassistent (Jacob Städtler, Luca Pesch) Ein Fahrzeugführer, der Geschichte (um)schrieb. terentwicklung der Autobahnen bei Kriegsanfang 1939 erheblich, da „Reichsautobahn-Leiter“ Fritz Todt seine Maschinen und Arbeitskräfte für die Kriegsindustrie abgeben musste. So blieben viele Strecken unvollendet. Trotzdem wurde, seit dem ersten Spatenstich durch Hitler, am 23. September 1933, die Autobahn weiterhin von Joseph Goebbels Propagandamaschinerie ausgeschlachtet. Stark umstritten ist, dass die Autobahnen zur besseren Beförderung der Wehrmachtssoldaten im Kriegsfall geplant und erbaut wurde. Denn die Reichswehr hatte schon 1933 den Beginn der Bauarbeiten entschieden abgelehnt, da sie in den Straßen keinen strategischen Wert sahen. Wichtige Militärs waren zwar in die Baupläne eingeweiht und gaben Anweisungen für eine strategisch günstige Ausführung, aber Todt war mehr darauf bedacht, wichtige Wirtschaftsziele miteinander zu verbinden. Von einer Nutzung der Autobahnen durch die Wehrmacht kann man erst ab 1944/45 sprechen, als die Luftwaffe große Streckenabschnitte als Behelfslandebahnen nutzte. Letztlich wollten die Nazis die Deutschen für ihre Ideen und ihren Führer begeistern. Zur Sache: Deutsche Autobahnen Die Autobahnen in Deutschland waren nicht immer so sicher wie heute. Die erste öffentliche Autobahn von Köln nach Bonn, die heutige A 555, hatte nicht einmal Schutzplanken, die mehrere unter dem Wort Leitplanken kennen. Dieser heute selbstverständliche Schutz wurde erst ab den 1960er Jahren flächendeckend verbaut. Zudem war keine Geschwindigkeitsbegrenzung vorhanden. Ohne Airbag, Dreipunkt-Sicherheitsgurt, Antiblockiersystem und Elektronisches Stabilitätsprogramm, welche alle erst später erfunden wurden, konnte jeder kleine Zusammenstoß oder jedes kleinstmögliche Abkommen von der Straße lebensgefährlich sein. Dies hatte zur Folge, dass es im Verhältnis zu dem heutigen Verkehrsaufkommen sehr viele Tote und Verletzte gab. Für Unfälle mit Verletzten gab es auch viel zu wenige Möglichkeiten, schnell Hilfe zu holen. Obwohl die sogenannten Polizeistraßenmelder, mit denen die die Beamten im Straßenaufsichtsdienst bei ihrem nächstgelegenen Polizeirevier anrufen konnten, schon 1924 in Berlin getestet wurden, kann man nicht von einer maßgeblichen Sicherheitseinrichtung sprechen, denn sie wurden nicht weit verbreitet auf Autobahnen verbaut. Erst der „Eiserne Schutzmann“ bot ab 1956 eine gute Möglichkeit, Rettungsdienste für Verletzte zu alarmieren. (Jacob Städtler und Luca Pesch) KARIKATUR: KAI RÖSSLE KOMME NT AR Ammenmärchen VON LEON TCHAKACHOW Die Autobahn ist keine Erfindung der Nazis, sondern der Weimarer Republik. Das sollte klar sein. Der Begriff „Autobahn“ hinterlässt häufig einen bitteren Nachgeschmack, da mit ihm stets Hitler und das Dritte Reich in Verbindung gebracht werden und die Autobahn angeblich eine große Innovation des Nationalsozialismus ist. Schon lange fördert diese „Ente“ Phrasen wie: „Autobahn geht gar nicht“ oder auch in anderer Richtung: „Hitler hat nicht nur Schlechtes gemacht.