Trügerische Sicherheit in Hengelo

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Trügerische Sicherheit in Hengelo
Trügerische Sicherheit in Hengelo
Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Bertha, Else und Manfred Hess
Von Jann Weber
OSNABRÜCK. In Hengelo
fühlten sie sich sicher. Manfred und Else Hess hatten ihr
Zuhause am Kamp in Osnabrück aufgegeben und waren
in den Jahren 1933 und 1934
in die Niederlande gezogen.
Später floh ihre Tante Bertha
zu ihnen. Doch dann verfolgten die Nationalsozialisten
auch dort die Juden. Die Familie Hess gehörte zu den
Opfern der Massenmörder.
Ein wahrer Albtraum
Manfred Hess kam in Osnabrück zur Welt, er wurde
Kaufmann und Angestellter
bei seinem Vater Jonas in
Lüstringen, der mit Rohprodukten und Metallen handelte. Später arbeitete er für eine
Firma außerhalb von Osnabrück. 1922 heiratete er seine
Frau Else, die aus Diepholz
stammte. Sie lebten am
Kamp 16. Im selben Haus
wohnte auch Bertha Hess, eine verwitwete Tante von
Manfred.
Als 1933 Hitler an die
Macht kam, begann für Ju-
den ein Leben wie in einem
wahr werdenden Albtraum.
Dass die Regierung ihnen einige Jahre später sogar nach
dem Leben trachten würde,
war zunächst kaum vorstellbar. Doch haben Manfred
und Else Hess offenbar früh
geahnt, dass sie sich in Sicherheit bringen mussten.
Zuerst zog im August 1933
die Ehefrau nach Hengelo,
im Juli 1934 folgte dann ihr
Mann.
1935 verließ auch Bertha
Hess Osnabrück. Wie Martina Sellmeyer, Autorin des Buches „Stationen auf dem Weg
nach Auschwitz“, berichtet,
zog sie nach Hannover, wo einer ihrer beiden Söhne lebte.
Der andere wohnte in Nienburg. Schließlich emigrierte
auch Bertha Hess nach Hengelo.
„Sie wähnten sich schon in
Sicherheit.“ So formulierte es
Michael Gander von der Gedenkstätte Augustaschacht
während der Stolpersteinverlegung. Doch während des
Zweiten Weltkrieges holte
der Albtraum die Familie
auch in ihrem neuen Zuhau-
Kamp 16: Hier lebten Manfred Hess, seine Frau Else und seine Tante Bertha. NationalsoziaFotos: Gert Westdörp
listen verfolgten und ermordeten sie, weil sie Juden waren.
se ein. 1940 überfielen die
Nationalsozialisten
das
Nachbarland und begannen
dort im Rassenwahn ihre
Jagd auf Juden.
Im November 1942 ver-
schleppten die Nationalsozialisten erst Else Hess – zunächst in ein Durchgangslager, das sie in Westerbork
eingerichtet hatten, dann ins
Vernichtungslager
nach
Stolpersteine in Osnabrück
Messingplatten in
den Gehwegen erinnern an Opfer des Nationalsozialismus –
jeweils vor den Wohnoder Wirkungsstätten
der Juden, Sinti, Deserteure, Menschen,
die aus politischen
und religiösen Gründen, wegen ihrer sexuellen Orientierung,
einer psychischen Erkrankung oder einer
Behinderung verfolgt
und ermordet wurden. Der Kölner
Künstler Gunter
Demnig ist Initiator
des Projekts Stolpersteine, dem sich europaweit mehrere Hundert Kommunen angeschlossen haben:
außer in Deutschland
weitere in Ländern
wie Österreich, Ungarn, Italien, Tschechien, Polen, Belgien,
Norwegen, den Niederlanden und in der
Ukraine. Paten der
Stolpersteine am
Kamp 16 sind Ursula
Lindenau (für Bertha
Hess), Jörg Rode-
feld-Zurmühlen (für
Manfred Hess) sowie
Betim Ukaj und Carsten Ziegert. Das Büro
Jutta und Anton
für Friedenskultur
Große (für Else Hess). nimmt für weitere
Verlegt wurden die
Gedenktafeln gern
Gedenksteine von
Hinweise von ZeitSchülern des Berufs- zeugen über das
schulzentrums am
Schicksal von Opfern
Westerberg: André
des NS-Regimes entBeste, Jan Buddenkgegen. Die Telefonotte, Robin-Stephan
nummer lautet
Dirks, René Oechel,
05 41/3 23-22 87. jweb
Auschwitz. Noch im selben
Monat wurde sie ums Leben
gebracht.
Als Nächste geriet Bertha
Hess in die Fänge ihrer Verfolger, die sie im April 1943 im
Konzentrationslager Sobibor
töteten. Im Mai 1943 ermordeten die Nationalsozialisten
auch Manfred Hess, der ebenfalls erst in Westerbork gefangen gehalten wurde und dann
in einen Zug nach Sobibor
steigen musste. Wenige Tage
später war er tot.
Die Angst vor den Nationalsozialisten muss Manfred,
Else und Bertha Hess ein
Jahrzehnt lang begleitet haben – beginnend am Kamp
16, wo seit einigen Wochen
drei Stolpersteine an sie erinnern.

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