"Das jüngste Gericht" von Rogier van der Weyden - Freiherr

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"Das jüngste Gericht" von Rogier van der Weyden - Freiherr
Freiherr- vom- Stein- Schule
Fach Religion, Frau Simon
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Jahresarbeit
Das Gottesbild im Mittelalter mit Zuhilfenahme von
„Das jüngste Gericht“
von Rogier van der Weyden
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Ricarda Stöneberg
01.05.11, Hessisch Lichtenau
Inhaltsverzeichnis
I
Einleitung
01
II
Rogier van der Weyden
Kurzbiographie
02
Abb. 1 , Rogier van der Weyden
03
III
Das jüngste Gericht
Bildanalyse
1
2
3
Beschreibung
Formanalyse
Interpretation
04
05
06
Abb. 2 , Das jüngste Gericht
08
Abb. 3 , Nicolas Rolin
09
Der Zusammenhang
Bild und Glaube
10
V
Vergleich heute
13
VI
Nachwort
15
Literaturverzeichnis
Verzeichnis anderer Quellen
16
IV
1
I
Einleitung
Diese Jahresarbeit über das Gottesbild im Mittelalter, mit zur Hilfenahme von Rogier van der
Weydens „Das jüngste Gericht“, soll das religiöse Lebensgefühl der Gesellschaft der
damaligen Zeit verdeutlichen und zeigen warum gerade „Das jüngste Gericht“ dies besonders
versinnbildlicht. Wie sind die Menschen damals mit ihrem Glauben umgegangen und welche
Beziehung hatten sie zu Gott, Jesus und der Bibel? Wie beeinflusste das ihren Alltag und
ihren Lebensstil? Besonders im Fokus liegt hier das Spätmittelalter, aus dem auch Rogier van
der Weyden und seine Werke hervorgingen. Deswegen wird zunächst die Frage geklärt, was
Rogier für ein Mensch und Künstler war, um zu verstehen, weshalb er malte und vor allem
wie und warum es in dieser Zeit so viele Abnehmer für diese Art von Kunst gab und was es
überhaupt für eine Kunst war. Außerdem soll der Sinn von Altären verdeutlicht werden.
Darauf wird in der Kurzbiographie eingegangen, um dann mit der Bildanalyse von „Das
jüngste Gericht“ fortzufahren. Hier wird erst einmal geklärt, was zu sehen ist und warum,
welche Besonderheiten hervortreten und wie sich das mit dem damaligen Glauben verknüpfen
lässt. Hiernach werden einzelne Punkte erneut untersucht und mit dem spätmittelalterlichen
Alltag in Verbindung gebracht.
Zum Schluss soll noch der Vergleich zu unserem heutigen christlichen Glauben gezogen
werden. Ob hier Veränderung stattfand und wie eigentlich unser Gottesbild und unsere
Beziehung zur Religion aussehen.
2
II
Rogier van der Weyden
Kurzbiographie
Rogier van der Weyden wird zwischen 1400 und 1399 im niederländischen Tournai als Sohn
des Messerschmieds Henry de le Pasture und der Hausfrau Agnes de Wattrelos geboren. Er
tritt als Jugendlicher in die Malerwerkstatt von Meister Campin ein und lässt sich dort von
ihm ausbilden.
1426 lässt er sich mit der sechs Jahre jüngeren Elisabeth Goffaert verheiraten und zeugt mit
ihr vier Kinder. Schon sechs Jahre später wird er von der Malerzunft zum Freimeister ernannt
und eröffnet dann seine eigene Werkstatt in Tournai. Wenige Jahre später aber zieht es Rogier
mit seiner Familie nach Brüssel, wo er den Titel „Stadtmaler“ erhält und für verschiedene
Kirchen engagiert wird. Aber nicht nur die ordern seine Werke. Ebenso das reiche Bürgertum
und der burgundische Hof erteilen ihm Aufträge, da sich seine Arbeiten höchster Beliebtheit
und Exklusivität erfreuen.
Van der Weyden erlangt eine Popularität in Künstlerkreisen, die ihn schon bald zu einem
reichen Mann machen und ihm sogar Aufträge von ausländischen Höfen zukommen lassen.
Jedoch bleibt sein ganzes Leben von der Kirche und der Arbeit für sie bestimmt und er
unterstützt gewissenhaft zahlreiche religiöse Institutionen.
Rogier van der Weyden stirbt schließlich am 18. Juni 1464 in Brüssel. 1
Jedoch überlebt Rogiers Kunst ihn und vor allem in Italien sind seine Bilder höchst begehrt.
