Not macht erfinderisch

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Not macht erfinderisch
Not macht erfinderisch
Auflagenrückgänge und Anzeigenminus –
Magazine stecken in der Krise. Doch es gibt einige
Ausnahmen, und Verleger beweisen Kreativität.
Text von Birgit Schaller
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Bestseller 5|6 2011
Sonntagnachmittag. Kaffee, Beine
hoch, ein sanftes Streicheln über das
glänzende Heft in der Hand und eintauchen in eine andere Welt: Schöne
Bilder, abwechslungsreiche Geschichten, der Jahrmarkt der Eitelkeiten,
­ferne Länder, Gartentipps und immer
öfter Brauchtum faszinieren Millionen
Leser. Der Reiz der farbigen Gazette ist
ungebrochen. Lifestyle, Garten, Kinder,
Computer, Golfspiel, Essen, Fischen
oder Astrologie – für jedes nur denkbare Interesse finden Leser heute ihr
Heftchen. Immer hochglänzender,
großformatiger, auffallender sind die
Illustrierten. Doch die goldenen Zeiten
des Magazins scheinen vorbei zu sein.
Auf Anzeigen- wie auf Leserseite: Im
laut Focus bisher stärksten Jahr,
2008, wurde auf 37.000 Seiten geworben und wurden brutto 367 Millionen
Euro ausgegeben. 2010 waren es nach
einer leichten Erholung 34.000 Seiten
und 343 Millionen Euro. Nicht abzulesen ist hier, dass sich die Brutto-NettoSchere noch weiter geöffnet hat. Die
Druckauflagen der 26 in der ÖAK
­gelisteten österreichischen Kauf­
magazine sind von 2,73 Millionen
auf 2,57 Millionen zurückgegangen.
Ein Grund dafür, zumindest auf
­Leserseite, liegt im Internet, wo sich
Menschen derzeit am liebsten informieren. Inhalte sind jederzeit abrufbar
– die Suchmaschine substituiert Print
und beschleunigt dessen Metamorphose: „Tageszeitungen werden ‚magaziniger‘, setzen auf Hintergrundgeschichten. Meine Theorie ist, dass in
15 Jahren Tageszeitungen nur noch
von Donnerstag bis Sonntag am Papier
und unter der Woche online oder auf
Tablets existieren werden. Magazine
müssen sich vorsehen“, orakelt Peter
Lammerhuber, Geschäftsführer
GroupM. Weniger gefährdet sieht der
Agenturchef Special-Interest-Titel, aber
nur, wenn sie inhaltlich etwas bieten:
„Neues recherchieren, als Trendscouts
Bestseller 5|6 2011
agieren, Vorreiter sein: Das verlangt höchste
journalistische Qualität, weniger Desk­
research und Googlesuche.“
Ein Riese wankt
Der große Schiffbruch auf Anzeigenseite
kam mit der Weltwirtschaftskrise 2009.
­Einer der Gründe: Imageanzeigen, das
Stammressort der Magazine, blieben aus.
Und obwohl die Wirtschaft wieder brummt,
hat sich der Markt noch nicht erholt. Die
Spendings sind zum Teil ins Internet abgewandert und „werden dort auch bleiben“,
prognostizierte kürzlich Carat-Geschäftsführer Willibald Müller im deutschen Horizont,
was auch für Österreich gilt. Lammerhuber
verrät, dass 2010 bei den GroupM-Agenturen die Nettospendings für das Internet jene
für Magazine überholt haben. Darüber hinaus haben Auftraggeber die Erfahrung gemacht, dass weniger gebuchte Magazin­
seiten ebenfalls wirken. Und Elisabeth
Ochsner, Geschäftsführerin Panmedia, sieht
Gründe für die zögerliche Rückkehr der
Spendings auch bei strengen Controllern
auf Auftraggeberseite, die genaue Leistungskennzahlen verlangen, was wiederum
schlecht für Imagewerbung ist, die ihre Wirkung nicht gleich offenbart. Dazu kommt,
dass in manchem Segment ein Überangebot
herrscht. „Es bemühen sich viele um einen
Anzeigenmarkt, der einmal groß gewesen
ist. Trotzdem, eingestellt wurde noch kein
Magazin“, resümiert Lammerhuber. Der
MediaCom-Gründer erinnert sich an andere
Zeiten: Vor 15 Jahren gab es einzig die Wienerin als Frauentitel am Markt: „Damals
­haben wir, angeregt durch die Nachfrage der
Anzeigenkunden, ein weiteres Magazin
­gefordert, den Fellners ihre Möglichkeiten
vorgerechnet, bis Woman gegründet wurde.“
Auf die Erfolge im Frauensegment wollten
weitere Medienmacher aufspringen, so ist
der Markt angewachsen: flair, First, Madonna, Compliment sind nur ein paar der zahlreichen Gründungen, die natürlich auch ein
Stück vom knappen Anzeigenmarkt ergattern
möchten. Schließlich ist es einfach geworden,
ein Medium ins Leben zu rufen: Die Grafik
ist billig, die Redaktionssysteme ebenso, die
Druckereien stehen frei, und ­gute Redakteure
sind schnell gefunden. Vom Leser wird das
breite Angebot goutiert – Eva jeden Alters
liest sich durch das Genre, ohne müde zu
werden, wie die letzten Media-Analysen
­beweisen: stetig steigende Leserzahlen und
eine Zunahme der Abonnenten.
