455 Friesland, Landkreis - Landesamt für Statistik Niedersachsen

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455 Friesland, Landkreis - Landesamt für Statistik Niedersachsen
Landkreis Friesland
Übersicht und Gebietsentwicklung
Der Landkreis Friesland mit seiner Kreisstadt Jever ist ein Küstenkreis im Norden des Landes Niedersachsen. Mit einer Fläche von nur
607,78 km² ist er der zweitkleinste unter den niedersächsischen
Landkreisen, doch mit 101 760 Einwohnern (31.12.2004) rangiert er
der Bevölkerungszahl nach auf einem etwas höheren Platz; seine Bevölkerungsdichte von 167,4 Einw./km² entspricht nahezu dem Landesmittelwert von 168,0 Einw./km².
Das Kreisgebiet reicht in seiner Nord-Süd-Ausdehnung von der durch
einen etwa 7 km breiten Wattengürtel vom Festland getrennten Nordseeinsel Wangerooge über die Wangerländer und Jademarschen bis
zur Friesischen Wehde. Seine Grenze im Norden und Osten bildet –
abgesehen von der kreisfreien Stadt Wilhelmshaven – die Nordseeküste samt Außenjade und Jadebusen. Im äußersten Südosten
grenzt Friesland zudem an den Kreis Wesermarsch; Nachbarn im Süden und Westen sind die Landkreise Ammerland, Leer und Wittmund.
Verkehrsmäßig wird der Landkreis durch die Bundesautobahn Oldenburg-Wilhelmshaven (Jadelinie A 29), durch ein Netz gut ausgebauter Bundes-, Landes- und Kreisstraßen (u. a. B 210, B 436, B 437)
sowie durch die Haupteisenbahnstrecke Oldenburg-Wilhelmshaven
und die Nebenstrecke Sande-Jever-Esens erschlossen. Die Landeplätze in Sande/Mariensiel, Harlesiel und auf Wangerooge dienen im
Wesentlichen dem Seebäder-Flugverkehr. Darüber hinaus ist Mariensiel Ausgangsbasis des gesamten Lotsenversetzdienstes für den Bereich der Jade und Weser. Die einzige durch das Kreisgebiet füh-
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Bezirk Weser-Ems
rende Binnenwasserstraße, der Ems-Jade-Kanal, besitzt als Verkehrsträger für die Berufsschifffahrt nur untergeordnete Bedeutung,
wird in den vergangenen Jahren aber zunehmend von der Sportschifffahrt genutzt.
Historisch gesehen umfasst der Landkreis Friesland mehrere früher
eigenständige Herrschaftsgebiete mit jeweils wechselvoller Geschichte: die lange zwischen den ostfriesischen und jeverschen Häuptlingen
sowie den Oldenburger Grafen umstrittene Friesische Wehde sowie
u. a. die Herrschaften Varel und Jever, die zeitweilig zu Oldenburg,
Holland, Frankreich und sogar zu Russland (Jever) gehörten. Der
Landkreis entstand 1933 im Rahmen der oldenburgischen Verwaltungsreform aus den früheren Ämtern Varel (ohne die Gemeinden
Jade und Schweiburg) und Jever. Seine Grenzen blieben seitdem nahezu unverändert, Ausnahmen bildeten die Erweiterung um die ehemalige Gemeinde Gödens aus dem Landkreis Wittmund und die Ausgliederung der Gemeinde Sengwarden an die kreisfreie Stadt Willhelmshaven (1972). Außerdem wurden von der Stadt Varel die Gebietsteile Spohle (1972) und Conneforde (1981) abgetrennt und der
Gemeinde Wiefelstede im Landkreis Ammerland zugeordnet. Das
Kreisgebiet teilen sich seit den 1970er-Jahren insgesamt acht neue
Einheitsgemeinden. Eine darüber hinaus im Rahmen der Verwaltungsund Gebietsreform in Niedersachsen zum 1. August 1977 erfolgte
Zusammenlegung mit dem Nachbarkreis Wittmund, in deren Rahmen
gleichzeitig die drei südlichen Gemeinden Bockhorn, Varel und Zetel
an den Landkreis Ammerland gingen, wurde infolge eines Beschlusses des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 14. Februar 1979
wieder rückgängig gemacht.
