Projektbericht - Erzählen gegen den Krieg

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Projektbericht - Erzählen gegen den Krieg
Erzählen gegen den Krieg
Projektbericht
Erzählen gegen den Krieg
Gefördet von:
In Zusammenarbeit mit:
Projektnummer: 5112204
Laufzeit: 25.4.2012 bis 13.6.2012
Ansprechpartner: Basiljka Schedlich, Sabine Gieschler, Anneke Prebensen
Großbeerenstr. 88, 10963 Berlin, Tel. 030 253 77 99 19
www.suedost-ev.de
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Erzählen gegen den Krieg
Inhalt
Beschreibung des Projekts
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Verlauf des Projekts
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Beschreibung der Veranstaltungen
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Vortrag der Ruanda Connection
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Zeitzeuginnengespräche mit Veronika Schattenmann und Diane Izabiliza
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ZeitzeugInnengespräche mit Heinz Westphal und Elizabeth Kaneza
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Zeitzeugengespräch mit Hamad Nasser
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Ergebnisse des Projekts
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Erzählen gegen den Krieg
Beschreibung des Projekts
Der grundlegende Ansatz unseres Projekts beruht auf dem Gedanken, dass die Aufarbeitung der
Geschichte notwendig ist, um in der Zukunft Frieden sichern zu können – hiermit ist auch Frieden
im unmittelbaren sozialen Umfeld gemeint. Um zukünftig Krieg und Gewalt zu verhindern und
friedliches Zusammenleben zu fördern ist also Auseinandersetzung – das Erzählen, das Zuhören
und das Reflektieren kriegerischer und traumatischer Vergangenheit unerlässlich.
Bei dem ‚Erzählen gegen den Krieg‘ stehen die Geschichten der in Deutschland lebenden
Flüchtlingen und Immigranten genauso im Zentrum wie die der deutscher Bürger. Im Sinne einer
multikulturellen Gesellschaft bietet das Projekt ein Forum, in dem Migranten und Deutsche
gemeinsam über ihre eigenen Kriegs- und Nachkriegserlebnisse erzählen. Daraus entstehet
Akzeptanz und Vertrauen, damit wird Integration unterstützt und Grundsteine für eine
gemeinsame, mannigfaltige und differenzierte ‚Geschichte‘ gelegt.
Das Projekt ‚Erzählen gegen den Krieg‘ besteht aus einer Reihe öffentlicher 2-stündiger
Abendveranstaltungen (ZeitzeugInnen-Gesprächen und Vorträgen). Bei den Gesprächen erzählen
meistens zwei Personen: eine Person mit Migrationshintergrund, die aus einem gegenwärtigen
Kriegs- oder Krisengebiet kommt und eine ‚Deutsche/r‘, die sich entweder an die Zeit des zweiten
Weltkrieges erinnert oder in einem gegenwärtigen Konflikt involviert war.
Das Projekt bedingt einen Austausch über religiöse, nationale, staatliche und sprachliche Grenzen
hinweg, er wirkt generationsübergreifend. Durch emotionale Nähe hilft das Projekt Vorurteile und
Ängste abzubauen, sich gegenseitig kennen zu lernen und Zusammenarbeit zu entwickeln. Die in
unserer Gesellschaft oft dominierende gedankliche Aufteilung von ‚Wir und Ihr‘, wird hier in Frage
gestellt, um Trennendes zu überbrücken. Die so aufgebaute Nähe und Vertrauen werden von den
TeilnehmerInnenn und ZeitzeugInnen in die Gesellschaft getragen, wo sie nachhaltig weiter
politisch wirken.
Veranstaltungen:
25. April 2012:
Vortrag der Ruanda Connection über die Hintergrunde des ruandischen Völkermords und die
Aufarbeitung danach.
9. Mai 2012:
Der Vortrag von Herrn Salah Abdel Shafi, Botschafter Palästinas in Berlin, zur Geschichte und
Situation in Palästina musste leider wegen Krankheit abgesagt werden.
23. Mai 2012:
Zeitzeuginnengespräche mit Veronika Schattenmann, geboren 1939 in Deutschland und Diane
Izabiliza, geboren 1988 in Ruanda über ihre Kindheit und Kriegserinnerungen.
