"Glamour und Glacier", Süddeutsche Zeitung, 12.03

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"Glamour und Glacier", Süddeutsche Zeitung, 12.03
SZ-Landkreisausgaben
Dienstag, 12. März 2013
Bayern Region Seite 36DAH,EBE,ED,FS,FFB,München City,München Nord,München Süd,München West,STA,Wolfrhsn. Seite R18
Glamour und Glacier
Galerienrundgang: Der amerikanische Promi-Fotograf Sebastian Copeland macht sich um die Rettung der Antarktis verdient.
Die deutsche Fotokünstlerin Anja Jensen inszeniert Rätsel. Und Philip Gaisser dokumeniert ein Naturdrama in Australien
VON EVELYN VOGEL
München – Wären da nur die Fotografien
der blau leuchtenden Eisberge, die sich dekorativ im Wasser spiegeln, man würde die
Arbeiten von Sebastian Copeland zwar als
recht beeindruckend wahrnehmen, sie vermutlich aber ebenso recht schnell wieder
vergessen. Da kommt dieser Typ aus Hollywood, würde man sich denken, der jede
Menge Stars vor seiner Linse hatte, der in
der Mode- und Werbewelt zu Hause war,
der Musiker fotografiert und Videoclips gedreht hat, und will nun ein ernsthaftes Anliegen in seinen Hochglanzbildern transportieren? Dass sein Cousin Orlando
Bloom heißt, dass die bunten Blätter weitaus häufiger über ihn berichten als die seriösen Zeitungen, drängt Sebastian Copeland noch etwas weiter in die GlamourEcke.
Doch da sind eben nicht nur die dekorativen, technisch hervorragenden Fotografien der Eisberge. Da sind auch minimalistisch wirkende Aufnahmen von Eisflächen
und Horizontlinien, die an Farbfeldmalerei erinnern und die die Hochglanzästhetik
konterkarieren, da sind eindrucksvolle grafische Schwarz-Weiß-Bilder von Schneestrukturen, in denen die Grenze der Wahrnehmbarkeit von Schnee und Sand verwischen. Spätestens hier wird deutlich, dass
Copeland auch mit seinem fotografischen
Konzept ernst zu nehmen ist. Überhaupt
spielt die Struktur der Natur für Copeland
eine wichtige Rolle in seinem ästhetischen
Ansatz. Und manche Aufnahmen erinnern
gar an große Fotokünstler wie Ansel
Adams oder Edward Weston.
Copeland schlug sich in 82
Tagen mehr als 4100 Kilometer
quer durch die Antarktis
Aber dann ist da ja noch die Person Sebastian Copeland. Er hat sich in den vergangenen fünf bis sechs Jahren zu einem bekannten Umweltaktivisten entwickelt, ist
Vorstandsmitglied von „Global Green“
und reist, um den Klimawandel zu dokumentieren, seit einigen Jahren regelmäßig
in die Polarregionen. Nicht „light“, wie es
für einen Promifotografen typisch wäre,
sondern beinhart. Wochenlang. Unter extremsten Bedingungen.
So entstand die vorliegende Serie „Antarctica. A Million Faces of Ice“, die derzeit
in der Galerie von Blanca Bernheimer zu sehen ist, während einer Expedition durchs
ewige Eis. Gemeinsam mit Eric McNairLandry schlug sich der 48-jährige Copeland in 82 Tagen mehr als 4100 Kilometer
quer durch die Antarktis. Auf Skiern, gezogen von Kite-Drachen, bei bis zu 160 Stundenkilometern Windgeschwindigkeit, mitunter tagelang in einem Zelt ausharrend,
die Ausrüstung auf Schlitten hinterherziehend. Spätestens hier wird klar: Sebastian
Copeland mag zwar ein Kind der Glamourwelt sein, er ist aber auch ein Abenteurer.
Und er ist ein Fotograf, der um die Wirkungsmacht der Bilder weiß und diese für
seine durchaus hehren Ziele einsetzt.
So hat die Fotografie von Sebastian Copeland zwei Lesarten. Die eine ist die der
berauschend schönen Bilder einer, wie es
scheint, unberührten Polar-Landschaft.
