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Naturheilkunde GESUNDHEIT Foto: Bildagentur online Pille ade Die Pille gilt zu Unrecht als das sicherste Verhütungsmittel. Richtig angewendet verhindern natürliche Verhütungsmethoden eine ungewollte Schwangerschaft genauso gut – und das ohne Nebenwirkungen. Text: Markus Kellenberger O b Sex Sünde ist, steht hier nicht zur Debatte. Auch nicht, ob Enthaltsamkeit das Beste aller Verhütungsmittel darstellt, denn Tatsache ist: Die grosse Mehrheit der Erwachsenen hat Sex – und das meistens darum, weil es Spass macht, und nicht in erster Linie um ein Kind zu zeugen. Und das ist nicht neu: Eine 30 000 Jahre alte Felsmalerei in der Dordogne in Frankreich zeigt einen Menschen, der über seinem Penis eine Art Kondom trägt. Die Forscher sind sich zwar nicht ganz sicher, ob ihre Interpretation stimmt, legen aber Wert darauf, dass sie auch nicht völlig auszuschliessen sei. Die Tricks der alten Ägypter Eindeutig belegt ist hingegen, dass die alten Ägypter sich Sorgen um unerwünschten Nachwuchs machten. In einem fast 4000 Jahre alten Papyrus haben sie unter anderem eine Tampon-Rezeptur beschrieben, die eine Schwangerschaft verhindern soll. Das Rezept bestand aus fein zerriebenen Akazienspitzen, vermischt mit einem Dattel- und Honigbrei. Das Ganze wurde auf einen Faserbausch gestrichen und in der Scheide vor dem Muttermund platziert. Und das Beste daran: Das ägyptische Urrezept muss genützt haben, denn der klebrige Tampon war nicht nur eine mechanische Barriere für das Sperma, er lähmte die Spermien auch. Akazienknospen enthalten nämlich Stoffe, die in der Scheide zu Milchsäure vergoren werden – und Milchsäure beeinträchtigt die Beweglichkeit der einzelnen Spermien, das heisst, sie wirkt spermizid und ist deshalb noch heute Bestandteil mancher Verhütungsgelées. Natürlich | 9-2006 47 GESUNDHEIT Naturheilkunde Foto: cbas «Gefundenes Fressen» für Pillenhersteller Diaphragma: Wird zusammen mit einem spermizidem Gel eingesetzt, indem es über den Muttermund gestülpt wird (rechts) Natürliche Verhütungsmethoden sind also schon lange in Gebrauch. Länger jedenfalls als die Pille, die erst vor rund 40 Jahren ihren Siegeszug begann und mittlerweile in der westlichen Welt als das am häufigsten angewendete Verhütungsmittel gilt. Dies hauptsächlich aus zwei Gründen: Ihre Anwendung ist einfach und sie gilt als absolut sicher – zumindest in der Theorie. Bedingt durch Einnahmefehler oder beeinträchtigt in ihrer Wirkung durch Krankheiten und andere Medi-kamente ist ihre Sicherheit in der Praxis jedoch nicht grösser als die vieler natürlicher Methoden. Aber das hängt die Pharmaindustrie nicht gern an die grosse Glocke – ebenso wenig die Nebenwirkungen der Pille. Schliesslich macht sie mit dem Produkt gutes Geld. Die Unterdrückung des Eisprungs durch die in der Pille enthaltenen Hormone ist nämlich nicht harmlos. Sie lösen bei vielen Frauen unerwünschte Symptome wie Zwischenblutungen, Migräne, Gewichtszunahme, Übelkeit und Brustspannen aus. Ganz abgesehen davon, dass die Pille im Verdacht steht, Brustkrebs auszulösen und das Risiko für einen Herzinfarkt zu erhöhen. Praktisch dasselbe gilt für alle andern Verhütungsmittel auf Hormonbasis, wie gewisse Spiralen, die Drei-Monats-Spritze, der Verhütungsring und die unter der Haut platzierten Verhütungsstäbchen. «Frauen sind für die Pillenhersteller ein gefundenes Fressen», meint dazu Lilo Weibel vom Frauenberatungszentrum in Bern und spitzt ihre Aussage ironisch zu: «Ab 14 