Globalisierung = Frieden?

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Globalisierung = Frieden?
Internationale Politik
Globalisierung = Frieden?
Eine verkürzte Gleichung
von Gerald Schneider
Globalisierung reduziere die innere und äußere Aggressivität von Nationalstaaten, heißt es oft. Obwohl wirtschaftlich integrierte Staaten tatsächlich
weniger Kriege führen als Autarkien, ist die außenwirtschaftliche Öffnung
zuweilen mit einem erhöhten Konfliktrisiko verknüpft. Ferner kann eine
Allianz zwischen dem Exportsektor und dem „militärisch-industriellen Komplex“ eine Regierung dazu verleiten, ihr Land in die Weltwirtschaft zu integrieren und gleichzeitig außenpolitisch aggressiv auftreten zu lassen. Daher
ist die These, wonach Freihandel Frieden schafft, deutlich zu qualifizieren.
Dr. GERALD
SCHNEIDER,
geb. 1962,
ist seit 1997
Ordinarius für
Internationale
Politik an der
Universität
Konstanz und
geschäftsführender
Herausgeber der
Zeitschrift European
Union Politics.
„Wenn nicht Güter die Grenzen überqueren, werden es Soldaten tun“,
meinte im 19. Jahrhundert Frédéric
Bastiat, ein französischer Journalist
und früher Anwalt der Globalisierung.
Er drückte damit die liberale Hoffnung
aus, die weltwirtschaftliche Integration
werde Staaten nach innen wie nach
außen befrieden. Diese Auffassung,
von Joseph Nye als „freihändlerischer
Liberalismus“ bezeichnet, hat eine
lange Tradition; sie lässt sich in Pamphleten Montesquieus, Kants und anderer Aufklärer finden. Die Wurzeln
der Gleichung „Frieden durch Freihandel“ reichen bis in die Philosophie der
Antike und des Mittelalters zurück.
Vor einigen Jahren hat Thomas Friedman den Globalisierungsoptimismus
mit der Formel, dass zwei Staaten, in
denen es McDonald’s-Filialen gäbe, keinen Krieg gegeneinander führten, wieder aufleben lassen.1 Der Kosovo-Krieg,
in dem eine amerikanisch geführte Allianz gegen das Regime Slobodan
Miloševićs kämpfte, widerlegte diese
„‚Golden Arches‘-Theorie der Konfliktprävention“, wie Friedman seinen Ansatz nennt. Als die Bomben auf Belgrad
niederfielen, wies die Hauptstadt Restjugoslawiens sieben Ableger der Hamburgerkette auf. Eine ähnliche Fehlprognose gab vor über 90 Jahren der spätere
Nobelpreisträger Norman Angell ab, der
just während der letzten Blüte der Globalisierung, der Zeit unmittelbar vor
dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs,
bewaffnete zwischenstaatliche Auseinandersetzungen als „große Illusion“ bezeichnete.
Trotz dieser wiederholten Vorhersagedesaster überrascht es wenig, dass
Politiker zur Rechtfertigung ihrer
Taten oft gebetsmühlenartig die Formel „Frieden durch Freihandel“ bemühen. So meinte etwa Margaret
Thatcher einmal, der europäische Integrationsprozess habe dem alten Kontinent wenigstens eine konfliktfreie
Zeit beschert. Damit spielte sie auf den
Geburtsmythos der EU an. So haben
maßgebliche Begründer der Organisation wie Robert Schuman und Jean
Monnet immer wieder auf die Sicherheitsfunktion der EU-Vorläuferorganisationen hingewiesen, um Unterstützung für die supranationale Zusammenarbeit zu erhalten. In den letzten
Jahren hat das Argument, wirtschaftliche Zusammenarbeit befriede Staaten
im Inneren wie im Äußeren, selbst
eine Globalisierung erfahren. Präsident Bill Clinton und Kanzler Gerhard
Schröder haben etwa in Hinblick auf
die Beziehungen des Westens zu China
bekundet, dass wachsende Investitionen und ein expandierender Außenhandel das asiatische Riesenreich lang-
1
Thomas L. Friedman: Big Mac I, New York Times, 8.12.1996, ders.: The Lexus and the Olive Tree,
New York 2000.
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fristig dermaßen zähmen würden, dass
Menschenrechtsverletzungen höchstens ein kurzfristiges Übel blieben.