Man ist sich einig, dass seine Figuren zu leben scheinen, als seien sie von der Natur selbst
hervorgebracht. Die raffinierten Details gefallen seinen Liebhabern. Doch genauso wird auch
Kritik an van der Weydens Werk geübt: Er male für Prunksucht und die törichte Menge über
volkstümliche Dummheiten, meinte Angelo Decembrio über die niederländischen
Importkunstwerke. 2
Und obwohl Rogier mit frühmittelalterlichen Bildkonzepten arbeitete, in denen Gott als
strenger Richter dargestellt wird, gehört er zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der
spätmittelalterlichen Kunstgeschichte. 3
1
Rogier van der Weyden, Leben und Werk, Felix Thürlemann, Wissen Kunst, S. 19, ff.
Selbiges, S. 100, ff.
3
Selbiges, S. 113, f.
2
3
Rogier van der Weyden
Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Rogier_Lamp.jpg
4
III
„Das jüngste Gericht“
Bildanalyse
Der Beauner Altar, der auf seiner Innenseite „Das jüngste Gericht“ zeigt, ist von dem
Niederländer Rogier van der Weyden mit Öl auf Eichenholz gemalt und entstand um1450. Er
wurde im Auftrag von Nicolas Rolin gemalt, dem burgundischen Kanzler, der es für sein
1443 gestiftetes Hospital in Beaune benötigte. 4 Gedacht war es für die Kapelle am Ende des
72m langen Krankensaales, damit es für alle Patienten sichtbar war und diesen eindringlich
ihre Vergänglichkeit zeigte, um sie zur Andacht und Reue zu ermahnen, während sie in ihrer
Krankheit ausharrten und Beistand nicht nur für ihre Gesundheit, sondern auch für ihr
Seelenheil benötigten. 5 Der Altar ist das größte erhaltene Werk Rogier van der Weydens und
das Einzige, das immer noch an seinem Bestimmungsort hängt. Das Polyptichon besteht aus
sechs beidseitig bemalten beweglichen Tafeln und einem dreiteiligen unbeweglichen
Mittelteil und ist geöffnet 4,92 m breit. 1
Die Mitteltafel des Polyptichons beträgt 220 x 109 cm, der innere Flügel unten je 137,5 x 82
cm, die äußeren Flügel unten je 137,5 x 54,5 cm, die oberen Flügel je 74,5 x 54,5 cm (alle mit
Rahmen). 6
Abgebildet ist das Thema des Bildes, wobei Christus hier zusammen mit dem Engel zu seinen
Füßen über das Verbleiben der menschlichen Seelen richtet, ob die nun gen Höllenschlund
geschickt werden oder den Weg in das Himmelreich gewiesen bekommen. Der Altar wirkt
fast schon ruhig. Zwar ist das Leid der Menschen, die sich gegenseitig in den Höllenschlund
reißen eindeutig und auch der Kontrast von himmlischer Erscheinung und irdischer Welt,
jedoch werden auch Christi Gnade und Güte gezeigt. Alles wirkt systematisch und geordnet
aufgebaut, deswegen stellt van der Weydens Werk eine harmonische Komposition für das
Auge dar.
1
Beschreibung
Zu sehen ist in der Mitte übergroß Christus, bekleidet mit einem wallenden purpurnen
Umhang, wie er auf einem Regenbogen in einer goldenen Wolke thront. Diese Wolke umfasst
auch die links und rechts von ihm schwebenden vier Engel, welche Kreuz, Dornenkranz,
Speer und Essigschwamm halten, also die Leidenswerkzeuge Christi.
