Wasser ist zum Waschen da - Heimatstube Ober

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Wasser ist zum Waschen da - Heimatstube Ober
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Vortrag zur Ausstellung
„Wasser ist zum Waschen da - fließend Wasser in Ober-Erlenbach“
von Dr. Joachim Ziegler
Musik: „Wasser ist zum Waschen da, ...“
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, war sozusagen der Soundtrack zu diesem Vortrag
und der Ausstellung, die wir nachher gemeinsam eröffnen wollen.
Das Thema „Wasser“ ist allerdings nicht nur Gegenstand heiterer Gassenhauer, sondern fordert
auch und immer wieder zu weltweiten und im wahrsten Sinne des Wortes toternsten Debatten
auf. Es ist gerade erst vier Wochen her, dass in Stockholm die Weltwasserwoche stattfand, zu der
rund 2500 Wissenschaftler, Politiker und andere Delegierte aus etwa 150 Ländern dieser Erde
angereist sind. Ich zitiere dazu die Taunuszeitung vom 19. 08.: „Dürre von China bis Spanien,
verseuchtes Trinkwasser, verschmutzte Meere, Aber auch der Mangel an Hygiene und
Sanitäranlagen in weiten Teilen der Erde etwa stehen im Fokus der Wissenschaftler. Denn nach
Angaben des Internationalen Wasserinstituts in Stockholm, das die Wasserwoche organisiert, hat
mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung derzeit keinen Zugang zu richtigen Toiletten. In der Welt
verfügen 95 Prozent der Städte nicht über eine geregelte Abwasserentsorgung, wie es in
Deutschland der Fall ist“.
Wir alle wissen, dass das Wasser und sein Kreislauf für den Aufbau jeder Kultur und das
Funktionieren jeder Gesellschaft schon immer grundlegende Bedeutung gehabt hat. Ohne sein
Vorhandensein wäre überhaupt kein Leben auf unserem Planeten denkbar. Um den Zugang zum
Wasser zu sichern oder zu erkämpfen, wurden in der Vergangenheit immer wieder blutige Kriege
geführt.
Fließendes warmes und kaltes Wasser, die morgendliche Dusche oder das tägliche Bad, die
Nutzung von Waschmaschine und Spülmaschine, die Möglichkeit, im Sommer den Garten zu
sprengen oder das Auto durch die Waschanlage zu fahren, alles das ist für uns heute so
selbstverständlich, dass wir manchmal geneigt sind anzunehmen, dass es das schon immer
gegeben hat. Und dennoch: Für Ober-Erlenbach ist es gerade erst fünfzig Jahre her, dass das
damalige Dorf als eine der letzten Gemeinden des Landkreises Friedberg eine zentrale
Wasserversorgung erhalten hat, und daran wollen wir mit unserer Ausstellung erinnern, die wir
nachher in der Heimatstube gemeinsam eröffnen werden.
Beginnen wir nun unseren historischen Rückblick mit den Ursprüngen der europäischen
Badekultur, die in der Antike liegen, als öffentliche Badehäuser auch eine wichtige soziale Funktion
hatten. Über private Badezimmer verfügte die große Masse der europäischen Bevölkerung erst ab
dem 20. Jahrhundert. Die Bedeutung des Bades in verschiedenen Epochen war immer eng mit den
jeweils herrschenden Vorstellungen von Hygiene verknüpft.
Etwa 400 v. Chr. entstanden in Griechenland öffentliche Badeanstalten mit einem Becken und
Wannen sowie einem Salbraum. Oft besaßen die griechischen Sportanlagen (Gymnasien) auch
einfache Duschen und Wasserbecken zur Abkühlung nach dem Sport. Da die Athleten sich für die
Wettkämpfe mit Sand und Öl einrieben, wurden Schweiß und Schmutz hinterher mit einem
Hautschaber, ähnlich einem Pferdestriegel, und mit Wasser entfernt. Zunächst wurde nur kaltes
Wasser benutzt, im Laufe der Zeit gab es dann aber auch warmes. Zur weiteren Reinigung
kannten die Griechen Schwitzbäder, in denen - ähnlich unseren Saunaaufgüssen - heiße Steine
mit Wasser übergossen wurden. Diese Enrichtungen dienten allerdings weniger der Wellness als
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dem Losschwitzen des restlichen Drecks. Außerdem gab es auch trockene Heißluftbäder, kleinere
Räume, in denen ein Becken mit Holzkohle für Hitze sorgte.
Die Römer entwickelten die Badekultur der Griechen weiter. Man sprach dem Bad nicht nur
reinigende, sondern auch heilende Wirkung zu. Die ersten öffentlichen Bäder entstanden in Rom
bereits im 4. vorchristlichen Jahrhundert, im 4. nachchristlichen Jahrhundert gab es allein in dieser
Stadt etwa 900 öffentliche Bäder, die man mit dem griechischen Wort für „warm“ als „Thermen“
bezeichnete.