Landkreis Friesland
Bezirk Weser-Ems
Kreis- und Bezirksdaten
Merkmal
Einheit
Landkreis
Friesland
Bezirk
Weser-Ems
Fläche, Flächennutzung und Zentralität
Fläche am 31.12.2004
qkm
608,0
darunter Siedlungs- und Verkehrsfläche
%
14,7
darunter Landwirtschaftsfläche
%
73,7
darunter Waldfläche
%
6,8
Bevölkerungsdichte am 31.12.2004
Ew/qkm
167,4
Arbeitsplatzdichte - Erwerbstätige 2003 am Arbeitsort je 1 000 Einwohner
Anzahl
399,9
Niedersachsen
Gesamt
Deutschland
= 100
Gesamt
= 100
14.966
14,2
68,7
11,9
165,2
444
47.620
13,1
60,9
21,2
168,0
435
1,3
112,3
121,1
32,0
99,6
91,9
357.050
12,8
53,0
29,8
231
471
0,2
114,8
139,1
22,8
72,5
84,9
Arbeitsplatzdichte - Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 30.06.2005
am Arbeitsort je 1 000 Einwohner
Anzahl
230
284
288
79,9
317
72,6
Pendlersaldo (Einpendler minus Auspendler über die Kreisgrenze)
am 30.6.2005
Anzahl
-4.861
-23.856
-120.700
x
x
x
Anzahl
-47,9
-9,6
-15,1
x
x
x
Bevölkerungsstruktur und -entwicklung
Anzahl
101.760
2.472.394
%
4,7
6,3
%
-2,2
2,6
%
22,3
23,3
%
57,9
59,2
%
19,7
17,5
%
18,5
19,6
%
57,4
60,4
%
24,0
20,0
%
7,1
5,8
%
3,3
5,7
Anzahl
1,5
1,5
Anzahl
-214
512
Anzahl
-2,1
0,2
Anzahl
319
6.691
Anzahl
3,1
2,7
Anzahl
3,1
2,6
8.000.909
3,7
-0,7
21,5
59,7
18,8
18,4
60,4
21,2
6,3
6,7
1,4
-11.116
-1,4
19.600
2,4
2,7
1,3
x
x
103,7
97,1
104,6
100,6
95,1
113,1
112,8
49,2
105,1
x
x
x
x
113,4
82.500.849
1,2
0,4
20,3
61,1
18,6
17,6
60,4
22,0
7,1
8,8
1,4
-112.649
-1,4
82.543
1,0
2,6
0,1
x
x
109,9
94,8
105,9
105,1
95,0
109,1
100,1
37,5
107,1
x
x
x
x
119,2
Erwerbstätige und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (SVB)
Erwerbstätige am Arbeitsort 2004
Anzahl
40.698
1.112.462
3.543.977
davon Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
%
3,8
4,5
3,3
davon Produzierendes Gewerbe
%
19,7
26,4
25,4
davon Handel, Gastgewerbe und Verkehr
%
26,5
27,2
26,4
davon Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister
%
12,8
12,0
13,8
davon öffentliche und private Dienstleister
%
37,2
29,9
31,0
Veränderung der Erwerbstätigenzahl gegenüber 1994
%
12,5
4,2
6,4
Zahl der SVB am 30.06.2005
Anzahl
23.349
703.800
2.305.451
Frauenanteil an den SVB am 30.6.2005
%
48,1
42,7
44,7
1,1
115,0
77,7
100,5
92,6
119,9
x
1,0
107,5
38.868.000
2,2
26,4
25,2
16,2
29,9
3,6
26.178.266
45,4
0,1
172,4
74,7
105,3
78,8
124,4
x
0,1
105,9
Pendlersaldo (Einpendler minus Auspendler über die Kreisgrenze)
je 1 000 Einwohner am 30.6.2005
Bevölkerungsstand am 31.12.2004
Bevölkerungsveränderung gegen 31.12.1994
Künftige Bevölkerungsveränderung 1.1.2005 bis 1.1.2021
Anteil der unter 20jährigen 2004
Anteil der 20 bis unter 65jährigen 2004
Anteil der über 65jährigen 2004
Anteil der unter 20jährigen 2021
Anteil der 20 bis unter 65jährigen 2021
Anteil der über 65jährigen 2021
dar. Anteil der über 80jährigen 2021
Ausländeranteil am 31.12.2004
Zusammengefasste Geburtenziffer 2004
Saldo der natürlichen Bevölkerungsbewegung 2004
Saldo der natürlichen Bevölkerungsbewegung je 1 000 Einwohner 2004
