Augustinus: Predigt 72
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Augustinus: Predigt 72
Augustinus: Predigt 72 (Vom guten Baum und seiner guten Frucht) Ermahnt hat uns der Herr Jesus Christus, gute Bäume zu sein, damit wir so auch gute Früchte haben können. Denn er sagt: "Entweder macht einen Baum gut, und so auch seine Frucht gut, Oder macht einen Baum schlecht, und so auch seine Frucht schlecht! Denn an seiner Frucht erkennt man den Baum." Wo er sagt: "Macht einen Baum gut, und so auch seine Frucht gut!", ist dies jedenfalls keine Ermahnung, sondern ein heilsames Gebot, dem man gehorchen muß. Wenn er aber sagt: "Macht einen Baum schlecht, und so auch seine Frucht schlecht!", so ist das keine Ermahnung zu etwas, was man tun soll, sondern eine Warnung vor dem, wovor man auf der Hut sein soll. Gegen diejenigen hat er nämlich gesprochen, die der Ansicht waren, daß sie, obwohl sie schlecht sind, gutes reden könnten oder gute Werke vollbringen; der Herr Jesus sagt, daß sie das nicht können. Denn zuerst muß sich der Mensch verändern, damit sich dann auch seine Werke verändern können. Wenn der Mensch nämlich in dem bleibt, daß er schlecht ist, kann er keine guten Werke vollbringen; wenn er in dem bleibt, daß er gut ist, kann er keine schlechten Werke vollbringen. Wer aber wurde vom Herrn für gut befunden, als Christus für die Gottlosen gestorben ist? (Röm. 5,6) Er fand also alle als schlechte Bäume vor, aber er gab ihnen die Möglichkeit, Kinder Gottes zu werden, wenn sie an seinen Namen glauben (Joh. 1,12). Jeder Mensch also, der heute gut, das heißt ein guter Baum ist, wurde als schlechter Baum angetroffen und zu einem guten Baum gemacht. Und wenn er, als er kam, die schlechten Bäume mit der Wurzel hätte ausreißen wollen, welcher Baum wäre dann übrig geblieben, der es nicht verdient gehabt hätte, mit der Wurzel ausgerissen zu werden? Aber er kam, um zunächst die Barmherzigkeit anzubieten, damit er dann später Gericht halte; er, dem gesagt wird: "Von Barmherzigkeit und Gericht will ich dir singen, Herr!" (Psalm 101, 1) Er erteilte also den Glaubenden die Vergebung der Sünden, er wollte sich von ihnen nicht auch über das früher Aufgezeichnete Rechenschaft geben lassen. Er erteilte die Vergebung der Sünden, er machte die Bäume gut. Er verschob die Angst vor der Axt (securim), gewährte Ruhe und Frieden (securitatem). Von dieser Axt spricht Johannes und sagt: "Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen werden." (Matth. 3, 10!) Von dieser Axt spricht drohend der Hausvater, wenn er im Evangelium sagt: "Siehe, es sind schon drei Jahre, daß ich zu diesem Baum komme, und ich finde an ihm keine Frucht. Jetzt muß ich den Platz wieder freimachen - daher soll er abgeschnitten werden!" Und sein Pächter schreitet ein und sagt: "Herr, laß ihn noch in diesem Jahr stehen! Ich will um ihn den Boden aufgraben, und ich will einen Korb mit Mist aufbringen; und wenn er Frucht bringt, ist es gut; wenn nicht, sollst du kommen und ihn abschneiden!" (Luk. 13,7.9) Gleichsam drei Jahre hindurch hat der Herr nach dem Menschengeschlecht gesehen, das heißt zu drei bestimmten Zeiten: die erste Zeit war die Zeit vor dem Gesetz; die zweite Zeit die Zeit unter dem Gesetz; und die dritte Zeit ist jetzt, und es ist die Zeit der Gnade. Denn wenn er nicht vor dem Gesetz nach dem Menschengeschlecht gesehen hat, woher ist dann die Rede von Abel, woher von Henoch, woher von Noah, woher von Abraham, woher von Isaak, woher von Jakob, deren Herr er genannt werden wollte; und er, dem alle Völker gehörten, sagte, als ob er der Gott dreier Menschen wäre: "Ich bin der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs." (2. Mose 3,14) Wenn er aber unter dem Gesetz nicht nach den Menschen gesehen hätte, hätte er dieses Gesetz nicht geben können. Nach dem Gesetz aber kam auch der Hausvater selbst: Er litt die Passion, starb, stand wieder auf, verlieh den heiligen Geist, ließ das Evangelium auf dem ganzen Erdkreis predigten - und doch blieb bis heute mancher Baum ohne Frucht. Bis heute gibt es einen Teil des Jörg Dittmer 2002 2 Menschengeschlechts, der sich immer noch nicht verbessert. Der Pächter schreitet ein; für das Volk bittet der Apostel und sagt: "Ich beuge meine Knie für euch beim Vater, damit ihr in der Liebe verwurzelt und gegründet seid und mit allen Heiligen begreifen könnt, was die Breite und die Länge ist, was die Höhe und die Tiefe; damit ihr auch verstehen könnt das überragende Wissen der Liebe Christi [griechischer Text: die Liebe Christi, die jede Erkenntnis übersteigt], damit ihr erfüllt werdet zu der ganzen Fülle Gottes." (Ephes. 3,14-19) Indem er seine Knie beugt, tritt er ein für uns beim Hausvater, damit wir nicht mit der Wurzel ausgerissen werden. Weil es also nötig ist, daß er kommt, wollen wir so handeln, daß er uns reich an Früchten findet. Das Umgraben des Bodens um den Baum, das ist die Erniedrigung des Reuigen; denn jeder Graben ist niedrig. Der Korb mit Mist, das ist der Schmutz der Reue; denn was ist schmutziger als der Mist? Und dennoch: Wenn du ihn gut einsetzt - was bringt mehr Frucht? Ein jeder von uns sei also ein guter Baum! Er möge nicht glauben, daß er gute Früchte hat, wenn er ein schlechter Baum bleibt! Die gute Frucht wird es nicht geben, außer vom guten Baum. Verändere dein Herz, und dein Werk wird sich verändern! Rotte die Begierde aus, pflanze die Liebe! So wie nämlich die Wurzel aller Übel die Begierde ist, so ist auch die Wurzel alles Guten die Liebe. Was vertrödeln also die Menschen ihre Zeit miteinander oder streiten sich, indem sie sagen: Was ist das Gute? O wenn du wüßtest, was das Gute ist! Das, was du haben willst, ist nicht sehr gut; das, was du nicht sein willst, das ist gut. Du willst nämlich die Gesundheit des Körpers haben; das ist gut; und doch sollst du nicht glauben, daß ein großes Gut dasjenige ist, was auch der Schlechte hat. Gold und Silber willst du haben; siehe, auch davon sage ich, daß es ein Gut ist - aber nur, wenn du guten Gebrauch davon machst; den guten Gebrauch machst du aber nicht, wenn du schlecht bist. Und deswegen sind Gold und Silber für die Schlechten ein Übel, aber für die Guten ein Gut: nicht weil Gold und Silber gut macht, sondern weil es die Guten findet, verwandelt es sich zu gutem Gebrauch. Du willst Ehre haben - sie ist ein Gut; aber auch dies nur, wenn du guten Gebrauch davon machst. Für wie viele schon war das Streben nach Ehre der Anlaß zum Verderben? Für wie viele war andererseits Ehre der Dienst an einer guten Sache? Wir wollen daher diese guten Dinge unterscheiden, wenn wir können, weil wir von den guten Bäumen sprechen! Und an diesem Punkte gibt es nichts, was ein jeder so sehr bedenken muß, wie daß er auf sich selbst die Augen richten soll, an sich lernen, sich hinterfragen, sich erforschen, sich suchen und sich finden soll. Und was ihm nicht gefällt, soll er töten - was ihm gefällt, soll er wünschen und pflanzen. Denn wenn sich der Mensch leer an besseren Gütern findet - warum ist er dann begierig auf äußere Güter? Und was nützt ihm eine Kiste voller Güter, wenn sein Denken leer und sinnlos ist? Güter willst du haben - und gut sein willst du nicht? Siehst du nicht, daß du erröten mußt wegen deiner Güter, wenn dein Haus zwar voll guter Dinge ist, in dir aber einen schlechten Hausherrn hat? Was gibt es nämlich Schlechtes, was du haben willst? Sag es mir! - Überhaupt nichts! Du willst keine schlechte Frau, keinen schlechten Sohn, keine schlechte Tochter, keinen schlechten Sklaven, keine schlechte Magd, kein schlechtes Haus, keine schlechte Tunika und zuletzt auch keine schlechten Stiefel - und dennoch willst du ein schlechtes Leben haben. Ich bitte dich: Halte dein Leben für wichtiger als deine Stiefel! Alle eleganten und schönen Dinge, die du vor Augen hast, sind dir lieb und wert - und du selbst bist dir billig und