DISSERTATION
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Psychische Störungen bei Frauen und familiäre Transmission unter besonderer Berücksichtigung von Angststörungen DISSERTATION zur Erlangung des akademischen Grades Doctor rerum naturalium (Dr. rer. nat.) vorgelegt der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der Technischen Universität Dresden von Dipl.-Psych. Julia Martini geboren am 05.07.1981 in Dresden Eingereicht am 07.09.2011 Die Dissertation wurde in der Zeit von September 2007 bis September 2011 am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie angefertigt. Die Dissertation wurde unter wissenschaftlicher Betreuung von Professor Dr. Hans-Ulrich Wittchen am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Technischen Universität Dresden angefertigt. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine kumulative Dissertationsschrift, die gemäß §8(1) der Promotionsordnung vom 23.02.2011 der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der Technischen Universität Dresden als abgeschlossene Einzelarbeit verfasst wurde. Teile der Dissertation sind als eigenständige Originalpublikationen veröffentlicht. Die Autorin bedankt sich herzlich bei allen Verlagen für die Erlaubnis zum nicht-kommerziellen Abdruck der folgenden Publikationen (unter voller Zitierung) in der vorliegenden Dissertationsschrift: Martini, J., Winkel, S., Knappe, S. & Hoyer J. (2010). Psychische Störungen in den reproduktiven Phasen der Frau. Geburtshilfe und Frauenheilkunde, 70(4), R46-R72. Martini, J., Wittchen, H.-U., Soares, C. N., Rieder, A. & Steiner, M. (2009). New womenspecific diagnostic modules: The Composite International Diagnostic Interview for Women (CIDI-VENUS). Archives of Women’s Mental Health, 12(5), 281-289. Martini, J., Einbock, K., Wintermann, B.-G., Klotsche, J., Junge-Hoffmeiser, J. & Hoyer, J. (2009). Die Depression-Angst-Stress-Skala für die Peripartalzeit: Ein Screeninginstrument für die Schwangerschaft und das Wochenbett. Klinische Diagnostik und Evaluation, 2(4), 288-309. Martini, J., Weidner, K. & Hoyer, J. (2008). Angststörungen in der Schwangerschaft und nach der Geburt: Diagnostik und Behandlung. Psychosomatik und Konsiliarpsychiatrie, 2(4), 207-215. Martini, J., Knappe, S., Beesdo-Baum, K., Lieb, R. & Wittchen, H.-U. (2010). Anxiety disorders before birth and self-perceived distress during pregnancy: Associations with maternal depression and obstetric, neonatal and early childhood outcomes. Early Human Development, 86(5), 305-310. ZUSAMMENFASSUNG Theoretischer Hintergrund: Auftretenswahrscheinlichkeit, Inzidenzmuster, Symptomatik und Verlauf von psychischen Störungen bei Frauen können nur unter Berücksichtigung jener Besonderheiten vollständig beschrieben und verstanden werden, die mit den psychobiologischen Veränderungen in den prämenstruellen Phasen, der Peripartalzeit sowie der Perimenopause assoziiert sind. Diese Besonderheiten werden jedoch bislang in der Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen nicht spezifisch berücksichtigt. Die mangelnde Beachtung derartiger frauenspezifischer Faktoren in der Diagnostik behindert den Erkenntnisgewinn in der ätio-pathogenetischen Forschung, wie z.B. die Erforschung familiärer Transmissionsmechanismen psychischer Störungen. Hier wird untersucht, warum Kinder von Müttern mit psychischen Störungen ein erhöhtes Risiko aufweisen, ebenfalls psychische Störungen zu entwickeln. Das Auftreten bzw. der Verlauf psychischer Auffälligkeiten bei Frauen in der Peripartalzeit ist möglicherweise entscheidend dafür, in welchem Ausmaß deren Kinder bereits in utero bzw. in den ersten Lebensjahren mit störungsspezifischen Faktoren bzw. Merkmalen ihrer Mutter exponiert werden und in der Folge spezifische Vulnerabilitäten entwickeln. Obwohl derartige Zusammenhänge in einigen Untersuchungsbereichen als gut belegt gelten (z.B. Assoziationen von pränatalem Stresserleben mit neonatalen Auffälligkeiten), bestehen