Wanderungssaldo (über die Kreisgrenze) 2004
Wanderungssaldo je 1 000 Einwohner 2004
Ehescheidungen je 1 000 Einwohner 2004
Anteil der SVB mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss
am 30.06.2005
5,6
7,3
58,7
9,5
45,3
Bruttoinlandsprodukt (BIP), Bruttowertschöpfung (BWS)
Bruttoinlandsprodukt 2004
Mio. Euro
2.014
56.607
BWS-Anteil der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
%
2,8
2,8
BWS-Anteil des Produzierenden Gewerbes
%
20,9
29,7
BWS-Anteil von Handel, Gastgewerbe und Verkehr
%
14,9
19,6
BWS-Anteil von Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleistern
%
24,4
23,1
BWS-Anteil der öffentlichen und privaten Dienstleister
%
37,1
24,8
Veränderungsrate des BIP 1994 bis 2004
%
16,3
23,7
185.803
2,0
29,5
18,9
25,2
24,4
16,8
1,1
139,1
70,7
78,6
96,7
152,3
x
2.215.650
1,1
29,1
18,0
29,1
22,7
24,4
0,1
253,0
71,7
82,5
83,7
163,7
x
25.340
1.751.837
1,9
39.176
13.386.364
3,9
10,7
57.588
3.050.838
1,2
146.626
31.322.279
7,1
10,6
1,5
2,2
137,3
0,6
4,3
11,4
108,9
420.697
13.941.452
0,8
1.420.690,3
322.255.580
14,0
11,6
0,2
0,5
200,0
0,1
0,4
5,8
99,1
Landwirtschaftliche Betriebe 2003
Großvieheinheiten 2003
Großvieheinheiten je Hektar LF 2003
Umsatz des Verarbeitenden Gewerbes 2004
Übernachtungen im Reiseverkehr 2005 (ohne Campingplätze)
darunter Gäste aus dem Ausland
Gewerbeanmeldungen je 1 000 Einwohner 2004
%
4,3
Wirtschaft
Anzahl
841
Anzahl
67.927
Anzahl
1,6
Mio. Euro
898,2
Anzahl
1.344.656
%
0,8
Anzahl
11,5
Einkommen, Soziale Problemlagen
Gesamtbetrag der Einkünfte der Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen
pro Steuerpflichtigen 2001
Euro
30.053
31.147
32.478
92,5
33.498
89,7
%
Euro
Anzahl
%
Anzahl
Anzahl
10,6
14.672
5.180
12,2
5.600
55
12,7
16.099
121.114
11,3
129.871
52
12,6
16.422
435.169
12,3
449.453
56
84,0
89,3
1,2
99,2
1,2
98,0
14,4
16.842
4.650.046
12,5
5.152.755
62
73,6
87,1
0,1
97,6
0,1
88,7
Öffentliche Finanzen 1) (Landkreise einschließlich kreisangehöriger Gemeinden)
Steuereinnahmen der Gemeinden je Einwohner 2004
Euro
494
552
601
82,2
667
74,1
75,6
1,4
107,4
x
84.257
1.098
x
0,1
95,6
Anteil der Einkünfte der Steuerpflichtigen mit mehr als 125 000 Euro
Jahreseinkünften an allen Einkünften 2001
Verfügbares Einkommen pro Einwohner 2003
Arbeitslose am 30.09.2005
Arbeitslosenquote am 30.09.2005
Empfänger von ALGII im September 2005
ALGII-Empfänger je 1 000 Einwohner
Überschuss (+) bzw. Fehlbetrag (-) des Verwaltungshaushalts
in % der Einnahmen des Verwaltungshaushalts 2004
Schuldenstand am Kreditmarkt 31.12.2004
Schuldenstand (am Kreditmarkt) je Einwohner 31.12.2004
%
Mio. Euro
Euro
-9,0
107
1.050
-5,0
2.154
871
-11,9
7.826
978
1) Deutschland: Ohne Stadtstaaten
285
Landkreis Friesland
Bezirk Weser-Ems
Naturräume
Landschaftlich gesehen gliedert sich das Kreisgebiet in drei übergeordnete naturräumliche Einheiten: in die Inseln und Watten, in die
Marschen und schließlich in die Ostfriesisch-Oldenburgische Geest
mit den Zentralmooren.