Die theoretische Grundlage für die
freihändlerische Hoffnung ist simpel:
Wer in die Weltwirtschaft integriert sei,
sähe sich im Vergleich zu einem autarken Regime höheren Opportunitätskosten für den Waffengebrauch gegenüber. Je mehr ein Krieg den wirtschaftlichen Austausch beeinträchtigt, desto
höher fallen nach diesem Standardargument die Kosten aus. Wirtschaftliche
Verflechtung ist in dieser Perspektive
ein Mittel, mit dem sich Regierungen
von ihrer eigenen potenziellen Aggressivität abschrecken lassen.
Dieses klassische Argument ist an
sich plausibel; es findet auch in der
Empirie breite Unterstützung. Für das
zwischenstaatliche Konfliktpotenzial
haben vor allem John Oneal und Bruce
Russett die entscheidenden vergleichenden Analysen geliefert;2 die Untersuchungen zu dem Zusammenspiel
von Offenheit und dem Risiko von Bürgerkriegen stehen noch weitgehend am
Anfang. Die ersten Studien, wie sie
aber etwa Håvard Hegre, Nils Petter
Gleditsch und Ranveig Gissinger3 oder
der Autor in Zusammenarbeit mit Margit Bussmann vorgelegt haben,4 scheinen die liberalistische Hoffnung zu bestärken. Staaten, die sich dem weltwirtschaftlichen Wettbewerb stellen, werden seltener Opfer von Bürgerkriegen
als autarke Staaten. Diese Studien zeigen aber auch, dass die freihändlerische
These sowohl für zwischen- als auch
binnenstaatliche Beziehungen nicht generell gilt. So gibt es durchaus Situatio-
nen, in denen mehr Globalisierung
auch mehr Konflikt bedeutet. Dies lässt
sich, wie zu zeigen ist, auch empirisch
belegen. Zudem ist die Gleichung Globalisierung = Frieden bedenklich nahe
an der Verkürzung auf eine Propagandaformel. Im Gegensatz zum „Demokratischen Frieden“, der These, dass
demokratische Staaten keinen Krieg
gegeneinander führen, ist für die Parallelvermutung des „Freihändlerischen
Friedens“ mit Ausnahmen zu rechnen.
Die Rolle des Militärs
Eine überzeugende theoretische Fundierung des Freihändlerischen Friedens
muss das Opportunitätskostenargument verbessern, das der liberalen Theorie traditionellerweise zugrunde liegt.
Der klassische Ansatz des „Freihändlerischen Liberalismus“ verneint schlicht,
dass Regierungen oder andere zentrale
Akteure auch in Zeiten der wachsenden Globalisierung eine Neigung zur
bewaffneten Konfliktaustragung entwickeln können. Damit gibt es in dieser
Theorie keine Begründung für die
Kriegsführung; sie ist im Sinne Angells
eine letztlich irrationale „Illusion“ fehlgeleiteter oder verblendeter Politiker.
Diese Zurückweisung möglicher Ausnahmen vom Freihändlerischen Frieden ist in der Annahme begründet,
dass die Kosten des Konflikts im Gleichschritt mit der Ausdehnung der Wirtschaftskontakte wüchsen. Damit wird
aber mittels einer Annahme und nicht
eines sauberen Modells die Möglichkeit
negiert, dass ein Fortschreiten der globalen ökonomischen Integration unter
Umständen mit einem erhöhten Kon-
Wirtschaftliche
Integration
erhöhe die
Opportunitätskosten für
Kriege, so die
freihändlerische
Theorie. Das
stimmt jedoch
nicht in
jedem Fall.
2 John R. Oneal und Bruce M. Russett: Assessing the Liberal Peace with Alternative Specifications: Trade Still Reduces Conflict, Journal of Peace Research 4/1999, S. 423–442; dies.: Triangulating Peace. Democracy, Interdependence, and International Organizations, New York 2001.
3 Håvard Hegre, Ranveig Gissinger und Nils Petter Gleditsch: Globalization and Internal Conflict,
in: Gerald Schneider, Katherine Barbieri und Nils Petter Gleditsch (Hrsg.): Globalization and
Armed Conflict, Lanham 2003, S. 251–276.