Beim Bad in der Antike spielte auch die gesellige Unterhaltung eine große Rolle, da man in der
Therme meistens einen ganzen Tag verbrachte. Große Badeanlagen verfügten über weitere
Räumlichkeiten wie Saunen, Fitnessräume und Spielhallen, Bibliotheken, Geschäfte, Lokale und
Ruheräume. Letztere wurden manchmal dadurch zweckentfremdet, dass mehr oder weniger junge
Damen, die man durch Vermittlung von Zuhältern stundenweise mieten konnte, auf ihre Weise für
das Wohlbefinden der männlichen Badegäste sorgten. Manchen Thermen war sogar ein Bordell
angegliedert. Wenn Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, die Bad Homburger Taunustherme mit
den eben vorgestellten römischen Thermen vergleichen, werden Sie sicherlich viele
Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten entdecken, auch wenn hier die letztgenannte Abteilung selbstverständlich - fehlt.
Männer und Frauen badeten normalerweise getrennt. Die Therme war häufig ein einziger
Baukomplex, in solchen Fällen gab es aber für die Geschlechter verschiedene Eingänge. Bei
Raummangel wurden unterschiedliche Badezeiten festgelegt oder es gab Frauenbadetage und
Männerbadetage. In Rom existierten hier und da kleinere Badeanstalten, die nur von Frauen
besucht wurden. Als im zweiten nachchristlichen Jahrhundert Kaiser Trajan herrschte, durften
Frauen vermutlich auch in die großen Thermen gehen, doch das gemeinsame Baden wurde
weiterhin als unsittlich angesehen, vor allem, weil üblicherweise keine Badekleidung getragen
wurde.
Der reiche Patrizier kam mit seinen Sklaven ins Bad. Einer hatte die Garderobe zu bewachen, ein
anderer trug die diversen Utensilien, ein dritter schabte ihm mit dem vorhin erwähnten Striegel
Schweiß und Schmutz von der Haut. Weniger Wohlhabende mussten das selbst erledigen.
Dieses Badewesen breitete sich mit dem römischen Einfluss bald auch in anderen Ländern aus.
Auf deutschem Boden sind u. a. in Trier und in Aachen die Überreste römischer Bäder zu sehen,
auch die Kurorte Baden-Baden und Wiesbaden sind römische Gründungen. Natürlich gab es auch
auf der Saalburg solche - allerdings kleinere - Thermen für die Soldaten.
Obwohl der älteste Nachweis von Seife auf einer sumerischen Tontafel von circa 2500 v. Chr. zu
finden ist, kam dieses Reinigungsmittel bei den Römern erst in den nachchristlichen
Jahrhunderten in Gebrauch. Bis dahin wurde nach der Striegelung der Körper mit Milch, Sand,
Ölen, Blütenblättern sowie Salben ein- und abgerieben, um den restlichen Schmutz und Schweiß
zu entfernen.
In den Städten standen die Thermen jedermann zur Verfügung, wurden aber oft nur von Bürgern
der Mittel- und Unterschicht genutzt. Sklaven traf man in den Thermen selbst nicht an, es sei
denn sie waren von ihrem Herrn mitgebracht worden, um ihm vielleicht den Rücken zu bürsten
oder ihn mit Heißwasser zu übergießen. Die meisten wirklich reichen Bürger aber besaßen große
Villen, die mit eigenen Privatbädern ausgestattet waren. Diese Villen und mit ihnen auch die Bäder
nahmen oft voluminöse und prunkvolle Dimensionen an. Der Luxus ging sogar so weit, dass man
hier statt in Wasser in Ziegen- oder Eselsstutenmilch badete, um die Haut weich und geschmeidig
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zu erhalten. Die Mitglieder dieser sozialen Schicht hatten es folglich nicht nötig, sich zum
Waschen in die Öffentlichkeit zu begeben.
Die Frage nach den Gründen der wachsenden Beliebtheit von Thermenbesuchen sind schwer zu
beantworten, da viele Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben dürften: zum einen das
Anwachsen der Bevölkerung im Rom des 1. Jh. n. Chr. und das verstärkte Bedürfnis nach
Möglichkeiten des Waschens sowie Gelegenheiten zur Flucht aus armseligen Wohnverhältnissen.
Der Eintritt war im Regelfalle niedrig oder entfiel manchmal ganz, wenn eine Therme von einem
reichen Patrizier oder sogar vom Kaiser selbst gesponsert wurde, sodass auch Mitglieder der
Unterschicht sich einen Thermenbesuch leisten konnten. Schon damals verbrauchte der
Stadtrömer durchschnittlich 100 Liter Wasser am Tag. Einige Thermen in Rom waren
monumentale Anlagen. Manche von Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, kennen sicherlich die
Ruinen der Caracalla-Thermen in Rom und können sich daher ein Bild von der Größe solcher
Anlagen machen. In den Thermen von Kaiser Diokletian sollen 3000 Badewannen aus Alabaster
gestanden haben sowie 2400 Marmorsessel. Die Thermalbäder des Marcus Vipsanius Agrippa
waren rund 14.500 m² groß.
Vergleicht man das Fassungsvermögen aller in Rom vorhandenen Thermen mit der
Bevölkerungszahl, dann kann man annehmen, dass die freien Römer durchschnittlich einmal die
Woche eine Therme aufsuchten, wo sie im Regelfalle den ganzen Tag verbrachten. Es wurden
ihnen also nicht nur kostenlos Brot und Spiele von den Behörden serviert, sondern noch eine
weitere Möglichkeit des - süßen, hier allerdings sinnvollen - Nichtstuns.