6. Juni 2012:
ZeitzeugInnengespräche mit Heinz Westphal, geboren 1928 in Deutschland und Elizabeth Kaneza,
geboren 1987 in Ruanda über die Kriege, die sie als Kind bzw. Jugendliche/r erlebt hatten.
13. Juni 2012:
Zeitzeugengespräch mit Hamad Nasser geboren im 1967 im Libanon über seine Kindheit und
Jugend als palästinensischer Flüchtling im Libanon und in Deutschland.
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Erzählen gegen den Krieg
Beschreibung der Veranstaltungen
Vortrag der Ruanda Connection: 25. April 2012
Ruanda Connection hat ihren Sitz in Berlin. Es ist ein im November 2011 gegründetes Netzwerk
von jungen Menschen mit ruandischer Herkunft sowie von Freunden Ruandas. Die Mitglieder sind
Schüler, Studenten und junge Berufstätige, die daran interessiert sind, ihr Wissen zu teilen und
mehr über die ruandische Kultur und Gesellschaft zu lernen. Die Vision von Ruanda Connection ist
die Vernetzung von jungen Ruandern in Deutschland und die Stärkung eines aktiven Austauschs
zwischen Ruanda und Deutschland.
Mitglieder der Ruanda Connection empfinden die Kooperation mit südost Europa Kultur e.V. als ein
Glücksfall, denn ihr Anliegen war es während der 100 Tage Trauerzeit, die jedes Jahr in Ruanda
stattfindet, des Völkermordes zu gedenken und Veranstaltungen in Berlin durchführen. Als ein
neugegründetes Netzwerk wussten sie nicht so recht, wie sie das umsetzten sollten. Im Rahmen
des Projekts ‚Erzählen gegen den Krieg‘ konnten sie sich mit dem Genozid öffentlich auseinander
setzten und gleichzeitig der Ermordeten gedenken.
Bei der ersten Veranstaltung, dem Vortrag über den Völkermord, wurde gegliedert in drei Teile
über die Geschichte Ruandas, dem Genozid und den Wiederaufbau der Gesellschaft informiert.
Referentinnen waren: Charlotte Ndakorerwa, Elisabeth Kaneza und Diane Izabiliza, alle
drei Frauen waren als Kinder, während und nach dem Genozid auf der Flucht und sind später nach
Deutschland gekommen. Der Vortrag bildete den historischen Rahmen, in den die beiden späteren
Zeitzeugenberichte des Völkermordes eingebettet und leichter verstanden werden konnten.
Der Vortrag wurde begleitet von Filmausschnitten, PowerPoint-Präsentationen und Fotos. Trotz
traumatischer Inhalte wurde er von den TeilnehmerInnen positiv aufgenommen. Die Atmosphäre
und die anschließende Diskussion waren einerseits von Betroffenheit und Entsetzen, aber
anderseits auch von Empathie, Interesse und Neugier gekennzeichnet. Sowohl die Veranstalter als
als auch die drei Referentinnen bekamen nach der Veranstaltung viele positive Rückmeldungen.
Für die Referentinnen und andere anwesenden Menschen aus Ruanda war es eine wertvolle
Erfahrung, dass Menschen in Deutschland sich dafür interessieren, was vor 18 Jahren in Ruanda
passiert ist und welche historischen Hintergründe das beeinflusst hatten.
Die Veranstaltung war gelungen auch durch die Bereitschaft der TeilnehmerInnen über die
Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Art der Aufarbeitung und Bewältigung der
traumatischen Vergangenheit in Ruanda (auch der kolonialen), Deutschland und in Jugoslawien zu
diskutieren.
Schwerpunkte des Vortrags:
Kolonialismus in Ruanda
. 1890 bis Ende des Ersten Weltkrieges Teil von Deutsch–Ostafrika
. 1894 Graf Gustav Adolf von Götzen erster Europäer am ruandischen Königshof
. 1900 erste Missionsstation
. 1907 erster deutscher Stützpunkt
. 1910 legen die Kolonialherrscher die Grenzen in der Region Ostafrika
. Im Ersten Weltkrieg erobern die Belgier den von Deutschen besetzten Teil der Region
. Nach dem Ersten Weltkrieg wird das Land auch offiziell an die Belgier übertragen
. 1933 Einführung der Ausweisen und der rassischen Klassifizierung der Einwohnen
durch die belgische Kolonialverwaltung
. 1964 UNO-Beschluss, dass Belgien weiterhin diese Region verwaltet
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Erzählen gegen den Krieg
Unabhängigkeit und Genozid in Ruanda
. Hutu und Tutsi
. Bürgerkrieg und blockierte Demokratisierung
. Vorbereitung des Genozids
. Ausbreitung der Gewalt
. Die Offensive der RPF (Ruandische Patriotische Front)
. Das Ende des Genozids
Bewältigung der Vergangenheit
. Institutionen: wie ist die Regierung damit umgegangen?
