Möglichkeiten und Grenzen von homöopathischen Behandlungen: 2

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Möglichkeiten und Grenzen von homöopathischen Behandlungen: 2
Möglichkeiten und Grenzen von homöopathischen Behandlungen:
2-jährige Erfahrungen im ökologischen Milchviehbetrieb Haus
Riswick
Als alternative Therapiemethode oder als sinnvolle Ergänzung zur
Hochschulmedizin gewinnt die Homöopathie in der Rinderpraxis zunehmend an
Bedeutung. Für Lebensmittel liefernde Tiere sind nach heutigem Arzneimittelrecht
eine Vielzahl verschiedener homöopathischer Arzneimittel zugelassen oder
registriert. Beim Einsatz solcher natürlicher Heilmittel treten keine Nebenwirkungen
auf und es entfällt die Einhaltung von Wartezeiten. Außerdem verunsichern
„Rückstände“ und „Resistenzen“ den Verbraucher. Die Anwendung von
homöopathischen Heilmitteln in der Milcherzeugung und damit die Reduzierung der
allopathischen Medizin/des herkömmlichen Arzneimitteleinsatzes liefert hier einen
wertvollen Beitrag zur Festigung und Wiedergewinnung des Verbrauchervertrauens.
Sowohl als Prophylaxe als auch als therapeutische Maßnahme oder in manchen
akuten Fällen als Notbehandlung hat der Einsatz von homöopathischen Heilmitteln
Bedeutung.
Homöopathie erfolgreich eingesetzt
Im ökologischen Versuchsbetrieb (Bioland- und Naturlandbetrieb mit 40 Milchkühen
und weiblicher Nachzucht) der Landwirtschaftskammer Rheinland im
Landwirtschaftszentrum Haus Riswick wurden unter Anleitung und Betreuung von
fachkundigen Tierärzten während der letzten zwei Jahre im Bereich der
Tiergesundheit sowohl homöopathische Einzelmittel (Anwendung der klassischen
Homöopathie) als auch homöopathische Kompositumpräparate (Komplexmittel)
eingesetzt. Der folgende Beitrag soll einerseits über Ursprung, Wirkung und
Grundprinzipien der klassischen Homöopathie informieren, andererseits auch
beispielhafte Einblicke in praktische Therapiebereiche beim Rindvieh gewähren,
dabei jedoch auch bisher erfahrene Grenzen nicht außer Acht lassen.
Geschichte der Homöopathie
Als Begründer der Lehre und Heilmethode der Homöopathie veröffentlichte Samuel
Hahnemann 1810 sein „Organon der Heilkunst“, in dem er die Begriffe Gesundheit
und Krankheit definiert und Anweisungen zur Herstellung homöopathischer
Arzneimittel gibt. Nach der wörtlichen Übersetzung aus dem griechischen bedeutet
„homöo“ ähnlich und „pathos“ Leiden, also „ähnliches Leiden“. Die Bedeutung dieses
Begriffes beschreibt die Behandlungsmethode.
Das Konzept der Homöopathie basiert auf 3 Grundprinzipien:
1. Ähnlichkeitsregel (Simile -Prinzip)
Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt! D.h. das richtige homöopathische Heilmittel
in der Reinsubstanz würde beim gesunden Tier die Symptome hervorrufen, die das
kranke Tier zeigt; in homöopathischer Potenz würde exakt das Mittel den kranken
Organismus heilen. (Es hängt also von der eingenommenen Medikamentenmenge
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ab, ob eine Substanz eine Erkrankung verursacht oder heilt.) Es handelt sich um
einen ganzheitlichen Heilungsrozess.
2. Arzneimittelprüfung
Jedes Heilmittel sollte zunächst vor dem Hintergrund aller Symptome, den
sogenannten Arzneimittelbildern genau geprüft werden (Materia edica/Repertorium).
3. Potenzierung (potentia: lateinisch = Macht, Kraft) = Verdünnung +
Verschüttelung
Eine stärkere Verdünnung des Heilmittels, das aus dem pflanzlichen, tierischen oder
mineralischen Bereich stammt, erhöht die Wirksamkeit. Je höher die Potenz also die
Verdünnung, umso stärker die Wirkung. Bei starken Verdünnungen ist von der
Ursubstanz nichts mehr nachweisbar. Samuel Hahnemann (1755-1843) sprach von
der zunehmenden Entfaltung von dynamischen Kräften/Energien (BioInformation/Biophotonen) bei Hochpotenzen. Gebräuchliche Potenzen sind D =
Dezimal-Potenzen, also Zehnerpotenzen und C = Centesimal-Potenzen, also
Hunderter-Potenzen. Die Potenzierung verläuft in folgenden Schritten: 1) Ein Teil der
Ursubstanz wird mit neun Teilen Wasser oder Alkohol verdünnt. Das ergibt eine
Verdünnung von 1:10. 2) Diese Verdünnung wird nun zehnmal geschüttelt, wodurch
mechanische Energie (Bio-Information) auf die Arznei übertragen wird. Diese
Verdünnung entspricht dann einer D1 Potenz. 3) Ein Teil der D1 wird nun mit neun
Teilen Wasser oder Alkohol verdünnt, was eine Verdünnung von 1:100 ergibt. 4)
Wieder wird diese Verdünnung verschüttelt; es ergibt sich die D2, usw.