verkaufen sie ihnen die AntibabyPille, dann die Pillen gegen die Nebenwirkungen und nach den Wechseljahren noch Tabletten gegen Osteoporose.» Sicherheit hängt von Beratung ab Unabhängig von der Pharmaindustrie berät Lilo Weibel seit über 17 Jahren Frauen und Paare zum Thema Verhütung, Geburt und Familie. Grundsätzlich hat Grafik: Kessel-Marketing Portiokappe: Sie ist kleiner als das Diaphragma aber ebenfalls sehr sicher das Team des Frauenberatungszentrums dabei die Erfahrung gemacht, dass richtig angewandte natürliche Verhütungsmethoden der Sicherheit der Pille in der Regel in nichts nachstehen. Im Gegenteil, sie sind der Pille sogar überlegen, denn: «Natürliche Methoden sind frei von Nebenwirkungen», betont Weibel. Das gelte sowohl für die so genannten Barrieremethoden (dazu zählen Kondom und Diaphragma) als auch für die meisten der auf der Beobachtung des weiblichen Zyklus beruhenden Methoden der natürlichen Empfängnisregelung, kurz NER genannt. Wichtigste Voraussetzung dafür, dass diese Methoden auch den gewünschten Erfolg haben, ist in erster Linie eine seriöse Beratung. Bei einigen Barrieremethoden wie dem Diaphragma gehört dazu auch das Anpassen des verwendeten Mittels sowie das Üben der Anwendung. Weibel: «Die beste Methode nützt nichts, wenn sie nicht richtig verstanden und gemacht wird oder wenn sie nicht den Lebensumständen einer Frau angepasst ist.» So kommt beispielsweise die NER bei sehr jungen Frauen, die einen unregelmässigen Zyklus haben, nicht in Frage. Ebenso wenig für Frauen, die in der Nacht arbeiten oder stillen, weil diese Tätigkeiten den Zyklus beeinflussen können und ihn so schwer berechenbar machen. Aber das herauszufinden sei Aufgabe eines guten Beratungsgespräches. Angstmacherei im Sprechzimmer Von diesen Ausnahmen abgesehen, kommen natürliche Verhütungsmethoden zwar für fast alle Frauen in Frage – trotzdem sind es nur etwa 15 Prozent, die sie auch tatsächlich anwenden. 48 Natürlich | 9-2006 Grafik: Kessel-Marketing Naturheilkunde GESUNDHEIT Einen Grund dafür ortet Weibel bei den Frauenärztinnen und -ärzten selber – zumindest bei einigen von ihnen. So höre sie immer wieder von Frauen, dass ihnen der Arzt ausdrücklich gesagt habe: «Wenn Sie schwanger werden wollen, genügt ein Diaphragma!» Mit seriöser Beratung habe das nichts zu tun, ärgert sich Weibel. «Das ist nicht nur reine Angstmacherei, mit dem Ziel, den Frauen weiterhin die Pille verschreiben zu können – es zeigt auch, wie wenig die Mediziner wissen.» Verhüten mit und ohne Hilfsmittel Natürliche Verhütung lässt sich in zwei Gruppen einteilen: die so genannten Barrieremethoden und die natürliche Empfängnisregelung NER, die sich hauptsächlich auf Zyklusbeobachtung und Temperaturmessung abstützt. Alle diese Methoden sind nach dem Pearl-Index (siehe Kasten) bewertet und gelten – immer die richtige Anwendung vorausgesetzt – in der Regel als sicher bis sehr sicher. Die Barrieremethoden Kondom Es ist heute eines der am häufigsten verwendeten Verhütungsmittel und das beste Mittel zum Schutz vor Aids. Kondome sind in der Regel aus dünnem Naturgummi, Latex. Für Latexallergiker gibt es Kondome aus Polyurethan oder Schafsblinddarm. Pearl-Index: 0,9 bis 14, «sehr sicher» bis «nicht zu empfehlen», je nach Anwendungsfehler. Femidom Das «Kondom für die Frau» besteht aus dem Kunststoff Polyurethan und hat die Form eines am oberen Ende geschlossenen Schlauches. Vor dem Geschlechtsverkehr wird das Femidom in die Scheide eingeführt. Geeignet ist es für Menschen mit