. wie gehen die Ruander mit dem Thema Genozid um?
Fotos der Veranstaltung:
Vortrag am 25.4.2012, Referentinnen und Moderatorin Dr. Sabine Gieschler
Referentinnen, Moderatorin und TeilnehmerInnen
TeilnehmerInnen
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Erzählen gegen den Krieg
Zeitzeuginnengespräche mit Veronika Schattenmann und Diane Izabiliza: 23. Mai 2012
Veronika Schattenmann wurde 6 Wochen
nach Kriegsbeginn, am 17. Oktober 1939 in
Leisnig bei Leipzig geboren. Sie studierte
Malerei, ist mit eigenen Ausstellungen
beschäftigt
und
gibt
noch
immer
Kunstunterricht. Frau Schattenmann ist
verheiratet und hat zwei Kinder und zwei
Enkelkinder. Das Kriegsende und die
schreckliche Zeit danach erlebten sie und ihre
6 Geschwister in Leisnig, einer russischen
Garnisonsstadt.
Veronika Schattenmann (rechts) beim Erzählen
Diane Izabiliza wurde im Jahr 1988 geboren.
Die ersten 7 Jahre ihres Lebens verbrachte
sie, in der Stadt Nyanza, ca. 100 Kilometer
südlich der Hauptstadt Kigali gelegen. Als
1994 der Genozid ausbrach, floh die kleine
Diane mit ihrer Familie und neugeborenen
Geschwisterkind.
Im
November
1995
verließen sie endgültig das Land. Es
verschlug die Familie nach München, aus
dem geplanten kurzen Aufenthalt sind
inzwischen 16 Jahre geworden. Diane wohnt
in Berlin und macht derzeit eine Ausbildung
zu Erzieherin.
Diane Izabiliza erzählt über Ihre Flucht
Zu unserer zweiten Veranstaltung mit Ruanda Connection kamen viele TeilnehmerInnen, die
auch beim dem Vortrag anwesend waren. Bei der zweiten Veranstaltung sollten die
ZeitzeugInnen von ihren Kriegserinnerungen erzählen, dem zweiten Weltkrieg und dem Genozid
in Ruanda. Beide Zeitzeuginnen waren damals etwa 7-8 Jahren alt und beide hatten noch nie
über ihre Erlebnisse gesprochen, vor allem nicht öffentlich. Es wurde ein fesselnder und langer
Abend. Es war anrührend und erstaunlich mit welcher Ausdauer und Präzision beide
Zeitzeuginnen über die traumatisierenden Erinnerungen erzählen konnten, die in beiden Fällen ihr
Erwachsenenleben stark beeinflusst haben.
Veronika Schattenmann berichtete über ein Kapitel der Deutschen Geschichte, das erst in
jüngster Zeit beleuchtet wurde: Das Leben in der russischen Besatzungszone während der ersten
Jahre nach dem Kriegsende. Ihrem szenisches Erzählen aus der Kindheitsperspektive über den
Kampf ums Überleben, den Hunger, die Kälte, die frühe Verantwortung und die Sorgen der
alleinstehenden Mutter um die vielen Kinder, darunter ein Neugeborenes, das nachts mit Hilfe
des 12-jähriger Sohnes entbunden wurde und das immer einen großen Teil der Rationen der
anderen Kinder bekommen musste – hörten die Teilnehmerin fast eineinhalb Stunde gebannt zu.
Schließlich berichtete Frau Schattenmann über die abenteuerliche Flucht 1947 in den Westen. Die
einschneidenden Kindheitserlebnisse haben die Frau Schattenmann und ihre Familie tief geprägt.