Wirkung von homöopathischen Mitteln
Die Homöopathie zerstört nicht den Erreger im Gegensatz zur Allopathie
(Antibiotikum); es ist also nicht die Infektion als solche, die behandelt wird. Das
richtige „simile“ homöopathische Mittel bringt den Krankheitsprozess erst richtig in
Gang, um ihn zu Ende zu bringen mit der Folge der Heilung durch die Unterstützung
des Immunsystems. Das richtige homöopathische Mittel in der richtigen Potenz löst
somit eine Initialreaktion in der Form aus, dass der Organismus in die Lage versetzt
wird, sich selbst zu heilen. Dabei spielt das Immunsystem eine entscheidende Rolle.
Für eine erfolgreiche homöopathische Therapie ist eine Behandlungsstrategie
erforderlich, die sich an der Konstitution und am Verhalten des Tieres orientiert.
Entscheidend ist die causa, die Ursache, der Grund der gesundheitlichen Störung.
Lokale Symptome sind nur von untergeordneter Bedeutung. Die exakte
Tierbeobachtung steht somit im Vordergrund. Es geht um das individuelle
Krankheitsbild.
Die Suche nach dem richtigen Mittel (=Simile) (nach K.G. Scharf)
Kriterien, die beachtet werden sollten und die zur richtigen Arzneimittelfindung
beitragen:
1. Die Ursache („Causa“) der Erkrankung (Wetterumschwung, Durchnässung,
Zugluft, Traumen, Stress, Futterumstellung,...)
2. Gemütssymptome
(anders als sonst? aggressiv? ängstlich? anlehnungsbedürftig?...)
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3. Organgebundene Symptome, örtliche Symptome und Begleitsymptome
(genaue Beschreibung der Erkrankung, ggf. Temperatur usw.)
4. Ganzheitliche Symptome
a) den ganzen Patienten betreffend (Ernährungszustand, Fellbeschaffenheit,...)
b) Sexualität, Brunst, Geburt
(insbesondere das Brunstverhalten liefert Hinweise.)
c) Verlangen und Abneigungen feststellen
(z.B. Fressverhalten beobachten, Verhalten in der Herde,...)
d) Beschaffenheit von Ausscheidungen und Absonderungen
e) Schlafgewohnheiten
(auf welcher Seite liegt das Tier, an welcher Stelle im Stall,...)
Wann welche Potenz?
Grundsätzlich werden im Ökobetrieb Haus Riswick homöopathische Arzneimittel, die
tierischer oder pflanzlicher Herkunft sind, als D-Potenzen und mineralische
Homöopathika als C-Potenzen eingesetzt. (Es gibt allerdings Ausnahmen!) Einige
Homöopathika zeigen Unterschiede in der Wirkung der verschiedenen Potenzen des
selben Arzneimittels. So setzt man z.B. Phytolacca (Kermesbeere) in der D1-Potenz
zur Hemmung der Milchbildung (Trockenstellen) ein und in der D4-Potenz zur
Milchbildungsförderung (Ausmelken bei Euterentzündungen mit Sekretionsstörung).
Akute Erkrankungen mit tiefen Potenzen heilen
In aller Regel werden im Ökobetrieb Haus Riswick bei akuten Erkrankungen
vornehmlich tiefe Potenzen mit einer organotropen Wirkung (auf das erkrankte Organ
gezielt wirkend!) sehr erfolgreich eingesetzt. Z.B. werden als Leberschutzmittel Flor
de piedra D3 (Steinblüte), Chelidonium majus D3 (Schöllkraut), Lycopodium D3-D12
(Bärlapp) oder Carduus marianus D3 (Mariendistel) eingesetzt. Zur exakten
Mittelwahl werden die Arzneimittelbilder dieser 4 homöopathischen Heilmittel, die in
der Materia medica/Repertorium beschrieben sind, mit dem Verhalten und den
Auffälligkeiten der betreffenden stoffwechselgefährdeten oder sogar
stoffwechselkranken Färsen und Kühe verglichen. Weitere Beispiele aus dem
Wundheilungs- und Entzündungsbereich:
Verletzungen und Wunden
Bei allen Verletzungen, Wunden und deren Folgen wird Arnica D3
(Bergwohlverleih/Stichwurz/Fallkraut) als sogenanntes „Traumamittel“ eingesetzt. Bei
eitrigen, schmerzhaften Infektionen kommen Myristica sebifera D2 (Muskatnuss) der
Hepar sulphuris (bis D12) (Kalkschwefelleber) in Frage. Wunden und Verletzungen
am Auge verlangen nach Euphrasia D2 (Augentrost); bei allen Nervenverletzungen
ist Hypericum perforatum D4 oder D6 (Johanniskraut) das geeignete
homöopathische Mittel.
