Karfreitagansprache vom 22. April 2011

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Karfreitagansprache vom 22. April 2011
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Ansprache am Karfreitag von Dr. Karl T. Friedhoff
Schwestern und Brüder,
wohl kein Tag im Kirchenjahr bedrückt uns mehr, fordert uns mehr als der Karfreitag.
An diesem Tag, in dieser Zeit von Karfreitag bis Ostern, ist nicht zuletzt unser Glauben gefordert,
ja, herausgefordert, heute weit mehr als in früheren Zeiten, denn unser Leben, unser Weltbild wird
mehr und mehr von den Naturwissenschaften geprägt.
Kann ein so geprägter Mensch das Credo, das Glaubensbekenntnis, Wort für Wort für wahr halten?
„gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tag auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel“.
Gibt es nicht viele Zweifel? Ist es nicht ein bedenkliches Symptom, dass wir, dass die Kirchen diese Zweifel gern verschweigen? Man kann jedoch Bedeutendes nicht auf Dauer verschweigen. So
stellt man auch in der Kirche wieder öffentlich die Frage:
Ist unser heutiges Weltbild noch vereinbar mit unserem Glauben?
Wenn man heute auf die großen Städte zufährt, dann sehen wir mit einem Blick, wo die Menschen
ihr Heil suchen. Nicht in den Kirchen, denn die werden überragt, geradezu erdrückt von den mächtigen, hochragenden Bauten der Banken, der Versicherungen, der Krankenhäuser - offenbar die
Kathedralen unserer Zeit.
Wer von uns ist sich seines Glaubens so sicher, dass er von ihm das Heil, die Erlösung von
Krankheit, von Not und Elend erhofft oder doch wenigstens Trost? Noch wichtiger:
Wer findet heute noch im Glauben Antwort auf die Sinnfragen des Lebens?
Den Umfragen zufolge immer weniger. Man nennt es fälschlicherweise „Gotteskrise“ – nein, es ist
eine Glaubenskrise. Erst gestern hat unser Papst Benedikt XVI., den weitgehenden Verlust des
christlichen Glaubens beklagt.
Das moderne Leben ist unter anderem bestimmt von der Säkularisierung und der Verwissenschaftlichung. Wir mögen diesen grundlegenden Wandel, der mit der Aufklärung begann, mit den modernen Naturwissenschaften, noch nicht in seiner ganzen Tragweite erfasst haben. Es tut sich seit
mindestens 200 Jahren eine merkwürdige Kluft auf zwischen dem Weltbild der Wissenschaft, genauer, der Naturwissenschaften, und dem der breiten Öffentlichkeit. Das öffentliche Bewusstsein
bleibt in vielen Bereichen über 100 Jahre hinter dem Weltbild der Naturwissenschaften zurück: z.B.
glaubten noch 1970 nur ein Drittel der Bundesbürger an unsere Verwandtschaft mit den Affen,
inzwischen jedoch mehr als zwei Drittel.
Der Prozess Galilei ist nicht dadurch beendet worden, dass Rom endlich die Akten über ihn geschlossen hat, nein, der Prozess Galilei beginnt erst jetzt in unseren Köpfen!
Das wurde kürzlich wieder deutlich, als Stephen Hawking in seinem neuen Buch „Geheimnisse
des Universums“ feststellte, die Schöpfung brauche den Schöpfer nicht. Hier haben Geisteswissenschaftler, auch Theologen, eines nicht verstanden:
Naturwissenschaftler befassen sich nur, nur mit der Natur, nie mit dem Übernatürlichen, der Metaphysik, denn dazu hat die Naturwissenschaft keinen Zugang. Naturwissenschaft das ist: Experiment plus Mathematik. Damit bescheiden sich die Naturwissenschaftler.
Dies bedeutet, dass dem Wissenschaftler ein Rückgriff auf das Übernatürliche, auf die Metaphysik
bei der Erforschung und Interpretation von Phänomenen niemals erlaubt ist. Das hat Stephen
Hawking indirekt gesagt.
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Mit dem persönlichen Glauben des Wissenschaftlers hat das gar nichts zu tun. Dennoch wird es
häufig missverstanden. Die Aufgabe, vor der wir nach fünf Jahrhunderten moderner Naturwissenschaften immer noch stehen, lautet:
Wie können wir die Naturwissenschaften wieder in die allgemeinen Sinnfragen des
menschlichen Lebens einbeziehen?
Kann man das überhaupt?
Zunächst werden wir Tag für Tag gewahr, wie unser vertrautes, christlich-abendländisches Weltbild mehr und mehr ins Wanken gerät. Inzwischen relativieren Philosophen selbst die Idee von der
Einmaligkeit des Menschen. Unter anderem habe die Interpretation naturwissenschaftlicher Ergebnisse dazu geführt, dass wir uns als Teil des Tierreiches verstehen. Schließlich haben wir mit
den hoch entwickelten Säugetieren mehr als 90% unserer Gene gemein, mit den Menschenaffen
etwa 98 %! Wir verstehen uns also als das höchstentwickelte Tier( human primates) mit all den
Zwängen unseres durch identische Gene gesteuerten Stoffwechsels, einschließlich dem unseres
Gehirns. Die Einmaligkeit unseres Wesens, so sagen Philosophen heute, liege vielleicht gar nicht
in unseren Bewusstseinsakten schlechthin: Empfinden, Wollen, Ich-Bewusstsein, ja sogar Ansätze
des Denkens, sie seien nicht die Domäne des Menschen.