4
Rogier van der Weyden, Leben und Werk, Felix Thürlemann, Wissen Kunst, S. 36
Rogier van der Weyden, Stephan Kemperdick, h.f. ullmann Verlag, S. 65
6
Selb iges, S. 66
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5
Auch unter ihm steht ein großer edel gewandeter Engel, der Erzengel Michael in
Diakonsrobe, welcher eine Waage in seinen Händen hält. Um ihn herum weitere vier kleine
Engel, die in ihre langen Posaunen blasen und die Menschen damit aus der kargen Erde
hervorzulocken scheinen. Zur Rechten Christi kniet Maria mit gefalteten Händen Jesus
fixierend. Hinter ihr reihen sich sechs Apostel und drei nicht spezifizierte Heilige auf, genau
wie zur Linken Christi, hinter Johannes dem Täufer 7 , nur das dort die hinter den restlichen
sechs Aposteln verharrenden drei Heiligen weiblich sind. Unter dieser „heiligen
Versammlung“ wölbt sich ein trockener verödeter erdiger Boden ohne fernen Horizont, aus
dem kleine nackte Menschlein hervorzubrechen scheinen, die sich bis auf das Geschlecht
ähneln. So haben alle das Alter 33 (Christi Todesalter) und sind hochgewachsen und schmal,
dies ist ein Merkmal Rogiers, der diese menschliche Anatomie in seinen Werken bevorzugte.4
Die Wenigen auf der Linken wenden sich mit dankbar gefalteten Händen an Jesus und werden
von einem Engel ins Himmelreich (am Ende der linken Bildseite) geleitet, wohingegen auf
der Rechten Seite sich für Einige der Höllenschlund öffnet und sie sich bereitwillig,
zergehend in eigener Schmach und Schande, gegenseitig hineinziehen und treiben. Diese von
Angst und innerlichem Schmerz gepeinigten Menschen, wenden ihren verzerrten irren Blick
von Jesus ab.
Zugeklappt zeigt der Altar seinen Stifter, Nicolas Rolin, und seine dritte Gattin, Gujone de
Salins. Beide ruhen symmetrisch gegenüber voneinander, mit zum Gebet gefalteten Händen,
auf den Knien. Zwischen ihnen sind, passend zum Ausstellungsort des Altars, dem Hospital,
die Pestheiligen, Antonius und Sebastian als Mamorfiguren, abgebildet. 8
2
Formanalyse
Der Mittelpunkt des Bildes ist eindeutig auf die Dreieckskomposition gelegt, in der Jesus die
Spitze bildet, Maria und Johannes die Enden (heilige Dreifaltigkeit und Deesis –Gruppe3 ),
dieser Eindruck wird besonders durch den Regenbogen als Verbindung zwischen den Dreien
verstärkt und stabilisiert. Des Weiteren hat das Bild die Aufteilung oben =“gut“ gegen unten
=“schlecht“. So weist die linke Hand Christi nach unten, wie auch der Zipfel seines Umhangs.
Auf dieser Seite sinkt auch die Waagschale des Erzengels Michael 3 , in der ein Menschlein
mit wohl „schwerwiegender“ Sünde kauert. Auch fallen die Belasteten in den Höllenschlund.
Im Gegensatz dazu weist Christus mit
7
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Selb iges, S. 69
Rogier van der Weyden, Leben und Werk, Felix Thürlemann, Wissen Kunst, S. 37
6
seiner Rechten nach oben, auch die Waagschale des Engels wiegt auf dieser Seite leicht und
die Menschen werden hier nach oben in das Himmelreich geführt.
Der Altar stellt die Illusion vom Verbleib der menschlichen Seele nach dem Tod dar, ist also
nicht naturalistisch, jedoch sehr realistisch gemalt. Zumindest sind Farblichkeit und Anatomie
der Dargestellten richtig. Stofflichkeit und Detailreichtum geben dem Werk Authenzität und
Natürlichkeit. Gegen eine naturalistische Darstellung spricht auch der Größenunterschied, der
von einer Hierarchie der Gezeigten zeugt. So sind Jesus, Erzengel Michael, Maria und
Johannes der Täufer die am größten Gemalten. Hiernach kommen die Apostel und Heiligen
und zuletzt Engel und Menschen.
Die Blickverläufe untereinander beziehen sich fast nie auf die herumstolpernden Menschen
am Boden des Bildes, nur ein einziger Engel, welcher den Weg zum Himmelreich weist, ruht
mit seinem Blick auf einigen Wenigen. Von diesen geretteten Seelen blicken die meisten
dankbar Jesus entgegen, während der verdammte Rest der Hölle entgegenstarrt. Von den
Aposteln wenden einige den Blick gen Christus, die Restlichen wirken miteinander
beschäftigt und beziehen ihren Blick aufeinander. Maria schaut zu Christus auf, während
Johannes zu Engel Michael hinübersieht. Die beiden zentralen Gegenstände des Bildes, also
Christus und Michael sehen in absoluter Frontalität zum Betrachter hinab.
Sämtliche Beleuchtung der Szenerie geht von der allumfassenden goldenen Wolke aus, die
sowieso am strahlendsten coloriert wurde, deswegen gibt es keinen zentralen Punkt des
Lichteinfalls. Die Besonderheit besteht hierin nur in der dargestellten Hölle, in der völlige
Schwärze und Dunkelheit vorherrschen.
