Tödlicher Staub Coca

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Tödlicher Staub Coca
Coca
Tödlicher Staub
“Plan Colombia”, Coca und Kokain in Kolumbien
Frühjahr 2001 – zäher Unkrautvernichtungsnebel legt sich auf die Cocasträucher am Putumayo in
Südkolumbien und hinterläßt eine weiße Staubschicht. Sie ähnelt ironischerweise dem Kokain, dessen
Produktion die Plantage dient. Schon Tage darauf sterben sämtliche Pflanzen ab. Zurück bleiben
Felder, die wie abgebrannt aussehen. Die fliegenden Giftspritzen sind Teil des von den USA mitfinanzierten “Plan Colombia”, der auf die Vernichtung aller Cocaplantagen in Kolumbien abzielt.
Modernste Aufklärungstechnik zeigt den Sprühflugzeugen zwar ihr Ziel genau an, vom Wind getrieben wird
ihre Fracht jedoch unkalkulierbar. Die verwehten
Giftwolken gelangen auch auf Kaffee-, Bananen- und
Maniokfelder und dringen bis in die ärmlichen Hütten der
Kleinbauern vor. Durchfall, Fieber, Hautausschläge und
Atemprobleme machen vor allem den Kindern schwer zu
schaffen. Die vernichtete Ernte zwingt die Familien
weiterzuziehen und neuen Wald zu roden.
Archäologische Funde zeigen, dass die aus den tiefgelegenen
Bergwäldern der Anden
dem AmazonasCoca
– jahrtausende
alte und
Kulturpflanze
gebiet stammenden Coca-Sträucher (Erythroyxlum coca
und E. novogranatense) schon vor mehr als 5000 Jahren
für rituelle Zwecke angebaut wurden. Die heilige Pflanze
der Inca wird auch heute noch in den Anden Perus und
Boliviens als Opfer für die Berggötter (Apus) in jeder
bedeutenden Zeremonie verwendet und dient zum
Wahrsagen. Als Nahrungsmittel deckt eine Portion
Cocablätter den täglichen Bedarf an vielen Vitaminen und
Mineralstoffen – eine wichtige Ergänzung der sonst
stärkereichen Kost in den Hochanden. In Peru, Bolivien
und Teilen Argentiniens wird Coca nach wie vor legal
angebaut und traditionell genutzt.
Kokainproduktion – Von den Südanden
nach Kolumbien
In Bolivien und Peru erlebte auch der illegale Coca-Anbau
zur Gewinnung von Kokain seit Mitte der 70-er Jahre
einen ungeheuren Boom. Zwischen 1970 und 1987
wurden allein in Peru mehr als 900.000 Hektar Regenwald gerodet, um für Coca-Monokulturen Platz zu
schaffen – 30 Prozent der insgesamt entwaldeten Fläche.
Durchschnittlich werden zwei bis vier Hektar Regenwald
zur Anlage eines Hektars Coca zerstört.
Coca
Coca-Tee hilft gegen Höhenkrankheit wie INKA-Mitglieder seit
dem Kongress in Cusco aus
eigener Erfahrung wissen.
Für die Produktion von eines Kilos Coca-Paste, dem
Ausgangsprodukt für Kokain, werden drei Liter Schwefelsäure, 80 Liter Petroleum, zehn Kilo Kalk, ein Liter
Ammoniak und 200 Gramm Natriumpermanganat
verbraucht. Der Chemikalienabfall wird gewöhnlich in
den nächstgelegenen Bach geleitet. Anfang bis Mitte der
90-er Jahre brach die illegale Produktion in den Südanden
zusammen. Was als Erfolg des Plan Colombia gefeiert
wurde, hatte jedoch zwei einfache Gründe: Im Hauptanbaugebiet gingen viele Kulturen durch natürliche Pilzinfektionen (Fusarium oxysporum) zugrunde. Zusätzlich
verlagerte sich der Anbau nach Kolumbien, wo billiger
produziert werden konnte. Dort hatte das Ende des
Internationalen Kaffeeabkommens 1989 viele Kleinbauern in ein finanzielles Desaster geführt. Der Kaffeepreis
fiel so stark, dass der Anbau dieses Genussmittels den
Lebensunterhalt nicht mehr sichern konnte. Der Anbau
anderer legaler Nutzpflanzen bot kaum eine Alternative,
da die Produktionskosten über den am Markt erzielten
Preisen lagen. Der Anbau von Coca erbringt dagegen mit
etwa 140 US-Dollar im Monat und Hektar mehr als ein
kolumbianisches Mindesteinkommen – und dies bei
einem sicheren Absatzmarkt.
