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Denkfehler, die uns Geld kosten (24)
Nicht immer gewinnt der Klügste
28.07.2012 · Wer eine Aktie kauft, darf nicht auf die Bilanz blicken. Sondern auf das,
was andere Anleger über die Aktie denken.
Von JOACHIM WEIMANN
Artikel
B
ei einem Schönheitswettbewerb geht es darum, den, die oder
das Schönste zu wählen. In manchen dieser Wettbewerbe
können auch diejenigen etwas gewinnen, die sich an der
Abstimmung beteiligen. Haben sie für den Sieger gestimmt,
nehmen sie an einer Verlosung teil und können einen Preis
gewinnen. Das ist beispielsweise bei der Wahl zum „Tor des
Monats“ in der Sportschau der Fall. Wenn sie richtig tippen,
© PAUL ANDERSON/SIS
können sie ein Auto gewinnen. Ist jemand in dieser Disziplin gut
und kommt er bei der Sportschau regelmäßig in die Lostrommel, bringt er die besten Voraussetzungen für
einen erfolgreichen Aktienhändler mit.
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Warum das so ist, lässt sich sehr schön mit Hilfe eines Experiments verdeutlichen, das auf eine in Barcelona
lehrende deutsche Wirtschaftsprofessorin zurückgeht. Rosemarie Nagel hat das „Guessing Game“
eingeführt, das auch unter den Namen „Beauty Contest“ oder sehr profan „Zahlenwahlspiel“ bekannt ist.
Optimale Wahl hängt vom Handeln der anderen ab
Dieses Spiel hat eine sehr einfache Regel. Eine Gruppe von Spielern, die beliebig groß sein kann, bekommt
folgende Aufgabe gestellt: Jeder Spieler nennt eine Zahl von 0 bis 100, wobei die 0 ebenso eingeschlossen
ist, wie die 100. Gewonnen hat derjenige Spieler, dessen Zahl am nächsten an zwei Drittel des Durchschnitts
aller genannten Zahlen liegt. Ein Beispiel: Nehmen wir an, der Mittelwert aller genannten Zahlen ist 21.
Zwei Drittel davon sind 14. Gewonnen hat deshalb der Spieler, dessen Zahl am nächsten an 14 liegt. Das ist
eine sehr einfache Regel, aber wie würden Sie sich entscheiden? Welche Zahl wählen Sie?
Die Teilnehmer an einem Zahlenwahlspiel befinden sich in einer klassischen strategischen Interaktion. Die
optimale Wahl hängt davon ab, was die anderen Spieler machen. Gleichzeitig hängt deren optimale Wahl
aber auch davon ab, was Sie tun. Für die Analyse solcher verzwickter Entscheidungssituationen gibt es die
Spieltheorie. Diese Theorie benutzt die Voraussetzung, dass sich alle Spieler vollkommen rational verhalten
und außerdem wissen, dass sich auch alle anderen Spieler rational verhalten werden. Unter dieser
Voraussetzung ist die Analyse des Zahlenwahlspiels relativ einfach. Als Erstes überlegt man sich, dass der
Durchschnitt aller Zahlen maximal 100 sein kann und deshalb die gesuchte Zahl auf keinen Fall größer als
66 ist (zwei Drittel von 100). Also kommen alle Zahlen zwischen 66 und 100 nicht als Lösung in Frage.
Theorie und Praxis
Da alle diese Überlegung anstellen, ist klar, dass niemand eine Zahl wählen wird, die größer als 66 ist.
Damit kann der maximale Durchschnitt aber nicht größer als 66 werden und deshalb kann die gesuchte
Zahl auch nicht größer als zwei Drittel von 66 (also 44) sein. Damit ist aber auch klar, dass niemand eine
Zahl zwischen 44 und 66 wählen wird. Sie ahnen, wie es weitergeht. Unter der Voraussetzung, dass
niemand eine größere Zahl wählt als 44 kann die gesuchte Zahl nicht größer als zwei Drittel von 44 sein
(rund 29), weshalb niemand eine größere Zahl als 29 angibt und so weiter. Das Ende der
Argumentationskette sieht so aus, dass alle Spieler ein und dieselbe Zahl wählen, die Null.
So weit die Theorie. Kommen wir zur Praxis. Im Jahre 1997 wurde das Zahlenwahlspiel in sehr großem Stil
durchgeführt. Gleich in drei verschiedenen Ländern wurden Zeitungsexperimente zu diesem Spiel
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01.08.2012
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veranstaltet. In England war es die „Financial Times“, in Deutschland „Spektrum der Wissenschaft“ und in
Spanien die Zeitung „Expansión“, die ihren Lesern die Regeln des Spiels erklärten und dann baten, eine
Zahl zwischen 0 und 100 einzusenden. Der Sieger gewann in allen drei Fällen einen stattlichen Geldpreis. In
England nahmen fast 1500, in Deutschland sogar 2700 Leser an der Aktion teil. Spielten alle die Null?