Die andere die einer vom Klimawandel bedrohten Region, deren Schönheit einzig
Was macht das kleine Mädchen mit der Popcorntüte nächstens im Heidekraut? Anja Jensen stellt mit ihren Fotografien, die wie Filmstills wirken, Fragen – wie hier im
Bild „Lara“ von 2007, das aus der Serie „Tatort“ stammt.
FOTO: ANJA JENSEN / VG BILD-KUNST, BONN 2013
und allein deshalb festgehalten wird, um
vor ihrem Verschwinden zu warnen. Copeland präferiert – bei aller Schönheit seiner
Aufnahmen – ganz gewiss die zweite Lesart. Man würde ihm auch Unrecht tun, nur
die erste zu wählen.
Sebastian Copeland: „Antarctica. A Million Face of
Ice“, Galerie Bernheimer, Brienner Straße 7, bis 13.
April
Weniger dramatisch in der Entstehungsgeschichte, aber ansatzweise ähnlich im ideellen Hintergrund und vor allem in der Inszenierung sind die Arbeiten der deutschen Fotokünstlerin Anja Jensen. Das Thema „Überwachung“ thematisiert sie in Installationen und Fotografien seit 1996, gelegentlich wirkt das episch, mitunter aber
wird ein Hang zu großer Dramaturgie überdeutlich. Vor etwa zwei Jahren entstand
die Serie „Tatort“ auf den Nordsee-Inseln
Föhr und Amrum. Dort wurden sie im vergangenen Jahr schon einmal gezeigt. Jetzt
stellt Anja Jensen in der Galerie f5,6 hier in
München aus.
Die Ästhetik ihrer Fotografie gleicht
Filmstills. Und das ist beabsichtigt. Jensen
arbeitet mit einer großen Plattenkamera.
Sie sucht Schauplätze, deren Natürlichkeit
durch kleine Details gestört ist und dadurch schon rätselhaft wirkt. Dort hinein
inszeniert sie dann – darin dem Fotografen Gregory Crewdson nicht unähnlich –
Geschichten, die keinen Anfang und kein
Ende haben. Der Betrachter wird unvermittelt in die Szene hineinversetzt, deren Mittelpunkt auf merkwürdige Weise ausge-
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leuchtet ist. Was sucht der Junge bei einbrechender Dämmerung im Wasser? Warum
steht das Mädchen mit ihrer Popcorntüte
im Dunkeln inmitten von Heidekraut, auf
einem Fleck Erde, der merkwürdig leer geräumt ist? Und was treibt der Fischer dort
in der Nacht am Wasser? Fragen über Fragen, die Jensen gerne stellt, auf die sie aber
nicht bereit ist, Antworten zu geben.
Anja Jensen: „Tatort“, Galerie f5,6, Ludwigstraße 7,
bis 27. April
Noch einmal eine Umweltthematik in einer ganz anderen fotografischen Umsetzung. Philip Gaissers konzeptuelle Ausstellung „Zinnoberblau beim Morgengrauen“
in der Galerie von Jo van de Loo. Fotografische Serien in Hochglanzoptik sucht man
hier vergeblich. Gaisser schafft eine ganze
Installationen um die „Prickly Pear Destruction Mission“, einer im 19. Jahrhundert in Australien gegründeten Gesellschaft zur Vernichtung einer aus Mexiko
eingeschleppten Kaktusart. Einst als natürlicher Lieferant des roten Farbstoffes Karmin begehrt, hatte die Kaktusart Überhand genommen und wurde mit allen Mitteln bekämpft. Doch weder Roden noch
Vergiften halfen. Erst ein – wiederum eingeschleppter und damit ohne natürliche
Feinde sich unkontrolliert verbreitender –
Schädling vernichtete den Kaktus. Wenige
Fotos, aber eine irre Geschichte.
Philip Gaisser: „Zinnoberblau beim Morgengrauen“, Galerie Jo van de Loo, Theresienstraße 48, bis
6. April
A54170407
ubrandmueller

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