vielfache Forschungs- und Erkenntnisdefizite hinsichtlich diagnostischer Aspekte und ihrer Wertigkeit. Darüber hinaus gelten insbesondere der Verlauf und die (differential-)diagnostischen Besonderheiten von mütterlichen Angststörungen in der Schwangerschaft und Postpartalzeit als ungenügend beschrieben, und ihre spezifische Bedeutung für kritische Entwicklungsmuster der Kinder wurde bisher unzureichend untersucht. Ziele: In der vorliegenden Dissertationsschrift wird versucht, einige dieser Erkenntnisdefizite auszuräumen. Ausgehend von einer kritischen Betrachtung der derzeit gültigen diagnostischklassifikatorischen Konventionen werden psychische Störungen bei Frauen unter besonderer Berücksichtigung der „reproduktiven Übergänge“ (prämenstruelle Phase, Peripartalzeit, Perimenopause) beschrieben, und es werden Optionen zu einer erweiterten diagnostischen Erfassung dargestellt. Auf der Grundlage des standardisierten Composite International Diagnostic Interview (CIDI) wird ein neues diagnostisches Verfahren mit frauenspezifischen Zusatzmodulen (CIDI-V) entwickelt, das für die einschlägige Forschung in diesem Bereich einen neuen Standard setzen soll. Im zweiten Teil der Dissertationsschrift werden Beiträge vorgelegt, die sich im Zusammenhang mit der familiären Transmission von Angststörungen mit den Fragen zu Diagnostik, Auftreten und Verlauf von depressiven, Angst- und Stresssymptomen bzw. Angststörungen in der Peripartalzeit befassen. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit der mütterliche diagnostische Status bzw. eine hohe wahrgenommene Belastung vor der Geburt eines Kindes mit maternalen und frühkindlichen Auffälligkeiten assoziiert sind. Ergebnisse: Die diagnostischen Beiträge zeigen überzeugend, dass es ohne wesentlich höheren Zeitaufwand möglich ist, die bestehenden Ansätze zur Diagnostik psychischer Störungen durch Module zu ergänzen, die eine reliable und klinisch differenzierte Charakterisierung der psychopathologischen Syndrome in den reproduktiven Übergängen der Frau ermöglichen. Dies gilt nicht nur für die querschnittliche und lebenszeitbezogene Erfassung psychischer Störungen, sondern auch für die Verlaufsbeschreibung kritischer dimensionaler Aspekte, wie am Beispiel der Erfassung negativer emotionaler Zustände in der Schwangerschaft und Postpartalzeit durch die DepressionAngst-Stress-Skala für die Peripartalzeit (DASS-P) gezeigt wird. Die Beiträge zur familiären Transmission zeigen, dass 1) peripartale Angststörungen in ihrem Erscheinungsbild und im Verlauf sehr heterogen sein können und dass sich spezifische Angstinhalte auch auf die Schwangerschaft und Geburt bzw. auf die frühe Mutterschaft beziehen können und daher in der Diagnostik berücksichtigt werden sollten. 2) Außerdem wird ein Zusammenhang zwischen maternalen Angststörungen in der Vorgeschichte und inzidenten depressiven Episoden nach der Geburt eines Kindes aufgezeigt. 3) Darüber hinaus ist eine hohe wahrgenommene psychische Belastung in der Schwangerschaft mit Frühgeburtlichkeit, einem operativen Geburtsmodus, maternalen depressiven Episoden nach der Geburt sowie mit psychischen Störungen bei den Kindern assoziiert. Diskussion und Ausblick: Zusammenfassend werden mit dieser Dissertationsschrift Beiträge zu verschiedenen Facetten des Forschungsthemas Psychische Störungen bei Frauen in den reproduktiven Übergängen vorgelegt, die einerseits gezielte Verbesserungsvorschläge für die diagnostische Klassifikation - einschließlich neuer diagnostischer Instrumente (CIDI-V, DASS-P) beinhalten und andererseits die Rolle der Angststörungen bei der familiären Transmission psychischer Störungen weiter aufklären. Diese Doktorarbeit legt somit Grundlagen für eine zukünftig verbesserte Forschung im Bereich der familiären Transmissionsmechanismen, die sowohl für eine spezifische Diagnostik und klinische Verlaufsforschung wie auch für die experimentelle Prüfung kritischer Zusammenhänge von Relevanz ist. Abstract