Die Kunst spielerischer Elternschaft
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Die Kunst spielerischer Elternschaft
Die Kunst spielerischer Elternschaft Eine spielerische Haltung eröffnet neue Möglichkeiten der Entwicklung von Intuition und echter Beziehung Ein Gespräch mit Michael Mendizza und J. Ch. Pearce Micheal Mendizza: Wie kommt es, dass Kinder akzeptieren und genauso werden, wie wir sind, inklusive unserer Grenzen, anstatt das ihnen innewohnende Talent und Potential zu entdecken und zu entwickeln? J.Ch. Pearce: Aufgrund des Modellimperativs und der Tatsache, dass unsere Kultur eine Kultur des Verlangens, des Auch-Habenwollens ist. Ich erinnere mich an eine Ostereiersuche. nach etwas anderem und überschreitet unsere Ansammlung von Beschränkungen. Verlangen nährt die Kreativität. In fast allen meinen Büchern vertrete ich die Ansicht, dass wir von einer unbeschreiblichen Sehnsucht getrieben werden, einem Verlangen. Und um sich selbst nicht das Wasser abzugraben, bietet die Kultur uns Nachahmungen – ich nenne sie kulturelle Fälschungen. Als Die Kultur bietet uns für das Wahre, Echte, das wir eigentlich ersehnen, eine Fälschung und verwandelt unsere Sehnsucht nach etwas anderem in zerstörerische, materielle Gier Ein Kind findet ein Osterei, und alle anderen kommen herbeigerannt. Das Osterei ist bereits gefunden worden. Sobald Futter entdeckt wird, kommen alle Vögel angeflogen. Bei uns ist das genauso. Das Zweijährige angelt sich ein Spielzeug, und alle anderen wollen es auch. Ein Grundbedürfnis oder Grundverlangen, das oft Schreckliches anrichtet. Der Tisch mit den Sonderangeboten interessiert uns erst, wenn wir sehen, dass alle anderen dort scheinbar fündig werden. Sofort denken wir, wir könnten leer ausgehen. Also wühlen wir mit. Auf dem Nährboden dieses gierigen Habenwollens blüht die Wirtschaft, blühen die Industrien. Das Fernsehen lebt üppig davon. M: Der Osten lehrt, dass Verlangen zu Leid führt und daher losgelassen werden muss. J: Verlangen ist die Antriebskraft des Universums. Transzendenz strebt 2 Jugendlicher habe ich das selbst erlebt. Die ganze Welt scheint einem offen zu stehen, man ist voller Erwartung des Großartigen, das in der Luft zu liegen scheint. Die Werbung verkündet, dass zum Glück nur noch der neue Wagen und die Freundin fehlen. Für das Wahre, Echte, das wir eigentlich ersehnen, bietet die Kultur uns eine Fälschung und verwandelt unsere Sehnsucht (nach etwas anderem) in zerstörerische, materielle Gier. M: Die Nachahmungen überschatten unsere wirkliche Natur. J: Genau. Wir müssen die Grenzen unseres gegenwärtigen Zustands überschreiten und nach etwas anderem streben. Aber wir wissen nicht, wonach. M: Wir neigen dazu, Menschen von hier nach dort zu schicken. Hier tut es weh. Kauf diese Pille oder iss das, und die Schmerzen werden verschwinden. J: Wir sind immer genau hier, und wo wir sind, sind auch unsere Probleme. Die Frage lautet also: Wie gehen wir damit um? Wir sind mit der sehr realen Tatsache konfrontiert, dass unsere Kinder sich umbringen. Der Planet ist überbevölkert. Depression und Verzweiflung nehmen überhand. M: Niemand will etwas Negatives hören, auch wenn es stimmt. Wir haben mehr Millionäre als je zuvor. Wir haben auch mehr Menschen als je zuvor, hauptsächlich Frauen und Kinder, die in Armut leben, aber das ignorieren wir. Unsere Kultur möchte uns glauben machen, dass alles in Ordnung ist. Bloß nicht für Unruhe sorgen. J: Viele Menschen sind ob dieser Situation in