Eutererkrankungen
Auch bei akuten Eutererkrankungen, wenn sich auffällige Veränderungen an Euter
(Schwellung, Ödem), Euterhaut (Verfärbung, Temperatur), Milch (Sekretionsstörung)
und Tierverhalten (Schmerzempfinden) gut erkennen und beschreiben lassen, gibt es
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eine Reihe von homöopathischen Einzelmitteln, die als Tiefpotenzen mit gutem
Erfolg eingesetzt werden. Als Beispiele seien hier Apis mellifica D4 – D12
(Honigbiene) bei häufig rechtsseitigen, stark ödematösen, heißen
Euterschwellungen, oftmals einhergehend mit Fieber und Schmerz sowie Bryonia
alba D4 (Zaunrübe) bei häufig rechtsseitigen, heißen, harten Euterschwellungen mit
blasser Euterhaut und wässrigem Milchsekret und Lachesis D8 (Schlangengift) bei
hochakuten, fieberhaften, oft linksseitigen Euterentzündungen mit blauroten
Euterhautverfärbungen genannt. Homöopathische Mittel in tiefen Potenzen mit
organotroper Wirkung können mehrmals täglich verabreicht werden; die heilende
Wirkung beim richtigen Mittel tritt dann sehr rasch ein.
Wirkung verschiedener Potenzen:
Potenz Erkrankung Wirkungsdauer
Tief (bis D12) akut 6-12 Stunden
Mittel (bis D30) subakut 3-7 Tage
Hoch (D200) chronisch Ca. 6-12 Monate
Mittlere Potenzen für subakute Gesundheitsstörungen
Funktionelle Störungen verlangen nach Heilmitteln mit funktiotroper Wirkung; es
werden mittlere Potenzen verwendet, die etwa 1-2 mal wöchentlich verabreicht
werden. Als Beispiel ist die Anwendung von Caulophyllum D30 (Frauenwurzel) im
ersten Trächtigkeitsdrittel zur Abortvorbeuge bei gefährdeten Tieren zu nennen.
Calcium carbonicum C30 gilt als Konstitutionsmittel bei Kälbern nach der Geburt und
ist besonders angezeigt bei großen, bindegewebsschwachen Kälbern.
Konstitutionsmittel bei chronischen Beschwerden
Die personotrope Wirkung von homöopathischen Mitteln zielt auf eine konstitutionelle
Behandlung des gesamten Tieres (Organismus + Seele/Psyche) ab. Es geht hier um
den Einsatz von sogenannten Konstitutionsmitteln als Hochpotenzen (D/C 20 oder
1000). Hochpotenzen werden etwa 1-2 mal jährlich verabreicht; sie wirken sehr tief,
d.h. nicht nur körperlich, sondern auch im seelisch-psychischen Bereich und sind vor
allem angezeigt vorwiegend bei chronischen Erkrankungen. (S. Tabelle 1)
Die Gesamtheit des Arzneimittelbildes mit seinen Modalitäten muss zum erkrankten
Tier, dem sogenannten „Konstitutionstypen“ passen!
Komplexmittel – zwar nicht klassisch homöopathisch, aber oft einfacher und
sicherer
Komplexmittel sind Kompositumpräparate, bestehend aus verschiedenen
homöopathischen Einzelmitteln, die sich vertragen und teilweise gut ergänzen. Ist die
Symptomatik und Ursachenfindung der Erkrankung nicht eindeutig, kann man sich
also für kein passendes Einzelmittel entscheiden, so ist die Anwendung eines
Komplexmittels oft einfacher und sicherer, allerdings auch kostenintensiver als die
Anwendung der Klassischen Homöopathie mit Einzelmitteln. Bei
Fruchtbarkeitsstörungen oder zur Steigerung des Immunsystems bei Kälbern
brachten entsprechende Komplexmittel sehr gute Heilerfolge.