Sie sind auch ein Teil kollektiver Erinnerung, die in den ganzen Jahren mehr oder weniger
stillschweigend ertragen wurden, stets begleitet von Gedanken an deutsche Schuld am Zweiten
Weltkrieg. Frau Schattenmann war sehr dankbar, durch das Erzählcafé die Chance gehabt zu
haben, ihre Erinnerungen öffentlich mitzuteilen. Es hat viele neue Erinnerungen hervorgerufen
und sie ein Stück weiter auf dem Weg der persönlichen Aufarbeitung gebracht.
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Erzählen gegen den Krieg
Frau Izabiliza erzählte präzise und klar über Ihre Kindheit vor dem Ausbruch des Genozids und
darüber, wie ihre Familie – Vater, Mutter, Bruder und ein während der Flucht geborenes Baby –
mehr oder weniger im Kreise wanderten und versuchten, den Milizen und Génocidaires zu
entkommen um später wieder nach Hause in den Süden zurückzukehren, wo nun die der RPF
(Ruandische Patriotische Front) die Kontrolle übernommen und das Morden beendet hatte.
Während der Flucht musste Izabilizas Familie alles verkaufen was sie besaß, um durch die
Kontrollen zu kommen. Ihren Eltern – besonders die Mutter – gelang es die Kinder zu schützen
und ihnen vor allem ein Gefühl zu geben, dass alles gut wird. Leichen hat sie nur einmal
wahrgenommen. Noch immer sehr präsent war für Frau Izabiliza die Situation, in der ihre Familie
ein elternloses Mädchen an einem Kontrollpunkt verlassen musste. Das Kind war der Familie über
längere Zeit gefolgt und zur Spielkameradin geworden. In Frau Izabilizas Erzählung aus der
Kinderperspektive gab es nicht die Fragen, warum das Mädchen keine Eltern hatte und was mit
ihr nach der Trennung geschah. Im Vordergrund stand die Wut und Verzweiflung der Achtjährige
über das Unrecht der die eigenen Eltern, dieses Mädchen nicht weiter mitzunehmen.
Für Frau Izabiliza war es einen großer Schritt, über ihre persönlichen Erlebnisse während des
Völkermords zu reden. Bis vor kurzem vertrat sie eher die Auffassung, sich nicht über den
Völkermord in Ruanda und die damit verbundenen Traumatisierungen zu definieren. Durch die
aufklärende Arbeit mit Ruanda Connection war es für Frau Izabiliza wichtig geworden, sich als
Zeitzeugin zu Verfügung zu stellen. Später erzählte sie uns, dass das Erzählen ihr gut getan
hatte; trotz der traumatisierenden Erinnerungen, über die sie nun mit ihrer Mutter reden konnte.
Als sehr hilfreich empfand sie es, nicht alleine sondern zusammen mit Frau Schattenmann zu
erzählen. Dies unterstrich die Richtigkeit des Projektansatzes, mit zwei Zeitzeugen aus
verschiedenen, unabhängige Kontexten das Gefühl zu vermittelt mit den schweren
Kriegserfahrungen nicht alleine zu sein.
Sehr erstaunlich waren beide Zeitzeuginnen über die Ähnlichkeiten im Erzählen und Erinnern der
teils sehr unterschiedlichen Kindheitserinnerungen. Der Fokus und das Empfinden der beiden
Kinder in diesen Extremsituationen schien vor allem durch eine Art Annahme des Chaos und der
Ausnahmesituation gekennzeichnet zu sein. Beide konzentrierten sich auf konkrete,
überschaubare und kontrollierbare Situationen (wir bekomme ich etwas zu essen, wir überwinde
ich den Hunger, wie kann ich ‚Kind‘ bleiben und trotz allem spielen) und auf Ihre Mütter als
starke Bezugspersonen. Der große, lebensbedrohliche Kontext wurde zum Teil ausgeblendet oder
gar nicht wahrgenommen. Dies wurde auch in der anschließenden Diskussion thematisiert.
Fotos der Veranstaltung:
TeilnehmerInnen
Izabiliza, Schattenmann und Gieschler
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Erzählen gegen den Krieg
ZeitzeugInnengespräche mit Heinz Westphal und Elizabeth Kaneza: 6. Juni 2012
Heinz Westphal wurde in 1928 in Berlin
geboren. Als 16-Jähriger wurde er von der
Schulbank weg zum Kriegsdienst einberufen;
anschließend wurde er 1945 in russische
Kriegsgefangenschaft genommen. Er kehrte
1949, seiner Jugend beraubt, in eine ihm
fremd gewordene Heimat zurück.