4 Gerald Schneider und Margit Bussmann: Globalisierung und innenpolitische Stabilität: Der
Einfluss außenwirtschaftlicher Öffnung auf das innenpolitische Konfliktpotential, Forschung DSF,
Heft 2, Osnabrück 2005.
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Eine Regierung,
die auf die
Unterstützung
durch das Militär
angewiesen ist,
wird trotz außenwirtschaftlicher
Öffnung eine
aggressive
Außenpolitik
entwickeln.
fliktrisiko verknüpft ist. Die postulierte
lineare negative Beziehung zwischen
außenwirtschaftlicher Öffnung und
dem Konfliktrisiko gilt jedoch höchstens, wenn wir ausschließlich die Wirkungen von Konflikten auf die gesamte
Volkswirtschaft im Auge haben. Sobald
wir aber akzeptieren, dass die Globalisierung zumindest mittelfristig Gewinner und Verlierer erzeugt, müssen wir
mit Abstrichen an der friedenspolitischen Wirksamkeit der weltwirtschaftlichen Verflechtung rechnen.
Dass die außenwirtschaftliche Öffnung distributiv wirkt, ist jedem bewusst, der die Abwehrreflexe wahrnimmt, mit denen wenig konkurrenzfähige Sektoren und Arbeitskräfte auf
die Herausforderung der Globalisierung reagieren – gerade in Deutschland. Um die Umverteilungseffekte
der Liberalisierung abschätzen zu
können, bestehen mit zwei zentralen
Erweiterungen der neoklassischen
Außenwirtschaftstheorie, dem Ricardo-Viner- und dem Heckscher-OhlinModell, seit Jahrzehnten solide Analysefundamente. Diese modernen
Grundlagen der Außenhandelstheorie
erlauben eine Abschätzung, welcher
Faktor (Heckscher-Ohlin) oder welcher Sektor (Ricardo-Viner) von Reformen in der Außenwirtschaftspolitik eines Landes profitiert.
Mit dem Freiburger Ökonomen
Günther G. Schulze habe ich in einer
Erweiterung des so genannten sektorspezifischen Modells (des Ansatzes
nach Ricardo-Viner) modelliert,5 wie
sich eine opportunistische Regierung
verhält, die, salopp gesagt, Diener
dreier Herren ist – des Exportsektors,
der importkonkurrierenden Wirtschaftszweige sowie des Militärs, das
nach unseren Annahmen durch Steuern finanziert wird und deshalb an
einem Gedeihen der Wirtschaft Inter-
esse hat. In diesem Modell will sich
die Regierung über die Manipulation
zweier politischer Instrumente, des
Außenhandels und der Konfliktivität
im Umgang mit anderen Staaten, die
Unterstützung der relevanten gesellschaftlichen Kreise und damit das eigene Überleben sichern. Werden nach
dieser Logik Schutzmauern nach
außen aufgezogen, fühlen sich sowohl
die Exporteure als auch das Militär
verprellt. Da Protektionismus die
Steuerbasis einer Volkswirtschaft
schmälert, entzieht der Staat nicht
nur der Exportwirtschaft Einkommen. Er lässt auch jene Kreise bluten,
deren Einkommen hauptsächlich aus
Steuergeldern finanziert wird. Zu diesen letztlich parasitären Sektoren gehört aus der Sicht des Drei-SektorenModells von Schulze und mir besonders auch der „militärisch-industrielle
Komplex“, um das Schlagwort Eisenhowers zu bemühen.
Umgekehrt erfreut eine außenwirtschaftliche Öffnung den Exportsektor
wie auch das Militär, das bei einem
Einsetzen der Globalisierung auf weniger fiskalische Zurückhaltung hoffen darf. Mit anderen Worten: Wenn
eine Regierung für ihr eigenes Überleben auf das Militär angewiesen ist,
kann sie sich ihre Beliebtheit in diesem unproduktiven Sektor durch eine
aggressivere Außenpolitik sichern. Für
den „militärisch-industriellen Komplex“ wiederum garantieren auch nur
außenpolitische Spannungen die Existenz. Ohne sicherheitspolitische Probleme wären die anderen gesellschaftlichen Kräfte kaum bereit, das Militär
aus Steuergeldern zu alimentieren.
Da eine Regierung nach dem DreiSektoren-Modell sowohl die Außenwirtschafts- als auch die Sicherheitspolitik selber bestimmt, kann sie sich
durch eine Mischung aus Globalisie-
5 Gerald Schneider und Günther G. Schulze: The Domestic Roots of Commercial Liberalism: A
Sector-Specific Approach, in: Gerald Schneider u.a. (Anm. 3), S. 103–122.
