Good bye Deutschland - Juristische Fakultät

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Good bye Deutschland - Juristische Fakultät
Institut für Öffentliches Recht
Universität Augsburg
Sommersemester 2011
Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht III (Grundrechte)
Fall 8: Good bye Deutschland – Der Auswanderer (Lösungshinweise)
Vorbemerkung: Der vorliegende Fall wurde im
Sommersemester 2007 als Zwischenprüfungsklausur im Rahmen der Vorlesung Grundkurs Öffentliches Recht III an der Juristischen Fakultät der Uni1
versität Augsburg gestellt. Die Klausur dürfte als
mittelschwer einzustufen sein. Ihren Schwierigkeitsgrad verdankt sie hauptsächlich ihrer Länge. Lediglich die Frage nach dem Prüfungsumfang des
BVerfG dürfte eine echte Hürde für die Bearbeiter
sein.
Dementsprechend wichtig ist es, dass die Bearbeiter sauber unter die jeweiligen Tatbestandsmerkmale subsumieren und argumentieren. Als Faustformel kann gelten, dass eine um Definitionen und
behauptete Ergebnisse angereicherte Gliederung
nicht zum Bestehen ausreicht.
Die Hinweise in den grauen Kästen versuchen,
alternative Lösungswege und typische Fehlerquellen zu berücksichtigen, da eine Vielzahl von verschieden Lösungswegen in Betracht kommt und die
Erfahrung zeigt, dass diese sämtlich von den Bearbeitern beschritten werden.
Obersatz: Die Verfassungsbeschwerde des A hat
Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Hinweis: Die dargestellte Prüfung der Zulässigkeit
ist sehr ausführlich. Bis auf die gegenwärtige Beschwer sind alle dargestellten Punkte relativ unproblematisch und können von den Bearbeitern
knapp abgehandelt werden.
I. Zuständigkeit des BVerfG – Art. 93 I 1 Nr. 4a
GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG
Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff.
BVerfGG entscheidet das BVerfG über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der
Begründung erhoben werden können, durch die
öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder
grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Das
BVerfG ist demnach für die von A erhobene Verfassungsbeschwerde zuständig.
II. Beschwerdefähigkeit – Art. 93 I Nr. 4a GG, §§
13 Nr. 8a, 90 I BVerfGG
Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG kann
eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich von
jedermann erhoben werden. „Jedermann“ ist, wer
potentiell Träger der von ihm gerügten Grundrechte
2
sein kann . Dies ist bei lebenden natürlichen Personen grundsätzlich der Fall. A ist daher beschwerdefähig.
III. Beschwerdegegenstand – Art. 93 I Nr. 4a GG,
§ 90 I BVerfGG
Nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG kommt als
Beschwerdegegenstand jeder Akt öffentlicher Gewalt in Betracht, also auch sämtliche Akte der deut3
schen Gerichtsbarkeit . Der Beschwerdeführer hat
die Wahl, ob er nur gegen das letztinstanzliche Urteil oder auch zusätzlich die Entscheidungen der
4
Vorinstanzen angreifen möchte . Vorliegend will A
ausschließlich gegen das letztinstanzliche Urteil,
das die Zwangsvollstreckung als rechtmäßig anerkannt hatte, Verfassungsbeschwerde erheben. Ein
zulässiger Beschwerdegegenstand ist damit gegeben.
IV. Beschwerdebefugnis – Art. 93 I Nr. 4a GG, §
90 I BVerfGG
Beschwerdebefugt ist gemäß § 90 I BVerfGG, wer
behaupten kann, durch die öffentliche Gewalt in
einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen
Rechte verletzt zu sein.
2
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 121 ff.
3
1
Bei einer Misserfolgsquote von 37,11 % wurden im
Durchschnitt 5,14 Punkte erreicht; vgl zu dem Fall, insbesondere auch zu den gutachterlichen Vorüberlegungen:
Miller/Schweighart, Übungsklausur – Öffentliches Recht:
Hausfriedensbruch oder Verletzung des Art. 13 GG? –
Ein Gerichtsvollzieher mach Ernst, JuS 2008, 607 ff.
Fleury, Verfassungsprozeßrecht, 7. Aufl. (2008), Rn.
277, 292 ff..
4
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 1231; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. (1991), § 12 Rn.
26; Fleury, a.a.O., Rn. 296; wird keine ausdrückliche Wahl
getroffen, richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen
alle Gerichtsentscheidungen.