Wie die Ostfriesischen Inseln, so wuchs auch Wangerooge („oog“ =
Insel) vor etwa 2000 Jahren allmählich aus dem Stadium einer wandernden, hochwasserfreien Plate zu einer Düneninsel empor, die Höhen von über 15 m NN erreicht und mit 16,1 m NN sogar die höchste
natürliche Erhebung des Kreises aufweist. Sie verlagerte sich seit
dem Mittelalter unter dem Einfluss überwiegend west-ost-orientierter
Naturkräfte (Wind, Meeres- und Tidenströmung) und infolge einer
entsprechenden „Wanderung“ des Harle-Seegatts um gut 2 km nach
Osten. Das Inseldorf musste daher mehrmals verlegt werden, so
zuletzt 1854/55. Heute sorgen aufwendige Strandbefestigungen dafür, dass sich Gestalt und Lage der Insel kaum mehr verändern. Eine
erste Seebadeanstalt erhielt das einst von Fischern, Nebenerwerbsbauern und Seefahrern besiedelte Eiland bereits 1804. Trotz erheblicher Rückschläge durch Sturmflutschäden (1854/55) und Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich Wangerooge
zu einem der beliebten NordseeheiIbäder. Das der Insel vorgelagerte, von zahlreichen Prielen und Baljen durchzogene „amphibische“
Wattengebiet, das unter dem Einfluss der Gezeiten zweimal täglich
wechselnd zum Meer bzw. zum Festland gehört, ist Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer.
Die weiträumigen, fast ebenen Marschgebiete nehmen etwa 60 % der
Kreisfläche ein. Dieses durch wiederholte Überschlickung aus einstigen Wattflächen hervorgegangene Niederungsland zwischen der
Küste und dem Geestrand (Linie Jever-Schortens bzw. Zetel-Bockhorn-Varel) wird von einem dichten Entwässerungsnetz („Tiefs“) und
zahlreichen alten Deichlinien durchzogen, auf denen häufig auch die
Straßen verlaufen (z. B. zwischen Horumersiel und Minsen). Die Altdeiche spiegeln die wechselnde Küstengestalt der vergangenen Jahrhunderte wider, als mehrfach verheerende SturmfIuten wie die bekannte „Grote Manndränke“ oder Marcellusflut von 1362 weit in die
„Alte Marsch“ vordrangen und dabei tiefe Einbrüche schufen. So entstanden Buchten wie zum Beispiel der Jadebusen, die Maade- oder
die Harlebucht; so konnten beispielsweise Jever und Gödens zeitweilig von Seeschiffen erreicht werden. Während der Jadebusen wegen seiner Aufgabe als „Spülbecken“ zur Freihaltung des Jadefahrwassers in der Folgezeit nur zum Teil wieder eingedeicht wurde
(Landgewinnungsverbot von 1883), ist die Harlebucht durch etappenweise Rückgewinnung des fruchtbaren Marschenlandes von 1545 bis
1800 ebenso wie die Maadebucht wieder gänzlich landfest geworden
(„Junge Marsch“).
Als Wirtschaftsform überwiegt die Rindviehhaltung, denn die im Brackwasserbereich entstandenen, schweren und kalkarmen Tonböden eignen sich überwiegend nur für die Grünlandnutzung. Infolgedessen
gehört der Landkreis Friesland zu den grünlandreichsten Kreisen des
Bezirks Weser-Ems. Im Gegensatz dazu bilden die „Groden“ der Jungen Marsch gute Ackerstandorte (Raps, Weizen, Gerste), da sie im
Allgemeinen 1 bis 2 m höher aufgeschlickt sind (2 bis 2,5 m NN) und
nach Dränung lockere und nährstoffreiche Kleiböden aufweisen. Das
Deichvorland („Außengroden“, „Heller“) ist wegen der jährlichen Überflutung und Versalzung ausschließlich Grünland. Wie in anderen Mar-
schenkreisen, stellt das in Geestrandnähe gelegene Sietland (tiefster
Punkt: -1,0 m NN, Ellenserdamm) seit jeher ein Problemgebiet dar,
denn trotz kostspieliger Entwässerungsmaßnahmen durch Schöpfwerke etc. leidet es unter hoher Vernässung, sodass die örtlich vermoorten, schweren und unzureichend durchlüfteten Tonböden nahezu ausnahmslos als Grünland genutzt werden müssen.
Die Geest, die nur auf der Friesischen Wehde eine Höhe von etwa 15
m NN erreicht, hebt sich von der baumarmen Marsch durch ihre Vielfalt an kleinen Gehölzen und größeren Waldungen („Wehde“ = Wald)
ab. Neben Kiefern- und Fichtenforsten (z. B. Forst Upjever), die seit
dem vorigen Jahrhundert vor allem die sandigen, lange Zeit verheideten Geestplatten einnehmen, findet sich auf anlehmiger, staunasser Grundmoräne und auf den verbreitet bei Bockhorn anstehenden
Lauenburger Tonen bevorzugt eichen- und buchenreicher Mischwald.
