Ein Job für den Haller Transporter – Spedition Kübler rettet

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Ein Job für den Haller Transporter – Spedition Kübler rettet
REPORTAGE
Montag, 22. Juni 2009
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Ein Job für den Haller Transporter
Spedition Kübler rettet hessischem Maschinenbaufabrikanten einen Millionenauftrag
Ohne den sechsjährigen Paul,
den Sohn von Frieder Saam,
hätte die Hessische Firma Richter einen Millionenauftrag verloren. Denn keine Spedition
wollte 300 Tonnen schwere
Gussteile über die Werratalbrücke transportieren – außer die
Haller Spedition Kübler.
RAINER GRILL
Schwäbisch Hall. Der Schwertransport, der in der Nacht zum Sonntag
in Nordhessen über die Autobahn
und Bundesstraßen fuhr, hat eine
Vorgeschichte bis in den vergangenen November. Damals hatte der
hessische Maschinenbaufabrikant
Axel Richter jemand gesucht, der
bis zu 300 Tonnen schwere Gussteile vom Duisburger Hafen ins
Werk nach Hessisch Lichtenau
transportiert. Die Spedition Kübler
in Hall erhielt den Zuschlag für den
Landweg ab Hann.Münden. Wobei
von Zuschlag nicht die Rede sein
kann. Denn kein anderer Spediteur
wusste eine Lösung, wie mit einem
Gesamtgewicht von 500 Tonnen –
das entspricht einem Gewicht von
410 VW-Golf – die Werratalbrücke
befahren werden kann.
„Mir ging das Problem nicht aus
dem Kopf“, erinnert sich Frieder
Saam. Der 44-Jährige ist Fahrer und
Schwertransportspezialist in der
Gelbinger Spedition. Er hatte die
mutmaßliche Transportstrecke abgefahren, aber keinen Lösungsansatz gesehen. „Beim Spielen mit
Paul haben wir Eisenbahnen und
Lastzüge zusammengesetzt – und
da ist es mir spontan eingefallen.“
Sofort ist er noch abends ins Büro
zu Hanne und Heinz Rößler, hat die
mitgebrachten Spielzeugautos auf
den Schreibtisch gelegt und einen
simplen, aber eben noch nie da gewesenen Transportansatz aufgezeigt: Kurz vor der Werratalbrücke
werden seitlich zwölf weitere Achsen so anmontiert, dass das Gewicht exakt auf den Brückenträgern
ruht. „Wir belasten die Brücke mit
103 Prozent“, erklärt Heinz Rößler.
Da hat der Fahrer weniger als zehn
Zentimeter Spiel, wenn er im
Schritttempo drüber fährt.
Bis Frieder Saam am Samstag um
17 Uhr losfahren konnte, haben
sich etliche Ingenieure den Kopf zerbrochen. Axel Richter: „Die Kosten
für die Statikberechnungen überschreiten 100 000 Euro.“ Der eigentliche Transport kostet 80 000 Euro,
für Absperrungen, abgebaute Schilder und Ampelanlagen sind 50 000
Euro vorgesehen. So hat etwa Volker Emmeluths Baufirma an der Anlege- und Umlagestelle zwölf Meter
tiefe Betonpfeiler in den Boden gerammt und eine zwei Meter dicke
Betonplatte drauf gesetzt – damit
die Kaimauer nicht in die Weser
rutscht und die Kübler-Fahrzeuge
und Kräne sicheren Stand haben.
Drei Uhr nachts auf der A 7: Exakt 34 Achsen verteilen ein Gewicht von 500 Tonnen auf eine Breite von mehr als zehn Metern. Dadurch kann die Werratalbrücke mit 103
Prozent belastet werden. Drei LKWs ziehen vorne, einer schiebt hinten – ergibt 2340 PS. Mehr Fotos in der Bildergalerie auf www.hallertagblatt.de Fotos: Grill
Sicherheit war bei dem Transport
groß geschrieben: Detlev Irtenkauf
vom TÜV aus Hall war seit Mittwoch in Hann.Münden, um alle
Fahrzeugelemente zu überprüfen.
Ihm über die Schulter schauten Experten der Polizei. Oberkommissar
Lutz Schulz von der Polizeidirektion Hannover: „Wir kontrollieren
Bremsen, Reifen, Zugverbindung,
Achslasten und das Gesamtgewicht." Immer mit dabei: Thorge
Clever, Projektleiter der Spedition.
Das Gussteil kommt aus einem
Frieder Saam misst immer wieder nach,
bevor er sich ans Steuer setzt.