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Homöopathie praktisch anwenden – wie verabreichen?
Im Ökobetrieb Haus Riswick werden praktisch alle homöopathischen Gaben in
Tropfenform (alkoholische Lösung -> lange Haltbarkeit!) oral bzw. in die Nase
verabreicht.
Homöopathische Verabreichungsformen, -mengen und –techniken
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Tabletten 2-5 in Wasser gelöst mit Spritze ins Maul geben
mit etwas Kraftfutter vermischt geben über Tränke verabreichen
Globuli 10-25 siehe Tabletten
Tropfen 5-15 in Nase tropfen, wird aufgeleckt – optimale Wirkung
ins Tränkewasser geben 2 ml 5 ml Injektion i.m. oder s.c. – langsamere
Wirkung
Die Aufnahme erfolgt über Maul- bzw. Nasenschleimhaut optimal. Aus praktischen
Gründen wird in Einzelfällen z.B. das milchflussanregende Galega D3 (Geissraute)
betreffenden Kühen im Fischgrätenmelkstand über die Scheidenschleimhaut
gegeben. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit der Verabreichung von
homöopathischen Heilmitteln als Tabletten oder Globuli. Komplexmittel-Hersteller
empfehlen i.d.R. die Injektion der homöopathischen Kompositumpräparate, die sich
erfahrungsgemäß jedoch genauso erfolgreich und sparsamer per oral verabreichen
lassen.
Die zweijährigen Erfahrungen im Ökobetrieb Haus Riswick zeigen,
dass mit der klassischen Homöopathie bei akuten Erkrankungen mit tiefen
Potenzen durchaus gute Erfolge sowohl im prophylaktischen als auch
therapeutischen Bereich erzielt werden können. Probleme stellten hauptsächlich
chronische, oft mehrfaktorielle Erkrankungen dar, die bisher nicht zufriedenstellend
homöopathisch behandelt werden konnten. Sicher ist der Heilungserfolg bei
chronischen Erkrankungen grundsätzlich
am ehesten gewährleistet, wenn das richtige Konstitutionsmittel in hoher Potenz (z.B.
D200) gefunden und verabreicht wird. Da jedoch viele Tiere nicht eindeutig einem
klassischen Konstitutionstypen entsprechen und Konstitutionstypen sich auch im
Laufe der Laktationen verändern können, ist die Bestimmung des richtigen
Konstitutionsmittels oft sehr schwierig und bedarf hinreichender Erfahrung.
Perspektiven zur Heilung chronischer Erkrankungen
Um auch zukünftig die problematischen chronischen Erkrankungen vorwiegend im
Eutergesundheits- und Stoffwechselbereich (Optimale Umweltbedingungen werden
vorausgesetzt!) homöopathisch erfolgreich zu behandeln, werden im Ökobetrieb
Haus Riswick weitere Erfahrungen in der Findung und Anwendung von
Konstitutionsmitteln (Hochpotenzen) gesammelt; darüber hinaus soll mit Nosoden
(Potenzierte Krankheitsprodukte) und Miasmenbewältigung (Traumenausleitung)
gearbeitet/experimentiert werden.
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Fazit
Es gibt sicherlich Situationen im Rindviehgesundheitsbereich, wo die Anwendung
eines chemisch-synthetische n/allopathischen Mittels (z.B. Antibiotikum)
unumgänglich ist oder ergänzend zur homöopathischen Arznei positiv wirkt.
Zweijährige Erfahrungen im Ökobetrieb Haus Riswick haben jedoch auch gezeigt,
dass chronischen Erkrankungen, die nicht homöopathisch kuriert werden konnten,
i.d.R. auch mittels allopathischer Behandlung die Heilung versagt blieb. Gute Erfolge
zeigte die homöopathische Behandlung akuter Erkrankungen mit Tiefpotenzen. Dies
resultiert nicht zuletzt aus der gewissenhaften und intensiven Beschäftigung mit dem
Tier (Beobachtung des Habitus, Verhaltens,...) – nicht nur als Patient. Durch den für
die erfolgreiche Anwendung der Homöopathie ganz wichtigen ganzheitlichen Ansatz
in der Tierbeobachtung ergeben sich weiterhin Vorteile im Herdenmanagement und
damit mittelfristig auch ökonomische Vorteile.
August 2002
Anne Verhoeven und Anja Hauswald, Landwirtschaftskammer NRW, LWZ Haus
Riswick, Kleve, Tel: 02821-996-191
Dr. Karl Kempkens, Landwirtschaftskammer NRW, 53115 Bonn, Tel: 0228-7031456
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