Vom Wesen der Konflikte

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Vom Wesen der Konflikte
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Im Umgang mit Konflikten reagieren Menschen oft ähnlich wie Hühner, die sich um einen Wurm streiten.
Was wir von Regenwürmern und Hühnern lernen können
Vom Wesen der Konflikte
V O N P R O F. D R . B O D O V O L K M A N N
Ein kleines Erlebnis aus meiner frühen Kindheit hat sich mir tief eingeprägt:
Ich sah, wie zwei Hühner sich um einen
Regenwurm stritten. Dem einen gelang
es, ihn zu schnappen, wobei es von dem
anderen Huhn laut gackernd mit Bissen
traktiert wurde. Schliesslich konnte das
erste Huhn sich in eine Ecke des Hofes
flüchten und dort schnell seine Beute
verschlingen, obwohl es noch immer von
dem anderen bedrängt wurde.
Jahrhundertelang haben Kaiser und Päpste
miteinander grausam darum gestritten,
wer von ihnen dem anderen übergeordnet
wäre. Europäische Grossmächte führten
blutige Kriege um Kolonien in fernen Erdteilen. Dort ging es natürlich nicht um
Regenwürmer, sondern vielleicht um Gold,
Elfenbein, Öl oder andere Naturschätze.
Zwei Weltkriege wurden ausgetragen um
die Frage, wer auf den Weltmeeren die
grössere Flotte haben durfte, welche Staatsform oder Gesellschaftsordnung die beste
war und ob eine künftige Weltregierung
durch die Diktatur des Proletariats oder
durch die Herrschaft der nordisch-germanischen Rasse errichtet werden sollte.
In meiner kindlichen Naivität habe ich mir
damals die Frage gestellt, warum die beiden
Hühner sich nicht einigen und den Regenwurm teilen konnten. Erst viel später im
Leben habe ich dann verstanden, dass ich
hier die Urform eines Konflikts erlebt hatte, Konfliktreiches Zeitalter
wie er sich überall in der Welt abspielt, nicht Schliesslich wurde der gegenwärtige weltnur unter Hühnern.
weite Konflikt gegen den Terrorismus durch
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antenne | Mai 2010
die Frage ausgelöst, ob der Glaube an Gott,
so wie ihn sich bestimmte radikale Anhänger der einen Religion vorstellen, mit Hilfe
von gewaltigen Sprengstoffanschlägen und
anderen Bluttaten verbreitet werden kann –
dieser Konflikt wird sicher noch stark eskalieren. So leben wir in einem Zeitalter furchtbarer Konflikte, auch wenn die Formen ihrer
Austragung und sozusagen die Regenwürmer dabei von Jahrhundert zu Jahrhundert
wechseln mögen.
Auch die Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen gehören in dieses Schema.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer streiten sich
um die Verteilung der Gewinne, wobei die
streitenden Hühner ja sich nicht nur gegenseitig hacken, sondern – wie oftmals bei
Streiks – auch unbeteiligten Dritten schweren persönlichen und finanziellen Schaden
zufügen, beispielsweise Fluggästen oder
Bahnfahrern. Und Fussballspiele sind zwar
sozusagen kanalisierte Konflikte, die nach
festen Regeln unter der Regie eines Schiedsrichters ausgetragen werden. Doch ist es im
Anschluss an ein Spiel zwischen den Anhängern der beteiligten Mannschaften auch
schon zu stark eskalierten Formen der Konfliktaustragung gekommen, bei denen auch
Blut geflossen ist – und die Polizei Mühe
hatte, den Frieden wiederherzustellen.
Am meisten betroffen ist wohl jeder von
uns von den Konflikten im ganz persönlichen Bereich. Es gibt sie unter Kollegen:
Zwei bewerben sich um die gleiche Position, und zwangsläufig wird einer von beiden
abgelehnt. Ein amerikanisches geflügeltes
Wort für diese Situation lautet: «You are
either appointed or disappointed.» (als Wortspiel übertragen: «Du fühlst dich entweder
abgehoben oder abgeschoben.») Manchmal
ist die Folge ein jahrelanger Konflikt zwischen den Beteiligten.
Intelligenz dann, wie es scheint, oftmals
stark nachlassen. Mitunter aber wird die
Pubertät sozusagen chronisch, so dass die
entsprechenden Konflikte lange Jahre
hindurch andauern. Umgekehrt behandeln
Eltern ihre Söhne und Töchter mitunter
selbst als Erwachsene noch wie Kinder,
so dass Konflikte nicht ausbleiben.