Heinz Westphal beim Erzählen
Elisabeth Kaneza, 24 Jahre, ist Studentin und
lebt in Berlin. Sie wurde 1987 in Kigali
geboren. Während des Völkermords in
Ruanda 1994, floh sie zusammen mit ihrer
Familie zunächst nach Kongo. Im selben Jahr
fanden sie Zuflucht in Deutschland, wo ihre
Vater studierte. Elisabeth wuchs in
Nordrhein-Westfalen auf, wo sie ihre
Schulausbildung abschloss. Deutschland ist
für sie mittlerweile zu einer zweiten Heimat
geworden. Frau Kaneza ist sehr aktiv in der
Arbeit für Aufklärung und Aufarbeitung des
ruandischen Genozids.
Elizabeth Kaneza erzählt ihre Geschichte
Auch bei der dritten Veranstaltung war Kindheit- bzw. Jugendkriegserinnerungen ein zentrales
Thema. Nur dieses Mal stand der Verlust von Jugend und Kindheit im Zentrum, besonders in der
anschließenden Diskussion zwischen den TeilnehmerInnen und den ZeitzeugInnen.
Heinz Westphal hat seine Erlebnisse und Erfahrungen während seines Kriegsdienstes und der
Gefangenschaft sowie bei seine Rückkehr 1949 in eine fremde, neue Berliner Welt
aufgeschrieben. „Hora latet“ (die letzte Stunde bleibt verborgen) heißt – in Anlehnung an einen
auf alten Sonnenuhren häufig zu lesenden Spruch – sein Bericht, den er ursprünglich seiner
Familie zugedacht hat und aus dem er bei der Veranstaltung Ausschnitte vorgelesen hat. Seine
Kriegserlebnisse waren von Hunger, Kälte, Leid und Ungewissheit in der Kriegsgefangenschaft
geprägt, seine Einstellung zu den verlorenen Jugendjahren scheint überwiegend von Akzeptanz
und Annahme des Schicksals geprägt zu sein. Ein Schlüsselerlebnis, der vielleicht auch
rückblickend zu dieser Akzeptanz beigetragen haben könnte, war folgendes Erlebnis: die Güteroder Viehwagons, in denen die Gefangenen nach Russland transportiert wurden, machten auf
dem Weg dorthin im Frühsommer 1945 mehrere Tage Aufenthalt in Auschwitz. Den deutschen
Männer war es schon klar, als sie das Schild mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" von den
Auschwitz-Tor sahen, dass sie sich in einen vormals deutschem Arbeitslager befanden. An
welchem Ort des Schreckens und des menschlichen Versagens sie sich dort befunden hatten,
erfuhren sie erst Jahre später.
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Erzählen gegen den Krieg
Elisabeth Kaneza hatte wie Herr Westphal die ‚Geschichten‘ aufgeschrieben, um die Erlebnisse
zu verarbeiten. Sie lass Ausschnitte aus ihren Texten vor. In den ersten Wochen des Völkermords
war die Familie von Frau Kaneza - außer ihres Vaters, der in Deutschland studierte - in ihrem
Haus in Kigali eingeschlossen, in der Hoffnung, die Unruhen würde bald vorüber gehen. Für die
kleine Elizabeth und ihre Geschwister bedeutete dieses zunächst viel schulfreie Zeit und viel
Fernsehen. Mehrere Male wurde ihr Haus von Milizen und Génocidaires aufgesucht, es gelang
jedoch, diese vor allem mit dem Argument zu besänftigen, dass die Frauen und Kinder ohne
Mann im Haus schutzlos seien. Als sich die Situation in Kigali jedoch zuspitze beschloss die
Familie, einschließlich der Tanten, Kusinen und Vettern, im Auto aus Kigali Richtung Kongo zu
flüchten. Die Kinder lagen alle hinten unter Teppichen versteckt. Irgendwie, mit sehr viel Glück,
gelang es den Frauen durch alle Absperrungen nach Norden (wo die der RPF schon früh die
Kontrolle erkämpft hatte) und über die Grenze nach Kongo zu entkommen. Angekommen in
Kongo, gelang es Elizabeth Kanezas Mutter, ein funktionierendes Telefon zu finden und für das
letzte Geld den in einem deutschen Studentenheim wohnende Vater anzurufen. Der Zufall wollte
es, dass es ausgerechnet der Vater war, der im Studentenheim abnahm und das Geld reichte
gerade um ihm zu sagen, dass sie am Leben und im Kongo seien. Kurze Zeit später kam er aus
Deutschland, um seine Familie zu suchen und in Sicherheit nach Deutschland zu holen. Die
Trennung vom dem Rest der Familie war schmerzvoll. Auch als es gelungen war nach
Deutschland auszureisen, war die erste Zeit, insbesondere für die Kinder sehr belastend, es war
kalt, dunkel und fremd, sie wohnten zusammen gedrängt in einem kleinen Zimmer im
Studentenheim. Es dauerte lange bis Frau Kaneza sich mit Deutschland anfreunden konnte.