Er diente früher vor allem als Hudewald für die Viehmast. Ein derartiges, in den letzten Jahrzehnten bewusst von menschlichen Eingriffen verschont gebliebenes Waldstück ist der Neuenburger UrwaId.
Mit seinen unter Naturschutz stehenden Baumriesen gilt er gerade in
den nahe gelegenen Städten Oldenburg und Wilhelmshaven als beliebtes Wander- und Naherholungsgebiet.
Im Gegensatz zum Geestrand blieben die südlich sich anschließenden Geestplatten siedlungs- und gewerbearm. Die Landwirtschaft
spielt im Haupt- und Nebenerwerb eine weiterhin wichtige Rolle. Angesichts des atlantischen Klimas und der vielfach grundwassernahen
und in den breiten Talniederungen auch anmoorigen Böden herrscht
die Viehwirtschaft vor. Beackert werden in der Regel nur die trokkeneren, meist sandigen Geestrücken (Anbau von Gerste, Roggen,
Silomais), doch bewirtschaften die meisten Betriebe in Hofnähe auch
intensiv Milchviehweiden. An seinen Rändern berührt das Kreisgebiet
mit dem Spolsener und dem Bockhorner Moor naturräumlich die Zone
der Ostfriesisch-Oldenburgischen ZentraImoore. Diese Areale werden, mit Ausnahme der bestehenden Naturschutzgebiete, überwiegend als Grünland genutzt.
Siedlungen – Geschichte und Struktur
Die Besiedlung der AIten Marsch (Brackmarsch), die heute nur zwischen 0,5 und 1,5 m NN hoch liegt und ihre größte Ausdehnung im
Wangerland erreicht, reicht weit bis in die Zeit vor dem Deichbau um
das Jahr 1000 zurück. Auf Wurten errichtete Einzelgehöfte und Dörfer
mit standhaften Wehrkirchen (z. B. Hohenkirchen, Minsen, Waddewarden, Tettens) sind die vorherrschende Siedlungsform dieses Gebietes (Wurtenmarsch). Ebenerdige, parallel zu den Deichlinien verlaufende Reihensiedlungen mit überwiegend mittleren bis größeren Betrieben weisen die Junge Seemarsch als landwirtschaftliches
Gunstgebiet aus.
An den Sielen, die stets nach Fertigstellung einer neuen, geschlossenen Deichlinie zur Entwässerung der Marschen angelegt werden
mussten, entstanden die typischen Sielhafenorte. Sie waren keine Fischerhäfen, sondern dienten dem Warenumschlag. Die jüngste Generation dieser Orte bietet heute wichtige Ansatzpunkte für den Tourismus. Am stärksten frequentiert wird das in der Gemeinde Wangerland liegende Nordseeheilbad Horumersiel/Schillig, das einen der
größten Campingplätze Niedersachsens besitzt. Auch der Küstenbadeort HooksieI, der ebenfalls zur Gemeinde Wangerland gehört und
Anteil der
Landkreis
Einheitsgemeinde
Samtgemeinde
Mitgliedsgemeinde
Gemeindefreies Gebiet
455 Friesland
455007 Jever,Stadt
455014 Sande
455015 Schortens,Stadt
455020 Wangerland
455021 Wangerooge,Nordseebad
455025 Bockhorn
455026 Varel,Stadt
455027 Zetel
Fläche
Bevölkerungsdichte
qkm
Ew/qkm
Bevölkerung
unter
20jährigen
am 31.12.2004
607,78
42,13
44,86
68,67
175,37
4,97
76,99
113,53
81,26
167,4
330,5
210,7
310,8
58,3
208,2
113,8
222,0
145,4
Anzahl
101.760
13.923
9.453
21.343
10.223
1.035
8.765
25.204
11.814
Bevölke- SozialArrungs- versiche- beitsrungsPendlerveränüber
platzsaldo 3)
pflichtig
derung
65dichBeschäf2)
jährigen gegente
1)
tigte
über
1994
am 30.06.2005
%
22,3
20,9
22,3
23,0
22,6
20,0
23,8
21,1
24,4
19,7
19,4
20,3
19,3
20,6
22,6
17,4
20,4
19,7
Anzahl
+4,7
+4,3
+5,8
+4,0
+3,4
-21,4
+6,8
+3,1
+11,9
23.349
3.696
2.595
4.125
1.632
588
1.147
7.911
1.655
23,0
26,6
27,5
19,4
16,0
57,4
13,1
31,4
14,0
-4.861
-78
-220
-1.561
-792
53
-1.437
809
-1.635
Beschäftigungsveränderung
gegenüber
30.06.1995
Arbeitslose
Arbeitslose
je
1.000
Ew.
