automobil entwicklung 6/00

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automobil entwicklung 6/00
Technology
Halbleiter und Netzwerktechnik
Das Radio
funkt SOS
Philips Semiconductors gibt Gas. Im
Vordergrund steht ein Netzwerk, das die
Niederländer gemeinsam mit DaimlerChrysler, BMW und Motorola entwickeln. Details
nennen General Manager Pascal Langlois,
Brian Brewster, Strategic Marketing
Manager, und Steffen Glemser, System
Marketing Engineer Automotive.
Pascal Langlois, General Manager Global Market Segment Automotive von Philips Semiconductors, München: „Ich sehe
das Fahrzeug als ein großes
Netzwerk an, das mit externen
Systemen verbunden wird. Dabei verwischen die Grenzen
zwischen Wohnung, Büro und
Automobil.“
Bilder: Philips Semiconductors
Herr Langlois, wie positioniert sich Philips Semiconductors im
automobilen Markt?
Wir nehmen bereits weltweit die Spitzenposition ein
als Hersteller von Wegfahrsperren und bei integrierten Schaltkreisen für Autoradios und automobile
Netzwerke. Laut Dataquest besetzen wir bei den Chips
für die Automobilbranche Platz fünf. Wir zählen also
jetzt schon zu den Top-Playern in diesem Geschäft.
Wie betrachten Sie das Automobil aus elektronischer Sicht?
Langlois: Als großes Netzwerk, das mit externen Systemen verbunden wird. Wir bieten heute verschiedene
Netzanwendungen für das Automobil an. Unsere
Strategie: Wir überschreiten die Grenzen zwischen
Wohnung, Büro und Fahrzeug. Zu den kommenden
Innovationen zählen auch die kabellosen Verbindungen, etwa nach dem Bluetooth-Standard, die aus der
Computerwelt stammen.
Auf welche Gebiete der Netzwerktechnik konzentrieren Sie sich?
Langlois: Philips Semiconductors deckt alle Bereiche
ab: vom Infotainment bis hin zu den sehr zeitkritischen Anwendungen wie ’Drive-by-wire’. Dabei arbeiten wir mit der schwedischen Firma Kvaser zusammen, die zu den Experten für CAN-Anwendungen zählen.
Wann kommt es zu den ersten Serienanwendungen?
Langlois: Infotainment-Einsätze dürften im Jahr 2001
folgen, echtzeitfähige CAN-Anwendungen dauern
noch etwas.
Im Herbst bildeten BMW, DaimlerChrysler, Motorola und Philips Semiconductors ein Konsortium, das ein völlig neues Automobil-Kommunikations-System entwickelt. Welches Ziel
verfolgen Sie bei dem Projekt ’FlexRay’, Herr Brewster?
Es soll ein Standard für High-Speed-Anwendungen im
Auto entstehen. Im Mittelpunkt steht ein Kontrollbus,
der synchrone und asynchrone Daten mit einer Rate
von bis zu zehn Megabit pro Sekunde überträgt. Anfangs visieren wir fünf Megabit pro Sekunde an.
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Automobil-Entwicklung · November 2000
Steffen Glemser, System Marketing Engineer Automotive,
Stuttgart: „Den neuen Telematik-Prozessor können die Kunden auf unserem Applikationsboard unter die Lupe
nehmen.“
Bild: AP/Fe
Brian Brewster, Strategic Marketing Manager Automotive
Business Line, Nijmegen/Niederlande: „Das schnelle FlexRay-Netzwerk steht nach einer Einführungsphase bei den
Partnern BMW und DaimlerChrysler auch anderen OEMs
zur Verfügung.“
Über den schnellen Bus mit seinen maximal 64 Netzwerk-Knoten lassen sich in Echtzeit zum Beispiel
Bremsen und Lenkung steuern. Der ’FlexRay’ wird
über ein entsprechendes, unabhängiges, fehlertolerantes Überwachungssystem verfügen.
Welche Bus-Technologie verwenden Sie?
Brewster: ’FlexRay’ unterstützt die wichtigsten Netzwerkstandards wie CAN, LIN und MOST. Intern verwenden wir einen Bus mit einem zeitgesteuerten Protokoll, das dem so genannten ’Time Triggered Protocol’ ähnelt.
Wie teilen Sie sich mit Motorola den lukrativen Auftrag?
Brewster: Motorola entwickelt die Microcontroller und
Philips Semiconductors die komplette Peripherie inklusive Bustreibern und Busüberwachungssystemen.
Können auch andere Automobilhersteller ’FlexRay’-Technik
einsetzen?