Als das römische Reich im 5. Jahrhundert sich nach und nach auflöste, blieben die Bäder
eigentlich nur im byzantinischen Reich erhalten. Nach der Eroberung Ostroms durch Araber und
Türken übernahmen diese die vorgefundene Badekultur und entwickelten sie sogar mancherorts
zu einem höheren Standard weiter. Ganz anders dagegen in Mitteleuropa: Es ist eine erstaunliche
Tatsache, dass man in der ausgehenden Antike und vor allem im frühen Mittelalter in unseren
Breiten mit dem Wasser für die Körperpflege immer zurückhaltender umging, obwohl es - setzt
man die Bevölkerungszahl in Beziehung zu den vorhandenen Resourcen - damals in Brunnen und
Bächen noch reichlich und in sauberer Qualität vorhanden war.
Die germanisch-keltische Vorbevölkerung unserer Gegend hat von den damaligen „Besatzungstruppen", den Römern, deren ausgeprägten, ja manchmal übetriebenen Hang zur
Reinlichkeit keineswegs übernommen. Wir können davon ausgehen, dass in den ersten
nachchristlichen Jahrhunderten die Bewohner unserer Gegend enge Kontakte zu den Römern
pflegten, bestimmt auch von diesen zu Hilfsdiensten herangezogen wurden, so dass sie genügend
Einblicke in deren Lebensweise hatten. Es ist auch durch entsprechende Funde gesichert, dass auf
Ober-Erlenbacher Grund und Boden Römer gesiedelt haben und dass deren Anlagen nach dem
Rückzug nicht in jedem Falle zerstört wurden, sondern teilweise von den nachrückenden
Germanen weiter genutzt wurden.
Umfangreiche Thermenanlagen gab es in unmittelbarer Nähe auf der Saalburg, der Kapersburg, in
Friedberg, Vilbel und anderen Orten, und sie sind heute noch zum Teil in ihren Grundmauern
erhalten. Dennoch, die Kelten und Germanen übernahmen sie nicht, ahmten sie auch nicht nach.
Höchstens kann man die mittelalterlichen Badestuben, auf die später noch eingegangen werden
soll, hier anführen, obwohl bei diesen häufig auch ein slawischer Einfluss vermutet wird. Im
Gegenteil, man kann das „dunkle" Mittelalter durchaus auch als ein „schmutziges" bezeichnen,
und das nicht allein im moralischen Sinne.
Die Leute, die damals lebten, wuschen sich selbst höchst selten, seltener noch ihre Bekleidung.
Sieht man einmal davon ab, dass Reinigungs- und Lösungsmittel erst später erfunden wurden und
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ihre Herstellung und Beschaffung vermutlich umständlich und teuer war, dann liegen die Gründe
für den zweiten Teil unserer Behauptung vor allem an den Materialien, aus denen damals
Oberbekleidung hergestellt wurde: Wolle, grobes Leinen, Leder und eine Art Filz. Diese Stoffe zu
reinigen, war vermutlich mit den damaligen Mitteln nur schwer möglich, so dass man seine
Kleidung lieber trug, bis sie buchstäblich „vor Dreck stand", und sie dann wegwarf. Dass man es
mit der Körperpflege nicht so genau nahm, mag auch noch andere Gründe gehabt haben. Denn
der Grad der Verschmutzung dürfte im Vergleich mit unserem heutigen Industriezeitalter ein
anderer gewesen sein. Ölfarben, Lacke, synthetische Schmierfette und ähnliches waren
unbekannt. Es müssen wohl eher Schweiß und Staub gewesen sein, die damals den Körper
verunreinigten. Davon hätte man sich auch ohne Verwendung von Seife mittels Wasser säubern
können, und das stand ja im Regelfalle in genügender Menge zur Verfügung. Es muss wohl mehr
an der Mentalität unserer Vorfahren und deren Bequemlichkeit gelegen haben; vielleicht hielten
sie es für zu umständlich, sich für die Waschprozedur ihrer Kleider ganz oder teilweise zu
entledigen, vor allem im Winter Im Mittelalter waren jedenfalls die Bauern schon an ihrem
Äußeren erkennbar: „Ein Riesenkerl mit grobschlächtigen Armen, breiten Hüften und Schultern;
seine Augen standen um Handeslänge auseinander ... sein Haar war borstig, seine Wangen
schmutzig und gegerbt; er hatte sie schon ein halbes Jahr lang nicht mehr gewaschen, und das
einzige Wasser, das sie genetzt hatte, war der Regen des Himmels", heißt es in einer
mittelalterlichen Beschreibung. Schenkt man dem Bericht eines arabischen Reisenden aus dem
Jahr 973 Glauben, dann war es mit der europäischen Badekultur zu dieser Zeit nicht weit her:
„Aber du siehst nichts Schmutzigeres als sie! Sie reinigen und waschen sich nur ein- oder zweimal
im Jahr mit kaltem Wasser. Ihre Kleider aber waschen sie nicht, nachdem sie sie angezogen
haben, bis daß sie in Lumpen zerfallen.“
Dieses niederschmetternde Urteil geht natürlich auf einen – indirekten – Vergleich mit der
arabischen und türkischen Badekultur zurück. Die Mitteleuropäer lernten diese allerdings im
Gefolge der Kreuzzüge kennen und nahmen sie zum Vorbild für die Badestuben, die in den
folgenden Jahrhunderten vielerorts entstanden.