Ob allen Theologen das bewusst ist, wenn einige so leichthin von der "Mitgeschöpflichkeit der Tiere" sprechen, gar Gottesdienste für Tiere halten?
Die Naturwissenschaften haben ihre Grenzen längst erkannt und definiert.
Wir wissen heute, dass wir vieles in der Welt des Lebens, in der Welt des Kleinsten, (Stringtheorie)
und des Größten (Paralleluniversen), nie werden erforschen, geschweige denn erkennen und begreifen können. Ganz einfach - die Grenzen der Erkenntnis ergeben sich allein schon aus der Endlichkeit der Welt, des Kosmos, auf den wir trotz der Fülle unglaublicher Erkenntnisse schauen wie
die Ameise auf den Mond.
Aus diesem Grunde hat sich ein neues Verständnis der Beziehung zwischen Wissenschaft und
Religion entwickelt. Vom Umdenken sind sowohl die Deutungen der Vergangenheit als auch die
der Zukunft betroffen. In der Vergangenheit erschien die Geschichte der Wissenschaften als eine
Befreiung von überlieferten, religiösen Vorstellungen. Diese Auffassung bestimmt noch heute die
öffentliche Diskussion.
Diese Auffassung ist so falsch nicht, denn Galilei (*1564 † 1642), Darwin (*1809 † 1882) , Mendel
(* 1822 † 1884) u. a. provozierten mit ihren Ideen dramatische Auseinandersetzungen zwischen
Glauben und Wissenschaft.
Vor gut 100 Jahren verband sich wissenschaftlicher Fortschrittsglaube eng mit religiöser Skepsis.
Besonders die Evolutionstheorie - Stichwort: gemeinsame Ahnen mit den Affen - schien die Überlieferungen der christlichen Religionen soweit zu untergraben, dass allgemein ein langsames Absterben der Religionen als Folge wissenschaftlicher Erkenntnis gefürchtet, erwartet oder erhofft
wurde.
Keine dieser Vermutungen ist eingetreten. Dies lag und liegt besonders an der Thematisierung der
Grenzen des Erkennens, der Grenzen der Wissenschaft also.
Merkwürdigerweise vollzog sich dieses Umdenken auch hier fast unbemerkt von der Öffentlichkeit.
Heute ist man sich in der Wissenschafts-Gemeinde einig:
Die moderne Naturwissenschaft liefert keine Begründung
für eine Ablehnung von Religion.
Wissenschaft ist mit dem Glauben vereinbar,
dass es einen Gott gibt,
aber auch mit dem Glauben, dass es keinen Gott gibt.
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Der Mensch kann, er muss aber nicht die Welt als Gottes Schöpfung und den Menschen als sein
Ebenbild verstehen.
Man hat der Naturwissenschaft vorgeworfen - zu Unrecht - sie habe den christlichen Glauben erschüttert, man hat ihr weiter vorgeworfen, sie habe die Natur, ja die Welt entzaubert. Nein, wir Naturwissenschaftler haben die Welt nicht entzaubert, wir haben nur einen winzigen Zipfel des
Schleiers gelüftet, um zu sehen, dass der Zauber der Natur unendlich ist, dass wir Wissenschaftler
sie nie werden entzaubern können.
Aber auch hier die große Kluft zwischen der von Medien gemachten Meinung und dem heutigen
wissenschaftlichen Weltbild.
Wir sind noch weit entfernt von unserer großen Aufgabe,
Wissenschaft in unser Weltbild einzubeziehen
als ein Fundament für unsere Überzeugungen und Wertvorstellungen,
auch für unseren christlichen Glauben.
Nichts fehlt uns heute mehr als etwas, an das wir wieder glauben können, das allein kann uns wieder einen, das allein wird uns helfen, der großen Einsamkeit zu entfliehen.
Die eigentliche Bedrohung unserer Zeit ist die große Leere in vielen Köpfen und Herzen und der
unbesiegbare Zweifel, dass es nichts gibt, was unserem Sein und Tun, Sinn zu geben vermag, die
quälende Furcht, dass der Unglaube unser ebenso furchtbares wie unvermeidbares Schicksal sein
wird.
Furchtbar deshalb, weil wir wissen, dass der Mensch Sinnlosigkeit auf Dauer nicht aushält, dass er
dann nur zu leicht den falschen Propheten folgt, den Sektierern, den Fundamentalisten, den Ideologen jedweder Couleur.
Vielleicht ist es ein erster Schritt, wenn allgemein bewusst wird, dass das moderne wissenschaftliche Weltbild den christlichen Glauben nicht ausschließt.
Dies ist vielen zu wenig - aber mehr kann ein Wissenschaftler nicht sagen, er kann jedoch verweisen, z.B. auf einen Weisen des 17. Jahrhunderts, Angelus Silesius:
"Der nächste Weg zu Gott
ist durch der Liebe Tür.
Der Weg der Wissenschaft
bringt Dich gar langsam für".
Anmerkung:
Die o. a. Thesen sind nicht eine persönliche Meinung sondern Konsens unter Naturwissenschaftern. Die Thesen, insbesondere die Kernaussagen (Fettdruck) sind entnommen dem Buch von
Alfred Gierer "Die gedachte Natur", Piper, München 1991.
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