Brewster: Ja, aber zunächst wollen BMW und DaimlerChrysler ’FlexRay’ als Netzwerk in ausgewählten
Technology
Halbleiter und Netzwerktechnik
Steckbrief: Philips Semiconductors
Stammsitz: Philips Semiconductors, Eindhoven (Unternehmensbereich der Royal Philips Electronics N.V., Eindhoven)
Geschäftsleitung: Arthur van der Poel (President, CEO);
Global Market Segment Automotive (GMS): Pascal Langlois (Vice President, General Manager GMS)
Umsatz: rund zehn Milliarden Mark (davon Automobilindustrie und deren Zulieferer: etwa 11%)
Mitarbeiter: 31 000
Produktprogramm: Halbleiter-Bauelemente und Systeme
für Anwendungen in der Automobilindustrie, Telekommunikation, Konsumelektronik und PC-Peripherie
Werke: 18 Produktions- und Montagestätten in elf Ländern, 16 weltweite Design Center
Automotive-Kunden: DaimlerChrysler, Visteon, Delphi,
Siemens, Mannesmann, Bosch, Hella, Huf, Continental,
TRW, Temic, Becker, Valeo, Wabco, Kostal, Borg Instruments, Sony, Alpine, Clarion, Motorola, Eaton
Zusammenarbeit in Entwicklung (Automobil): gemeinsames Industriekonsortium FlexRay (Entwicklung automobiles Kommunikationsnetzwerk) mit BMW, DaimlerChrysler
und Motorola
Ranking Halbleiter für Automobilindustrie: Platz 5*
Wettbewerber Automotive-Halbleiter: Motorola (Platz 1),
NEC (2), Infineon (3), STMicroelectronics (4), Toshiba (6), Texas Instruments (7), Bosch (8), Fujitsu (9), Matsushita (10)*
*Quelle: Dataquest, Juli 2000
Fahrzeugen einführen. Nach dieser Einführungsphase
dürfen wir das System auch an andere Automobilhersteller und Zulieferer verkaufen.
Langlois: Dazu entwickelten wir das In-Vehicle-Networking, das unterschiedlichste Systeme und Prozessoren unter einem Dach vereint. Ein Beispiel: Als System-Master dient ein Telematik-Prozessor. Er kontrolliert und koordiniert sämtliche Funktionen unterschiedlichster Chips – von Global Positioning System,
Mobilfunk, Spracherkennung bis hin zur Kommunikation mit und ohne Kabel. Über CAN-Schnittstellen
und das drahtlose System Bluetooth kommuniziert
der Prozessor mit der gesamten Steuerelektronik.
Übernimmt ein spezieller Chip diese Aufgabe, Herr Glemser?
Ja, wir entwickelten speziell für Telematik-Einsätze
den integrierten Schaltkreis SAF 3100, der beispielsweise bei Aktivierung eines Airbags automatisch einen Hilferuf sendet. Der Telematik-Prozessor verfügt
über einen Anschluss für das Gyroskop, über einen
12-Kanal-GPS-Basisband und einen MIPS-basierten
32-Bit-RISC-Prozessor. Er integriert auf einem Chip
die gesamte Peripherie, um die Position des Fahrzeuges zu bestimmen und um mit der Fahrzeug-Infrastruktur zu kommunizieren.
Dabei treten die gleichen Probleme wie beim Personalcomputer auf: Wie passen Sie den Chip an die unterschiedliche, externe Elektronik an?
Glemser: Für jede Peripherie gibt es spezielle Treiber.
Außerdem besitzt der SAF 3100 eine elektronische Bibliothek mit Programmen, so dass sich etwa CANBusse aller Art daran anschließen lassen. Für den Mobilfunk gibt es eine eigene GSM-Library mit den speziellen Programmen, die den so genannten AT-Command-Set unterstützt.
Wann startet die Produktion der ’FlexRay’-Elektronik?
Brewster: Prototypen sollen im ersten Quartal 2002
entstehen, die Serienproduktion folgt im Jahr 2003.
Soweit die Zukunftsmusik: Wie sieht es heute mit der Anbindung von neuen Anwendungen wie Global Positioning System (GPS), MP3 oder Digital Audio Broadcasting (DAB) aus?
Glemser: Erstmals verwenden wir in diesem Markt das
Echtzeit-Betriebssystem ’pSOS’. Bisherige Systeme besaßen zwei Prozessoren sowie mehrere externe Speicher. Wir verwenden nur noch einen Prozessor, so dass
sich die Anzahl externer Bauteile erheblich reduziert.
Langlois: Mithilfe unseres Multibus-Konzeptes lassen
sich sowohl derartige Systeme als auch andere problemlos mit der Automobilelektronik verknüpfen.
Zum Stichwort Implementierung: Wie unterstützen Sie Ihre
Kunden in der Einführungsphase?
Arthur van der Poel, Präsident von Philips Semiconductors,
spricht vom neuen Zeitalter der ’Connectivity’. Wie bewegt
die Fähigkeit, unterschiedlichste Dienste miteinander zu verknüpfen, Ihren Geschäftsbereich?
Langlois: In einem erheblichem Maße: Wir verfügen
mit der neuen ’Car-Infotainment-Platform’ über ein
System, das von seiner Leistungsfähigkeit alle Bereiche der Unterhaltung und der Information abdeckt.
Die Palette reicht von der Ansteuerung von DVDPlayern bis hin zur Spracherkennung. Zum Einsatz
kommen dabei Chips aus der ’Nexperia’-Systemfamilie, die jeweils über zwei Prozessoren verfügen. Ein
TriMedia-Baustein kümmert sich um Multimedia und
MIPS um alle Echtzeit-Anwendungen.