In der Bade begann man mit der Körperreinigung, erst danach folgte das Schwitzen. Nicht jeder
Badegast stieg auch in die Badewanne, denn ein Wasserbad war wesentlich teurer als ein
Schwitzbad. Die Lauge für die Reinigung wurde gewonnen, indem man Wasser über Asche goss.
Seife war teuer und kam erst später in Gebrauch.
Der Wasserdampf in der Schwitzstube wurde - ähnlich wie in der antiken Therme - durch das
Übergießen heißer Kieselsteine erzeugt. Die Öfen wurden mit Holz beheizt; sie heizten nicht nur
den Baderaum, sondern dienten auch zum Erwärmen des Badewassers in Kupferkesseln.
Außerdem lagen die Kieselsteine auf den Öfen. Wasserleitungen gab es nicht. Für das Schwitzbad
setzte man sich auf Holzbänke, die wie in modernen Saunen in unterschiedlicher Höhe angebracht
waren; während des Schwitzens benutzten die Badegäste Wedel oder Ruten, mit denen sie sich
auf den Körper schlugen, um so das Schwitzen zu fördern. Vermögendere Gäste ließen sich von
„Reibern“ oder „Reiberinnen“ auf den Bänken Schweiß und Schmutz kräftig abreiben, die anderen
mussten das selbst besorgen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Metapher „Jemandem eine
Abreibung verpassen“ hier ihren Ursprung hat. Zum Abschluss des Schwitzbades wurde der Körper
mit Wasser übergossen. Häufig ließ sich der Badegast danach das Haar waschen und eine Rasur
vornehmen, zum Schluss wurde er auf Wunsch noch geschröpft oder zur Ader gelassen. Das
Schröpfen soll die Haupteinnahmequelle der Bader gewesen sein.
Die Wannen in den Badehäusern waren aus Holz, Kupfer oder Messing. Da das Wasser darin
erwärmt wurde, indem heiße Kieselsteine in die Wanne gelegt und dann Wasser darüber gegossen
wurde, saßen die Badegäste meistens nicht direkt in der Wanne, sondern auf einem Schemel, der
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darin stand; oft gab es auch noch eine Fußbank. Dem Wasser wurden auf Wunsch diverse
Kräuter zugefügt.
In größeren Badehäusern gab es noch eine Vorstube, einen Ruheraum und eine Küche, denn den
Badegästen wurden auf Wunsch auch Speisen und Getränke serviert. Die Bader und die Knechte
trugen im Allgemeinen bei ihrer Arbeit eine Art Schurz, der „Vortüchel“ genannt wurde, die
Bademägde ein hauchdünnes Hemd. Die Badegäste waren im Schwitzbad auf jeden Fall völlig
nackt, im Wasserbad gab es für Frauen ein Kleidungsstück namens „Badehr“. Dabei handelte es
sich um eine leichte Schürze, die um den Hals gebunden wurde und den Rücken frei ließ. Männer
trugen teilweise Badhemden.
Offiziell galt in den Badestuben zwar Geschlechtertrennung, in der Praxis wurde aber meistens
gemischt gebadet, und das sogar im selben Becken. Wie in der Antike waren nicht nur Sauberkeit
und Körperpflege, sondern vor allem auch Unterhaltung und Erotik wichtige Bestandteile des
gemeinsamen Bades. Neben hygienischen und medizinischen Behandlungen wie Schröpfen oder
Aderlass übernahmen die Bader zuweilen auch das Verkuppeln von Paaren. In den öffentlichen
Bädern mussten sie allerdings dafür haften, wenn das Treiben zu unsittlich wurde. In den privaten
Stuben ging es jedoch auch im übertragenen Sinne des Wortes heiß her. Die mittelalterlichen
Badezuber gelten in Literatur und Malerei bis heute als „Orte der Lust, in denen sich schamlose
Liebschaften und Unzucht breit machten“. Die in vielen Badestuben vorhandenen Ruheräume
waren auch mit Betten ausgestattet, die manchmal zweckentfremdet wurden; deshalb gerieten
solche Etablissements hin und wieder in den Ruf, heimliche Bordelle zu sein, und manche waren
das sicherlich auch.
Um dem sittenlosen Treiben in diesen Einrichtungen ein Ende zu machen, propagierte die Kirche
in den christlichen Ländern sogar die Abstinenz vom Baden und erhob sie zur Tugend. Sie sah den
Besuch einer Badestube nicht nur als unsittlich, sondern zudem als überflüssigen Luxus und
Verweichlichung an und sprach deutliche Verbote aus. Das Interesse am Körper und damit auch
an seiner Säuberung wurden als Teufelswerk betrachtet und mit Höllenstrafen bedroht. Priestern
wurde es grundsätzlich verboten, eine öffentliche Badestube aufzusuchen.