großer Besorgnis, aber die meisten glauben einfach, was ihnen vorgesetzt wird. M: Zum Beispiel von den Medien. J: Sie glauben, was man ihnen sagt. Dass wir schon im Kindergarten Computer brauchen, zum Beispiel. Spätestens in der Schule aber müssen wir sie doch haben! Trotzdem sind viele sich bewusst, dass irgendetwas grundsätzlich schief läuft. M: Kommen wir zu unseren elterlichen Zielvorstellungen, die ebenfalls die Kultur sind. Unsere Fähigkeit, diese Vorstellungen beiseite zu lassen oder nicht, hängt davon ab, wie tief wir selbst im Werte- und Glaubenssystem der Kultur eingebettet sind. Je mehr wir uns mit unseren Vorstellungen identifizieren, desto resistenter sind wir, was Veränderung anbelangt, Mit Kindern wachsen und desto fundamentaler sind wir ausgerichtet. Fundamentalisten haben ein tief sitzendes Bedürfnis danach, dass alles möglichst genau festgelegt ist. Sie brauchen das, um sich sicher fühlen zu können. J: Feste Grenzen, auf die sie sich verlassen können. M: „Die“ Wahrheit. „Der“ Weg. „Die“ richtige Art und Weise, etwas zu tun. So und nicht anders. In einer dynamischen, sich ständig verändernden Welt an irgendeiner Position festzuhalten, daran zu hängen, erzeugt Widerstand, Konflikt. J: Feste Positionen geben Menschen das Gefühl von Sicherheit. Sie identifizieren sich damit und verteidigen sie. M: Diese Verteidigungsreaktion ist ein eingebauter Mechanismus, der unser Denken durchdringt, das, was wir glauben und wie wir uns verhalten. Er ist in die Kultur eingebaut, ist die Kultur. J: Wir können die Kultur nicht einfach auflösen. M: Wir können die von ihr geschaffenen Grenzen erweitern. Wir können die Regeln ändern, nach denen die Kulur und wir funktionieren. Wir können uns die innere und äußere Falle, in der wir sitzen, bewusst machen und neue Regeln aufstellen. Wir reagieren, wie wir es immer tun, sonM: Derart offen zu sein, ist das dern anders. Neu. Wesen wahren Spiels. J: Da verlangt man ziemlich viel. J: Es ist Spiel. M: Stellen wir uns ein paar Fragen: M: Spiel bedeutet, für das allgegenWie würden die Dinge aussehen, wärtige Unbekannte offen zu sein, zu wenn wir den Übergang schon ge- staunen und für Entdeckungen in schafft hätten und das neue Paradig- dieser wichtigsten aller Beziehungen ma Gültigkeit hätte, wir schon da- bereit zu sein. Ich liebe dieses Kind nach leben und aus ihm heraus Kinder immer dort abzuholen, wo sie gerade wachsen wür- sind, erfordert Anpassungsfähigkeit, Flexibilität den? Was wären und die Bereitschaft, Dinge neu zu betrachten das für Werte, die uns dazu brächten, auf diese hof- und will nicht, dass ihm irgendein fentlich besser geeignete, anpassungs- Schaden zugefügt wird, ganz befähigere und intelligentere Art und sonders nicht durch mich. Das erforWeise auf Kinder einzugehen? Wie dert große Sorgfalt, großes Feingewürden sie in uns Eltern zum Aus- fühl. Gleichzeitig befreit uns wirklidruck kommen? Wie würden sie ches Offensein mit seiner spieleriunser Bildungssystem veändern? schen Natur von dem Druck und den J: Du hast mir diese Fragen schon Zwängen all dessen, was wir wissen; einmal gestellt und ich habe mich dem Druck der Erwartungen, die wir damals schon gescheut, zu antwor- hegen, dem Druck, eine gute Figur ten. Anzunehmen, wir könnten vor- machen zu wollen. Wenn wir die hersagen, was geschehen wird, wenn Elternrolle als echtes Spiel verstehen, wir diesen oder jenen Schritt tun, befreit uns das von den durch die bringt uns doch automatisch in das Kultur auferlegten