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1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung
V. Rechtswegerschöpfung
Zunächst ist erforderlich, dass die Möglichkeit einer
Grundrechtsverletzung gegeben, d.h. nicht offen5
sichtlich ausgeschlossen ist ; dies müsste substantiiert dargelegt werden. A kann sich darauf berufen,
durch das Urteil in seinen Grundrechten aus Art. 13
I, Art. 12 I, 2 I GG (Unverletzlichkeit der Wohnung,
Berufsfreiheit, Allgemeine Handlungsfreiheit) verletzt worden zu sein. Es erscheint zumindest nicht
ausgeschlossen, dass die Gerichte bei Auslegung
und Anwendung der §§ 758, 758a ZPO die Bedeu6
tung dieser Grundrechte verkannt haben .
Nach § 90 II S. 1 BVerfGG i.V.m. Art. 94 II S. 2 GG
kann eine Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. A
müsste also alle ihm zur Verfügung stehenden
Rechtsmittel gegen das erste Urteil ausgeschöpft
10
haben. Gegen das letztinstanzliche Urteil gibt es
kein ordentliches Rechtsmittel mehr. A hat somit
den Rechtsweg vollständig beschritten.
2. Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Beschwer
Weiterhin müsste A selbst, gegenwärtig und unmit7
telbar betroffen sein : Das Urteil richtet sich gegen
ihn selbst. Da das Urteil keiner weiteren Vollzugsakte bedarf, ist A unmittelbar beschwert.
Außerdem müsste A als Beschwerdeführer schon
8
und noch (gegenwärtig) betroffen sein . Dies ist
jedoch fraglich, da sich die Maßnahme (Zwangsvollstreckung) gegen A bereits erledigt hat.
Obwohl sich die angegriffene Durchsuchung mit
deren Abschluss erledigt hat, besteht das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin fort, wenn
es sich um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff
handelt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn
das GG den betreffenden Eingriff unter Richtervorbehalt stellt. In diesen Fällen besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls dann fort, wenn sich die
direkte Belastung durch den Hoheitsakt nach dem
typischen Verfahrensablauf auf einen Zeitraum
beschränkt, in welchem der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Dies ist
9
bei Durchsuchungen der Fall .
A ist daher beschwerdebefugt obwohl er gegenwärtig nicht mehr betroffen ist.
Hinweis: Die Frage der Erledigung der Durchsuchung kann unter dem Punkt „Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis“ thematisiert werden.
VI. Subsidiarität
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde gemäß dem Grundsatz der
Subsidiarität nur zulässig, wenn die Grundrechtsverletzung (abgesehen von der Ausschöpfung des
Rechtsweges) durch die Gerichte oder andere Organe auf keine andere Weise beseitigt werden
konnte oder hätte beseitigt werden können. Andere
Möglichkeiten der Grundrechtswahrung sind für A
nicht ersichtlich, so dass die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht am Grundsatz der Subsidiarität scheitern würde.
VII. Form und Frist, §§ 23 I, 92; 93 I BVerfGG
Der Antrag müsste den Formerfordernissen der §§
23 I S. 2, 92 BVerfGG entsprechen. A müsste gem.
§ 93 I S. 1 BVerfGG die Verfassungsbeschwerde
binnen eines Monats erheben und begründen. Laut
Sachverhalt wurde die Verfassungsbeschwerde
form- und fristgerecht eingelegt.
VIII. Zwischenergebnis
Die Verfassungsbeschwerde des A ist zulässig.
B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde des A ist begründet,
wenn er durch das Urteil in seinen Grundrechten
oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist.
I. Unverletzlichkeit der Wohnung – Art. 13 I GG
5
Pestalozza, a.a.O., § 12 Rn. 27.
6
Insoweit ist bereits hier eine Benennung des möglicherweise verletzten Grundrechts erforderlich.
7
Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung
ist verletzt, wenn das letztinstanzliche Urteil in den
Schutzbereich von Art. 13 I GG eingreift, ohne verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein.
Pestalozza, a.a.O., § 12 Rn. 35, 40 ff.
8
Manssen, Staatsrecht II (Grundrechte), 7. Aufl. (2010) §
35 Rn. 839.
9
vgl. BVerfGE 96, 27 (38 ff.); 104, 220 (233).
10
Pestalozza, a.a.O.,§ 12 Rn. 46 ff.
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1. Schutzbereich
Hierfür müsste zunächst der Schutzbereich der
Unverletzlichkeit der Wohnung eröffnet sein.
a) Sachlicher Schutzbereich
Art. 13 I GG steht in engem Zusammenhang mit der
freien Entfaltung der Persönlichkeit und soll dem
Einzelnen einen „elementaren Lebensraum“ gewährleisten, in dem er das Recht hat, „in Ruhe ge11
lassen zu werden“ . Wohnung bedeutet demnach
12
„räumliche Privatsphäre“ . Zur Wohnung zählen
deshalb alle Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen
und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind, wobei es auf die Eigentumsverhältnisse
13
nicht ankommt . Fraglich ist, ob die Geschäftsräume des A unter diese Definition fallen.