Der Badestubenkultur setzte indes nicht die Kirche, sondern Pest und Syphilis im 14. Jahrhundert
ein jähes Ende. Fünfundzwanzig Prozent der europäischen Bevölkerung fielen der großen
Pestepidemie 1347 bis 1351 zum Opfer. Im Mittelalter hütete man sich daher vor Wasser und
Seife aufgrund des Irrglaubens, dass Krankheiten überhaupt erst durch die Seife in den Körper
gelangen. In Frankreich war der Adel sogar davon überzeugt, dass ein Bad zu nehmen tödlich
enden konnte. Die Bevölkerung erreichte mit diesem Verhalten nur, dass Seuchen wie Pest und
Cholera sich immer weiter ausbreiteten.
Für Ober-Erlenbach ist eine Badestube nicht nachweisbar. Das kann einerseits daran liegen, dass
sie niemals existiert hat, weil die sittenstrengen Dorfbewohner ein solches Etablissement nicht
duldeten. Andererseits sind die ersten Dokumente im Gemeindearchiv aus dem beginnenden 17.
Jahrhundert, also einer Zeit, in der die meisten Häuser dieser Art bereits ihre Existenz hatten
aufgeben müssen.
Außerdem galt im 16. und 17. Jahrhundert die Trockenwäsche als chic – ganz ohne Seife und
Wasser, sondern nur mit Tüchern, Parfüm und Puder. In Adelskreisen setzte man ganz auf diese
Art der Körperpflege, weshalb sich Keime, Läuse und Flöhe auch in der Oberschicht ungehindert
ausbreiten konnten.
Der Renaissance (1400 - 1600 nach Christus) diente die römische und griechische Kultur als
Vorbild, nur leider nicht die dort übliche Körperpflege, und das Reinigungsbedürfnis nahm immer
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weiter ab. Auch die schweren Kleider aus Samt und Brokat ließen sich gar nicht oder nur sehr
mühsam reinigen. Desweiteren kamen "wissenschaftlich gebildete Ärzte" zu der Ansicht, dass
reinigendes Wasser nur die Ursache der vielen neuen Seuchen war, und dies bewirkte dann eine
regelrechte Angst vor dem Waschen. Erst gegen Ende der Renaissance wurde erkannt, dass die
Seuchen auch durch Unsauberkeit verbreitet werden konnten.
Gleichzeitig geriet das Baden überhaupt in Verruf, es sei schädlich und überflüssig, so die Ansicht
vieler Mediziner. Das hing mit der damaligen Auffassung zusammen, dass das Wasser beim Bad
durch die Poren der Haut in den Körper eindringen und sich dort mit den „Körpersäften“
vermischen würde, was wiederum zu Krankheiten führen könnte. Außerdem fürchtete man, das
auf diesem Wege Krankheitserreger in den Körper gelangen könnten.
Zum Ende des 16. Jahrhunderts veränderte sich die Badekultur in Mitteleuropa. Man badete nur
noch selten aus hygienischen Gründen, besonders das gemeinsame Baden in Becken oder
Wannen wurde aus medizinischen Gründen unterlassen. Die Körperpflege beschränkte sich
vornehmlich auf Gesicht, Hände und Füße. Häufig wurde nur noch als Teil einer ärztlichen Kur
gebadet. Stattdessen führten der Adel und die Patrizier die Unterwäsche ein, die Schweiß und
Schmutz aufsaugen sollte und hin und wieder gewechselt wurde. Der französische Arzt Louis
Savot schrieb dazu im Jahre 1624: „Wir können eher auf das Baden verzichten als unsere
Vorfahren, weil wir Leibwäsche verwenden, die uns hilft, den Körper auf bequemere Art
sauberzuhalten, als es die Bäder und Dampfbäder der Vorfahren vermochten … .“
Im Barock ( 1600 - 1720 nach Christus) war die reinigende Körperpflege regelrecht verpönt, sie
wurde sogar stellenweise verboten. Wer dennoch baden oder schwimmen ging, konnte hart
bestraft werden. Die Obrigkeit war der Meinung, dass Wasser die Haut aufweiche und auch die
Poren verschließe, so dass man nicht mehr atmen könne. Diese Meinung gab genug Anlass auf
das Wasser ganz zu verzichten. Ärzte und Mediziner propagierten weiterhin die Auffassung, dass
es genüge hin und wieder die Unterwäsche zu wechseln, da diese ja die Aufgabe hatte, den
Körper reinzuhalten. Anstelle des Waschens betupfte man Hände und Gesicht mit Parfüm und
puderte sich. Entzündliche Veränderungen der Haut durch alte Schminke deckten die Damen bei
Hofe durch „Schönheitspflästerchen“ aus schwarzer Seide ab, die später auch als Blickfang
dienten.
Auch im Rokkoko (1720 - 1789) galten Puder, Schminke und Parfüm an Stelle von Wasser als
wichtigste Utensilien für die Körperpflege. Die Angst vor der Reinlichkeit war genauso weit
verbreitet wie die Angst vor dem Altern. Die Haare wurden aufgrund der auf Drahtgestellen
montierten kunstvollen Hochfrisuren selten gewaschen. Beim Adel war ein Leben in Prunk und
Wohlstand in den kunstvollen Schlössern selbstverständlich. Dazu gehörten vor allen Dingen
Feste, Bälle und Tanzveranstaltungen. Bei diesen natürlich auch schweißtreibenden
Veranstaltungen muss es unvorstellbar gestunken haben. Dazu kam, dass es in den Schlössern
meistens weder ein Bad noch ein stilles Örtchen gab.
