2.1 Wissenswertes über Schuldner

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2.1 Wissenswertes über Schuldner
PRAXISHANDBUCH GLÜCKSSPIEL
2.1
Wissenswertes über Schuldner- und Insolvenzberater
R. Mesch (abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von http://www.insolvenz-ratgeber.de)
Im Fernsehen sind sie die „Super-Daddies“ der Nation, stehen im Scheinwerferlicht des Reichstags,
kommen spontan zum Hausbesuch, begleiten bei unangenehmen Bank- oder Behördengesprächen,
finden einen Käufer für eine Bauruine, werden von den Schuldnern zur Konfirmation deren Kinder
eingeladen und schenken ihnen dicke Sparschweine… Leider erleben wir das aber nur in der schönen
neuen Welt der Doku-Soaps, die mit der Realität wenig zu tun hat. Der Alltag der Schuldnerberater
und Schuldnerberaterinnen (im Folgenden wird aus Vereinfachungsgründen nur die männliche
Schreibweise verwendet), welche auch im Rahmen der Verbraucherinsolvenz tätig werden können, ist
wesentlich unspektakulärer.
Sie sind primär „Schreibtischtäter“, zu Hausbesuchen (die zu umfassenden Einblicken in die Lebenswelt der betreuten Schuldner manchmal durchaus sinnvoll sein könnten) haben sie nur in Ausnahmefällen Zeit. Schuldnerberater sind in der Regel bei kommunalen Arbeitgebern oder Wohlfahrtsverbänden angestellt, vereinzelt auch bei Verbraucherzentralen oder anderen gemeinnützigen Organisationen. Man schätzt, dass gegenwärtig ca. 1.100 spezialisierte Schuldnerberatungsstellen bundesweit
existieren. Wer dort nachfragt, muss in der Regel mit Wartezeiten von mehreren Wochen oder gar
Monaten rechnen (außer es handelt sich um akute Krisensituationen wie Kontopfändungen oder Mietkündigungen bzw. Stromsperren, angedrohte Zwangsräumungen, Suizidversuche etc.). In der Regel
sind diese Einrichtungen kostenlos. Mit diesem Merkmal grenzen sich auch seriös arbeitende Stellen
gegenüber kommerziellen Anbietern ab, welche vielfach nur das Geschäft mit der Armut im Sinn haben und großspurig mit Anzeigen in Wochenblättern und Werbezeitschriften ihre Dienste als „Insolvenz-Helfer“ oder „Schuldenverwalter“ anbieten. Leider ist die Berufsbezeichnung „Schuldnerberater“
oder gar „Insolvenzberater“ nicht rechtlich geschützt. War bis vor einigen Jahren die Trennlinie zwischen guter Beratung und geschäftstüchtiger Abzocke noch leicht zu ziehen, so hat sich die Angebotspalette auf diesem Markt durch das Auftreten ehemals abhängig beschäftigter Schuldnerberater
weiter differenziert, welche nunmehr selbständig im Bereich der Insolvenzberatung gegen Entgelt
Dienstleistungen offerieren.
Schuldnerberatung ist eine noch recht junge Profession, die erste Stelle dieser Art wurde vor 30 Jahren geschaffen. Seit vielen Jahren sind bereits Bestrebungen der Wohlfahrtsverbände im Gange, ein
einheitliches Berufsbild zu konzipieren. Auch gibt es bereits detaillierte Funktions- und Tätigkeitsbeschreibungen, bezüglich mancher Einzelfragen fehlt allerdings noch der notwendige Konsens.
Schuldnerberatung hat sich als Arbeitsfeld der sozialen Arbeit etabliert. Dort wurde erstmals in den
1970er Jahren Verschuldung als gesellschaftliches Problem erkannt und in der Öffentlichkeit thematisiert. Die sprunghafte damalige Vergabe von Verbraucherkrediten und erste wirtschaftliche Krisensituationen mit beginnender Arbeitslosigkeit führten erstmals zu dem (heutzutage schon als „gesellschaftsfähig“ angesehenen) Phänomen der Dauer-Überschuldung weiter Bevölkerungskreise. Alsbald
setzte ein Boom in Ausbau der Schuldnerberatung ein, welcher allerdings trotz der bis vor wenigen
Jahren stark zunehmender Arbeitslosenquote derzeit wieder leicht rückläufig ist.
Schuldnerberatung als Arbeitsfeld der sozialen Arbeit setzt i.d.R. als Grundausbildung ein Studium der
Sozialpädagogik voraus. Einige Schuldnerberater kommen aber auch aus anderen Berufsfeldern (Juristen, Kaufleute, Ökotrophologen) oder verfügen gar über eine Doppelausbildung. Aus Sicht der Sozialarbeit ist bei Verschuldung eine ganzheitliche Sichtweise notwendig, welche sich nicht ausschließlich auf die Regulierung der finanziellen Fragen richten sollte. Man geht davon aus, dass Verschuldung häufig weitere Probleme verursacht (z.B. in der Ehe, am Arbeitsplatz, bei der Teilnahme am
kulturellen Leben) und gravierende Selbstwert- und Statusprobleme zur Folge haben kann. Der von
den Gläubigern bei der Forderungsbeitreibung ausgeübte Druck sowie die Konfrontation mit gerichtliIII Vertiefung spezifischer Aspekte
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chen Schreiben lösen zusätzlich stark belastende Verunsicherungen und Ängste bei Schuldnern aus.