Nach einer Ansicht ist dies nicht der Fall. Geschäftsräume seien nicht dem privaten Lebensbereich zuzuordnen und gehörten somit nicht der
14
räumlichen Privatsphäre an . Dieser Ansicht folgend, wären die Geschäftsräume des A nicht vom
Schutzbereich des Art. 13 I GG erfasst.
Eine zweite Ansicht unterscheidet zwischen öffentlich zugänglichen (Ladenlokal etc.) und unzugänglichen Geschäftsräumen (Verwaltungsgebäude etc.).
Nur letztere seien aufgrund der räumlichen Abschottung von der Öffentlichkeit zeitlich unbeschränkt vom Schutzbereich des Art. 13 I GG er15
fasst . Für öffentlich zugängliche Geschäftsräume
soll der Schutzbereich nur außerhalb der Ge16
schäftszeiten eröffnet sein . Vorliegend betreibt A
einen während den Geschäftszeiten frei zugänglichen Döner-Imbiss. Mangels räumlicher Abschottung wäre der Schutzbereich des Art. 13 I GG nicht
berührt, wenn G während der Öffnungszeiten den
Imbissladen betreten hätte. Da G aber vorliegend
nach den Geschäftszeiten in die Geschäftsräume
des A eingetreten war, wäre der Schutzbereich von
Art. 13 I GG auch nach dieser Ansicht eröffnet.
Eine dritte Ansicht und das BVerfG gehen davon
aus, dass Geschäftsräume unter den Wohnungs17
begriff des Art. 13 I GG fallen . In Art. 12 und 14
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GG komme zum Ausdruck, dass Arbeit, Beruf und
Gewerbe Teil der menschlichen Selbstverwirkli18
chung sind . Dies wird von der ersten Ansicht übersehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nicht
allein die öffentliche Zugänglichkeit eines Raumes
alles darin Befindliche und Stattfindende öffentlich
macht, die Eröffnung eines Bereichs für das Publikum also noch nichts über die generelle Schutzwürdigkeit, insbesondere gegenüber dem Staat, aus19
sagt . Schließlich vermeidet diese Ansicht die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Privatsphäre
und beruflichem Tätigkeitskreis, welche die erste
20
Ansicht mit sich brächte . Insofern ist die Ansicht
vorzugswürdig.
Demnach unterfallen die Geschäftsräume des A
dem Schutzbereich von Art. 13 I GG.
Hinweis: Wichtig ist, dass die Bearbeiter das Problem erkennen, die verschiedenen Ansichten darstellen und sich anhand von Argumenten für eine Ansicht entscheiden. Jede der drei Ansichten ist vertretbar.
Angesichts der klaren Ausrichtung des Sachverhalts
ist es allerdings klausurtaktisch ratsam, die Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 13 GG anzunehmen, da anderenfalls im Hilfsgutachten weitergeprüft werden müsste.
b) Persönlicher Schutzbereich
Weiterhin müsste auch der persönliche Schutzbereich für A eröffnet sein. Als sog. Jedermansgrundrecht schützt Art. 13 I GG zumindest
natürliche Personen. Folglich ist der Beschwerdeführer A als natürliche Person vom persönlichen
Schutzbereich des Art. 13 I GG erfasst.
c) Zwischenergebnis
Der Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung ist eröffnet.
2. Eingriff
a) Allgemeines zum Eingriff
11
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 945.
12
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 945.
13
Manssen, a.a.O., § 27 Rn. 628 ff..
14
Frank/Stein, StR, 21. Aufl. (2010), § 35 II 1.
15
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 950.
16
BverfG, NJW 2003, 2669; a.A. BVerwGE 121, 345
(348).
17
BVerfGE 32, 54 (68 ff.); 76, 83 (88); 96, 44 (51).
Eine Verletzung von Art. 13 I GG setzt weiter voraus, dass in den Schutzbereich eingegriffen wurde.
Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem
18
Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art.
13 GG – Rn. 24.
19
BVerfGE 97, 228 (265).
20
Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art.
13 GG – Rn. 24.
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Grundrechtsträger ein Verhalten, das in den
Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder
teilweises unmöglich macht (bloße Unbequemlich21
keiten oder Belästigungen sind nicht ausreichend).
Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob diese
Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder
mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne
22
Zwang erfolgt (sog. moderner Eingriffsbegriff). In
Bezug auf Art. 13 I GG ist ein Eingriff dabei insbesondere jedes körperliche oder mit Hilfe technischer
Einrichtungen unkörperliche Eindringen in die Wohnung ohne den Willen des Wohnungsinhabers
23
durch die staatliche Gewalt. Vorliegend hat das
Gericht die Maßnahme des Gerichtsvollziehers G,
der als staatliches Organ mit Hilfe der Polizei ohne
und sogar gegen den Willen des A in dessen Geschäftsräume eingedrungen ist, als rechtmäßig
bestätigt. Ein Eingriff liegt demnach vor.