Es sind traditionelle Gestaltungselemente, die hier verwendet wurden. Für die damalige Zeit,
dem 15 Jahrhundert, war die Deesis-Gruppe im Zusammenhang mit dem Jüngsten Gericht
keine seltene Darstellung und galt als typische ständige Mahnung an den Erdenmenschen.
Dass das Werk unter Zeitdruck enstand, wird an ganzen Figuren, die von Mitarbeitern Rogiers
gemalt wurden, klar, da diese der Qualität von van der Weyden erheblich nachstehen.
3
9
Interpretation
Wie sehr Christus durch seinen Tod als Richter der Menschheit qualifiziert wird, machen
besonders die Schriften zu jeweils seinen Seiten deutlich. Zum einen steht da an seiner
Rechten: „Kommt, Gesegnete meines Vaters, nehmt in Besitz das Reich, das für
9
Rogier van der Weyden, Leben und Werk, Felix Thürlemann, Wissen Kunst, S. 42
7
Euch seit Anbeginn der Welt bereitet ist.“ , und zu seiner Linken: „Weicht von mir,
Verdammte, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bereitet ist.“10 Dies zeigt
Christi Hegemonie als Richter über die Seelen, da diese ihm ohne weiteres Folge leisten. 4
Der Gesellschaft damals wurde also ein moralisches Lehrbild vorgeführt, welches einerseits
Instrument der Andacht andererseits Statussymbol darstellen sollte.
11
Denn wendet man den
mittelalterlichen Bedeutungsmaßstab an, wird klar, dass Nicolas Rolin für sich und seine
Gattin den Altar als irdisches Gut gegen himmlisches Seelenheil, als Stiftung, eintauschen
wollte. Ein günstiger Nebeneffekt war, dass nun auch an die Kranken in dem gestifteten
Hospital appelliert wurde ihre Sünden zu bekennen, um in den Himmel zu gelangen. 12
Aber nicht nur Sünden konnten mit solch einer Stiftung aufgewogen werden, es konnten
damit auch weltlicher Ruhm und ewiges Andenken an das Ehepaar geschaffen werden. 13
10
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Selb iges, S. 39
Selb iges, S. 114
Selb iges, S. 41
Rogier van der Weyden, Stephan Kemperd ick, h.f. ullmann Verlag, S. 65
8
Das jüngste Gericht von Rogier van der Weyden
Quelle: http://copiosa.org/four_last_things/four_last_things_judgment.htm
9
Nicolas Rolin, der Auftraggeber von „Das jüngste Gericht“
Quelle: Rogier van der Weyden, Stephan Kemperdick, h.f. ullmann Verlag, S. 86
10
IV
Der Zusammenhang
Bild und Glaube
Obwohl Rogier van der Weyden und sein Werk „Das jüngste Gericht“ aus dem
Spätmittelalter stammen, sind die dort gezeigten Elemente immer noch stark vom frühen
Mittelalter geprägt.
Denn eigentlich gab es im 15. Jahrhundert bereits viele neue naturwissenschaftliche
Erkenntnisse, sogar neue Entdeckungen von Kontinenten. Man fand ein neues Lebensgefühl
im Humanismus und auch politische Konstellationen änderten sich, bei der die Kirche
bezeichnend schlecht abschnitt: Vor allem die Macht des Papsttums wurde schwächer, denn
das war zu weit in die weltlichen Angelegenheiten gerückt. Die Kirche und ihr
Allzuständigkeitsanspruch wurden in Frage gestellt, um sie wieder an ihren Platz der
Spiritualität und der Vermittlung von Heil zu beordern. 14
Die Kirche war im Begriff neu definiert zu werden und ihre hierarchische Überordnung zu
verlieren. Zusätzlich sollte dem Papst auch die Zuständigkeit der Wahl des deutschen Königs
abgesprochen werden, da diese Gewalt eine von Gott vermittelte sei. 15 Die Kirche wurde
eingeschränkt: Es wurde die Beseitigung ihrer Steuerfreiheit festgelegt und der Klerus der
Gerichtsbarkeit unterworfen. 16
Und trotz dieser Befreiungsschläge freute sich der Beauner Altar einer solchen Beliebtheit.
Das rationale Außen, das „man“, strebte also nach Freiheit und Entfesslung, jedoch waren
Herz und Geist immer noch in der kollektiven Angst des dunklen Mittelalters gefangen.