Schuldnerberatung bedarf zur sozialpädagogischen Grundausbildung einer Vielzahl von juristischen
und kaufmännischen Zusatzkenntnissen. Allerdings gibt es derzeit weder eine geregelte Ausbildungsordnung noch ein einheitliches Fortbildungskonzept. Auch sind die einzelnen Beratungsstellen personell unterschiedlich ausgestattet. Während z.B. im Flächenstaat Bayern viele kleine 1- oder 2Personen-Einrichtungen dominieren, gibt es im dicht besiedelten NRW mehrere große Beratungsstellen mit Angeboten zu Prävention, Online-Beratung oder Ehrenamtlichen-Einsatz. Die finanzielle Förderung für den Bereich Schuldnerberatung wird über die jeweiligen Kommunen in Form einer Pauschalfinanzierung oder per Einzelfallabrechnung gewährleistet. Für die Finanzierung der Insolvenzberatung hingegen sind die jeweiligen Länderhaushalte zuständig, deren Fördersysteme entsprechend
uneinheitlich sind. Die einzelnen Bundesländer legen auch die Voraussetzungen für die Anerkennung
einer Insolvenzberatungsstelle fest. Meist wird eine bisherige dreijährige Berufserfahrung vorausgesetzt sowie die Sicherstellung einer juristischen Begleitung. Die Aufgabenstellung der Insolvenzberatungsstellen liegt in der Hilfe bei der Durchführung des außergerichtlichen Einigungsversuches und
bei der Antragstellung.
Einen wesentlichen Teil der Schuldnerberatung nimmt (unabhängig von der evtl. später notwendigen
Einleitung eines Insolvenzverfahrens) bereits am Anfang die Budgetanalyse ein, d.h. die monatlichen
Einnahmen und Ausgaben des Schuldners werden gegenüber gestellt und der zum Lebensunterhalt
verbleibende Teil ermittelt. Ziel dieser Erhebung ist es, erkennen zu können, wie (un)ausgewogen
dieser Haushalt ist, welche möglichen Schwachstellen er hat (z.B. unsinnige Versicherungsverhältnisse, hohe Ausgaben für Rauchen, teure „Extras“) und wie es bei dieser Konstellation überhaupt um die
Rückzahlungsfähigkeit bestellt ist. Dem Schuldner, der häufig diverse Kleinstratenzahlungen vereinbart (und dann doch nicht einhalten kann), soll hierbei realistisch aufgezeigt werden, wie es um seine
tatsächlichen Möglichkeiten steht. Dies kann im Einzelfall für den Betroffenen ernüchternd, aber auch
entlastend sein (z.B. wenn auch ein Außenstehender anerkennt, dass bei Bezug von ALG II i.d.R.
keine Kreditraten mehr zurückgeführt werden können und müssen). Wenn keine Rücklagen mehr
bestehen (oder durch Nachhaken des Beraters „entdeckt“ werden), Einsparpotentiale bereits ausgeschöpft sind oder keine Einkommenssteigerung durch einen Nebenjob möglich ist, bleibt oft die bittere
Erkenntnis, dass ein ständiges „Löcher-Stopfen“ wie bisher nicht weiterhilft. Haben Schuldner langfristig über ihre Verhältnisse gelebt, muss oft auch prinzipiell die Frage nach der Machbarkeit von Konsumwünschen gestellt werden.
Der zweite Beratungsstrang liegt in der Analyse der Schuldverhältnisse. Dies hört sich sehr einfach
an, entpuppt sich aber im Arbeitsalltag oft als schwieriger als gedacht. Einige Schuldner kommen zwar
mit der deutlichen Erwartung, ein Insolvenzverfahren anzustreben, wissen allerdings nicht mehr, wer
eigentlich ihre Gläubiger sind, da ihre Unterlagen im Laufe der Zeit „verloren gegangen“ sind. Andere
wiederum verfügen zwar Schriftverkehr en masse, aber dieser ist völlig unsortiert und teils noch in
geschlossenen Briefkuverts oder durchmischt mit Werbebriefen. Nicht jeder ist sich darüber klar, was
eigentlich unter „Verschuldung“ zu verstehen ist. So erachten manche Personen ein bis zum Dispolimit ausgereiztes Girokonto oder noch laufende Versandhausraten nicht als Schulden (ebenso verhält
es sich umgekehrt z.B. auch bei Rücklagen in Form von Lebensversicherungen, deren tat-sächlicher
Rückzahlungswert nur den wenigsten bekannt ist). Bevor also Einzelregulierungen oder ein mögliches
Insolvenzverfahren erwogen werden, müssen die Berater mit den Betroffenen erst einmal die konkrete
Verschuldungssituation abklären. Dabei ist auch genau zu prüfen, ob nicht Rückstände bei der Miete
oder beim Stromanbieter bestehen, welche (ebenso wie die Rückzahlung von Geldstrafen etc.) vorrangig zu behandeln sind. Bereits in dieser Phase erhalten die Schuldner erste Arbeitsauf-träge wie
die eigenständige Einholung einer Schufa-Auskunft. Aber auch das mühselige Ordnen der Unterlagen
bleibt nach dem „Hilfe zur Selbsthilfe“-Prinzip der Sozialarbeit dem Schuldner meist selbst überlassen.