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rung und außenpolitischer Aggressivität das politische Überleben sichern.
Damit ist die extreme Version der optimistischen These widerlegt, wonach
in jeder Situation ein Anwachsen der
ökonomischen Interdependenz das
zwischenstaatliche Konfliktrisiko verringert. „Frieden durch Freihandel“
ist deshalb nur in jenen Staaten garantiert, in denen der Einfluss des „militärisch-industriellen Komplexes“ auf die
Regierungsgeschäfte begrenzt ist.
Aggressivität trotz Öffnung
Eine Verbindung von außenpolitischer
Aggressivität und außenwirtschaftlicher Öffnung ist keine formalt-heoretische Fantasterei, wie die chilenische
Militärdiktatur unter Pinochet und das
heutige China belegen. In beiden Ländern haben eine implizite Koalition der
Exporteure und des Militärs maßgeblich die Ausgestaltung der Außen- und
Handelspolitik bestimmt. Natürlich
sind den kriegerischen Abenteuern
einer Regierung, die den Avancen dieser Allianz nachgibt, Grenzen gesetzt.
Bei allzu blutigen Konflikten kündigen
nämlich die Exporteure ihre Unterstützung des Militärs auf, da die Kosten des
Krieges die Gewinne übersteigen, die
durch weltwirtschaftliche Integration
entstehen. Dies bedeutet, dass Freihandel seine abschreckende Wirkung erst
ab einem bestimmten Eskalationsniveau entfaltet. Und natürlich gilt die
Globalisierungsthese, wonach ökonomische Interdependenz ohne weitere
Konditionen Staaten befriedet, für Länder, in denen das Militär eine vernachlässigbare Rolle spielt. Das liegt daran,
dass ein Anwachsen der äußeren Aggression sowohl den Importeuren als
auch den Exporteuren schadet und
somit keine gesellschaftliche Kraft nach
außenpolitischen Abenteuern fragt.
Die Korrektur des freihändlerischen
Friedens, die Schulze und ich modelltheoretisch vorgenommen haben, bedeutet kein Wiederaufleben der Dependenzansätze, welche die Entwicklungsdiskussion der siebziger und
achtziger Jahre bestimmten. Damals
fand etwa die These Anklang, dass
Entwicklungsländer aufgrund der „Penetration“ durch Direktinvestitionen
eine Destabilisierung erführen. Daraus
abgeleitet entstand die Erwartung, dass
die Regierungen dieser Staaten durch
außenpolitische Aggressivität von den
dadurch hervorgerufenen ökonomischen und politischen Problemen abzulenken versuchen. Das Problem dieser Ablenkungsthese liegt zum einen
in der wackligen empirischen Basis,
auf der sie beruht, wie der Bonner Sozialwissenschaftler Erich Weede gezeigt hat.6 Hinzu kommt das theoretische Problem, dass Investitionen die
Kapitalbasis eines Landes vergrößern
und so längerfristig entscheidend zum
Wirtschaftswachstum beitragen.
Die Offenheit eines Landes kann
höchstens mittelfristig zur Destabilisierung beitragen. Darauf hat der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz
hingewiesen.7 Seine begründete Kritik
am kurzfristigen Zeithorizont von Finanzinvestoren verband er aber mit
einer derart pauschalen Kritik am Internationalen Währungsfonds (IWF),
dass die Skepsis auch dort wenig überzeugte, wo sie eine seriöse theoretische
und empirische Basis hatte. Stiglitz
kritisierte an der Globalisierung und
besonders an ihrem Vollzug in der
Form des „Konsens von Washington“,
dass die außenwirtschaftliche Öffnung
so uniform angewandt werde, dass sie
die Wirtschaftsstruktur der betroffenen Länder kaum berücksichtige und
so zu vermeidbaren Fehlern führe. So
Werden die
Konflikte allzu
blutig, kündigen
die Exporteure
die Unterstützung
des Militärs auf:
Freihandel
entfaltet seine
pazifizierende
Wirkung
gewissermaßen
erst ab einem
bestimmten
Eskalationsniveau.