“ Fakt ist: Die Autobahn ist ein Konstrukt der Weimarer Republik und die Nationalsozialisten haben lediglich vorhandene Pläne aus der Schublade gezogen. Die erste richtige Autobahn entstand zwischen Köln und Bonn und wurde 1932 von Konrad Adenauer eingeweiht. Das Bild von „Hitlers Autobahn“ würde in unserer heutigen Zeit ganz sicher nicht existieren, wäre von Anfang an historische Aufklärung betrieben worden. Wie war es früher auf deutschen Straßen? INTERVIEW: Ein 89-Jähriger erzählt, dass es weniger Schilder und Verkehrskontrollen gab Wie war es früher um das Straßennetz und die Sicherheit auf deutschen Straßen bestellt? Darüber sprachen Ralph Kochendörfer und Leon Tchakachow mit einem 89-Jährigen, der bereits seit 73 Jahren den Führerschein hat. Wie war das Straßennetz hier in der Umgebung ausgebaut? Die Straßen waren damals schlecht ausgebaut. Besonders 1929, als es in Deutschland eine Wirtschaftskrise gab, wurden kaum mehr Straßen gebaut, weil es keine Aufträge gab. Wie waren die Straßen, in Bezug auf die Sicherheit beschaffen? Sicher war der Fahruntergrund früher ganz und gar nicht! Zwischen kleinen Dörfern in der Umgebung gab es manchmal nur Schotterpisten, dementsprechend war es gefährlich zu fahren, da der Bremsweg deutlich länger war als bei asphaltierten Straßen. Aber diese waren auch schon vorhanden und im Laufe der Jahre gab es sie fast ausschließlich Wie wurden Fahrschüler aufs Fahren vorbereitet – hat man damals schon so viele Fahrstunden gebraucht? Nein! Auf das Fahren vorbereitet wurde ganz wenig. Ich zum Beispiel habe mit 16 Jahren meinen Führerschein gemacht und hatte ihn bereits nach einer Fahrstunde in der Hand. Der Fahrlehrer hat mich kurz nach der Bedeutung einiger Verkehrsschilder gefragt und kurz im Straßenverkehr geprüft – danach hatte ich meinen Führerschein. Frieher hots kaum Staus gewwe Des Audo war frieher ä absoludes Luxusgud. Fer ä Stadt wie Germersche warn zwanzisch Audos jo schun richdich viel. Desweche wars domols ach noch ned so ernschd mit de Stroßeverkehrsrechle. Ä mol im Monad is ma vielleicht zu zwätt an ännre Kreuzung gewesst. Eher hot ma uffbasse misse, dass kä Viech uff de Stroß gstanne is. Des Beschde war awwer, dass de Schbritt bloß ä paar Penning gekoscht hot. Früher war nicht alles besser: In den 1920er Jahren waren die Straßenverhältnisse in Deutschland schlecht. Schlechter als heute, selbst wenn sich nach dem Winter Schlaglöcher auftun. FOTO: RALPH KOCHENDÖRFER VON JOSHUA UHRICH, TOBIAS HÄNLEIN UND JOHANN HAMBSCH Das nach dem Golf weltweit am meisten produzierte Auto der Welt ist der VW 1200, der Käfer. Das erste Modell des Kult-Autos verließ schon 1938 die Fertigungshalle in Wolfsburg. Von da an ging es nur noch bergauf für Volkswagen, da der Käfer das robusteste und preiswerteste Auto dieser Zeit war. In der Nazizeit konnte man den sogenannten KdF-Wagen (Kraft durch Freude), das erste Modell des Käfers, mit einer Sparkarte erwerben auf die man bei der „Bank der Deutschen Arbeit“ erworbene Sparmarken für den 990 Reichsmark teuren KdF-Wagen kleben musste. So wurden binnen eines Jahres 330.000 Autos in Auftrag gegeben. Jedoch wurden nur wenige davon produziert und danach gleich als Kriegsmittel wieder sichergestellt. WIE GEREDD, SO GEBABBELT: VON MAURICE KLEIN, MARIUS LIEBEL, VASILIOS THEISINGER UND DANIEL ORTH Wie war der Verkehr damals geregelt, um das Fahren möglichst sicher zu machen? Es gab auf den Straßen einige wenige Straßenschilder – bei weitem nicht so viele wie heute. Man hatte auch