Wie sieht es auf dem Gebiet Telekommunikation aus?
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Welche Art von Betriebssystem setzen Sie ein?
Automobil-Entwicklung · November 2000
Glemser: Wir bieten ihnen ein Applikationsboard mit
den entsprechenden Schnittstellen zu diversen Bussen,
so dass sie den Chip individuell konfigurieren können.
Wann können Firmen mit der Entwicklungsarbeit beginnen?
Glemser: Im Prinzip sofort, denn der SAF 3100 besitzt
Serienreife.
Ein umfassender Datentransfer zwischen Teilnehmern aller
Art funktioniert aber nur mit maßgeschneiderten Chips, so
genannten ASICs?
Langlois: Das stimmt. Über dementsprechende ASICDesign-Module verfügt unsere Systems-on-ChipsTechnologie. Außer der Flexibilität spricht für SoC,
dass sich die Entwicklungszeit dank Wiederverwendung von früheren ASIC-Modulen und SoftwareBausteinen verkürzt.
fe
Simultaneous Engineering
BMW M GmbH
Schnelle Autos
schnell entwickeln
Die M Fahrzeuge werden in den Werken gefertigt, aus denen
auch die entsprechenden Basisfahrzeuge kommen?
Aus der Motorsport-Abteilung von BMW
ging die BMW M GmbH hervor. Gerhard
Richter, Leiter Entwicklung M Fahrzeuge,
erläutert die Entwicklungsstrategien der
feinen Gesellschaft – unter anderem am
Beispiel des neuen M3.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem FIZ aus?
Herr Richter, wie lautet die Entwicklungsphilosophie der
BMW M GmbH?
Ganz einfach: Wir wollen die Schnellsten sein. Nicht
nur mit unseren Autos, sondern auch bezüglich Entwicklungsgeschwindigkeit, Prozessgestaltung und des
gesamten Ablaufs.
Wie realisieren Sie das?
Indem wir versuchen, unsere kurzen Wege optimal zu
nutzen. Wir bilden ja quasi alle Entwicklungsbereiche
des Forschungs- und Ingenieurszentrum (FIZ) von
BMW bei der M GmbH noch einmal ab. Selbstverständlich können wir nicht völlig autark so komplexe
Autos, wie die M-Fahrzeuge, entwickeln. Dazu müssen die Ressourcen des FIZ, der gesamten BMW AG,
bis hin zu den Werken, gebündelt werden.
Gerhard Richter,
Entwicklungsleiter der M
GmbH mit dem neuen BMW
M3: „Wir entwickelten den
neuen M3 in drei Jahren.“
Bilder: BMW
Ja, unsere Fahrzeuge werden in diesen Werken gebaut: der M3 in Regensburg, der M5 in Dingolfing,
M roadster und M coupé in Spartanburg.
Wir definieren im Vorfeld. Bevor wir anfangen, unsere Fahrzeuge in Hardware zu entwickeln, stehen
natürlich die Ziele, die wir definieren, stehen Simulationsrechnungen, um möglichst weit im Vorfeld die
Umfänge, die Risiken und die Aufwendungen abschätzen zu können. Zu dem Zeitpunkt zeichnet sich
schon ab, welche Ressourcen wir vom FIZ oder von
den Werken benötigen. Das definieren wir dann über
so genannte Leistungsvereinbarungen, damit die
ganzen Aufwendungen, die daraus entstehen, diesem
Projekt auch wirklich zugerechnet werden können.
Welche Technologien setzen Sie bei der Entwicklung der MFahrzeuge ein?
Das ist völlig identisch mit den FIZ-Technologien. Wir
arbeiten mit den selben Arbeitsunterlagen und sind
mit den Großrechnern des FIZ verbunden. Die Beschaffung der Serienteile läuft über die selben Beschaffungswege. Im Regelfall haben wir auch identische Lieferanten, sodass die Spielregeln, die technischen Voraussetzungen, die Konstruktionen, die technischen Daten, die dann zur Werkzeugerstellung, zur
Beschaffung führen, 100prozentig kompatibel sind.
Aber sonst gibt es da keine eklatanten Unterschiede in der
Entwicklung?
Durch den Charakter des Fahrzeugs gibt es natürlich
andere Spielräume. Ein Fahrzeug, das im Jahr
250 000 Mal verkauft wird, spricht natürlich eine sehr
viel breitere Schicht an, als ein M-Fahrzeug. Insofern
haben wir es etwas leichter, da das Fahrzeug sehr viel
klarer und sehr viel schärfer positioniert ist.
Was heißt das konkret?
Ein Beispiel: Der M3 gilt als der Sportwagen von
BMW. Und der muss nicht den Geräuschkomfort bieten wie etwa ein 330i. Im Gegenteil: Das will der Kunde gar nicht. Dadurch gestaltet sich der Zielkonflikt
Innenraumgeräusch, Lagerung, Dämmung und so
weiter bei so einem Auto natürlich einfacher.

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