einer Latexallergie und für Frauen, die natürlich verhüten wollen, ohne ein HIV-Risiko einzugehen. Das Femidom ist jedoch kein Verkaufsrenner. Es raschelt und knistert beim Gebrauch. Pearl-Index: 0,9 bis 14, «sehr sicher» bis «nicht zu empfehlen», je nach Anwendungsfehler. Kosten: rund Fr. 3.30 pro Stück. Diaphragma und Portiokappe Das Diaphragma ist eine kuppelförmige Kappe aus Latex. Es wird so in die Scheide eingeführt, dass die Kappe den Muttermund deckt. Auf diese Weise bildet das Diaphragma zusammen mit einem spermiziden Gel, das die Samen unbeweglich macht, eine Barriere. Im Fachhandel ist ein biologisches Diaphragmagel erhältlich. Die Portiokappe ist kleiner als das Diaphragma und weniger spürbar. Sie wird in der Regel ohne spermizides Gel verwendet. Portiokappe und Diaphragma werden in der Regel acht Stunden nach dem Verkehr Foto: cbas Kosten: rund ein Franken für ein gängiges Kondom. Femidom: Das Kondom für die Frau ist kein Verkaufsrenner aus der Scheide entfernt. Sie haben eine Lebensdauer von bis zu zwei Jahren. Wichtig: Diaphragmen schützen nicht vor Ansteckungskrankheiten. Und die sichere Benutzung eines Diaphragmas setzt eine individuelle Beratung und eine Anpassung voraus. Alternative: Für Paare oder Frauen mit einer Latexallergie empfiehlt sich das aus Silikon hergestellte Lea Contraceptivum. Es funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie das Diaphragma und die Portiokappe. Pearl-Index: 2, sehr sicher (für alle drei Produkte). Der Pearl-Index Der Pearl-Index gibt auf einer Skala von führen dazu, dass bis zu drei von 0,1 («sehr sicher» bis 18 «nicht zu emp- hundert Frauen trotz Verwendung der fehlen») an, wie sicher ein Verhütungs- Pille schwanger werden. mittel ist. Die Zahlen stehen dafür, wie Die Index-Zahlen sind deshalb kritisch viele von hundert Frauen bei der ein Jahr zu betrachten, denn kein Mensch ist dauernden Anwendung eines bestimm- fehlerfrei. Frauen können die Pille ten Verhütungsmittels schwanger wer- vergessen oder sie erbrechen; Männer den. Erhoben werden diese Werte durch können ein falsches Kondom benutzen Tests und Befragungen. Fehler bei der oder es zu spät überziehen. Auf der Anwendung der verschiedenen Metho- sicheren Seite ist, wer dem Pearl-Index den werden dabei ausgeschieden, das also nicht blind vertraut. heisst: Der Pearl-Index bezieht sich Grundsätzlich gilt: Diejenige Verhü- immer auf die korrekte Anwendung. tungsmethode ist die sicherste, die am Unter diesen Voraussetzungen erreicht besten zu den jeweiligen Menschen die Pille einen Pearl-Index von 0,1 und und ihrer Situation passt. Gute Bera- gilt somit als das sicherste Verhütungs- tung und genaue Instruktionen sind bei mittel. Aber: In der Realität stimmt die allen Verhütungsmethoden deshalb Zahl nicht. Fehler in der Anwendung sehr wichtig. Natürlich | 9-2006 49 Naturheilkunde GESUNDHEIT Gemessene Temperatur in °C 37,6 37,4 37,2 37,0 Pearl-Index: Bei konsequenter Anwendung kleiner als 5, also «sicher». Kosten: keine 36,8 36,6 36,4 36,2 Bleeding 1 2 4 2 6 8 3 4 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 2 Fertility 1 2 Beschrieb 3 Beschrieb Kosten: Diaphragma rund 25 Franken pro Stück, Portiokappe um 35 Franken, Lea Contraceptivum um 90 Franken, einmalige Anpassung plus Beratung je etwa 180 Franken. Natürliche Empfängnisregelung Kalendermethode Bei dieser Methode schreibt die Frau ein Jahr lang in einen Menstruationskalender die Daten ihrer Regel auf und bestimmt dann – unter Berücksichtigung des längsten und