Schildermasten, die stören, werden einfach abgeflext.
Stahlwerk in Sheffield (England).
Die Maschinenfabrik Richter (200
Beschäftigte) in Hessisch Lichtenau
ist das einzige Unternehmen in
Deutschland, welches Gussteile dieser Dimension bearbeiten kann.
„Wir bohren und fräsen zehn Wochen im Drei-Schicht-Betrieb“, sagt
Firmenchef Richter. Im August
bringt die Spedition Kübler den Rohling wieder zurück zur Anlegestelle
nach Hann.Münden. Von dort wird
das Teil in die Saarschmiede Völklingen transportiert, wo die größte
Schmiedepresse Europas entsteht.
Wenige hundert Meter, nachdem
Frieder Saam mit seiner 600-PS-Zugmaschine losgefahren ist, steht ein
Stopp an: Der 240 Tonnen Koloss
wird hydraulisch angehoben, Saam
zieht den Tieflader raus und manövriert ihn vor Hunderten von Schaulustigen schräg wieder drunter.
Grund: So wird die Last besser verteilt. Der acht Meter messende
Stahlkoloss ragt beiderseits über
den drei Meter breiten Tieflader.
Danach geht es im Konvoi durch
die Stadt. Michael Weber, der in seinem grünen Kübler-Truck voraus
fährt, grüßt die langen Reihen von
Zuschauern am Straßenrand mit seiner Lkw-Fanfare. Wenn Saam auf
den Zentimeter genau fahren muss,
teilweise sogar vorwärts und rückwärts rangieren muss, um Bäume
am Straßenrand zu umfahren, quittieren dies die Schaulustigen mit
spontanem Beifall. Bis zur Autobahn zieht Saam den Tieflader, Jürgen Schwarz schiebt mit seinem
Lkw. Die Autobahn A7 ist in Richtung Kassel komplett gesperrt, als
der Konvoi an der Auffahrt HedeDas Stahlseil wird entfernt, Saam
münden auf sie einbiegt.
wieder direkt an die Deichsel geNun tickt die Uhr noch schneller
hängt. Dazu kommen Jörg Ohr und
als zuvor. Jeder im 25-köpfigen KübMichael Weber mit ihren Zugmaler-Team weiß, wo er anzupacken
schinen. 2340 PS ziehen und schiehat. An die Scheuerle-Tieflader aus
ben das Gesamtgewicht von 500
Pfedelbach werden spezielle StahlTonnen nun locker den Berg hinauf.
konstruktionen von Greiner aus
Nach insgesamt vier AutobahnNeuenstein geschraubt, damit sich
brücken baut das Kübler-Team die
das Gewicht auf die 34 Achsen verSpezialträger und die seitlichen Achteilt. Der Tieflader wird so von drei
sen wieder ab. Die Mittelleitplanke
auf 10,30 Meter verbreitert. Weil die
ist abmontiert, Saam kreuzt die AuBrücke an die Grenzen des techtobahn und biegt auf die Ausfahrt
nisch Möglichen belastet wird,
Kassel-Ost ein. Danach fährt er zümuss
Frieder
Saam den Tieflader mit 30 Meter
Abstand ziehen:
Ein Stahlseil wird
statt der Deichsel
eingespannt.
Auf Lärmschutzwällen und auf Autobahnüberwegen
stehen tausende
von
Schaulustigen. Selbst bei Nieselregeln
und
Kälte harren sie
zwei, drei Stunden Wenn es um Millimeter geht, erhält der Fahrer Kommandos
aus, bis der Küb- übers Funkgerät.
ler-Konvoi
erscheint. Denn unterwegs müssen
gig nach Hessisch Lichtenau zur
Verkehrsschilder abgeflext, muss
Firma Richter, wo um 9.35 Uhr für
auf der Autobahn einer von 272 Reialle ein Frühstück bereit steht.
fen gewechselt werden – TÜV-ExNach dem Transport ist vor dem
perte Irtenkauf kontrolliert das GeTransport: Im September kommt
fährt nach jedem Umbau, zeichnet
aus Sheffield erneut ein großes
für die Verkehrssicherheit ab.
Gussteil an, dieses Mal allerdings
Nach der Brücke steht eine achtein Viertel schwerer als vergangeprozentige Steigung an. Für Saams
nes Wochenende. Den TransportaufZugmaschine und Schwarz’ LKW
trag hat erneut die Spedition Kübler
als Schubfahrzeug ist dies zu viel.
erhalten.
TÜV-Experte Detlev Irtenkauf: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist sicher.
Das Verzurren der Ladung ist harte Arbeit.