Shitstorm mit Gmias

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Shitstorm mit Gmias
Jan We i ler
m e i n le be n als mensch
Shitstorm mit Gmias
Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco
J etzt ist es soweit. Der deutsche Netzbürger geht mir
massiv auf die Erbse. Man
kann sich den Wellen der Empörung, die im Internet hin und
herrollen, kaum noch entziehen.
Und wenn es mir gelingt, von
einer Aufregung nicht behelligt zu werden, dann sorgt meine
Tochter dafür, dass sie mich doch noch erreicht. Unser Pubertier Carla verbringt den weitaus größten Teil ihres Lebens im
Internet und muss sich dort ständig furchtbar echauffieren.
Seit Wochen köchelt zum Beispiel der Kriegsverbrecher Joseph
Kony auf mittelgroßer Flamme durch unser Leben. Das mag eine
schlimme Type sein und ich war einen Vormittag lang dankbar
für jede Information, aber irgendwann ist es auch mal gut. Als
ich Carla jetzt darum bat, mich aus ihrem Mailverteiler zum
Thema „Kony 2012“ zu streichen, warf sie mir vor, dass ich weder
die Welt um mich herum verstünde noch sie als Person. Ich
stimmte ihr uneingeschränkt zu und bat sie, gelegentlich ihre
Schuhe aufzuräumen. Daraufhin ging ein so genannter Shitstorm mit Verwünschungen auf mich nieder. Ich fühlte mich
wie Patrick Döring von der FDP nach der Wahl im Saarland.
Der arme Kerl hat nach einer unbesonnenen und leicht dämlichen Äußerung über die Piratenpartei und ihrer angeblichen
„Tyrannei der Massen“ ebenfalls einen gewaltigen Shitstorm
erlitten – was komischerweise im Nachhinein seine Aussage
belegte. Es ist schon so: Facebook ist die Trillerpfeife der Stubenhocker von der Piratenpartei. Sobald jemand eine Meinung
äußert, die ihren Anhängern nicht passt, wird millionenfach mit
piefigen Kommentaren zurückgekeilt. Ja, klar, das ist Demokratie. Aber es ist auch, wenn schon keine Tyrannei der Massen, so
doch zumindest eine Tyrannei der Spießigkeit.
Damit bekam es auch Sven Regener zu tun. Der Musiker
schimpfte auf die gewaltsame Entwertung unserer Kultur durch
die Forderung nach kostenloser Herausgabe sämtlicher Musik.
Regeners Meinung dazu kann man sich nur anschließen, jedenfalls als Künstler. Doch kaum waren seine Worte in der Welt,
da kommentierte irgendein Fatzke reflexhaft im Internet,
Regener habe sowohl das Urheberrecht als auch die das Recht
der Urheber vertretende Verwertungsgesellschaft GEMA nicht
verstanden. Das ist bei jeder Kontroverse so: Niemand außer den
sogenannten Netzbürgern hat
Themen wirklich durchdrungen.
Auch Regener nicht, der seit dreißig Jahren seinen Lebensunterhalt als Künstler verdient. Man
könnte über so viel Hybris glatt selber in Wut geraten und Blogs
vollblubbern. Oder man absolviert einen Spaziergang zum örtlichen Obst– und Gemüsehandel. Dort lernt man einiges über
den Umgang mit Wutbürgern. So nennt man Netzbürger, die ihr
Haus verlassen, um sich als Nervensägen in der wirklichen Welt
zu materialisieren.
Ich gehe gerne zu unserem Gemüsemann. In einem bayerischen Ort heißt so jemand übrigens nicht Gemüsemann,
sondern Gmiasmo. Muss man auch erst einmal lernen. Heute
war ich jedenfalls beim Gmiasmo und kaufte eine Mango. Da
brach ein gewaltiges Urviech ins Geschäft wie eine Hirschkuh
durchs Unterholz und begann den Gmiasmo zu beschimpfen.
Ich kenne die Frau flüchtig und habe Angst vor ihr, denn ich
habe sie schon einmal auf einem Dorffest reiten sehen. Im Programm stand: „Wikingerinnen ohne Sattel und Zaumzeug auf
Isländerponys.“ Egal.
Die Wikingerin brüllte jedenfalls den Gmiasmo an, dass seine
Erdbeeren wie Wasser schmeckten und dass ihre Kinder so
etwas nicht fressen würden. Sie behauptete, er habe ihr billige
spanische Erdbeeren zum Preis der teureren italienischen Erdbeeren angedreht. Der Gmiasmo sagte ruhig, dass die billigen
spanischen besser seien und sie unbedingt die italienischen
hätte haben wollen und auch bekommen habe. Und dass er kein
Betrüger sei. Die Wikingerin brüllte, dass sie ihr Geld zurückhaben wolle, das sei nämlich ihr Recht. Ansonsten werde er
schon sehen, was er davon habe. Der Gmiasmo gab ihr das Geld
zurück, obwohl es ihr nicht zustand und verabschiedete sie
freundlich. Ich bewunderte ihn für seine Ruhe. Er sagte: „Was
soll ich machen? Wenn ich sie rausschmeiße, diffamiert sie
mich im Internet. Und das kann ich mir nicht leisten.“ Ja. Auch
so funktioniert Demokratie.
16 . april 2012

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