Zwängen. gleiche Muster zurück, aus dem wir J: Wir müssen uns nicht länger an uns zu befreien suchen. Wir versu- vorherbestimmte Ergebnisse anpaschen, ein Ergebnis vorherzusagen sen. Und urplötzlich begreifen wir, und zu kontrollieren. Die Herausfor- dass es gar keine „Ergebnisse“ gibt derung, die Aufgabe ist doch die, sich M: Was meinst du damit? dem Unbekannten zu öffnen; nicht J: Ein Ergebnis bedeutet ein Endziel. Ein Punkt, wo man angekomDie Herausforderung ist, sich dem Unbekannten zu men ist, an dem das Spiel vorüber öffnen; nicht zu wissen, was das Kind als nächstes tun ist. Wahres Spiel kennt keine solchen Endpunkte oder Resultate; es wird, was als nächstes geschehen wird ist ganz einfach sein eigener Zukönnen auf ein neues Betriebssystem zu wissen, was das Kind als nächstes stand. Es führt nirgendwo hin, weil umstellen, das flexibler ist, anpas- tun wird, was als nächstes geschehen es dieses Irgendwo, wo man meint, sungsfähiger und besser in der Lage, wird; einfach festzustellen, ob das ankommen zu können, nicht gibt. mit den Anforderungen, vor denen Potential des Kindes erweitert werden Spiel ist sein eigener Zustand. Es wir stehen, umzugehen. Die Kindheit kann, ohne die eigene Integrität des- gibt kein Endziel oder Endresultat ist eine sich endlos erneuernde Her- wegen zu verlieren. Darin sehe ich die über diesen Zustand hinaus. ausforderung. Alle paar Tage haben Herausforderung und zugleich die M: Wie wirkt sich das auf mein wir ein anderes Kind. Kinder immer Freude – zu sehen, ob aus jemandem Verhalten aus, wenn ich akzeptiere, dort abzuholen, wo sie gerade sind, mehr werden kann als aus uns wurde. dass meine Elternrolle zu keinem erfordert ein enormes Maß an AnpasM: Und indem wir zuschauen, teil- Endresultat führt? sungsfähigkeit, eine enorme Flexibi- haben, treten wir in den Prozess ein. J: Es führt zu keinem Endresultat, lität, eine enorme Bereitschaft, Dinge J: Und entdecken Neues, Unerwar- weil es ein fortwährender Prozess ist neu zu betrachten, genau hinzuschau- tetes. Nur dadurch, dass wir uns öff- – das ist alles. en, zu lernen und eben nicht so zu nen, kann dies geschehen. M: Und wie bringt einen das nach Oktober 2004 3 Harvard? Wir bringen unsere Kinder in die Vorschule, damit später einmal etwas aus ihnen wird, sie es in unserer Kultur zu etwas bringen können – damit etwas aus ihnen wird. All unsere guten Absichten als Eltern kreisen um Resultate. J: Mit diesem Argument musst du vorsichtig sein. Du darfst es nicht zu früh ins Feld führen, weil sonst niemand mehr weiterliest. M: Warum? J: Es erschreckt sie zu Tode, wirklich. Unser genetisches System bietet Wenn das Signal zu dem bereits wartenden Abdruck passt, schließen sich die Schaltkreise. Das nenne ich eine vorgegebene Einschränkung. Neugeborene tasten ihre neue Umgebung unaufhörlich ab. Sie schauen nicht einfach so in der Gegend herum; sie schauen nach etwas Bestimmten, das zu ihrer inneren Erwartung passt. M: Das Kind sucht also etwas. Es versucht, ein Pendant zu einer Erwartung zu finden, die in seine Struktur eingebaut ist. Wenn wir uns verbunden fühlen, feinfühlig und achtsam sind und echte Liebe empfinden, wird unsere angeborene Intelligenz zwischen unseren vergangenen Konditionierungen und neuen, geeigneten Antworten vermitteln einen bestimmten begrenzten Zustand, vorgegebene Einschränkungen an (engl.: boundaried condition), innerhalb derer alles funktioniert, – aber die Grenzen sind wichtig. Howard Gardener, Miles Stoffer und andere