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
b) Besonderheiten bei Art. 13 I GG
Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird nicht
schrankenlos gewährleistet. Sie unterliegt für
Durchsuchungen dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 13 II GG. Einschränkungen sind daher
zulässig, das Gesetz muss jedoch einen Richtervorbehalt vorsehen, von dem nur bei Gefahr im Verzug
25
ausnahmsweise abgewichen werden darf . Die §§
758, 758a ZPO stellen ein solches Gesetz dar, insbesondere ist ein Richtervorbehalt enthalten, von
dem nur bei Gefahr im Verzug abgesehen werden
darf.
Doch damit ist die Prüfung des Eingriffs noch nicht
beendet, weil Art. 13 GG in den Abs. 2 bis 7 zwischen drei Eingriffsarten unterscheidet und diesen
drei Eingriffsarten unterschiedliche Regeln über die
Eingriffsrechtfertigung zuordnet.
Zu unterscheiden ist zwischen Durchsuchungen, für
die Abs. 2 gilt, Lauschangriffen, für die die Abs. 3
bis 6 gelten, und sonstigen Eingriffen und Beschränkungen, für welche die Eingriffsrechtfertigung
sich nach Abs. 7 richtet.
Vorliegend kommt eine Durchsuchung als Eingriffsart in Betracht, die von dem Gericht als rechtmäßig
betrachtet wurde. Durchsuchen im Sinne des Art.
13 II GG ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen
staatlicher Organe nach Personen oder Sachen, die
der Wohnungsinhaber von sich aus nicht offen le24
gen will bzw. die nicht ohne weiteres erkennbar
sind. Laut Sachverhalt hat G als staatliches Organ
in den Geschäftsräumen des A ziel- und zweckgerichtet nach pfändbaren Gegenständen gesucht.
Demnach liegt eine Durchsuchung im Sinne des
Art. 13 II GG vor.
Hinweis: Die Abgrenzung der Eingriffsarten kann
auch zu Beginn der Rechtfertigungsprüfung erfolgen.
Eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG scheidet
aus, wenn der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Dies wäre der Fall, wenn die Unverletzlichkeit der Wohnung einschränkbar wäre, der Eingriff auf einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage beruht und der Gerichtsvollzieher in verfassungsgemäßer Art und Weise von der Rechtsgrundlage Gebrauch gemacht hat.
a) Einschränkbarkeit der Unverletzlichkeit der Wohnung
Hinweis: Auch ein anderer Aufbau ist hier gleichwertig Die Einschränkbarkeit der Unverletzlichkeit
der Wohnung wird z. T. auch im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage für den
Eingriff geprüft.
Hinweis: Die Einordnung des Art. 13 Abs. 2 GG als
qualifizierter Gesetzesvorbehalt ist naheliegend,
aber nicht zwingend. Da Abs. 2 keine Qualifizierung
hinsichtlich des Zieles des Gesetzes enthält, wie
das bei den anderen qualifizierten Vorbehalten der
Fall ist, kommt auch die Einordnung als einfacher
Gesetzesvorbehalt mit einer zusätzlichen Verfahrensrechtlichen Absicherung in Betracht.
b) Vorliegen einer verfassungsgemäßen Eingriffsgrundlage (Gesetz)
Weiterhin müsste eine verfassungskonforme Eingriffsgrundlage vorliegen. In Betracht kommen die
§§ 758, 758a ZPO. Diese wären dann verfassungsmäßig, wenn sie formell und materiell verfassungsgemäß sind.
(1) Formelle Verfassungsmäßigkeit
21
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 253.
22
Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S.373;
Die §§ 758, 758a ZPO sind laut Bearbeitervermerk
formell verfassungskonform.
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 253.
23
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 951.
24
BVerfGE 76, 83 (89).
25
Manssen, a.a.O., § 27 Rn. 635.
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(2) Materielle Verfassungsmäßigkeit
(cc) Erforderlichkeit
Die §§ 758, 758a ZPO müssten auch materiell mit
der Verfassung übereinstimmen. Dies ist der Fall,
soweit die §§ 758, 758a ZPO verhältnismäßig i.w.S.
sind und auch den sonstigen Anforderungen der
Schranken-Schranken genügen.
Ebenso müsste die Maßnahme auch erforderlich
sein. Die Erforderlichkeit ist dann gegeben, wenn es
zur Erreichung des Ziels keine dem Staat zumutbaren milderen Mittel gibt, die gleich effektiv sind und
die betroffenen Grundrechtsträger weniger be30
lasten . Dabei ist zu beachten, dass § 758 ZPO
schon tatbestandlich ausscheidet, wenn mildere
Mittel möglich sind. Kann die Zwangsvollstreckung
nicht auf anderem Wege erfolgen (Forderungspfändung etc.), sind keine milderen und gleichwirksamen
Mittel als die Wohnungsdurchsuchung ersichtlich.