Nicht der beste Rechner gewinnt
Natürlich nicht. Zwar war in beiden Ländern die Null die am häufigsten gewählte Zahl, aber auch die 22 war
sehr stark vertreten und die 33 ebenfalls. Fast alle anderen Zahlen kamen ebenfalls vor, allerdings waren die
jenseits der 50 sehr selten. In England lag der Durchschnitt bei 18,91 und die Gewinnerzahl war 12,6, in
Deutschland war der Durchschnitt 22,08 und die Gewinnerzahl war 14,7. Was lernen wir daraus, und was
hat das mit dem Aktienmarkt zu tun?
Beim Zahlenwahlspiel gibt es eine Lösung, die jeder kalkulieren kann, wenn man voraussetzt, dass alle
anderen sich strikt rational verhalten. Rechnet man sie aus und wählt dann die Null, hat man verloren. Bei
diesem Spiel gewinnt nicht der, der am besten rechnen kann und das Spiel perfekt durchschaut, sondern
der, der am besten darin ist, abzuschätzen, was die Anderen tun werden.
Abschätzen, was die Gruppe tut
Bei einem Zeitungsexperiment, das Nagel durchgeführt hat, konnten die Leser Kommentare mitschicken.
Eine Leserin hat dabei die Sache auf den Punkt gebracht. Sie schrieb, dass sie einen sehr intelligenten Mann
habe, der eine ganze Weile über das Problem nachgedacht habe. Weil sie glaube, dass die anderen Leser
auch so schlau sind wie ihr Mann, wähle sie eine Zahl, die genau zwei Drittel der Zahl ihres Mannes
entspricht. Sie hat zwar nicht gewonnen, aber sie war ziemlich dicht dran.
Abschätzen, was die anderen tun - darauf kommt es an. Und das gilt bei beim Zahlenwahlspiel genauso wie
bei der Wahl zum Tor des Monats und an der Börse. Wenn man bei der Sportschau das Auto gewinnen will,
muss man wissen, was die anderen Zuschauer wählen werden. Es lohnt sich, auf Spieler zu setzen, die
beliebt sind und bei Vereinen mit vielen Fans spielen. An der Börse ist es weniger wichtig, die
Fundamentaldaten aller Unternehmen perfekt zu kennen. Ein Informationsvorsprung vor anderen Tradern
ist wertlos, denn wenn nur wenige ihre Anlageentscheidungen von diesen Daten abhängig machen, geht es
ihnen so, wie dem, der beim Zahlenwahlspiel auf die Null setzt - sie verlieren ihr Geld, weil sie so gut
informiert sind.
Es geht um Erwartungen
Letztlich geht es an der Börse um Erwartungen, und das Zahlenwahlspiel verrät etwas über die Mechanik,
die dahintersteckt. Um erfolgreich zu sein, muss man annehmen, dass sich nicht alle vollständig rational
verhalten, und man muss die Abweichungen vom Rationalverhalten richtig voraussehen.
Gleichzeitig wird klar, warum die Finanzmärkte oft so nervös auf Tagesnachrichten reagieren. Sehr häufig
verändern diese Nachrichten nicht wirklich etwas an den Fundamentaldaten der wirtschaftlichen
Entwicklung oder der Performance von Unternehmen und Staaten. Aber die Marktteilnehmer orientieren
sich eben nicht an diesen Fundamentaldaten, sondern an ihren Erwartungen über die Reaktion der
anderen. Wenn alle unterstellen, dass alle andern nervös reagieren, werden alle nervös reagieren. Genau
das richtig zu antizi-pieren ist die Kunst - beim Zahlenwahlspiel und an der Börse.
Der Autor ist Wirtschaftsprofessor in Magdeburg.
Die Cleverness-Falle
Die Falle
Wir lassen uns dazu verleiten, uns nach unseren eigenen Informationen zu richten. Wie gut diese auch
sein mögen, wenn wir außer Acht lassen, dass es letztlich darauf ankommt, was die anderen
Marktteilnehmer glauben, treffen wir falsche Anlageentscheidungen.
Die Gefahr
Wir überschätzen die Bedeutung der eigenen Information und unterschätzen die Bedeutung der
Entscheidung anderer.
Die Abhilfe
Genau darüber nachdenken, welches Kalkül die anderen Anleger anstellen werden. Welche
Informationen werden sie nutzen, welche Erwartungen werden sie bilden?
Quelle: F.A.S.
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