Aber auch Konflikte unter Geschwistern,
besonders solche unter Brüdern, scheinen
häufig vorzukommen, weil es bei ihnen
besonders viele «Regenwürmer» gibt, die
zum Streit führen können. Sogar der erste
Mord, von dem die Bibel in 1. Mose Kapitel 4
berichtet, war ein Brudermord aus Konkurrenz und Eifersucht.
Woher kommen die Konflikte? Sind sie sozusagen naturgegeben und unvermeidlich? In
der Tat gibt es Konflikte, die uns von Gott
aufgetragen oder auferlegt sind und daher
aktiv in seinem Auftrag durchgestanden
werden müssen. Weil im Vorhof des Tempels verbotene unheilige, weltliche Geschäfte getrieben
Es gibt Konflikte
wurden, hat Jesus
innerhalb von VereiManche Menschen stecken
bei einer Gelegenheit
nigungen, wobei auch
von morgens bis abends fast
im Auftrag seines
christliche nicht
göttlichen Vaters mit
ausgeschlossen sind. immer in Konflikten.
der Peitsche eingeDer eine hat mehr
Erfolg oder er findet mehr Zustimmung, als griffen und den Wechslern die Tische umgestossen (Matthäus Kapitel 21 Vers 12). Allerandere ihm gönnen. Ein anderer meint,
dass er nicht so zur Geltung kommt, wie es dings ist dies der einzige derartige Fall im
Neuen Testament. Er muss oft als Begrünseinen Fähigkeiten oder seinem Einsatz
dung herhalten, wenn Menschen ihr agentsprechen sollte. All diese Vorgänge
gressives Verhalten christlich begründen
können zu Konflikten führen, besonders
wollen, womöglich in Fällen, wo es zur
dann, wenn die genannten persönlichen
Durchsetzung eigener Interessen und
Motive dem Betreffenden nicht bewusst
Forderungen dient. Sie übersehen dabei,
sind.
dass das Wort der Bibel uns unmissverEnge Gemeinschaften zeigen Stärken
ständlich gebietet, mit allen Menschen
Frieden zu halten, also Konflikte zu vermeiund Schwächen
Es gibt Konflikte in Ehen und Familien.
den, so weit es an uns liegt (siehe RömerGerade wenn Menschen eng beisammen
brief Kapitel 12 Vers 18).
leben, lernen sie besonders gründlich ihre
Auch von einem Konflikt zwischen den
gegenseitigen Schwächen und Fehler kenLeitern der Urgemeinde wird in Apostelgenen. Mancher, der sich ein romantisches
schichte 15 berichtet. Wäre er nicht durchIdealbild von der Partnerin oder dem Partgestanden worden, so müsste vielleicht
ner gemacht hatte, fühlte sich später entnoch heute jeder, der sich zum Glauben an
täuscht. Es entstehen AuseinandersetJesus Christus bekehrt, danach mancherlei
zungen, die heute erschütternd oft mit
jüdische Ritualvorschriften erfüllen. Bei
Scheidung enden. Besonders während der
derartigen Grundsatzentscheidungen – wie
Pubertätszeit haben Kinder ihre Konflikte
mit den Eltern, zumal deren Charakter und bei allen Verfälschungen des biblischen
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Mit bösen Worten bringt man Lachende zum Schweigen.
Mit guten Worten bringt man Schweigende zum Lachen.
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Glaubens in wesentlichen Kernfragen –
sind Konflikte mitunter unvermeidlich,
jedenfalls für unmittelbar betroffene Verantwortliche.
Wie aber steht es mit den Konflikten im
normalen, praktischen Leben? Selbst wenn
wir zugeben müssen, dass wohl kein Leben
ganz konfliktfrei verläuft, so beobachten wir
dennoch, dass es dabei grosse Unterschiede
zwischen den Einzelnen gibt.
forschung. Im persönlichen Bereich bemühen sich Pädagogik und Psychotherapie,
Menschen bei der Überwindung erlittener
Konflikte zu helfen, so dass die Folgen
gelindert und sie zur Vermeidung unnötiger
künftiger Konflikte befähigt werden. Denn
schlimmer noch als der äussere Schaden,
den Konflikte oft anrichten, sind die inneren
Wunden und Verletzungen, die sie zurücklassen.
Nicht gelöste Konflikte führen immer zu
Leben zwischen Dissonanz und Frieden
neuen
Manche Menschen stecken von morgens
Solche Folgen sind nicht zu übersehen.
bis abends fast immer in Konflikten. Sie
Jemand trägt einen Groll gegen die eigenen
verbreiten Dissonanzen nahezu bei jedem
Eltern, selbst über deren Tod hinaus. Eine
Kontakt mit anderen
Frau wird aufgrund
– mit dem Ehepartdes Leides, das ihr
Sie verbreiten Dissonanzen
ner, dem Taxifahrer,
ein Mann zugefügt
nahezu bei jedem Kontakt mit
der Frau an der
hat, verbittert und
anderen.
