Niedrige Löhne - Slow Food Deutschland eV
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Niedrige Löhne - Slow Food Deutschland eV
DOSSIER Niedrige Löhne und Kinderarbeit Der bittere Beigeschmack Da die Lust auf Süßes weltweit wächst, steigt der Kakaopreis rasant an. Die Kakaobauern haben davon wenig. Von Sabine Herre. E in Blick in die Börsenzeitung offenbart derzeit Erstaunliches. In den ersten neun Monaten des Jahres 2015 sind die Preise nahezu aller Lebensmittelrohstoffe gefallen. Weizen gab um 18 Prozent nach, Zucker um 24 Prozent und Kaffee verbilligte sich sogar um 27 Prozent. Eine Ausnahme jedoch ist zu verzeichnen: Kakao verteuerte sich in diesem Jahr von 2 800 auf 3 400 Dollar je Tonne. Und dies ist noch nicht alles: Seit 2000 hat sich der Preis für Kakao – wenn auch mit heftigen Schwankungen nahezu verdreifacht. 60 Fragt man nach den Gründen für den Preisanstieg, so finden sich in den Nachrichtenportalen der einschlägigen Finanzdienstleister gleich mehrere. Der Wichtigste: Es wird immer mehr Schokolade, wichtigstes Verarbeitungsprodukt von Kakao, gegessen. Nicht nur in Deutschland, wo der Schokoladenkonsum zwischen 2000 und 2013 von acht auf fast zehn Kilo pro Kopf und Jahr anstieg. Wichtiger noch sind die Veränderungen bei den sogenannten Schwellenländern. Während eine Karte vom Beginn dieses Jahrhunderts eine klare Süd-Nord-Teilung beim Thema Kakao Slow Food | 06/2015 SF_06_15_50-81.indd 60 18.11.15 12:19 SCHOKOL ADE zeigte – der Süden produzierte, der Norden verbrauchte – hat sich dies inzwischen geändert. »Die Menschen in Asien sind ganz vernarrt in Schokolade«, sagt etwa Phillipe Daue, Chef-Chocolatier von Godiva-Pazifik. In den nächsten drei Jahren könnte die Nachfrage dort um 25 Prozent wachsen. In zehn Jahren, so die Prognose, dürfte ein Chinese mehr Schokolade essen als ein US-Amerikaner. Brasilien ist inzwischen sogar zum drittgrößten Kakao-Konsumenten weltweit aufgestiegen. Ängste vor Tod und Krieg Der zweite Grund für die Preissteigerung heißt – auch wenn dies zunächst überrascht: Ebola. »Haben wir bald Lücken in unseren Schoggi-Regalen wegen Ebola?«, fragte die Schweizer Boulevardzeitung Blick besorgt vor einem Jahr. Die Furcht, dass sich die Viruskrankheit ausbreiten und im Westen Afrikas die beiden wichtigsten Anbauländer für Kakao, die Elfenbeinküste und Ghana, erreichen könnte, »Wer Schokolade isst, war groß. Und machte besonders dem nährt den Krieg in der Schweizer Unternehmen Barry Callebaut zu schaffen. Denn der größte SchokoladenElfenbeinküste.« produzent der Welt – Jahresumsatz fünf Milliarden Euro – bezieht den Großteil seines Kakaos aus Afrika und unterhält in der Elfenbeinküste und dem von Ebola betroffenen Sierra Leone gleich mehrere Produktionsanlagen. Doch auch ohne Ebola – der Handel mit der Elfenbeinküste ist schon lange politisch umstritten. Schließlich ist das Land, aus dem 40 Prozent der weltweiten Kakaoernte kommen, nicht gerade von politischer Stabilität gekennzeichnet. Zwischen 2002 und 2007 herrschte Bürgerkrieg, dessen Opfer ungezählt sind und der 2010/11 erneut aufflammte. Schon 2005 stellte ein Untersuchungsbericht der EU fest, dass durch die Einnahmen aus dem Kakaohandel das Regierungslager seine Aufrüstung finanziere. Oder, wie es in der »taz« hieß: »Wer Schokolade isst, nährt den Krieg in der Elfenbeinküste.