Background: Prevalence, incidence, symptomatology, and course of mental disorders in women can only be completely described and understood if psychobiological changes during premenstrual, peripartum, and perimenopausal time are taken into consideration. So far, these women-specific issues have not been comprehensively addressed in classification systems and diagnostic instruments. The lack of emphasis on women-specific diagnostic issues has impeded scientific insight into etiological research of mental disorders, e.g., research on familial transmission. For investigating why offspring of mothers with mental disorders similarly show a higher risk for psychopathology, a better understanding of the incidence and course of maternal mental disorders during the transition into parenthood is crucial. These characteristics might be relevant for the subsequent development of specific vulnerabilities in the offspring. Although some associations are well documented (e.g., association between prenatal stress and adverse neonate outcomes), many shortcomings exist in the literature, especially due to the lack of standard diagnostic assessment tools. The course and specifics of symptom manifestations of maternal anxiety disorders during pregnancy and postpartum time are not well documented, and the relevance for offspring development has to be investigated. Aims: The purpose of this thesis is to close some of these research gaps. In particular, in this thesis mental disorders in women with respect to “reproductive stages” (premenstruum, peripartum time, perimenopause) are described. Options for an advanced diagnostic assessment are presented. Based on the Composite International Diagnostic Interview (CIDI) a new female-specific diagnostic interview (CIDI-VENUS, CIDI-V) is developed to set a new benchmark for research. With regard to familial transmission of anxiety disorders, the second part of this thesis addresses questions of clinical diagnostics, phenomenology, and course of depressive, anxiety, and distress symptoms as well as anxiety disorders during peripartum time. In addition, associations between maternal anxiety disorders before birth and self-perceived distress during pregnancy with maternal depression after birth and a range of obstetric, neonatal, and childhood psychopathological outcomes are analysed. Results: The new female-specific diagnostic supplements can be easily embedded in the existing diagnostic instruments and allow a reliable, elaborated and time-efficient assessment of psychopathological syndromes during reproductive stages of women. This was not only shown for cross-sectional and longitudinal assessment of mental disorders, but also for the description of critical dimensional aspects as can be seen in the assessment of emotional states during pregnancy and postpartum time with the Depression-Anxiety-Stress Scales for Peripartum (DASS-P). Contributions to familial transmission show that 1) peripartum anxiety disorders are heterogeneous with regard to the phenomenology and course. These specifics might be related to pregnancy, delivery, or motherhood and should be considered in diagnostic classification. 2) Analyses focusing on maternal anxiety disorders before birth yielded associations with incident depression after birth. 3) In addition, self-perceived distress during pregnancy was positively associated with preterm delivery, caesarean section, maternal depression after birth, and mental disorders in offspring. Conclusion: This thesis contains suggestions for the improvement of diagnostic classification (incl. new diagnostic instruments, i.e., CIDI-V, DASS-P) and contributions to clarify the impact of anxiety disorders during familial transmission of mental disorders. Thus, it provides a basis for an improved diagnostic characterisation of women-specific syndromes during peripartum time that is crucial for further experimental investigation of the associations specified above.