6 Erich Weede: Economic Policy and International Security: Rent-Seeking, Free Trade and Democratic Peace, European Journal of International Relations 4/1995, S. 519–537.
7 Joseph Stiglitz: Globalization and its Discontents, New York 2002.
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Die außenwirtschaftliche
Öffnung eines
Landes führt
langfristig zu
Gewinnen.
Kurzfristig ist
jedoch zunächst
einmal mit
Instabilität zu
rechnen.
würden gerade die schlecht qualifizierten Arbeitskräfte unter einem Abbau
der Kapitalverkehrskontrollen und den
Risiken leiden, welche die wirtschaftliche Integration fragiler Ökonomien
mit sich bringe.
Nach Stiglitz ist für den Einfluss der
Globalisierung auf die innenpolitische
Stabilität im Zeitverlauf ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang zu
vermuten. So steigt das Konfliktrisiko
mit dem Beginn der Diskussionen um
die außenwirtschaftliche Öffnung an,
weil der importkonkurrierende Sektor
und andere protektionistische Kreise
den Verlust von Privilegien fürchten.
Wenn die außenwirtschaftliche Öffnung einmal in Gang gesetzt wird, ist
entsprechend zunächst mit einem negativen Saldo zu rechnen: Die Verluste
der Verlierer übersteigen die gesamtwirtschaftlichen Gewinne. Erst mit
der Zeit werden die Früchte der Öffnung greifbar, von denen dann auch
jene profitieren können, die zuvor in
den geschützten Branchen berufstätig
waren. Da in der Politik frei nach Premierminister Wilson „sieben Tage
eine lange Zeit sind“, ist also kurzfristig mit negativen Reaktionen gegenüber der Liberalisierung zu rechnen.
Insofern sind also die Effekte der außenwirtschaftlichen Öffnung auf die
innere Friedfertigkeit von Nationalstaaten ambivalent: Während die Integration in die Weltwirtschaft die Wohlfahrt eines Staates langfristig insgesamt vergrößert und somit Umverteilungskonflikte lindert, ist der Weg
dorthin zunächst mit wachsender Instabilität verknüpft. Der Widerstand
gegen die Liberalisierung kommt dabei
natürlich von den Verlierern der Umstrukturierung – Arbeitnehmer und
Arbeitgeber in den importkonkurrie-
renden Sektoren sowie Niedrigqualifizierte in den entwickelten Ländern,
während besonders in den Entwicklungsländern die Landwirtschaft der
große Gewinner einer Liberalisierung
sein sollte.
Verschiedene empirische Studien,
die ich mit Margit Bussmann und anderen Koautoren unternommen habe,
haben nun gezeigt, dass das Gewaltpotenzial der Umstrukturierung nicht
zu unterschätzen ist.8 So hat besonders in Afrika das Risiko von Bürgerkriegen in jenen Ländern kurzfristig
zugenommen, die sich zur außenwirtschaftlichen Öffnung entschlossen. In
Ländern, in denen sich die Verlierer
der Globalisierung auch friedlich artikulieren können, ist hingegen eine
erhöhte Streikhäufigkeit für die Phase
der außenwirtschaftlichen Öffnung
zu verzeichnen. In Argentinien ist es
etwa aufgrund der Liberalisierungsdiskussion vermehrt zu Streiks in den
importkonkurrierenden Sektoren gekommen, während sich, wie von der
Theorie vorhergesagt, Arbeitnehmer
im Exportsektor von diesen Reformdebatten nicht zum Streiken verleiten
ließen. Gleichzeitig ist festzustellen,
dass über eine Erhöhung des
Streikniveaus in Lateinamerika allgemein die Gewerkschaften das Ausmaß
der Liberalisierung zähmen konnten,
ein Erfolg, der sich vielleicht längerfristig eher als Pyrrhus-Sieg entpuppt.