erkannten alle die Tatsache an, dass es Prädispositionen für bestimmte Erfahrungen gibt. Die Einzelheiten der tatsächlichen Erfahrung, mit anderen Worten der Inhalt, ist allerdings unbestimmt. Das genetische System ist nicht der Träger des eigenen Inhalts. Der Inhalt steckt nicht in der Blaupause. Den Inhalt muss die Familie einbringen. Die Blaupause unseres genetischen Systems ist für die Grenzen verantwortlich. Sie stellt eine vorgegebene Einschränkung dar, die von den Eltern respektiert werden muss. Diese Vorgaben des genetischen Systems müssen eingehalten werden, aber innerhalb dieser Grenzen wird alles bestens funktionieren. Der Inhalt, den wir als Eltern liefern, ist recht unterschiedlicher Art, muss aber zu den Grenzen passen. Und wie weiß man das? Nur indem man beobachtet, dem Kind zuschaut und seine Signale auffängt. 4 J: Vor vielen Jahren fand man heraus, dass der Herzschlag der Mutter eines dieser wichtigen Dinge ist, die das Kind sucht. Sie lauschen, aber nicht einfach auf eine Stimme, sondern auf den Herzschlag, der auf zellulärer Ebene eingeprägt ist. Man fand heraus, dass es jeder Herzschlag sein kann. Der Herzschlag ist universell, daher kann es jeder x-beliebige Herzschlag sein. In einem Sturm ist jeder Hafen recht. Ganz offensichtlich ist der Heimathafen der beste Ort, an dem man sein kann. Dort fühlt man sich am sichersten. Jedes Entwicklungsstadium öffnet Eltern und Kindern neue Fenster, neue Möglichkeiten. Das ist das Wichtigste. Zu viel lernen zu wollen stellt eine Gefahr dar, denn dann wird es meine Agenda, und die übertrage ich in meine Erfahrung. „Ach du liebe Güte, die kleine Susi ist heute schon vier Jahre alt geworden, aber sie kann dies immer noch nicht, und jenes nicht und ....“ Wenn wir so sprechen, machen wir alles zunichte. Trotzdem ist nichts Falsches daran, eine allgemeine Vorstellung davon zu haben, was in welchem Entwicklungsstadium möglich ist. M: Wenn wir wirklich Vertrauen haben und unser Kind wirklich mit Einfühlungsvermögen aufmerksam beobachten, können wir nicht anders, als eine Geste zu machen. In jedem Alter, in jedem Entwicklungsstadium stehen wir „in Beziehung“ zueinander. Wir bieten dem Kind eine Antwort, und das Kind nimmt unser Signal auf und erwidert darauf – es ist wie ein Tanz. Wir machen die Angabe, sie geben den Ball zurück. Jede Geste wird zu einer Rückmeldung, die unsere nächste Antwort verändert, so dass wir nicht mit einem unserer Mechanismen, einem unserer gewohnten Muster reagieren. J: Diese neue, andere Erwiderung wird durch Spiel entdeckt und ausgedrückt. M: Wir möchten zeigen, dass es die Option gibt, eine frische, neue, diesem einzigartigen gegenwärtigen Augenblick angemessene Erwiderung zu finden, und dazu ermutigen. Unsere Reaktionen auf das Kind mögen auf der Vergangenheit basieren, auf unseren Zielvorstellungen, aber der Trick ist, nicht durch die Vergangenheit gefesselt zu sein. Wir wollen die Grenzen erweitern, so dass sie sowohl die Vergangenheit mit einbeziehen als auch vollkommen Neuem Raum geben. Wenn wir uns verbunden fühlen, wenn wir feinfühlig und achtsam sind, uns wirklich umeinander kümmern, echte Liebe empfinden, dann wird unsere angeborene Intelligenz zwischen unseren vergangenen Konditionierungen und neuen, geeigneten Antworten vermitteln. Diese lassen sich in keinem Buch finden. Wir müssen nicht einmal über Entwicklungsstadien Bescheid wissen. Wir müssen buchstäblich gar nichts wissen. Spiel kennt keine Autoritäten. J: Die einzige Autorität