Roundup in einer Dosierung von maximal vier bis sechs
Liter pro Hektar verwendet werden. Zur Zerstörung der
zähen Cocasträucher wird eine viel höhere Konzentration
eingesetzt, die den in den USA geltenden Grenzwert um
bis das Hundertfache übersteigt. Um die Effizienz der
Aktion zu verbessern wird seit 1998 “Roundup Ultra”
verwendet, das neben Glyphosphat weitere Chemikalien
enthält. Beigegeben werden zusätzliche Stoffe kolumbianischer Produktion, die das Herbizid besser an Blätter
binden und seine Windverfrachtung verhindern sollen.
Diese Chemikalien sind weitaus toxischer als der Hauptwirkstoff. Über Langzeitwirkungen ist nichts bekannt.
Allein die Kostenbeteiligung der USA am Plan Colombia
(ca. 1,65 Milliarden US-Dollar) übersteigen die Mittel für
Aufklärungsprogramme und aktive Drogenhilfe in den
USA um das Dreiundzwanzigfache.
Plan Colombia und seine Folgen
Die chemische Bekämpfung des Coca-Anbaus muss als
Fehlschlag bewertet werden, da sich die Anbaufläche seit
Beginn der Aktion 1992 mehr als vervierfacht hat. Die
Sprühaktionen schaden nicht nur der Umwelt und
Gesundheit der Bevölkerung, sondern verstärken auch die
Waldzerstörung. Viele Kleinbauern müssen ihre vergifteCoca-Ausrottung und Regenwaldschutz
ten Felder verlassen, um neue Acker- und Coca-Flächen
Auf den ersten Blick scheint der Coca-Anbau an sich der zu roden. Andererseits ergibt sich für Bauern in nicht
Hauptgrund für die fortschreitende Entwaldung in
besprühten Gebieten ein hoher Anreiz ihre Produktion
Kolumbien zu sein. Kann also der Plan Colombia – die
auszuweiten, um den Ausfall an Coca-Anbaufläche
vollständige Ausrottung aller Coca-Kulturen – dazu
auszugleichen. Auch Kolumbiens Nachbarland Ecuador
beitragen, Wald zu erhalten?
leidet immer mehr unter dem Gifteinsatz. Im Grenzbereich wurde im Sommer 2001 die Ernte großflächig durch
Seit Beginn der Sprühaktionen 1992 wurden in Kolumbi- windverfrachtete Herbizide zerstört. Flüchtlinge aus
Weitere Informationen unter:
en bereits mehr als drei Millionen Liter Unkrautvernich- Kolumbien beginnen die bislang intakten ecuadorianischen
www.tni.org
tungsmittel (vor allem “Roundup” von Monsanto)
Wälder an der Grenze zu roden. Die Tourismusindustrie,
www.usfumigation.org
ausgebracht. Dieses Herbizid wird gegen Unkräuter
bislang eine Haupteinnahmequelle der Bevölkerung im
www.usinfo/state.gov
weltweit eingesetzt, und bringt potenziell jede Pflanze
ecuadorianischen Putumayogebiet an der Grenze zu
Unter www.mamacoca.org
zum
Absterben.
Der
Hauptinhaltsstoff
Glyphosphat
Kolumbien, kam fast völlig zum Erliegen. Ihrer Existenzfinden Sie eine internationale
selbst
ist,
in
vorgeschriebener
Konzentration
eingesetzt,
grundlage beraubt bleibt auch den Kleinbauern in Ecuador
Protestaktion gegen den “Plan
verhältnismäßig
ungiftig,
und
wird
von
Bodenorganismen
wenig mehr, als sich selber auf den Anbau von Coca zu
Colombia”.
schnell abgebaut. Zirka sechs Monate nach Einsatz
konzentrieren.
sollen 90 Prozent der Chemikalie abgebaut sein. EntwikCoca-Ausrottung – Desaster ohne Ende?
kelt für Gräser und andere “weiche” Unkräuter soll
Selbst wenn es gelänge Coca in Lateinamerika völlig – und
damit auch einen wesentlichen Teil indigener Kultur – zu
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zerstören, wäre der Kokainmarkt nur kurzfristig getroffen, denn der Coca-Strauch wurde bereits in Südostasien
und Afrika erfolgreich angebaut. Eine Lösung für diesen
Teufelskreis kann nur gefunden werden, wenn den
Kleinbauern andere Möglichkeiten geboten werden
langfristig einen sicheren Lebensunterhalt zu verdienen.
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Hierzu werden Alternativen benötigt, bei deren EntwickUD WN lung die lokale Bevölkerung von Anfang an mit einbezo&RFD$QEDXIOlFKH
H+ gen werden muss. Eine manuelle Zerstörung illegaler
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Coca-Felder sollte dann erlaubt werden. Wichtigste
Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall ein sofortiges Ende
der Sprühkampagne.
Verantwortlicher:
Dr. Rainer Bussmann, inka-info November 2001