An die Stelle des Badens trat im 17. Jahrhundert vermehrt die „Toilette“, d. h. man puderte,
parfümierte und schminkte sich, und das galt sowohl für Frauen als auch für Männer. Bei der
Körperpflege spielten Badezimmer kaum eine Rolle, während der Toilettentisch zum zentralen
Accessoire der täglichen Hygiene wurde.
Der französische König Ludwig XIV., der von 1637-1715 regierte, wurde im Volksmund nicht nur
der Sonnenkönig, sondern auch der parfümierte König genannt. Er soll nur zweimal in seinem
ganzen Leben gebadet haben und sei daraufhin beide Male sehr krank geworden.
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Zu viktorianischen Zeiten - also im 19. Jahrhundert - wurden Kinder in England am Winteranfang
von ihren Müttern mit Gänsefett eingeschmiert und anschließend in die Unterwäsche bis zum
Frühjahr eingenäht. Man glaubte damit Fieber und Erkältungen vorzubeugen.
Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein vertraten die Ärzte in ganz Europa die Meinung, dass Wasser
und Luft dem Körper schade. Das Einpudern der Haut und Kleidung diente als Schutz vor diesen
"schädlichen Elementen". Bei dieser Wasserscheu blieb es längere Zeit.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich die Einstellung und man ging dazu
über, den Körper regelmäßig zu reinigen und von unangenehmen Gerüchen zu befreien. Waschen
kam in Mode. Doch während der Kriege im 20. Jahrhundert war die Rohstoffversorgung so knapp,
dass es nicht genug Öle und Fette zur Seifenerzeugung gab. Erst nach Ende des Ersten
Weltkrieges in den 20er Jahren war es möglich, durch die industrielle Produktion die Seife als
Massenartikel herzustellen.
Die ersten modernen Volksbäder entstanden allerdings schon früher in England. Wegweisend war
eine 1842 in Liverpool eröffnete „öffentliche Bade- und Waschanstalt für die arbeitende Klasse“,
die 28 Badekammern hatte sowie zwei Schwimmbecken und ein Wäschehaus. London folgte
diesem Beispiel.
Auch das erste deutsche Volksbad entstand bereits im Jahre 1855 in Hamburg am Schweinemarkt.
Es verfügte über 65 Badewannen und 56 Waschstände zum Wäschewaschen. Finanziert wurde der
Bau mit Hilfe von Aktien und Spenden reicher Bürger. Voksbäder waren eher für die unteren
Gesellschaftsschichten gedacht, während reichere Zeitgenossen ab etwa 1900 begannen, in ihren
Häusern separate Badezimmer zu installieren, die eine Badewanne und ein Waschbecken
enthielten. Wie Sie wissen, wurde auch im Bad Homburger Schloss erst gegen Ende des 19.
Jahrhunderts Bäder und Wasserklosetts für Wilhelm II. und seine Familie eingebaut.
Dieser Rückblick klingt streckenweise ziemlich negativ; und deshalb sollte man die Ergebnisse
auch nicht zu sehr verallgemeinern und eher annehmen, dass unsere Vorfahren durchaus die
Gelegenheit zu einem Bad im Erlenbach nutzten, wenn das Wetter es zuließ, oder auch einmal
einen Zuber auf der Tenne aufstellten. Letzteres dürfte allerdings nicht zu häufig vorgekommen
sein, wenn man sich die Probleme der Warmwasserbereitung in größeren Mengen auf einem
Bauernhof des Mittelalters vor Augen hält. Deshalb werden sie wohl auch nacheinander in dieselbe
Brühe gestiegen sein, wobei man sich fragen kann, in welcher Reihenfolge das geschah;
vermutlich werden eher die Kinder die letzten gewesen sein, und das dürfte ihrer Gesundheit
mehr geschadet als genutzt haben. Auch wird man annehmen müssen, dass es hinsichtlich der
Möglichkeiten der Wasserbeschaffung gewisse soziale Unterschiede gab. Brunnen- und
Pumpenbesitzer hatten es da leichter, Landarbeiter- und Tagelöhnerfamilien mußten jeden Liter
von weiter her in Gefäßen ins Haus schaffen. Hier wird man den Vorrat wohl etwas sorgsamer
verplant und das häusliche Bad vor allem vor den Feiertagen - die Morgenstunden des 24.
Dezember waren da sehr beliebt -zelebriert haben.
Als im 20. Jahrhundert die Badekultur mit dem Bau von Schwimmbädern und öffentlichen Bädern
zur Körperreinigung einen Aufschwung machte, ging man im Zuge dieser Bewegung auch in
unserem Dorf an die entsprechenden Planungen, vor allem, da es noch kein fließendes Wasser in
den Haushaltungen gab. Im Jahre 1929 wurde ein Volks- und Schulbad geplant und bereits zwei
Jahre später als Anbau der alten Schule fertig gestellt. Die Kosten beliefen sich auf die damals
horrende Summe von 20.000 Reichsmark.