« Im Nachbarland Ghana, dem zweitgrößten Kakaoanbauer der Welt, gelten die politischen Verhältnisse zwar als stabil. Im vergangenen Jahr jedoch brach die Währung gegenüber dem US-Dollar um 25 Prozent ein und um die wachsende Staatsverschuldung zu bekämpfen, änderte die Regierung ihre Subventionspolitik. Die für den Anbau des empfindlichen Kakaobaumes ausgesprühten Pestizide wurden jetzt nicht mehr direkt vom Staat bezahlt, weshalb die Bauern den Einsatz einschränkten. Hinzu kam ein trockener Sommer und so wird damit gerechnet, dass die Kakaoernte in diesem Jahr um 20 Prozent zurückgeht. SEKEM-Produkte verbinden Genuss mit nachhaltiger Erzeugung und Spekulationen mit Kakao Kakao wird also knapp auf den Rohstoffmärkten und daher verwundert es kaum, dass die Banken ihren Kunden immer neue Wertpapiere zur Spekulation auf den Kakaopreis anbieten. So war in den letzten Monaten verstärkt Brasilien das Ziel von Investoren, wo man darüber nachdenkt, stillgelegte Plantagen zu neuem Leben zu erwecken. Ob diese Börsenspekulation den Kakaopreis noch weiter nach oben treiben wird, wie es vor einigen Jahren bei Weizen der Fall war, ist jedoch umstritten. Denn die Möglichkeiten sozialem Engagement. Feinste Foto: de.makechocolatefair.org In den Anbaugebieten Westafrikas ist mehr als jedes dritte Kind zwischen fünf und siebzehn in die Kakaoproduktion eingebunden. Genuss mit gutem Gewissen. Datteln aus Ägypten verarbeiten wir zu leckerem Dattelkonfekt. Slow Food | 06/2015 www.sekem-bio.de SF_06_15_50-81.indd 61 61 18.11.15 12:19 taz_g DOSSIER Kakaofarmer in Mexiko bei der Ernte von Chontalpa-Kakao, einem Slow Food Presidio. Hier ganz klar Männerarbeit. ten Bauern in Ghana und der Elfenbeinküste mit deutlich weniger als 1,25 Dollar pro Tag, was nach internationalen Standards »absolute Armut« bedeutet. Kein Ende der Kinderarbeit 62 Mehr fair naschen! Tatsächlich gibt es inzwischen immer mehr Schokoladenanbieter, die mit Labels wie »Fairtrade« oder »Hand in Hand« (Rapunzel) werben, selbst Aldi und Lidl haben inzwischen faire Label. Zwar hat sich der Anteil des fair gehandelten Kakaos von gerade mal 0,1 Prozent in 2009 auf fast 20 erhöht. Doch obwohl sich »faire« Schokolade hierzulande immer größerer Beliebtheit erfreut, kauften die Deutschen nach Angaben von »Fairtrade« 2014 gerade mal 1 160 Tonnen mit diesem Gütesiegel. Eine verschwindend kleine Menge – denn über 1,1 Millionen Tonnen Schokolade werden jedes Jahr in Deutschland hergestellt. Und: Der derzeitige Preisanstieg für Kakao macht wenig Hoffnung, dass sich der Anteil der fairen und daher teureren Schokolade bald entscheidend erhöhen wird. Foto: Slow Food Archiv die schnelles Geld zu verdienen, sind im Kakaomarkt eher begrenzt. 