des kürzesten Zyklus – die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage. Die Kalendermethode gilt als höchst unzuverlässig. Pearl-Index: Zuverlässigkeit ungenügend. Kosten: keine Temperaturmethode Sie ist deutlich zuverlässiger als die Kalendermethode und beruht auf den Veränderungen der Aufwachtemperatur, der so genannten Basaltemperatur, innerhalb des Zyklus einer Frau. Mit ihr lässt sich der Zeitpunkt des Eisprungs recht genau ermitteln. Die Methode setzt ein tägliches diszipliniertes Messen der Temperatur voraus. Die Methode ist für Paare geeignet, die zusätzlich mit einer Barrieremethode verhüten. 4 6 Tage 4 Beschrieb Beschrieb Pearl-Index: 2 bis 10, «sicher» bis «nicht zu empfehlen», abhängig von der Anwendung. Kosten: keine Schleimstruktur- oder Billings-Methode Hier wird der Schleim beobachtet, der sich im Gebärmutterhals bildet. Dieser Zervixschleim fühlt sich innerhalb des Zyklus unterschiedlich an und verändert auch seine Konsistenz. Grundsätzlich gilt: Rund um den Eisprung hat die Schleimentwicklung den Höhepunkt erreicht. Um diesen Zeitpunkt herauszufinden, ist eine längere und genaue Beobachtung der Schleimentwicklung nötig. Die BillingsMethode ist für Paare geeignet, die zusätzlich mit einer Barrieremethode verhüten. Pearl-Index: 2 bis 15, «sicher» bis «nicht zu empfehlen», abhängig von der Anwendung. Kosten: keine Sympto-thermale Methode Sie ist eine Kombination der Billings- und der Temperatur-Methode. Zusätzlich werden weitere individuelle Körperzeichen wie Veränderungen der Brust, Stimmungsschwankungen oder Hautunreinheiten in die Beobachtung des Zyklus mit einbezogen. Die Sympto-thermale-Methode ist für Paare geeignet, die zusätzlich mit einer Barrieremethode verhüten. Empfängnisregelung per Computer Je nach Produkt werden die Temperatur oder die Hormone gemessen. Am weitesten verbreitet sind die von verschiedenen Herstellern angebotenen Temperatur-Messcomputer. Ähnlich wie bei den andern auf Beobachtung des Zyklus basierenden Methoden erheben die Computer über eine längere Zeit Messdaten. Das ermöglicht ihnen, die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage anzuzeigen. Computer eignen sich für Frauen, für die eine Schwangerschaft keine Katastrophe darstellt, die aber natürlich verhüten wollen und weder Zeit noch Lust haben, selber Buch über ihren Zyklus zu führen. Wichtig zu wissen: Computer können nur von Frauen mit einem regelmässigen Zyklus eingesetzt werden. Pearl-Index: keine zuverlässigen Daten. Kosten: je nach Produkt zwischen 120 und 1200 Franken. ■ Infobox Beratung zum Thema • Frauen- und Familienberatungsstellen der Gemeinden und Kirchen • Frauenberatungszentrum Bern, Telefon 031 312 31 20 www.frauenberatungszentrum.ch Literatur zum Thema • Fitz/Hauk/Baumgart: «Selbstbestimmte Sexualität – Verhütung heute», Verlagshaus der Ärzte 2006, ISBN: 3-901488-76-6, Fr. 26.80 • Jütte: «Lust ohne Last – Geschichte der Empfängnisverhütung von der Antike bis zur Gegenwart», Verlag Beck C.H. 2003, ISBN: 3-406-49430-7, Fr. 26.80 • Knöpfel/Hoffmann: «Verhütung: Welche Methode passt zu mir?», Verlag Trias 2002, ISBN: 3-8304-3019-1, Fr. 26.20 • Trobisch/Rötzer : «Mit Freuden Frau sein», Verlag Brockhaus 2003, ISBN: 3-417-11075-0, Fr. 29.90 • «Sex – aber sicher! Verhüten und die Methoden dazu», Stiftung für Konsumentenschutz, Bern, admin@ konsumentenschutz.ch, Fr. 10.– Links zum Thema • www.verhuetungsinfo.ch • www.medix.ch • www.medsana.ch • www.aids.ch/f/kondome/femidom.php Natürlich | 9-2006 51