am 30.09.2005
%
Anzahl
-3,0
-9,7
-1,1
+32,9
-6,6
-10,1
-18,3
-10,7
+3,8
5.180
756
489
1.032
512
44
457
1.328
562
%
51,0
54,3
51,8
48,6
50,2
42,9
52,3
52,7
47,7
Steuereinnahmen
Kreditmarktschulden
2004
Euro/Ew.
494,34
463,46
610,80
335,82
474,64
1.143,56
348,57
699,10
354,99
1.050
90
346
417
834
1.562
108
833
121
1) am Arbeitsort. - 2) Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Arbeitsort pro 100 Einwohner. - 3) Einpendler minus Auspendler (über die Gemeindegrenzen).
286
Landkreis Friesland
Bezirk Weser-Ems
Der historische Sielhafen in Hooksiel
bis zum Aufkommen der Dampfschiffe vorübergehend Hauptseehafen
des Jeverlandes war, gilt mit seinem idyllischen Ortsbild, dem Hooksmeer und dem Badestrand als touristischer Anziehungspunkt. Der
dritte bedeutende Küstenbadeort Frieslands, das um 1800 eingerichtete Seebad Dangast (heute anerkanntes Nordseebad), liegt in
der Jademarsch erhöht auf einer Geestinsel. Dangast ist, obwohl nahe einem modernen Siel gelegen, also kein klassischer Sielhafenort.
Die Geestinsel bricht dort mit einem sandigen Kliff zum Jadebusen
ab, wodurch sich an der sonst sehr schlickreichen Küste ein guter
Badestrand bildet. Dangast ist heute Stadtteil von Varel.
Im Marschland tritt die Gemeinde Sande (2004: 9 453 Einw.), gelegen
am Stadtrand von Wilhelmshaven, als einer der gewerblichen Schwerpunkte des Landkreises hervor. Hier entstand als Außenbetrieb der
Wilhelmshavener Marinewerft in den 1930er-Jahren eine Gießerei,
deren Nachfolgebetriebe noch heute in den Sparten Gießerei und
Metallbau tätig sind. Das benachbarte Bockhorn (2004: 8 765 Einw.)
hat sich auf der Grundlage der wertvollen Tonvorkommen (Lauenburger Ton) als ein Zentrum der niedersächsischen Ziegelindustrie einen
Namen gemacht. Mit Bockhorner Klinkern wurden in früherer Zeit
viele Straßen in den Marschen gepflastert; sie finden heute noch unter anderem bei Stadtsanierungen oder im Bauhandwerk Verwendung. Bockhorn wurde als Marktort ebenso wie Varel und Zetel (2004:
11 814 Einw.) unmittelbar von der Friesischen Heerstraße (JeverOldenburg) berührt, bis diese nach dem Bau des Ellenser Dammes
(1615) in Richtung Norden einen kürzeren Weg durch das junge,
gerade durch den Damm gesicherte Marschland nahm.
Während Bockhorn und Zetel aufgrund ihrer Lage nur eine eingeschränkte gewerbliche Entwicklung erlebten, konnte sich die Stadt
Varel bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem wirtschaftlichen
Schwerpunkt im damaligen Herzogtum Oldenburg entwickeln (1858:
Ernennung zur Stadt 1. Klasse). Die mit 25 204 Einwohnern (31.12.
2004) bevölkerungsreichste Gemeinde des Kreises ist heute zu einem vielseitigen Gewerbestandort herangewachsen (Flugzeug-, Maschinen- und Motorenbau, Porzellanfabrik, Gießerei, Halbzellstoffindustrie u. a.) und zudem Schul- und Einkaufsstadt. Sie besitzt mit
Dangast und einer Anlage dicht östlich des Stadtkerns zwei kleine,
tideabhängige Seehäfen, wobei der Vareler Hafen über eine Schleuse erreichbar ist.