Globalisierungskritiker haben verschiedentlich darauf hingewiesen,
dass auch die Art und Weise der Öffnung eine Rolle spielt. Während ihrer
Ansicht nach eine Handelsliberalisierung unbedenklich ist, erwarten sie
von einem Abbau der Kapitalkontrollen und einer Öffnung des Finanzmarkts eher eine destabilisierende
8 Margit Bussmann, Gerald Schneider und Nina Wiesehomeier: Foreign Economic Liberalization
and Peace: The Case of Subsaharan Africa, European Journal of International Relations 4/2005,
S. 551–579.
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Wirkung. Wir haben auch untersucht,
ob es solche Unterschiede entlang diverser Globalisierungsdimensionen
gibt. Allerdings blieb das Ergebnis negativ, was aber auch auf die Datenprobleme zurückzuführen sein könnte,
die sich ländervergleichenden Studien
stellen. So mangelt es an Daten, mit
denen sich das Ausmaß der Öffnung
des Finanzmarkts in einer Vielzahl
von Volkswirtschaften präzise erfassen ließe. Auch zu den Wirkungen der
IWF-Maßnahmen konnten wir keine
eindeutigen Ergebnisse erzielen.
Gleichzeitig mussten wir aber feststellen, dass die Datenbasis über die Reformen, die der Währungsfonds initiiert hat, so dürftig ist, dass auch der
IWF kaum etwas Systematisches zu
den politischen Effekten seiner Programme sagen kann.
Wie weiter mit der Globalisierung?
Unbestreitbar kann der ökonomischen
Globalisierung eine friedenspolitische
Funktion zukommen. Die Friedenshoffnung, die der Liberalismus seit
Generationen mit der weltwirtschaftlichen Integration verknüpft, ist nach
dem derzeitigen Wissensstand sicher
nicht unbegründet. Doch die Umsetzung der Formel „Frieden durch Freihandel“ ist an Voraussetzungen geknüpft. Zentral ist die Anforderung,
dass die Gewinner der außenwirtschaftlichen Öffnung die Verlierer angemessen entschädigen. Eine solche
Umverteilung ist, sofern sie nicht ad
nauseam wie bei der deutschen Steinkohle erfolgt, durchaus im Interesse
der allgemeinen Wohlfahrt. Sie unterbindet ja, dass sich die Verlierer gegen
die Öffnung stemmen, eine Revolte,
die deutlich mehr kostet, als die Globalisierung insgesamt einträgt.
Wie verhängnisvoll eine Reform ist,
die zuungunsten der wirtschaftlich
schwächeren Bevölkerungsgruppe verläuft, zeigt das Beispiel der Elfenbeinküste. So hat einer der besten Kenner
des westafrikanischen Landes, der Ökonom Jean-Paul Azam, wiederholt darauf hingewiesen,9 dass die wirtschaftlichen Reformen die indirekte Subventionierung des wirtschaftlich schwachen
Nordens des Landes unterbanden.
Wenig überraschend revoltierte dieser
Landesteil und führte das Land, das
lange als sehr stabil galt, an den Rand
des Abgrunds. Das Problem der Reformen, die in wenig entwickelten Staaten
unternommen werden, besteht nach
Azam in der mangelnden Verpflichtbarkeit der Regierungen auf ihre Versprechen. So gibt es keine Institutionen,
die Politiker für den Vertrauensbruch
gegenüber ihrer Klientel bestrafen.
Die Entwicklungspolitik wäre gut
beraten, wenn sie sich den Problemen
stellte, die die Globalisierung in den
Entwicklungsländern provoziert. Insgesamt ist der Prozess der außenwirtschaftlichen Öffnung ein Segen, auch
wenn er natürlich im entwickelten
Norden für viele, wenn nicht die meisten Arbeitnehmer mit dem Abbau von
Privilegien verbunden ist. Aber entscheidend ist, wie die Politik den Weg
hin zu einer Öffnung der Märkte gestaltet. Gerade hier scheinen die Entscheidungsträger wenig gelernt zu
haben. Bezüglich der Globalisierung
antworten sie immer noch dichotom
mit Ja oder Nein. Dabei käme es darauf
an, diesen unausweichlichen Prozess
so zu gestalten, dass die Verlierer oder
Gewinner nicht zu den Waffen greifen,
um die außenwirtschaftliche Öffnung
zu torpedieren oder zum Schaden der
anderen Gruppe zu beschleunigen.
Die Formel
„Frieden durch
(wirtschaftliche)
Freiheit“ ist an
Voraussetzungen
geknüpft: So
müssen die
Verlierer der
Globalisierung
angemessen
entschädigt
werden.
9
Jean-Paul Azam: The Redistributive State and Conflicts in Africa, Journal of Peace Research
4/2001, S. 429–444; ders. und Alice Mesnard: Civil War and the Social Contract, Public Choice
3/2003, S. 455–475.
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