Eine Badeordnung regelte die Belegung und Benutzung. Frauen badeten freitags, Männer
samstags, für die Schulkinder gab es eine gesonderte Regelung, die natürlich eine Aufsicht der
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Lehrer vorsah. Ehepaare durften mit bis zu zwei Kindern eine Wanne benutzen, sie brauchten
auch nur eine Eintrittskarte erwerben. Für die Qualität der damaligen Bademittel spricht die
folgende Bestimmung: „Für Badezusätze (Fichtennadel, Nauheimer Salz u. dgl.) werden die
säurebeständigen Wannen (über der Eingangstüre durch rote Ziffern gekennzeichnet) zur
Verfügung gehalten." Die Wasserqualität des Brunnens, aus dem das Volksbad beschickt wurde,
war unterschiedlich und nicht immer die beste. Im Jahre 1942 mußte das Bad deshalb sogar auf
behördliche Anweisung nach einer Wasseranalyse vorübergehend geschlossen werden.
Das Volksbad erfüllte seine Zwecke etwa drei Jahrzehnte. Nachdem im Jahre 1958 die
Ober-Erlenbacher Haushaltungen fließendes Wasser erhielten und damit die Installation von
Badezimmern in den Häusern möglich wurde, ging der Betrieb nach und nach zurück, so daß es
bald wegen mangelnden Zuspruches und damit sich verschlechternder Rentabilität geschlossen
wurde.
Es ist anzunehmen, daß viele Bürger Ober-Erlenbachs sich in früheren Zeiten mit dem Wasser des
Erlenbaches versorgt haben. Es musste für Mensch und Tier als Trinkwasser dienen, ebenso war
es zum Waschen geeignet, aber man hat zu diesem Zweck bestimmt auch Regenwasser aufgefangen. Als im Zuge der Industrialisierung und aus anderen Gründen, die oben schon angeführt
wurden, die Wasserverschmutzung mehr und mehr zunahm, mussten die Einwohner das Wasser
an den öffentlichen Brunnen im Ort holen, von denen es vier gab, nämlich hinter der Kirche - der
Name „Bornstraße" weist noch darauf hin -, einen in der Hauptstraße, einen auf der Höhe des
Friedhofes und schließlich den „Trinkborn" genannten in der Wetterauer Straße, der den ganzen
Tag lief, während bei den anderen das Wasser gepumpt oder hochgezogen werden mußte.
Schließlich gab es noch die Quelle am Hang des „Wingerts", die im Zuge der späteren
Bebauungsmaßnahmen zugeschüttet wurde. Wer es sich leisten konnte, und das waren vor allem
die wohlhabenderen Dorfbewohner, ließ allerdings auf seinem Grundstück einen Brunnen graben
und eine Pumpe oder Seilwinde mit Eimer installieren. Im Jahre 1955, also drei Jahre vor der
Installation einer zentralen Wasserversorgung, gab es im Dorf noch 213 private Brunnen. Die
Besitzer waren dann zwar Selbstversorger, aber dieses war mit einigen Problemen verbunden, die
an den öffentlichen Zapfstellen nicht so sehr von Bedeutung waren. Privatleute ließen selten
chemische Untersuchungen über die Qualität ihres Wassers herstellen, dazu kam es häufig erst
dann, wenn man der Flüssigkeit die Qualitätsverschlechterung ansah oder sie gar geschmacklich
feststellte. Manchmal konnte das Problem schon dadurch „bereinigt" werden, dass man einen der
sprichwörtlich gewordenen, offensichtlich sehr fleißigen Brunnenputzer bestellte. Im Winter
konnten die privaten Einrichtungen bei den damals noch viel tieferen Temperaturen leicht
einfrieren. Auch die Rohre konnten platzen, während die öffentlichen Brunnen und Pumpen, da sie
häufiger bedient wurden und das Wasser in Bewegung gehalten wurde, dafür nicht so anfällig
waren. Allerdings musste man dorthin zu jeder Jahreszeit, auch bei Kälte und Schnee, mit seinen
Gefäßen gehen, sie füllen und dann zurücktragen. Manche Haushalte hatten sich dafür einen
Wagen gebaut mit aufmontiertem Faß, andere Dorfbewohner trugen Kannen oder Eimer, zur
Erleichterung diente hier häufig das Joch. Vor allem im Sommer hatten diese öffentlichen Plätze
jedoch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Man traf dort andere Leute, konnte ein
Schwätzchen halten und Informationen austauschen. Wenn man bedenkt, dass es bis in die Mitte
des 20. Jahrhunderts kaum andere Möglichkeiten gab, da die Zeitungen sich im Regelfalle für die
Ereignisse in Ober-Erlenbach wenig interessierten, waren solche Kommunikationszentren, hier vor
allem der Trinkborn, nicht zu unterschätzen. Während nämlich die amtlichen Mitteilungen
entweder vom uniformierten Ortsdiener ausgeschellt oder an den öffentlichen Anschlagbrettern
ausgehängt wurden, konnten Ereignisse des privaten Sektors im Regelfalle nur von Mund zu Mund
weitergegeben werden.