Außerdem gilt es auch hier die Einschätzungspräro31
gative des Gesetzgebers zu beachten .
(a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Ein Gesetz ist dann verhältnismäßig, wenn es einen
legitimen Zweck verfolgt, die gestattete Maßnahme
für die Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich
26
und zudem angemessen ist .
(aa) Legitimer Zweck
Zunächst müssten die §§ 758, 758a ZPO einen
legitimen Zweck verfolgen. Ein legitimer Zweck ist
27
jedes von der Verfassung gebilligte Ziel . Die §§
758, 758a ZPO dienen dem Schutz der Gläubiger,
denen die Durchsetzung ihres rechtskräftig festgestellten Anspruchs ermöglicht und gesichert werden
soll. Zudem fallen etwa vermögensrechtliche Ansprüche als vermögenswertes Recht des Privatrechts unter den Begriff des Eigentums (Art. 14
GG). Weiterhin soll mit den §§ 758, 758a ZPO die
Rechtspflege aufrechterhalten werden, die Zwangsvollstreckungsbefugnisse dienen damit auch dem
staatlichen Zwangsmonopol. Ein legitimer Zweck ist
demnach gegeben.
(bb) Geeignetheit
Die Maßnahme müsste auch geeignet sein. Geeignet ist eine Maßnahme immer dann, wenn sie zur
Erreichung des angestrebten Ziels zumindest för28
derlich ist . Vorliegend gestatten die §§ 758, 758a
ZPO bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen dem Gerichtsvollzieher, die Wohnung des
Schuldners zu durchsuchen. Diese Maßnahme ist
förderlich für den angestrebten Zweck, den rechtskräftig festgestellten Anspruch des Gläubigers im
Wege der anschließenden Pfändung durchzusetzen
und somit ein geeignetes Mittel. Zudem ist die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu beach29
ten .
Hinweis: Bitte achten Sie darauf, dass die Einschätzungsprärogative hier und bei der Geeignetheitsprüfung nur als weiterer Argumentationstopos,
nicht als Argumentationsersatz herangezogen wird.
(dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn
Die im Gesetz mit den §§ 758, 758a ZPO vorgesehene Maßnahme müsste auch angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) sein. Eine Vorschrift ist angemessen, wenn der mit ihr verbundene
Eingriff in das betroffene Grundrecht nicht außer
Verhältnis zur Bedeutung des angestrebten Ziels
32
steht . Im Hinblick auf eine abstrakte Abwägung
zwischen den Interessen des Schuldners (Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 I GG) und den
Interessen des Gläubigers und der Öffentlichkeit an
der Durchsetzung des schuldrechtlichen Anspruchs
lässt sich feststellen, dass abstrakt keines der Güter
generellen Vorrang besitzt.
Bei der konkreten Abwägung gilt es zu berücksichtigen, dass der mit den §§ 758, 758a ZPO verbundene Eingriff in Art. 13 I GG mit einer hohen Eingriffsintensität verbunden ist, da hierdurch dem Gerichtsvollzieher als staatlichem Organ ermöglicht wird,
ohne den Willen des Wohnungsinhabers in dessen
privaten Lebensraum einzudringen. Andererseits ist
der Schuldner, der eine rechtskräftig festgestellte
Forderung nicht begleicht, auch nicht besonders
schutzwürdig, da er den Zustand und die Möglichkeit der Maßnahmen gem. §§ 758, 758a ZPO selbst
herbeigeführt hat. Auch das objektive Interesse an
der Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates
und die Bedeutung der Zwangsvollstreckung für die
Grundrechte der Gläubiger sprechen für die Angemessenheit der Durchsuchungsmöglichkeit.
26
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 289 ff.
27
Manssen, a.a.O., § 8 Rn. 170.
28
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 293.
31
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 292.
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 292.
32
BVerfGE 30, 292 (316); 67, 157 (178); 83, 1 (19).
29
30
Ipsen, Staatsrecht II (Grundrechte), 10. Aufl. (2007),
Rn. 178.
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Die Durchsuchung könnte aber dann unangemessen sein, wenn es sich lediglich um eine Bagatellforderung handelt. Problematisch wäre die Regelung in diesen Fällen, weil § 758 ZPO nur die „Erforderlichkeit der Durchsuchung zur Zweckerreichung“ als Voraussetzung für eine rechtmäßige
Durchsuchung fordert. Eine Angemessenheit wird
von § 758 ZPO nicht explizit gefordert.