Die Reihe der Geestrandorte setzt sich in der nördlichen Kreishälfte
fort: Die alte Residenzstadt Jever (2004: 13 923 Einw.), der traditionelle Mittelpunkt des Jeverlandes und heutige Kreissitz, war schon im
10. und 11. Jahrhundert ein wichtiger Markt- und Handelsplatz an der
Friesischen Heerstraße, seit dem 14. Jahrhundert auch Hafenstadt mit
Seeverbindung über die Harlebucht bzw. seit Ende des 16. Jahrhunderts bis 1850 über das Hooksieler Tief. Verschiedene bedeutende
Baudenkmäler aus dieser Zeit blieben erhalten, z. B. das Schloss
(15./16. Jahrhundert), das Rathaus (1609), die Stadtkirche mit dem
Edo-Wiemken-Grabmal (1564) und zahlreiche Bürgerhäuser. Neben
der historisch gewachsenen Funktion als Markt-, Einkaufs- und Schulstadt (Lateinschule 1573) nimmt Jever zunehmend Anteil am Tourismus. Unter den Gewerbebetrieben macht eine Großbrauerei den Namen der Stadt weithin bekannt. Schortens (2004: 21 343 Einw.), das
vor allem Wohnfunktionen für Wilhelmshaven erfüllt, besitzt auch als
Truppenstandort (Flugplatz Upjever) Bedeutung. Der Ortsteil Roffhausen war bis Anfang der 1990er-Jahre Sitz der Olympia-Werke AG,
einst einer der größten Arbeitgeber im ostfriesisch-oldenburgischen
Raum.
Wirtschaft
73,7 % der Kreisfläche (31.12.2004) werden landwirtschaftlich genutzt,
der Anteil der Waldfläche beträgt mit 6,8 % jedoch nur etwa ein Drittel
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Landkreis Friesland
Bezirk Weser-Ems
Am Hooksieler Binnentief mit Blick in Richtung „Hooksmeer“
des Landesmittelwertes (21,2 %). Von den 40 698 Erwerbstätigen am
Arbeitsort des Jahres 2004 sind mit 3,8 % kaum mehr als im Landesdurchschnitt (3,3 %) in der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei
tätig. Nur 19,7 % der Erwerbstätigen am Arbeitsort gehören zum produzierenden Gewerbe, hingegen mehr als drei Viertel (76,5 %) zum
Dienstleistungsbereich.
Die Schwerpunkte der gewerblichen Wirtschaft des Kreises liegen in
den Mittelzentren Jever und Varel am Geestrand sowie in den Orten
Bockhorn, Zetel, Sande und Schortens. Wesentliche Impulse gehen
dabei von der Nachbarstadt Wilhelmshaven aus, die mit ihrer Industrie und dem einzigen deutschen Tiefwasserhafen seit Jahren ins Umland ausstrahlt und (u. a.) das wichtigste Pendlerziel für Bewohner
aus dem Kreisgebiet ist. In jüngerer Vergangenheit waren 20 % der
im Kreisgebiet wohnenden Erwerbstätigen in Wilhelmshaven tätig.
Dies betrifft vor allen Dingen die unmittelbar benachbarten Gemeinden Sande und Schortens, wobei insbesondere die letztgenannte
Kommune nicht nur Wohnfunktionen für in der Jadestadt Beschäftigte übernimmt, sondern im Gegenzug – wenn auch in geringerem
Maße – selbst Arbeitsort für Auspendler aus Wilhelmshaven ist. Per
Saldo lag Mitte 2005 die Zahl der Auspendler jedoch deutlich um
4 861 über der Anzahl der Einpendler.
Der Landkreis Friesland gehörte, als die Olympiawerke noch existierten, zu den stärker industrialisierten Gebietskörperschaften in Niedersachsen: 1970 zählte man noch fast 16 000 Industriebeschäftigte.
Deren Zahl schrumpfte mit dem Niedergang der Olympiawerke erheblich, auch wenn in den letzten zehn Jahren an diesem Standort
das Technologie-Centrum Nordwest (TCN) geschaffen wurde. Hier
siedelten sich verschiedene Unternehmen, vor allem Dienstleister aus
dem Bereich der Telekommunikation, mit heute über 2 600 Arbeitsplätzen an. Im Jahr 2004 bietet das produzierende Gewerbe des
Landkreises nur noch rund 8 000 Erwerbstätigen einen Arbeitsplatz,
die Beschäftigtendichte liegt inzwischen weit unter dem Landesdurchschnitt. Die bedeutendste Branche ist der Flugzeugbau, der das
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traditionelle Ernährungsgewerbe noch übertrifft. Die übrigen Industriezweige, wie die Verarbeitung von Steinen und Erden, der Maschinenbau, das Papiergewerbe, die Metallgewinnung usw., erreichen mit
jeweils einigen Hundert Beschäftigten nur eine untergeordnete Bedeutung.