Journalismus in Gefahr
Styria-Multi-Media-Ladies-Geschäftsführerin
Svetlana Puljarevic erinnert sich: „Wir lebten
bis zur Krise großteils von ausländischen Inserenten, und von einem Tag auf den anderen deckten diese den österreichischen Markt
mit deutschen Magazinen wie Elle oder
Vogue ab. Die Modeschaltungen in der Diva
gingen um 90 Prozent zurück. Aber Not
macht erfinderisch.“ So entstanden Kooperationen mit österreichischen ­Designern und
Boutiquen und daraus wiederum Mode­
strecken, die vom Auftraggeber bezahlt wurden. Eine weitere Idee war die MarionnaudCover-Model-Suche der Wienerin. Ärgerlich
ist für Puljarevic, dass kreative Ideen von der
Konkurrenz oft übernommen werden, sie
verweist dabei auf die aktuelle Umsetzung
der Woman-Roadshow, die ebenfalls nach
Models Ausschau hält. Der Markt ist kleiner
geworden, so entsteht ein Problem, das
­PR-Profi Dietmar Ecker so schildert: „Die
­Medien sind unterfinanziert. Ein Effekt: Das
Verschwimmen von Journalismus und Anzeigenverkauf war noch nie so intensiv.“ Winfried Eberl, Verlagsleiter des Agrarverlages,
der 32 Printtitel – neben Fachmedien auch
Publikumstitel wie Gesundheit oder das
­Genussmagazin – publiziert, hat im letzten
Jahr „Dramatisches“ ­erlebt: „Wir erhielten
ungewohnt viele Angebote, insbesondere
von Kleinstverlegern. ­Allein im Vorjahr prüften wir Übernahmeangebote im zweistelligen
Bereich.“ Und er ergänzt: „Verleger stehen in
einem großen Spannungsfeld: Druck, Papier
Porto und Vertrieb machen einen immer
­höheren Prozentsatz der Kosten aus, da
bleibt für die redaktionelle Qualität wenig
übrig. Das ist besonders für Ein-Mann-­Be­
triebe nicht einfach.“
Coverpolitik: seriös und sexy
Doch bei allen Abwärtsbewegungen gibt es
Magazine, die den allgemeinen Trend
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widerlegen. Eines davon ist das Nachrichtenmagazin profil. Zehn Prozent mehr Abos bei
höherem Copypreis und laut Media-Analyse
nach kontinuierlichen Steigerungen. 6,3 Prozent Reichweite oder 450.000 Leser für 2010
belegen einen Erfolg. Das Geheimnis dafür
verrät Chefredakteur Christian Rainer: „Wir
setzen auf Cover, Content, and Communication. Das Cover ist die größte ‚Werbefläche‘
für uns. Eine kluge Coverpolicy verlangt
Agendasetting, eine gute Visualisierung und
Ausgewogenheit mit dem Markenkern, ist
­seriös, sexy und verkauft sich. Zum Content:
Im Vorjahr wurden wir 2.200 Mal zitiert, mit
unseren Kommentaren sind wir Opinon Leader. Bei Communication geht es um Präsenz.“ Allerdings scheint die Buchungslage
schwieriger zu sein. Nach durchschnittlich
32 Anzeigenseiten pro Heft 2008 waren es
im Vorjahr 25 lauf Focus. Der redaktionelle
Umfang ist von 107 auf 91 Seiten geschrumpft. Doch damit ist das profil nicht
­alleine: Waren es 2005 noch rund 110 redaktionelle Seiten, die 39 Anzeigenseiten gegenüber standen, lautete das Verhältnis über
von Focus ausgewählte Magazine für das
Vorjahr 102:31.
Luxus ist zurück
Mediaagenturchef Lammerhuber gewährt
weitere Einblicke: Das Luxussegment ist zurück, Uhren-, Schmuck- und teilweise auch
Autoanbieter werben wieder. „Gar nicht zu
sehen sind Fondskampagnen der Finanzdienstleister oder Corporate Image Campaigns. Wenn diese werben, dann ist es
­eine Seite im Vergleich zu zweiseitigen Inseraten vor der Krise.“ Print ist mehr denn je
gezwungen, seine Stärke deutlich zu
­machen. Schließlich hat die Kurzfristigkeit
zugenommen: „Viele Kunden nehmen von
Jahresbuchungen Abstand und bündeln auf
für sie relevante Veranstaltungen“, informiert Eberl. Der österreichische Agrarverlag
setzt auf Diversifikation: Das Publikumsmagazin Garten+Haus profitiert vom Wissen
der Redaktion des Special-Interest-Titels
Gärtner & Floristen, für das neue Magazin
Scheidung ergeben sich Synergien mit Gesundheit-Themen, und der ebenfalls neue
Titel Ausflug+Urlaub partizipiert vom Wissen der Genuss-Redaktion. Der Verlag mit
Fokus auf Landwirtschaft ist zum Verlag für
Lebensthemen geworden. Der Trend, in immer engere Nischen zu gehen, hat in den
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USA schon 2005 begonnen: „Narrow casting“ anstelle von „Broadcasting“, nannte
es die Business Week.