Sobald eine Gläubigerübersicht vorliegt, wird er befähigt, seine Gläubiger mit Hilfe eines Musterbriefs
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anzuschreiben und eine detaillierte Forderungsaufstellung einzuholen (deren Prüfung dem Schuldnerberater obliegt). Ein pädagogisch orientierter Berater wird seine Klienten begleiten und in ihren Eigenaktivitäten unterstützen, anstatt ihnen zu viel Verantwortung abzunehmen.
Sollte ein Insolvenzverfahren unumgänglich sein, ist es Aufgabe des Schuldnerberaters im Rahmen
des gesetzlich vorgeschriebenen außergerichtlichen Einigungsversuches, ein geeignetes Angebot mit
dem jeweils Betroffenen zu erarbeiten und dies schriftlich rechtsverbindlich auszuformulieren. Es kann
(im Glücksfall!) ein über die Verwandtschaft zur Verfügung gestellter Einmalvergleichsbetrag sein,
meist handelt es sich aber um monatlich oder jährlich fest vereinbarte Ratenbeträge zur Aufteilung an
die einzelnen Gläubiger. Dabei gilt es, perspektivisch zu denken und ggfs. auch Schuldner davon
abzuhalten, auf Dauer unrealistische Raten anzubieten, nur um Gläubigerwünsche zu erfüllen. Sind
die finanziellen Verhältnisse in den kommenden Jahren voraussichtlich Änderungen unterworfen,
empfiehlt sich eher ein flexibel gestalteter Schuldenbereinigungsplan. Dem hohen rechtlichen Informationsbedürfnis der Schuldner wird nicht nur im individuellen Einzelgespräch, sondern (insbesondere in
den Beratungsstellen der Großstädte) auch in Form von ausführlichen Gruppeninformationsveranstaltungen Rechnung getragen. Mancherorts werden kompetente Schuldner auch mittels Musterbriefen
dabei angeleitet, ihre außergerichtlichen Verhandlungen selbst zu führen, was ebenfalls wesentlich
zur Stärkung der Eigenverantwortung beiträgt.
Lassen sich die Gläubiger nicht auf die finanziell noch erfüllbaren Kompromissvorschläge ein, bleibt
häufig nur der Gang zum Insolvenzgericht. Wer den Antrag auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens (sowie den 11 Seiten dicken Erläuterungsbogen) zum ersten Mal liest, fühlt sich erschlagen von einer Unmenge bisher unbekannter Rechtsbegriffe (was sind eigentlich „Sicherungsrechte“?) und schwieriger Detailfragen (z.B. was ist der Unterschied zwischen „Hauptforderung“ und
„Gesamtforderung“ und was bedeutet „berechnet bis“?). Selbst für einen nicht ganz finanzunkundigen
Laien ist es schier unmöglich, sich in diesen Bürokratie-Dschungel zurechtzufinden, er braucht dazu
einen kenntnisreichen „Lotsen“. Ansonsten verheddern sich Schuldner ohne sachkundige Hilfe häufig
in Detailfragen (z.B. was bedeuteten „Sicherungsrechte Dritter“ beim Bargeld, wo liegt der Unterschied
zwischen „gepfändet“ und „verpfändet“?) – oder sie geben einfach mittendrin auf. Die vollständige und
korrekte Antragfertigstellung erfordert häufig einen abschließenden Kraftakt in der Zusammenarbeit
zwischen Berater und Schuldner. Schließlich müssen alle Angaben perfekt stimmen, um die geplante
Restschuldbefreiung nicht zu gefährden.
Wird das Verfahren dann eröffnet und ein Treuhänder eingesetzt, ist i.d.R. die Hauptarbeit für den
Schuldnerberater erledigt. Er wird sich an seinem Schreibtisch seinem nächsten Insolvenzfall zuwenden. Infolge der hohen Nachfrage wird ihm die Arbeit auch auf lange Sicht nicht ausgehen. Den
Reichstag sieht er höchstens, falls er mal Urlaub in Berlin macht. Zur Konfirmation von SchuldnerKindern wird er auch nie eingeladen. Und da sein Job nur im Mittelbereich des TVöD entlohnt wird,
braucht er auch sein Sparschwein für sich selbst.
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