schon Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder aufgestellt, aber das waren nur Richtlinien, an die sich fast niemand gehalten hat. Warum auch? Die Polizei gab es zwar, aber keine Verkehrskontrollen. Sehr häufig hat man betrunkene Auto- und Lastwagenfahrer auf den Straßen beobachten können, aber selbst dann hat die Polizei nur darauf aufmerksam gemacht, das Auto stehen zu lassen. Erst im Laufe der Jahre wurde strenger und häufiger kontrolliert. Wie sicher waren die Autos um 1940? Die Autos von damals sind nicht mit den heutigen zu vergleichen. Ab 2013 müssen Spurhalteassistenten und automatische Bremsen serienmäßig in allen Autos verbaut werden und früher gab es nicht einmal Sicherheitsgurte. Im Radio wurde sehr oft von Unfällen berichtet, bei denen Genickbruch die Folge war – Kopfstützen gab es auch nicht. Zweifelsohne wurde diese revolutionäre Idee, die international nachgeahmt wurde, im Dritten Reich zu Zwecken des Krieges missbraucht. Allerdings ist das kein Grund, dieses Verkehrsnetz, das heute noch unser Leben erleichtert, zu ächten. Da Otto Normalverbraucher nur in Ausnahmefällen ein studierter Historiker ist, wäre es wichtig, die Autobahn in den Geschichtsbüchern nicht mehr als Verdienst der Faschisten, sondern der ersten demokratischen Republik auf deutschem Boden zu erwähnen. Ein wichtiger Inhalt, insbesondere des schulischen Geschichtsunterrichts, sollte es daher auch sein, mit solchen Ammenmärchen endgültig aufzuräumen und Fakten zu vermitteln. Sonst kann es schnell passieren, dass aus geschichtlichen Irrtümern Ideologien werden. VW Käfer: „Er läuft und läuft und läuft und …“ Awwer mol ganz ehrlich: So ä Fahrt vun Germersche uff Karlsruh zu de Gäälfiesler war schun ä halwi Weldreis, obwohls kaum Stau gewwe hot. Wen wunnerds wann ma mit 80 noch änner vun de Schnellschde war. Desweche wars schun ä Bsunnerheit, wann de Fahrer än Gurt katte hot. Des Beschde war awwer domols, dass de Schbritt an de Tankschdelle bloß ä paar Penning gekoscht hot. Nimmie so wie heidzudach, wo des Audo ä Pflichtobjekt worre is und die Schbrittpreise wuchern ohne Ende. Des kann doch kä Sau mäh zahle! In Mexiko City sind noch viele Käfer unterwegs – als Taxi. FOTO: DDP Der von Ferdinand Porsche konstruierte Kleinwagen hatte eine mäßige Sicherheitsausstattung. Die ersten Modelle hatten keine Sicherheitsgurte und anstelle eines Blinkers nur einen Winker, der vor dem Abbiegen heraus geklappt wurde. Immer wieder gab es kleinere Verbesserungen, wie zum Beispiel ein Faltdach oder hydraulische Bremsen. Bis 2003 wurden circa 21,5 Millionen Käfer gebaut. In Mexico City werden noch viele VW Käfer als Taxis genutzt, da er als ein günstiges und zuverlässiges Auto gilt. Dies nutzte Volkswagen aus und machte daraus den berühmten Werbespot mit dem Slogan „Der Volkswagen Käfer läuft und läuft und läuft und läuft“. IN E IGE NE R S AC HE Das Goethe-Gymnasium in Germersheim hat sich am von der RHEINPFALZ unterstützten Projekt „Vorfahrt für sicheres Fahren“ des IZOP-Institutes in Aachen beteiligt. Als übergeordnetes Thema haben die 23 Schüler der 10d und der sie betreuende Lehrer Dirk Wippert im Fach Deutsch die „Verkehrssicherheit im Nationalsozialismus (im Vergleich zu heute)“ behandelt. Ihre Beiträge dazu finden sich auf dieser Seite. (red)