Rechtsprechung seine Untersuchung angegriffener Urteile grundsätzlich darauf, ob das Urteil „spezifisches Verfassungsrecht“ verletzt, also Verfassungsnormen übersieht oder grundsätzlich falsch
34
anwendet . Zum spezifischen Verfassungsrecht
gehört neben dem Vorliegen einer Verfassungskonformen Eingriffsgrundlage (s.o.) insbesondere der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Allerdings ist eine Durchsuchung nicht schon dadurch unangemessen, dass sie nur der Vollstreckung einer kleineren Geldsumme dienen soll. Anderenfalls wäre eine Rechtsdurchsetzung eines
rechtskräftig festgestellten Anspruchs nahezu unmöglich, wenn die Forderung nur noch einen sehr
geringen Wert umfasst. Demnach könnte ein
Schuldner Forderungen immer bis zu einem geringen Restbetrag begleichen und hätte dann nichts
mehr zu befürchten, wenn eine Durchsetzung dieser geringen Forderung nicht mehr möglich wäre.
Ein solches Verhalten des Schuldners kann im Interesse des gesamten Geschäftsverkehrs nicht hingenommen werden und verdient keinen Schutz.
Zudem ist vorliegend auch die konkrete Anwendung
von § 758a ZPO verfassungsgerichtlich überprüfbar.
Der Richtervorbehalt des § 758a ZPO hat seine
Grundlage in Art. 13 II GG. Ob die Voraussetzungen
des Art. 13 II GG, in denen von einem richterlichen
Durchsuchungsbefehl abgesehen werden kann, im
Einzelfall auch tatsächlich vorlagen, ist daher eine
spezifisch verfassungsrechtliche Voraussetzung an
die Zulässigkeit der Wohnungsdurchsuchung. Das
BVerfG kann daher die korrekte Anwendung von §
758a ZPO in vollem Umfang überprüfen.
Eine Unangemessenheit der Durchsuchung käme
daher allenfalls in extremen Ausnahmefällen ist
Betracht. Dann wäre es aber immer noch möglich, §
758 ZPO dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die Durchsuchung im Einzelnen auch
angemessen sein muss.
Hinweis für die Korrektoren: Eine andere Ansicht
ist hier nur schwer vertretbar.
Demnach sind die §§ 758, 758a auch angemessen.
Hinweis für die Korrektoren: Von guten Bearbeitern ist zu verlangen, dass die Zugehörigkeit der
Voraussetzungen des § 758a ZPO zum spezifischen Verfassungsrecht herausgearbeitet wird.
(2) Formelle Verfassungsmäßigkeit
Eine Verletzung von formellem, spezifischem Verfassungsrecht ist nicht ersichtlich.
Hinweis für die Korrektoren: Dieser Prüfungspunkt kann auch entfallen.
Die vorliegenden Vorschriften verstoßen daher nicht
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
(3) Materielle Verfassungsmäßigkeit
(b) Sonstiges materielles Verfassungsrecht
Hier kommt insbesondere die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs und des Richtervorbehalts von § 758a ZPO i.V.m. Art. 13 II GG in Betracht.
Verstöße gegen sonstiges materielles Verfassungsrecht sind nicht ersichtlich. Insbesondere der Richtervorbehalt des Art. 13 II GG ist durch § 758a ZPO
gewahrt (s.o.).
Zwischenergebnis: Die §§ 758, 758a ZPO sind
formell und materiell verfassungsmäßig und stellen
somit insgesamt eine verfassungsgemäße gesetzliche Eingriffsgrundlage dar.
(a) Verhältnismäßigkeit
Das Urteil zulasten des A muss verhältnismäßig
sein. Dies ist der Fall, wenn es einem legitimen Ziel
dient und zu dessen Förderung geeignet, erforder35
lich und angemessen ist.
c) Verfassungsmäßigkeit der Einzelmaßnahme
(1) Prüfungsmaßstab
Die Anwendung der §§ 758, 758a ZPO müsste im
vorliegenden Fall verfassungskonform erfolgt sein.
Auslegung und Anwendung der einfachen Gesetze
ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte (s.o.).
Das Bundesverfassungsgericht ist keine „Superrevisionsinstanz“, es beschränkt deswegen in stetiger
33
BVerfGE 7, 198 (207) – Lüth; 18, 85 (92 f.) – Spezifisches Verfassungsrecht.
34
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 25. Aufl., Rn. 1277 ff.
35
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 25. Aufl., Rn. 289 ff.
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(aa) Legitimes Ziel, Geeignetheit und Erforderlichkeit
Das zulasten des A ergangene Urteil verfolgt ein
legitimes Ziel, ist geeignet und erforderlich (vgl.
oben). Insbesondere sind keine milderen Formen
der Zwangsvollstreckung gegen A ersichtlich.