Dafür spielt die „weiße Industrie“ inzwischen eine überaus wichtige
wirtschaftliche Rolle. Schwerpunkte des Fremdenverkehrs sind insbesondere die Nordseeheilbäder Insel Wangerooge und Horumersiel/
Schillig sowie die Küstenbadeorte Hooksiel, Minsen-Förrien und Nordseebad Dangast. Doch auch das waldreiche Gebiet der Friesischen
Wehde entwickelt sich zu einem wichtigen touristischen Ziel. Im Jahr
2005 zählte der Landkreis 249 991 Gäste und 1 344 656 Übernachtungen im Reiseverkehr (ohne Campingplätze).
Entwicklung, Planung und Prognosen
Der Landkreis Friesland verzeichnet für den Zeitraum von 1994 bis
2004 ein Bevölkerungswachstum von 4,7 %, das leicht über dem Landesdurchschnitt von 3,7 % liegt. Die natürliche Bevölkerungsbilanz
blieb ab 1973 negativ; die Zahl der Todesfälle überstieg die der Geburten. Dennoch nahm die Bevölkerung seit Anfang der 1990er-Jahre
wieder stetig zu. Das Bevölkerungswachstum des Kreises stützt sich
folglich ausschließlich auf Wanderungsgewinne, die zunächst vorwiegend überregionaler Natur blieben. Erst in letzter Zeit verstärkten sich
wieder die Abwanderungsbewegungen aus der Stadt Wilhelmshaven;
von 1996 bis 2005 wanderten per Saldo über 2100 Personen aus der
Stadt zu und machen damit knapp die Hälfte des gesamten Wanderungsgewinns dieser Phase von insgesamt 4658 Personen aus.
Das stärkste Wachstum in der Zeit von 1994 bis 2004 verzeichnet
Zetel mit 11,9 %, auch Bockhorn (6,8 %) und Sande (5,8 %) weisen
überdurchschnittliche Werte auf. Deutlich rückläufig verlief hingegen
die Bevölkerungsentwicklung auf der Insel Wangerooge mit einem erheblichen Verlust von 21,4 %.
Bezirk Weser-Ems
Landkreis Friesland
Obwohl der Landkreis Friesland natur- und lagebedingt noch immer
zu den wirtschafts- und strukturschwächeren Regionen Niedersachsens gehört, verbesserten sich die Rahmenbedingungen durch die
Entwicklung der vergangenen Jahre. Seit einiger Zeit bemüht sich der
Landkreis, die Standortbedingungen für Industrieunternehmen attraktiver zu gestalten, so durch den Aufbau des TCN. Er ist derzeit Mitglied in mehreren Kooperationsräumen: der Strukturkonferenz Ostfriesland und der Gemeinschaft „Das Oldenburger Land“, der Regionalen Arbeitsgemeinschaft Bremen/Niedersachsen (RAG) sowie der
Metropolregion Oldenburg-Bremen. Hiervon gehen wesentliche Impulse für die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur aus.
Für den Landkreis steht die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur sowie der Lebensbedingungen seiner Einwohner im Mittelpunkt. Große Sorgen bereiten allerdings die finanzielle Entwicklung
der kommunalen Haushalte und die damit verbundenen Einschränkungen der Spielräume im Rahmen der Selbstverwaltung. Dennoch
konnten mit Blick auf Neuansiedlungen oder auf die Sicherung bestehender Unternehmen in jüngster Vergangenheit einige Erfolge vermeldet werden: Erwähnt sei ein umfangreiches Tourismusprojekt des
niederländischen Investors Hennie van der Most in Hohenkirchen, die
Erweiterung des Bahlsen-Werks und der Papier- und Kartonfabrik in
Varel, die Neupositionierung des Friesischen Brauhauses zu Jever,
die gute Auslastung des Airbus-Zweigwerkes, der Bau der Europazentrale Nordfrost und nicht zuletzt, als gemeinsames Projekt von elf
Gebietskörperschaften aus den Kreisen Friesland und Wittmund, die
Gründung des Zweckverbandes „Interkommunales Gewerbegebiet
JadeWeserPark“. Mit dem bevorstehenden Bau des Tiefwasser-Containerhafens JadeWeserPort und den dort geplanten Investitionen der
Chemieindustrie ergeben sich zudem große Chancen für die Zukunft
der Region. Grund genug, wieder optimistischer nach vorne zu schauen und regionale Stärken weiter zu entwickeln.
Tradition und Moderne in der Wangerooger Inselmarsch
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