Höllenangst und Heilsbesessenheit hatten kein Stück abgenommen. 17
Also beherrschte das geheiligte Schema immer noch die Gesellschaft?
Denn lange war die feudale Ständeordnung unantastbar und gleich der Aufstellung auf einem
Schachbrett, auf dem einjeder seinen vorgezeichneten Platz hatte und die einen sich mehr die
anderen weniger bewegen konnten. 18
Alleingänge und Selbstverwirklichung lagen dem mittelalterlichen Mensch fern. Nicht die
Individualität, sondern die Anpassung brachte das Ansehen. Sein ganzes Leben orientierte
sich am gebändigten System, das alles zusammenhielt durch die Sakramente der Kirche, so
zum Beispiel die Feste des Jahres und die Gezeiten des Tages. 19
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16
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18
Kirchengeschichte des Mittelalters, Isnard Wilhelm Frank, Patmos Verlag, S. 166
Selb iges, S. 170
Selb iges, S. 174
Alltagsleben im Mittelalter, Otto Bo rst, ins el taschenbuch Verlag, S. 585
Selb iges, S. 55
11
Jedes menschlichen Verhalten, jede gesellschaftliche Ordnung, sittliche Forderung oder
kulturelle Leistung war von der christlichen Religion strukturiert und geschah aus ihrer
Grundlage heraus. Noch war die Welt kein wissenschaftliches Phänomen, auch wenn man
sich bereits darum bemühte dies der Gesellschaft nahezubringen, sondern eine Glaubensfrage.
Passend hierzu die von Augustinus aufgestellte Norm: „Aber ich will nicht erkennen, um zu
glauben, sondern glauben, um zu erkennen.“20
Allumfassende Leitfrage im mittelalterlichen Leben ist: „Was sagt Gott dazu?“ Politisches
und rechtliches Handeln sind somit ein Gottesdienst und Gott ist gleichzusetzen mit Recht,
was uns den Sinn des Altars näher bringt, der uns Jesus als Stellvertreter von Gott auf Erden
als Richter zeigt. Hier zeigt sich erneut die Hegemonie über des Menschen Recht.
Der Gläubige besucht täglich die Frühmesse, an Sonn- und Feiertagen geht er mehrmals zum
Gottesdienst um mit beiden Knien am Boden zu beten. Er widmet seinen gesamten Lebensstil
Gott. 21
Das sich dieser Ordnung und Herrschaft Gottes so bereitwillig unterworfen wurde ist jedoch
auch keine Besonderheit, stand die Kirche doch mit ihren optischen und akustischen Reizen
außer Konkurrenz. Bilder, Farben, Schriftzeichen und Gesänge stimulierten die Sinne des
armen Mannes und machten den Kirchengang zu einem unvergleichlichen „Event“ im
Alltag. 22
Hier wurde ihm die Bibel durch Bilder zugänglich gemacht, mit erstaunlich bunten
Kirchenfenstern, außerdem traf man sich hier und konnte sich unterhalten und austauschen.
23
Hinzu kommen die Lieder und der Gesang, welches die persönliche Mitbeteiligung
ermöglichte. Allerdings waren genau diese spaßförderlichen Aspekte Manchen ein Dorn im
Auge. Herrard von Landsberg, eine Äbtissin, war der Meinung, die Kirchen verkämen zu
Orten der Irreligion und Ausschweifung. 24
Die Kirche bleibt für die Menschen damaliger Zeit die wichtigste Institution. Sowieso ist die
Welt nur ein zeitloses Symbol für sie, ein geheimnisvoller Kriegsschauplatz zwischen Heiland
und Satan, deswegen bleibt das Im-Lot-Sein mit Gott die Hauptaufgabe und steht an erster
19
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Selb iges, S. 77
Selb iges, S. 563
Selb iges, S. 566, f.
Selb iges, S. 572
Selb iges, S. 568
Selb iges, S. 570
12
Stelle der öffentlichen Werteskala. Genau diese Stimmung fassen die Altäre und Bilder dieser
Zeit auf. 25
War man nicht derart begütert prunkvolle Werke wie die von Rogier zu finanzieren, so hatte
man doch zumindest einen kleinen bemalten Klappaltar. In Burgen hingegen hatte man neben
seinen Truhen und Laden für Kleider ein Betpult mit Schnitzereien darin, einem Andachtsbild
und/oder Kruzifix. Sehr beliebt waren im 14. Jahrhundert aus Elfenbein geschnitzte
Dyptichen oder Tryptichen. Später sollten Albrecht Dürer und van der Weyden für
prachtvolle Hausaltäre sorgen. 26
Aber öfter als im eigenen Heim ausgestellt wurden die Altäre gestiftet. Für Zünfte und reiche
Familien war es ein Muss ein Weihebild oder eine eigene Kapelle im Gotteshaus zu besitzen.