(bb) Angemessenheit
Die mit dem eingreifenden Urteil verbundene Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung
dürfte nicht außer Verhältnis zu den Rechtsgütern,
36
denen dieses Urteil dienen soll, stehen ; hier namentlich der Eigentumsgarantie des K (Art. 14 GG)
und der Aufrechterhaltung des staatlichen Zwangsmonopols.
Im Rahmen einer abstrakten Abwägung besitzt kein
Grundrecht generellen Vorrang (vgl. oben).
Gegen die Angemessenheit spricht die geringe
Höhe der Forderung, der mit der Vollstreckung verbundene Eingriff in die Privatsphäre des A ohne
dessen Wissen und gegen seinen Willen sowie die
Durchsuchung außerhalb der Geschäftszeiten. Wie
oben bereits ausgeführt, ist es jedoch im Interesse
der Privatrechtsverkehrs angemessen, die Vollstreckung und Durchsuchung auch bei geringen Forderungen zu betreiben, da ansonsten die Durchsetzung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs
nahezu unmöglich wäre. Dem Vollstreckungsschuldner soll auch Art. 13 GG keine Handhabe
verschaffen, seine Grundrechte zum Nachteil des
37
vollstreckenden Gläubigers zu missbrauchen.
Dafür, dass im vorliegenden Einzelfall anders von
der grundsätzlichen Angemessenheit der Durchsuchung auch bei kleineren Forderungen abgewichen
werden sollte, gibt es keine Anzeichen.
Fraglich könnte schließlich sein, ob die Durchsuchung und Vollstreckung außerhalb der Geschäftszeiten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch dies wird man verneinen müssen. Dabei
ist auch zu beachten, dass A den Zeitpunkt der
Durchsuchung durch sein Verhalten selbst beeinflusst hat. Da G einen erfolglosen Vollstreckungsversuch zur normalen Zeit, als der A sogar noch in
seinem Geschäft war, versucht hat, kann insoweit
nicht von einem unverhältnismäßigen Vorgehen des
38
A gesprochen werden.
Im Ergebnis ist das Urteil angemessen und somit
verhältnismäßig i.w.S. ist.
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(b) Richtervorbehalt
Grundsätzlich ist gem. § 758a Abs. 1 ZPO, Art. 13 II
GG für die Durchsuchung einer Wohnung gegen
den Willen des Berechtigten eine richterliche Anordnung erforderlich. Gem. §§ 758, 758a ZPO hat der
Gerichtsvollzieher aber die Möglichkeit eine Wohnung auch ohne richterliche Anordnung zu durchsuchen, wenn ihre Einholung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde.
A hat dem hier zuständigen Gerichtsvollzieher G
ausdrücklich keine Einwilligung zum Betreten der
Imbissstube erteilt (die abgegebene Einwilligung
galt ausschließlich für die privaten Räume das A).
Da G keine richterliche Anordnung eingeholt hat,
wäre die Durchsuchung und damit das hier in Frage
stehende Urteil nur verfassungsmäßig, wenn die
Voraussetzungen des Art. 13 II GG, § 758a ZPO
vorgelegen hätten.
Hinweis: Spitzfindige Bearbeiter könnten an dieser
Stelle auf die Idee kommen, dass allein schon aufgrund des Urteils, das zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt, die Vollstreckungshandlung als durch
den Richter angeordnet anzusehen ist. Insoweit
muss aber dann darauf abgestellt werden, dass
einem solchen Urteil implizit noch keine Durchsuchungsanordnung zu entnehmen ist, da die gerichtliche Feststellung einer Leistungspflicht keineswegs
zwangsläufig eine Wohnungsdurchsuchung zum
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Zwecke der Pfändung nach sich zieht. Vielmehr
bestehen mehrere Möglichkeiten wie ein Gläubiger
bzw. Schuldner nach einem ergangen Urteil weiter
verfahren kann.
Der verfassungsrechtlich vorgeschriebene Richtervorbehalt erfordert insoweit eine restriktive Auslegung des Begriffes der Gefahr im Verzug, um die
Ausnahme der Durchsuchung ohne richterliche An40
ordnung nicht zur Regel machen zu können. Es
muss daher eine konkrete Gefahr bestehen, die von
der anordnenden Stelle mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen zu begründen ist, und nicht die
bloße Möglichkeit der Gefährdung des Erfolgs der
Durchsuchung aufgrund von Spekulationen oder
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hypothetischen Erwägungen.
Aus den vorliegenden Umständen konnte G ohne
weiteres davon ausgehen, dass die Verzögerung
durch die Einschaltung des Richters, den Erfolg
einer Zwangsvollstreckung vereiteln würde. A war
im Begriff, das Inventar der Imbissstube an einen
unbekannten Ort zu schaffen. Eine Vollstreckung
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BVerfGE 30, 292 (316); 67, 157 (178); 83, 1 (19).