Woman Men oder das halbjährliche Immobilienmagazin Luxury Estate der Presse Beispiele dafür, auch das profil plant ab Herbst
eine Line Extension zu Sonderthemen.
Erholung in Sicht
Hochglanz ganz privat
Im Nachbarland Deutschland ist die Lage
noch drastischer: Die Nettowerbeeinnahmen Für Park Avenue, Maxim und Matador,
­Vanity Fair, Amica, IQ Style, Chica oder
am deutschen Magazinmarkt sind laut ZAW
Wein Gourmet hieß es vergangenes Jahr
seit 2006 um ein Viertel von 1,85 auf 1,4
Milliarden Euro bei Publikumstitel zurückge- trotzdem: aus und vorbei. Die ehemalige
stellvertretende Chefredakteurin der Park
gangen. Dennoch zeigt die aktuellste NielAvenue und freie Journalistin Meike Winnesen-Anzeigenumsatzstatistik (Brutto), dass
muth zog ihre Schlüsse: „Hochglanz war in
es wieder aufwärts geht. Die großen GewinDeutschland noch nie beliebt. Der präponer Jänner bis April 2011 im Vergleich zu
tente Habitus, die Ausrufung des ultimati2010 bei den deutschen Top 50-Titeln sind
ven Dies und Das nervten. Doch Lifestyle
die Glamour, die auch bei den Auflagen in
ist nicht tot. Er wurde in einer neuen Reinden letzen vier Jahren um ein Drittel auf
karnationsstufe wiedergeboren: in Gestalt
600.000 Stück zugelegt hat, InStyle, Auto
des Formats Landlust und erfolgreichem
und Bild TV – mit mehr als plus 20 Prozent.
­Nischen-Lifestyle wie dem
Unter den Umsätzen aus
Zeitgeistmagazin ­Neon.“ Der
2010 bleiben Focus (minus
Hochglanz ist ins Privateste ab12,6 Prozent), Der Spiegel
gewandert. Cocooning, der
(minus 4,0 Prozent) oder
Wunsch nach Rückzug, Omas
Brigitte (minus 2,1 ProMarmelade und ländlichem
zent). Die nächste HerausIdyll scheinen in der Schnellleforderung heißt Auflagen- Meike Winnemuth, freie
bigkeit unserer Zeit groß. Ein
zahlen: Die Schlachtschiffe Journalistin (SZ-Magazin)
Phänomen, das in den USA mit
Stern, Bunte, Focus, Bri­
konstanten Erfolgen der Masgitte, National Geographic,
sentitel Better Homes & GarP.M. haben innerhalb von
dens (7,6 Millionen Leser), Taste of Home,
vier Jahren zwischen 13 und 23 Prozent der
in Schweden mit Lantliv oder in DeutschAuflage eingebüßt, Geo ist um 37 Prozent
land mit Landidee, Mein schönes Land oder
abgesackt, der Spiegel unter die Millionendem Lesererfolg Landlust aus dem LandLeser-Grenze gerutscht.
wirtschaftsverlag Münster mit 800.000 Heften Auflage, Tendenz steigend, funktioniert.
Hipp und neu
Viele heimische Verlage überlegten eine
Im Gegenzug kam nach einem GeschäftsTransformation der Idee nach Österreich.
führerwechsel bei Gruner+Jahr mit Bernd
Buchholz Leben in die Branche. „Hippe Ma- Aber das Ergebnis: zu klein, das Land.
Schließlich wagte sich das Red Bull Media­
gazine“, könnte man sie nennen: Beef!, das
house in das neue Segment: Servus in Stadt
coole Kochmagazin, Business Punk oder
und Land mit bescheidenem Start bei den
das „neue Lifestyle Magazin für Eltern“,
Nido, Yuno für die Jugend oder seit kurzem Anzeigen, aber gutem Feedback für das schöne Layout und die Ansprache des Lesers auf
Women’s Health zählen zu den Errungenschaften, die den Markt rocken und Geld in Augen­höhe. Genau hier zeichnet sich ein
die Kassen spülen, während auf Redaktions- Trend ab: dem Leser das Gefühl vermitteln,
dass man ihn ernstnimmt, ihm Qualität bieseite zusammengelegt und gespart wird.
tet und die Möglichkeit zu Feedback auch
Line Extension ist ein Schlagwort: Die Gala
über crossmediale Kanäle. Denn neben dem
bedient mit Gala Wedding, Gala Men, Gala
sinnlichen Erlebniswert von Magazinen
Style und seit April Gala Kids bald jedes Alliegt hier noch ungenutztes Potenzial.
ter. In Österreich wären Seitenblicke Men,
„Nischen-Lifestylemedien
sind im Trend.“
Bestseller 5|6 2011

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