500 Tonnen könnte Brasilien exportieren, das ist im Vergleich mit der jährlichen Gesamtproduktion von vier Millionen Tonnen Kakao eine verschwindend kleine Menge. Und auch insgesamt gesehen ist der weltweite Kakaomarkt ein kleiner, gerade einmal 12 Milliarden Euro werden hier umgesetzt. Andererseits könnte die Preis-Spekulation auf Kakao schnell wachsen. Mars Incorporated, Hersteller des angeblich mobilmachenden Schoko-Riegels, warnt, dass schon in fünf Jahren eine Million Tonnen Kakao fehlen könnten. Das wäre immerhin ein Viertel der derzeitigen Produktion. Doch was bedeutet all dies für die Kakaobauern? Könnten diese von steigenden Preisen nicht auch profitieren? Ein Blick auf die Zahlen ist ziemlich ernüchternd: Während der Gewinn der Schokoladenhersteller seit Jahrzehnten immer weiter wächst, und diese heute vom Preis einer Tafel Schokolade 70 Prozent kassieren, ist der Gewinnanteil der Bauern immer weiter gesunken: von 18 Prozent 1980 auf jetzt gerade mal sechs Prozent. Das »Cocoa Barometer 2015«, Der Gewinn der herausgegeben von einem Konsortium Bauern sinkt, verschiedener NGO Oxfam oder Kinderarbeit steigt. wie Südwind, kommt deshalb zu einem überraschendem Schluss: »Es heißt, der Welt gehe die Schokolade aus. Tatsächlich jedoch gehen der Welt die Kakaobauern aus.« Die älteren Bauern, so der Bericht, hätten keine Kraft mehr zu arbeiten und die jüngeren angesichts der schlechten Perspektiven keine Lust, die Plantagen zu übernehmen. Tatsächlich leben die meis- Natürlich haben die Schokoladenhersteller in den letzten Jahren unter dem Druck der Öffentlichkeit immer wieder diverse Abkommen zur besseren Bezahlung oder auch zur Einschränkung von Kinderarbeit im Kakaoanbau unterzeichnet. Wie viel Wert diese Unterschriften sind, wurde vor wenigen Wochen deutlich: So hatten die Regierungen von Ghana und der Elfenbeinküste 2010 mit den Schokoladenproduzenten einen Vertrag geschlossen, wonach die »schlimmsten Formen der Kinderarbeit« bis 2020 um 70 Prozent reduziert werden sollten. Nun ist schon das Ziel dieser Vereinbarung nicht sonderlich ambitioniert, schließlich will man nur die »schlimmsten« Formen der Kinderarbeit und auch die nur zu 70 Prozent reduzieren. Doch jetzt zeigt eine Studie der Tulane Universität New Orleans, dass die Kinderarbeit in der Elfenbeinküste sogar um 59 Prozent gestiegen ist. Lediglich in Ghana ging sie leicht zurück. Das erschütternde Ergebnis: 2,26 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren sind in diesen beiden Ländern im Kakaoanbau beschäftigt, das ist mehr als jedes dritte Kind. Was aber heißt all dies nun für die Liebhaber von Schokolade? »Keine Schokolade mehr kaufen hilft auch nicht«, sagte dazu Evelyn Bahn von »Make Chocolate Fair«. Diese »Europäische Kampagne für faire Schokolade«, die unter anderem von Inkota initiiert wurde, informiert mit einem Schokomobil, das 2014 ca. 10 000 Kilometer zurücklegte, über den »bitteren Beigeschmack« von Schokolade. In einer Petition, die inzwischen mehr als 110 000 Menschen unterzeichnet haben, werden die Schokoladenproduzenten aufgefordert, den »Kleinbauern ein ausreichendes Einkommen gemäß den Lebenshaltungskosten ihres Landes zu garantieren und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.« → de.makechocolatefair.org Vortrag »Schokolade: Genuss mit Verantwortung« 6.12.2015, Rathaus Tübingen → www.chocolart.de Slow Food | 06/2015 SF_06_15_50-81.indd 62 18.11.15 12:19