Fotos der Veranstaltung:
Sabine Gieschler, Elizabeth Kaneza und Heinz Westphal
Teilnehmerinnen am 6.6.2012
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Erzählen gegen den Krieg
Zeitzeugengespräch mit Hamad Nasser: 13 Juni 2012
Hamad Nasser ist Palästinenser; sein Vater
wurde 1948 aus Palästina vertrieben –
zunächst nach Syrien, dann in den Libanon.
Dort kam Herr Nasser 1967 zur Welt.
Während des Libanonkrieges flüchtete die
Familie nach Deutschland, wo sie jahrelang
ohne gesicherten Aufenthaltsstatus lebte.
Nachdem der Asylstatus der Familie
schließlich anerkannt wurde, studierte Herr
Nasser Soziologie, Geografie und Pädagogik
an der Freien Universität Berlin. Heute leitet
er das ‚Nachbarschaftszentrum Steinmetzstraße‘ – seit
2008 Teil
des
Mehrgenerationenhauses
Schöneberg
welches
insbesondere
libanesisch–
palästinensischen und kurdischen Familien
sowie Menschen aus dem Kiez als sozialer
und kultureller Treffpunkt dient. Herr Nasser
wohnt in Berlin und hat drei Kinder.
Hamad Nasser als Zeitzeuge
Beim ‚Erzählen gegen den Krieg‘ mit Herr Nasser hatten wir vorher entschieden, ihn als einzigen
Zeitzeugen – einzuladen. Nach dem Vorgespräch mit ihm wurde klar, dass er einerseits über sein
Leben als palästinensischen Flüchtling erzählen sollte, anderseits sollte er über sein Engagement
und seine Erfahrungen als Leiter der ‚Nachbarschaftszentrum Steinmetzstraße‘ eine Art Vortrag
halten. Bei der Veranstaltung wurde es sehr deutlich, dass bei Hamad Nasser diese zwei Teile
seines Lebens nicht trennbar sind. Sein Erzählen umfasste die persönlichen Erlebnissen seiner
Kindheit und Jugend, seinen beruflichen Werdegang, sein politisches Leben in Berlin, die
Geschichten seiner Eltern und Großeltern aus Palästina, das Projekt des ‚Nachbarschaftszentrums
Steinmetzstraße‘ und schließlich die allgemeine politische Situation der Palästinenser.
Hamad Nasser kam 1976, auf dem Höhepunkt des Libanonkriegs, mit seiner Familie nach
Deutschland. Es war für ihn und seine Familie nicht leicht in Deutschland Fuß zu fassen,
hauptsächlich durch die Schwierigkeiten einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu bekommen,
Palästinensische Flüchtlinge galten damals oft als suspekt. Herr Nasser setzt seine persönlichen,
traumatischen Erfahrungen als palästinensischer Flüchtling realistisch und pragmatisch um und
kämpft dafür, dass das Leben für für Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung besser und
einfacher wird. Vor allem ist er damit beschäftigt, den Kindern und Jugendlichen in seiner
Nachbarschaft den Zugang und Freude an Bildung zu vermitteln.
Fotos der Veranstaltung:
Hamad Nasser und Sabine Gieschler in Gespräch
TeilnehmerInnen
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Erzählen gegen den Krieg
Ergebnisse des Projekts
Im Projekt ist es gelungen, eine Plattform zu schaffen, auf der Menschen und Gruppen mit
verschiedensten Kriegs-, Gewalt- und Konflikterlebnissen über ihre persönlichen Erfahrungen
öffentlich erzählen konnten.