37
BVerfGE 51, 97 (103).
38
Stöber, in Zöller, ZPO, 28. Aufl. (2010), § 758a, Rn. 35.
BVerfGE 51, 97 (111 f.).
40
Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art.
13 GG – Rn. 31; BVerfGE 103, 142 (153).
41
BVerfGE 103, 142 (155).
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Institut für Öffentliches Recht
Universität Augsburg
wäre dann sehr wahrscheinlich unmöglich gewesen.
G blieb daher keine Wahl, außer die Durchsuchung
selbst anzuordnen. Die Einholung einer richterlichen
Anordnung muss durch die verfassungsrechtliche
Verpflichtung der Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zwar grundsätzlich auch abends oder
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nachts gewährleistet sein, jedoch hätte der hierfür
notwendige Zeitaufwand dem A die Möglichkeit
gegeben, den Rest der Einrichtung abzuholen. Im
Ergebnis lagen die Voraussetzungen für Gefahr im
Verzug vor, weswegen keine Verletzung des Richtervorbehalts vorliegt.
4. Zwischenergebnis
Es liegt zwar ein Eingriff in den Schutzbereich des
Art. 13 I GG vor, dieser ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt und Art. 13 I GG deswegen nicht
verletzt.
II. Berufsfreiheit - Art. 12 I GG
1. Schutzbereich
a) Sachlicher Schutzbereich
Zunächst müsste der Schutzbereich von Art. 12 I
GG eröffnet sein. Als einheitliches Grundrecht
schützt Art. 12 GG gleichermaßen die Wahl und die
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Ausübung des Berufes. Der Beruf ist jede auf
Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und
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Erhaltung einer Lebensgrundlage dient. Grundsätzlich ist der Beruf des Imbissstubenbetreibers ein
Beruf in diesem Sinne.
Aus Art. 12 I GG folgt auch das Recht, seinen Beruf
ohne staatliche Beeinflussung auszuüben. Grundsätzlich schützt die Berufsfreiheit daher auch vor
der staatlichen Durchsuchung der Geschäfts- und
Betriebsräume.
Der sachliche Schutzbereich ist daher eröffnet (a.A.
vertretbar, wenn man die fehlende berufsregelnde
Tendenz im Rahmen des Schutzbereiches themati45
siert ).
b) Persönlicher Schutzbereich
Art. 12 I GG ist ein Deutschengrundrecht. A ist
Deutscher im Sinne des Art. 116 I GG und fällt daher unproblematisch unter den persönlichen
Schutzbereich der Berufsfreiheit.
Sommersemester 2011
Der Schutzbereich von Art. 12 I GG ist daher eröffnet.
2. Eingriff
Die Durchsuchung müsste in Art. 12 I GG eingreifen. Dies wäre aufgrund des weiten modernen Eingriffsbegriffs grundsätzlich der Fall (s.o.)
Wegen des weiten Schutzbereiches der Berufsfreiheit fordert das BVerfG für einen Eingriff in die Berufsfreiheit jedoch in stetiger Rechtsprechung, dass
die angegriffene Maßnahme eine berufsregelnde
Tendenz aufweist. Dies ist dann der Fall, wenn die
Maßnahme gerade die Berufsregelung bezweckt
oder – bei berufsneutraler Zwecksetzung – sich
unmittelbar auf die Berufsausübung auswirkt oder
ihre mittelbaren Auswirkungen auf den Beruf einiges
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Gewicht haben .
Die Durchsuchung der Geschäfts- und Betriebsräume beabsichtigte nicht die Regelung der Berufsausübung. Anders als die Pfändung der Einrichtung
weist das bloße Durchsuchen auch keinen unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung auf und hatte
auch keine Auswirkungen von einigem Gewicht.
Daher fehlt es vorliegend an einer berufsregelnden
Tendenz.
Es liegt kein Eingriff in die Berufsfreiheit vor.
3. Zwischenergebnis
Eine Verletzung der Berufsfreiheit liegt nicht vor.
III. Allgemeine Handlungsfreiheit – Art. 2 I GG
Art. 2 I GG tritt als subsidiäres Auffanggrundrecht
hinter Art. 13 I und Art. 12 I GG zurück.
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IV. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde des A ist nicht begründet.
C. Endergebnis
Die Verfassungsbeschwerde des A ist zwar zulässig, aber nicht begründet und hat deswegen keine
Aussicht auf Erfolg.
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BVerfGE 103, 142 (156).
43
BVerfGE 7, 377 (401 f.).
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Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG Bd.1, Art. 12 Rn. 8.
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45
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 892.
Pieroth/Schlink, Grundrechte, 26. Aufl., Rn. 892.
Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Aufl., Art. 2
GG – Rn. 30.
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