sind der Augenblick und unsere Dynamik mit der ihr eigenen Integrität. Und was vor fünf Minuten war, muss nicht notwendigerweise in diesem Augenblick so sein. Mit Kindern wachsen M: Echtes Spiel kommt ohne Regeln aus, ohne feste Richtlinien. Sich aus Büchern Wissen zusammenzutragen, über Entwicklungsstadien und dergleichen Bescheid zu wissen, mag intellektuell befriedigend sein, birgt aber eine Gefahr. J: Dass wir aus diesem Wissen ein Programm machen. Dadurch wird der ganze Prozess vereitelt. M: Wenn Wissen und Informationen zu Autoritäten werden, wird die wahre Intelligenz blockiert und kann nicht erwidern. Wonach wir trachten, ist Wissen plus Intelligenz. J: Das kommt mir wie eine Offenbarung vor. Bis jetzt eben war ich der Meinung, dass man umso besser gerüstet ist, je mehr man über den Körper lernt und versteht. Aber dann überträgt man den intellektuellen Prozess in die Erfahrung, und das wird unweigerlich den rein intuitiven Vorgang stören, den es zu entdecken gilt. M: Wir haben den Ausdruck „provisorisch“ oder „vorläufig“ verwendet. Unsere Vorgaben sind Vorschläge, keine absoluten Wahrheiten. Wie bieten etwas an und sehen dann staunend zu, was geschieht. Wir erhalten eine Rückmeldung, nehmen sie wahr und passen uns an. Es ist eine schöpferische Dynamik, und sie ist ungemein wichtig. Als Jean Liedloff in Südamerika unter Eingeborenen lebte, musste sie betroffen zugeben, dass westliche Mütter Bücher lesen, die von Ärzten, noch nicht einmal von Ärztinnen, geschrieben wurden, um zu lernen, wie man sich richtig um Kinder kümmert. Sie empfand es als Demütigung, zugeben zu müssen, dass Mütter ihrer natürlichen Intelligenz und ihrem Einfühlungsvermögen kein Vertrauen schenken. Heutzutage nimmt man diesen Prozess nicht einmal mehr wahr, weil die künstliche Nachahmung der Kultur sich durchgesetzt hat. J: Die Frau eines Arztes in Uganda erzählte mir, dass die Kinder von Eingeborenen keine Windeln kannten. Oktober 2004 Die Mütter wissen, wann ein Kind oder ernsthaft herausfordern, muss ‚muss.’ Dass dies nicht der Fall sein sie sich verteidigen. könnte, war für sie schlicht unbegreifM: Diese Neigung zur Verteidigung lich. Das ist wieder genau der Punkt. ist vorhanden und aktiv, sogar wenn Unsere Agenda, diese Erweiterung etwas, an das wir glauben, sich ganz unseres angesammelten Wissens, hat klar als falsch erweist. das intuitive Einfühlungsvermögen J: Wenn wir uns angegriffen fühlen, verdrängt. hören wir im gleichen Augenblick M: Spiel impliziert ein neues Ver- nicht mehr zu, schauen uns die Sache hältnis zu unserem Wissen und unse- auch nicht mehr an, sondern beginrer Kultur. Es verursacht Risse und nen sofort mit der Verteidigung. Das Sprünge in der Mauer unserer An- einzige, was zu uns durchdringt, sind schauungen; der Mörtel wird brüchig. die Verteidigungsmechanismen, die Wo Spiel aufhört, beginnen Dogmen. uns Begründungen für die VerteidiDann halten wir Wissen oder Infor- gung liefern und uns vor dem, was mationen sowie unsere persönlichen wir hören, beschützen. Anschauungen fälschlicherweise für M: Ist es überhaupt möglich, nicht unantastbare Größen, und wir legen so starr zu werden? Wir sind selbst dieses unbewegliche, steife, beengen- konditioniert worden zu glauben, de Korsett unseren Kindern an. dass es eine „richtige“ Art gibt, Dinge J: Wir stellen die Integrität dessen, zu tun. Das eine ist richtig, das andewas Eltern wissen, keineswegs in re falsch. Es hat eine starke Tradition, Frage; alles, was wir erreichen