Es wurde ein tiefgründiger Austausch über nationale, kulturelle und altersbedingte Grenzen
hinweg, sowohl zwischen den erzählenden ZeitzeugInnen als auch zwischen den ZeitzeugInnen
und den TeilnehmerInnen in den anschließenden Diskussionen hergestellt.
Es war offensichtlich, dass die emotionalen Berichte der ZeitzeugInnen helfen, Vorurteile
abzubauen und Verständnis zu entwickeln, so dass die sich oft widersprechenden Diskurse
zwischen dem Politischen und dem Persönlichen ans Licht kamen und diskutiert werden konnten.
Ein Beispiel:
Beim Vortrag von Ruanda Connection wurde sehr auf die Maßnahmen der ruandischen
Nachkriegsgesellschaft, die Bewältigung der Vergangenheit und die Förderung der
Wiedergutmachung eingegangen. Da es sich in Ruanda als unmöglich erwies mit
‚westlichen‘ Rechtsverfahren allein alle Génocidaires anzuklagen, wurden auf lokaler Ebene die
traditionellen Gacaca-Gerichte eingeführt. Auch wenn diese Methode Probleme mit sich brachte,
hat sie sich als konstruktiv erwiesen, um das Zusammenleben von Tätern und Opfern möglich zu
machen. Zudem wurde es nach dem Genozid in Ruanda verboten, Menschen in Tutsi, Twa oder
Hutu einzuteilen, darüber zu sprechen, die entsprechenden Eintragungen in den
Personalpapieren wurden abgeschafft.
Bei der Diskussion nach dem Vortrag darüber haben manche TeilnehmerInnen bezweifelt, ob
diese Maßnahmen der Versöhnung und Bewältigung möglich und erfolgreich sein könnten. Diese
Zweifel kamen vor allem beim Vergleich mit der jugoslawischen Nachkriegsgeschichte auf, wo es
zu einer solchen Bewältigung der Vergangenheit nicht gekommen ist. Es wurde viel hin und her
diskutiert.
In den nächsten zwei Veranstaltungen, wo die Zeitzeuginnen Izabiliza und Kaneza ihre
persönlichen Geschichten erzählten, fiel es auf, dass keine von beiden jemals von Hutus oder
Tutsis sprach. Sie sprachen von Tätern und Génocidaires und sie sprachen von sich selbst als
Flüchtlinge und Opfer, aber nie wurden in den persönlichen Erzählungen die ethnischen
Kategorien erwähnt. Eine gewisse, vielleicht unbewusste Irritation beim Publikum setze ein –
man hatte doch irgendwie erwartet, die Erzählungen innerhalb dieser Kategorien präsentiert zu
bekommen. Gefragt nach ihrer ethnischen ‚Zugehörigkeit, antworteten beide Zeitzeuginnen
selbstbewusst, sie würden es nicht wissen.
Uns zeigte dieser Vorfall, dass die Maßnahmen - eingeführt von der ruandischen Regierung - sehr
wohl eine Wirkung haben und zwar nicht so, dass sie ethnische Einteilungen über Nacht
verschwinden lassen. Eher bewirken sie, dass man – wenn solche Kategorien weggelassen
werden - mit der unbewussten, emotionalen und sehr menschlichen Erwartung konfrontiert wird
das Konflikte und Konfliktparteien in feste, überschaubare Kategorien eingeteilt werden. Bei
‚Erzählen gegen den Krieg‘ führte diese Konfrontation zu den erwünschten Diskussionen über die
vielfältigen Wege zur Versöhnung, Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit in
unterschiedlichen Kriegsregionen.
Neue Partnerschaften für ‚Erzählen gegen den Krieg‘:
− mit Ruanda Connection bei dem Projekt ‚Erzählen für den Frieden‘in den Sekundarschulen
und Gymnasien
− mit der Geschichtswerkstadt ‚Geteilte Erinnerungen‘ des Neuköllner Kultur e.V. unde
dortigen deutschen ZeitzeugInnen
− mit Hamad Nasser bei zwei neuen Erzählcafes mit palästinensischen und jüdischen
Zeitzeugen
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