häßlich? Wenn dir die guten Dinge Antwort geben könnten, an denen dein Haus voll ist, die du zu haben wünschtest, die zu verlieren du füchtetest, würden sie dann nicht auch dir zurufen: "So wie du uns als gute Dinge haben willst, so wollen auch wir einen guten Herren haben!" Mit schweigender Stimme erheben sie Einspruch gegen dich bei deinem Herrn: "Siehe, so viele gute Dinge hast du diesem gegeben, und er selbst ist schlecht! Was nützt ihm das, was er hat, wenn er den, der ihm alles gab, nicht hat?" Jörg Dittmer 2002 3 Es fragt also einer, der sich von diesen meinen Worten ermahnen und vielleicht betroffen machen ließ, er fragt, was denn das Gute sei, von welcher Art das Gute sei, woher das Gute komme. Gut hast du verstanden, daß du das fragen mußt. Ich will dir auf deine Fragen antworten und sagen: Dasjenige ist das Gute, das du nicht gegen deinen Willen verlieren kannst! Du kannst nämlich Gold verlieren – auch gegen deinen Willen. Du kannst dein Haus verlieren, die Ehrenämter, du kannst besonders die leibliche Gesundheit verlieren: Das Gute aber, wodurch du wahrhaft gut bist, empfängst du weder gegen deinen Willen noch verlierst du es gegen deinen Willen. Ich frage also, von welcher Art dieses Gute ist. Ein Psalm erinnert uns an eine große Sache, nach der wir vielleicht suchen. Er sagt nämlich: "Ihr Menschenkinder, wie lange noch seid ihr schweren Herzens?" Wie lange noch gibt es jenen Baum im dritten Jahre? "Ihr Menschenkinder, wie lange noch seid ihr schweren Herzens?" Was heißt "schweren Herzens"? "Warum liebt ihr das Nichtig-Leere und trachtet nach der Lüge?" Und darauf sagt er dann, wonach man trachten muß: "Ihr sollt wissen, daß der Herr seinen Heiligen verherrlicht hat!" (Psalm 4,3.4) Schon kam ja auch Christus, schon ist er verherrlicht, schon ist er auferstanden und aufgefahren in den Himmel, schon wird sein Name in der ganzen Welt gepredigt. "Wie lange noch seid ihr schweren Herzens?" Die vergangene Zeit mag genügen! Nachdem jener Heilige schon verherrlicht wurde, "wie lange noch schweren Herzens?" Nach den drei Jahren, was steht noch aus, wenn nicht die Axt? "Wie lange noch seid ihr schweren Herzens? Warum liebt ihr das Nichtig-Leere und trachtet nach der Lüge?" Strebt man immer noch nach Eitlem, immer noch nach Unnützem, immer noch nach Prunkvollem und Flüchtigem, immer noch nach diesen Dingen, wo doch der heilige Christus schon auf diese Weise verherrlicht wurde? Schon erhebt die Wahrheit (veritas) laut ihren Ruf , und immer noch strebt man nach dem, was nichtig ist und leer (vanitas)? "Wie lange noch seid ihr schweren Herzens?" Mit Recht wird kräftig diese Welt gegeißelt; denn die Welt hat schon die Worte des Herrn vernommen. "Auch der Sklave", sagt er, "der den Willen seines Herren nicht kennt und etwas tut, was Schläge verdient, wird einige Schläge erhalten." Warum? Damit er nach dem Willen seines Herren forsche! Ein Sklave nun, der den Willen nicht kannte: dies war die Welt, bevor er seinen Heiligen verherrlichte. Sie war ein Sklave, der den Willen seines Herren nicht kannte, und daher bekam sie nur wenige Schläge. Der Sklave aber, der den Willen seines Herren schon kennt - das ist die Zeit jetzt, seit die Gottheit ihren Heiligen verherrlicht hat - und trotzdem seinen Willen nicht tut, der wird viele Schläge bekommen. Warum also ist es verwunderlich, wenn die Welt sehr geschlagen wird? Sie ist der Sklave, der den Willen seines Herren kennt und etwas tut, was Schläge verdient. Sie soll sich also nicht sträuben, mit vielen Schlägen geschlagen zu werden! (Luk. 12,47.48) Denn wenn sie den Lehrer zu Unrecht nicht hören will, wird sie zu Recht den Rächer zu spüren bekommen. Und sie murre auch nicht gegen den, der sie züchtigt, da sie sieht, daß sie Schläge verdient, um der Barmherzigkeit wert zu sein; durch Christus, unseren Herrn, der lebt und regiert mit Gott dem Vater und dem heiligen Geist in alle Ewigkeit. Amen. Jörg Dittmer 2002