möch- festgefahrene Meinungen zu haben. ten, ist, dass sie ihre persönlichen Wenn meine Vorstellung von KinderÜberzeugungen und Vorstellungen erziehung eine ganz andere ist als als Vorschläge begreifen, die im leben- deine, haben wir bereits einen Kondigen Labor der Beziehung getestet flikt. Wenn meine Zielvorstellungen und überarbeitet werden müssen. nicht zu denjenigen meines Kindes M: Eltern wissen eine ganze passen, wird es Streit geben. Die UrsaMenge, und vieles daran mag korrekt che für Konflikte liegt genau da, in sein. Aber an Informationen, an Wenn Wissen und Informationen zu Autoritäten persönlichen An- werden, wird die wahre Intelligenz blockiert sichten, an „das sollte man“, „das sollte man nicht“ unserer gewohnheitsmäßigen Idenunnachgiebig festzuhalten, macht tifizierung mit und Verteidigung von uns blind dafür zu sehen, was in der Vorstellungen, Glaubensgrundsätzen Beziehung in diesem gegenwärtigen und Wissen. Augenblick wirklich stattfindet. Um noch einmal auf deine FestWir dürfen die direkte, tatsächliche stellung zurückzukommen, dass sich Beziehung nicht mit der Information herzlich wenig an unserer Beziehung verwechseln. Die Information ist der zu Kindern geändert hat. Du hast „Inhalt“. Die notwendige Verände- diese Problematik seit über dreißig rung hat wenig mit Inhalt – Informa- Jahren im Auge. In der Art und tion, Wissen – zu tun. Wir brauchen Weise, wie Erwachsene Kinder eine tiefer greifende Veränderung, sehen und behandeln, hat sich eine, die sich darauf auswirkt, wie wir nichts wirklich bewegt. Warum? uns zu dem, was wir wissen, in BezieJ: Die starren Positionen müssen hung setzen, die unser Verhältnis zu fließend werden, denn sie sind das vorhandenem Wissen verändert. Wesen von Glaubensgrundsätzen J: Jedes Mal, wenn wir eine per- jedweder Art. Wenn wir das übersesönliche Überzeugung angreifen hen, werden wir immer Konflikte 5 haben, und die Konflikte werden in unserer zunehmend technologisierten, überbevölkerten Welt an Intensität zunehmen. Unsere Identifikation mit unseren Überzeugungen ruft den Konflikt hervor.. Das Bild, das wir von uns selbst haben, ist ein Konstrukt von Überzeugungen, die J: Wir sind beides – der Apfel und der Wurm. M: Wir sind die Lösung und das Problem. Gibt es vielleicht irgendwo einen „Kippschalter“, ein Konzept, damit wir endlich aufhören können, wegen unserer Elternrolle derart nervös zu sein? Uns entspannen und die Reise endDie Elternrolle ist kein Problem, das man lösen lich geniemuss. Sie ist ein Schatz, den man entdecken kann ßen können?. wir rechtfertigen und auch mit Können wir uns der Aufgabe als Gewalt verteidigen. Eltern nicht mit einem „sanften M: Die meisten Menschen sind so Blick“ nähern, anstatt „Löcher zu bedroht und gehetzt, dass sie zu bohren“? Die Elternrolle ist kein Proeinem lebendigen Verteidigungswall blem, das man lösen muss. Sie ist ein werden. Wie lässt sich das vermit- Schatz, den man entdecken kann. teln, ohne dass sie sich (einmal M: Der Vorschlag, die Beziehung zu mehr) bedroht fühlen? Kindern vollkommen zu verändern, J: Eltern müssen Anerkennung und ist ein Riss in unserem traditionellen Bestätigung für das, was sie richtig Glaubenssystem, und unsere Traditiomachen, erhalten. Unsere Aufgabe nen, unsere Gewohnheiten, werden kann es niemals sein, ihre Integrität sich dagegen zur Wehr setzen. Unsere zu verletzen, ihre Sicht der Dinge, mentalen und emotionalen Immunihre Sicht der Welt. Wozu wir anre- systeme verschließen jeden Riss. gen