Natürlich hatte diese Wassersituation auch Rückwirkungen auf die Körperpflege. Die für uns heute
selbstverständliche morgendliche Dusche oder das tägliche Bad war praktisch nicht möglich.
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Gebadet wurde nur ab und zu, denn dies war mit einer umständlichen Prozedur verbunden.
Natürlich gab es in den Häusern im Regelfalle keine Badezimmer - wozu auch? Sollte ein Bad
genommen werden, dann fand das eher in der Waschküche statt, weil dort Wasser in größeren
Mengen erhitzt werden konnte. Hier wurden auch der Holzzuber oder die Zinkbadewanne
aufgestellt, in denen das Bad genommen wurde. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass
warmes Wasser immer wieder nachgegossen und nicht für jeden Badewilligen die Wanne völlig
neu aufgefüllt wurde, Probleme, die für uns heute völlig aus der Reichweite sind. Eine
Erleichterung war für viele Familien daher die Einrichtung des Volksbades, wo man ohne die eben
geschilderten Umstände die Körperpflege betreiben konnte, und das deshalb auch gerne genutzt
und gut besucht wurde.
Überlegungen zum Bau einer Wasserversorgungsanlage für Ober-Erlenbach waren zwar schon
1927, dann Anfang der dreißiger Jahre und wieder während des Krieges angestellt worden, aber
sie waren nicht zur Ausführung gekommen, da es offensichtlich jedes Mal am Geld gemangelt
hatte.
Anfang Januar 1958 war es dann soweit: Ober-Erlenbach hatte fließendes Wasser! Im Laufe des
Jahres 1957 war die zentrale Förderungs- und Verteilungsanlage am nordwestlichen Ortsrand
fertiggestellt worden. Dazu waren Bohrungen bis zur Tiefe von 100 Metern und umfangreiche
Erdarbeiten nötig. Auch ein Pumpenhaus musste errichtet werden. Verlegungsarbeiten durch
Straßen und Wege des Ortes mussten vorgenommen und die Anschlüsse in die Häuser gelegt
werden. Auch innerhalb der Häuser und Wohnungen waren umfangreiche Installationen notwendig geworden. Aber schließlich waren die Gemeindevorsteher im Januar 1958 der Auffassung,
dass das Unternehmen im wesentlichen abgeschlossen sei. Und deshalb wurde am 11. Januar
1958 das große Wasserfest der Gemeinde mit einem umfangreichen Programm gefeiert. Es fand
eine Feierstunde statt, Lieder wurden gesungen und Reden gehalten, die neue Anlage konnte
besichtigt werden, und auch die Feuerwehr trug mit einer Vorführung zur Gestaltung dieses Tages
bei. Der Abend sollte „der Freude und dem Tanz gewidmet sein". Die Feierstunde im Saalbau
Rupp war ein Ereignis: Der Kinderchor sang das Heimatlied „Ober-Erlenbach", es wurde vierhändig
Klavier gespielt, der Gesangverein Liederkranz-Germania trug das Lied „Rauschen die Quellen" vor
und die Schulkinder sagten ein Gedicht in Ober-Erlenbacher Mundart auf, das ein Mitbürger extra
zu diesem Anlaß verfaßt hatte. Gedicht und Festrede brachten beide die Freude zum Ausdruck,
daß es endlich soweit war, aber sie hatten auch noch ein anderes Thema: Die Finanzierung des
Unternehmens. Der Redner sprach von fast einer Million Mark, die die Anlage insgesamt gekostet
hatte, was einer heutigen Kaufkraft von mindestens fünf Millionen Euro entsprechen dürfte. Der
Kreis Friedberg hatte nicht allzuviel beigesteuert. Ein Kredit musste aufgenommen werden. Der
Gemeindewald in der Nähe der Gickelsburg konnte nicht eingeschlagen und verkauft werden, den
Lohwald wollte die Gemeinde behalten. Deshalb mussten die Pappeln und Erlen am Bach gefällt
und verkauft werden, um den noch fehlenden Betrag aufzubringen.
Kommen wir nun zum Anfang zurück: Den Zugang zu fließendem Wasser in allen Haushaltungen
halten wir heute für so selbstverständlich, dass es uns schwer fällt zu glauben, dass wir in Obererlenbach über diese Annehmlichheit gerade erst seit fünfzig Jahren verfügen. Noch können wir in
unseren Breiten mit dem Rohstoff Wasser großzügig, ja geradezu verschwenderisch
umgehen.Wenn wir uns in einer gut gefüllten und wohltemperierten Badewanne aalen, sollten wir
uns aber dennoch immer mal wieder vor Augen halten, dass woanders täglich tausende von
Menschen an den Folgen von Wassermangel und fehlender Hygiene sterben.
Lassen Sie mich nun trotz dieser kritischen Schlussbemerkungen mit einem bekannten Zweizeiler
schließen, den ich mir erlaubt habe leicht abzuwandeln. Der Komiker und Dichter Heinz Erhardt
fasst darin in der ihm eigenen Kürze zusammen, wozu ich soeben eine halbe Stunde gebraucht
habe:
Es ist gewiss was Schönes dran, am Element, dem nassen,
weil man im Wasser baden kann! Man kann’s aber auch lassen!
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