Kasse, der Sekretämännerfeindlich.
rin … Sie streiten sich
Einer, der als Kind in
in jeder Sitzung, denn sie äussern zu jedem seinem Selbstwertgefühl schwer verletzt
Thema in scharfer Form eine dezidierte
wurde, stürzt sich vielleicht in vielerlei
Meinung, die keine Kompromisse zulässt.
Aktivitäten, weil er süchtig nach AnerkenSo geraten sie mit jedem aneinander, mit
nung ist. Der eine leidet dann unter Minderdem sie zusammenarbeiten, weil sie dabei
wertigkeitskomplexen, der andere unter
von ganz festen, meist überhöhten Vorstel- Geltungsbedürfnis. In all diesen Fällen
lungen über ihre eigene Person und Rolle
führen vergangene Konflikte ständig zu
ausgehen. Wer aber in dieser Weise ständig neuen. Kein Wunder, dass unsere Gesellmit sich selbst beschäftigt ist, der ist nicht
schaft gerade heute so voll von ihnen ist!
teamfähig, sondern ungeeignet für jede
Gemeinschaft. Man meidet solche MenDie letzte Ursache für die ungelösten Konschen nach Möglichkeit.
flikte im Leben eines Menschen liegt jedoch
so tief, dass sie mit den genannten Mitteln
Andere jedoch strahlen eine Atmosphäre
nicht behoben werden kann. Denn der Urdes Friedens aus. Sie haben die Gabe, Mitkonflikt des Menschen war und ist sein gemenschen bei der Heilung ihrer Konflikte
störtes persönliches Verhältnis zu Gott. In
zu helfen und Versöhnung zu vermitteln.
der Abkehr von Gott, so beschreibt es die
Solche Menschen werden in der Regel geBibel, lag die erste Schuld des Menschen.
schätzt und um Rat gebeten.
Alle übrigen Formen der Sünde einschliesslich der daraus entstehenden Konflikte sind
Wir sehen: Art und Ausmass unserer Konletztlich Folgen dieses Abfalls. Dieser Vorflikte hängen nicht nur von den äusseren
gang spielt sich nicht in einer uns entrückBedingungen ab, sondern vielmehr von
ten Mythologie ab, sondern sehr konkret im
unserem inneren Zustand. Letztlich liegt
Leben des einzelnen heutigen Menschen.
alles daran, ob ein Mensch von den Konflikten geheilt worden ist, die ihn von innen her Was wir daher benötigen, ist eine Konfliktbeherrschen und so zu Störungen im Verheilung in der Tiefe, das heisst nichts wenihältnis zu anderen führen.
ger als eine Versöhnung mit Gott. Dies zu
ermöglichen, war die Mission von Jesus
In unserer Zeit werden viele gute BemüChristus. Er ist für uns alle gestorben, um
hungen angestellt, um Konflikte zu vermei- den Konflikt zu heilen, den unsere Schuld
den. Soweit es sich um politische handelt,
gegenüber Gott hervorgebracht hat. Wenn
liegt hier das grosse Gebiet der Friedensnun heute jemand diese Heilung bewusst
annimmt, hört der Kriegszustand auf, der
ihn von Gott trennt. Er erfährt eine heilsame Veränderung und Erneuerung. Er
braucht die bisherigen Konflikte nicht mehr
fortzusetzen, sondern empfängt die Kraft,
den beteiligten Menschen zu verzeihen.
Sein Wertbewusstsein wird von Jesus Christus neu stabilisiert, so dass die verschiedenen Mechanismen versuchter Selbstheilung
überflüssig werden. An die Stelle dieser
Konflikte tritt ein tiefer, von innen kommender Frieden. Eine veränderte, von der Liebe
Gottes geprägte Grundeinstellung schenkt
uns dann die Kraft, anderen sozusagen die
Regenwürmer zu überlassen, um die man
sich sonst vielleicht streiten würde. Gott
sorgt dafür, dass wir dadurch nicht ärmer
werden, sondern er schenkt uns die Erfahrung seines unendlichen Reichtums.
Prof. Dr. rer. nat.
Bodo Volkmann …
… wohnt in Möglingen (Deutschland), ist
verheiratet mit Waltraut Volkmann und hat
vier Töchter und sieben Enkelkinder. Er ist
emeritierter Ordinarius für Mathematik der
Universität Stuttgart. Prof. Volkmann referiert regelmässig an Anlässen der IVCG
(Internationale Vereinigung Christlicher
Geschäftsleute, www.ivcg.ch).
antenne | Mai 2010
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