können, ist, dass sie ihre Sicht J: Die Absicht des Intellekts ist es, von sich selbst und ihren Kindern alles sauber und ordentlich unter erweitern. Wir bieten eine Erweite- Verschluss zu bringen. rung an, einen Weg, der ihre InteM: Dem Intellekt geht es immer grität stärkt und Konflikte reduziert; um diese Art Verschluss. Der Trick einen Weg, auf dem sich optimales ist, ständig neue Risse zu verursaLernen, Leistungen und Wohl- chen. Wenn man alle Risse schließt, befinden erlangen lassen. hat man hinterher ein ziemlich staM: Selbstverteidigung erhöht den biles Mauerwerk. Wunsch nach einer starken Agenda, J: Hier haben wir wieder unseren in der wir die Autorität sind. Als begrenzten Zustand. Man muss in Autorität projizieren wir unsere Vor- der Lage sein, mit diesen Grenzen stellungen und Überzeugungen, an- spielerisch umzugehen, neue Risse statt unserer innewohnenden Intelli- zu finden oder zu verursachen, und genz zuzutrauen, dass sie die für je- genau das bringt Spiel ganz von den neuen Augenblick geeignete selbst zustande. Aber der Druck der Antwort findet. Bestätigung ist freilich immens. J: Es ist der fundamentale Irrtum M: Erwachsene müssen sich anunserer Spezies. strengen, um die Risse in ihren GlauM: Diese Autorität, die wir aus benssystemen zu finden. Kinder besitunserer Unsicherheit und ständigen zen noch keine Sammlung von GlauVerteidigungsbereitschaft heraus erzeu- bensgrundsätzen, festen Meinungen gen, hindert unsere wahre Intelligenz und Beurteilungen. Für sie sind die daran, uns zu zeigen, wo unsere Kin- Risse groß, und genau darin liegt die der wirklich stehen. Da ist ein Wurm Genialität des Spiels, die Genialität im Apfel, und der Wurm sind wir. des ‚kindgleichen’ Zustands. 6 J: Nichts unter Verschluss. M: Alles liegt offen. Sobald etwas unter Verschluss gerät, lastet ein Gewicht darauf. Je wichtiger eine Anschauung, desto größer das Gewicht. Ein Schwarzes Loch ist eigentlich ein strahlender Stern. Aber die Anziehungskraft ist so stark, dass das Licht nicht nach außen dringen kann. Deshalb erscheint er schwarz. Das gleiche trifft auf unser Bewusstsein zu, das Licht des Staunens und der Aufmerksamkeit. Mit zunehmendem Alter schaffen wir uns eine Vorstellung von uns selbst, die wir verteidigen. Je größer die Notwendigkeit zur Verteidigung, desto stärker ist das Gewicht oder die Anziehungskraft dieser Vorstellung. Schon bald wird sie so stark, dass sie unsere Aufmerksamkeit und unser Staunen innerhalb der Grenzen des Bekannten festhält. Das hindert die Aufmerksamkeit daran, sich der Beziehung zu widmen, die gleichsam die Schnittstelle des Lebens ist. J: Selten sehen wir die Kinder, wie sie sind. Wir sehen nur unsere Zielvorstellungen und ruhen nicht, bis wir das Kind unter Verschluss gebracht und unsere Position bestätigt haben. M: Diese Verschlusshaltung verstärkt unsere Beschränkungen noch mehr. Jede neue Generation macht die gleichen Fehler, und so verwehren wir der Menschheit den Durchbruch zu ihrem noch nicht entwickelten Potential. Buddha, Sokrates und andere sagten: „Prüft!“ Zweifeln ist erlaubt. Richtiger Zweifel öffnet die Tür. Und diese provisorische, spielerische Sicht muss von innen heraus kommen. Sie kann nicht von außerhalb kommen. Alles von außen Kommende wird als Bedrohung wahrgenommen und bekämpft. Die Intelligenz des Spiels entspricht unserer wahren Natur, aber unser Grundbedürfnis nach Sicherheit hält alles unter Verschluss, sodass wir unsere wirkliche Natur vergessen. Mit Kindern wachsen