Die Altäre waren dann meist nach ihren Stiftern denn nach ihren Heiligen benannt und viele
Künstler und Handwerker verdienten sich nur damit ihr Brot Altäre, Heiligenbilder, Kelche,
Priestergewänder, Weihekreuze und Opferkerzen herzustellen, damit ihre Kunden Gott durch
dergleichen Stiftungen näher kommen und ihrem Glauben ein Zeichen setzen konnten. 27
Den oben genannten Neuerungen zum Trotz war die alttestamentarische Drohung vom Gott
der Rache tief verwurzelt und ihn gnädig zu stimmen war die große Lebensaufgabe, der sich
jeder leidenschaftlich widmete. Die kompromisslose Bereitschaft hierfür alles zu geben war in
dieser Gesellschaft grenzenlos, denn was hatte man denn zu fürchten neben einem ewigen
Schmoren in der Hölle? Für uns mag das heute Fanatismus darstellen und nicht länger die
Ideologie, die wir unter einer gesunden Religion verstehen. Doch war alles was geschah ein
Zeichen des Himmels und der Beweiß für Gottes Strenge. Schließlich ließen Bildung und
Wissenschaft die Klärung vieler Phänomene einfach noch nicht zu. Sünde begangen zu haben
war menschenlos und ihr zu verharren die Hölle oder führte zumindest dorthin. Buße und
Stiftung waren also unausweichlich. Die Unerbittlichkeit die „Das jüngste Gericht“ zeigt,
spiegelt sich auch in der mittelalterlichen Realität wider, wo das Antasten des Gottesstaates
harten Strafen unterlag. 28
Der Glaube war ein Rahmenprogramm, dem keiner entfliehen konnte und getauft war es nun
mal einjedem seine Pflicht Christus nachzuleben. 29
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Selb iges, S. 565
Selb iges, S. 89
Selb iges, S. 574, f.
Selb iges, S. 580, ff.
Selb iges, S. 588
13
V
Vergleich heute
Es liegt eine große Diskrepanz zwischen dem Glauben im Spätmittelalter und dem von heute.
Wir haben festgestellt, dass es der Gesellschaft gesamter Lebensinhalt war sich ihrer Religion
zu widmen, zu stiften und zu büßen. Wie ist das heute? Was hat Religion für einen
Stellenwert in unserem Leben eingenommen?
Signifikant sind allein schon die vielen verschiedenen Abstufungen der Intensität, mit der die
Menschen heute ihre Religion erleben. Im Spätmittelalter war es schlicht allen, egal welcher
Herkunft und welchen Alters, wichtig sich um das eigene Seelenheil zu kümmern. Heute ist
es so, dass eine ganze Mehrheit sich kaum über ihre Religion identifiziert, anderen hingegen
ist es nach wie vor wichtig den Geboten gerecht zu werden und Gott zu dienen. Aber ein
ganzes Leben in Höllenangst verbringen auch Letztere nicht. Unser Leben scheint lebenswert
geworden. Wir haben den Genuss kennen gelernt und aalen uns in den Freuden des 21.
Jahrhunderts. Unser Leben ist nicht mehr wie im Mittelalter eine kurze elende Station auf den
Weg ins Himmelreich, sondern will genutzt und ausgekostet werden. So definieren wir uns
heute über Beruf, Familie und Statussymbole und sind Individuen geworden, denen dieses
Dasein von höchster Bedeutung ist. Längst haben sich Phrasen wie: „Ich lebe eben nur
einmal!“ manifestiert und rechtfertigen nahezu jeden ausgefallenen Schritt den wir machen.
Das alles wird weitestgehend von unserer Umgebung akzeptiert und angesehen Jeder andere
handelt ähnlich und freie Entfaltung und Selbstverwirklichung lassen kaum Platz für die
konservativen Konventionen der Kirche, weshalb sie in den meisten Fällen in den
Hintergrund tritt und unserer Lebensweise meist konträr gegenübersteht. Ganz im Gegensatz
zum Spätmittelalter, als es den Ausschluss aus der Gesellschaft bedeutete, sich nicht
anzuschließen und ein Querdenker und Individualist zu sein. Genau das hatte aber auch kaum
einer nötig, denn bald war man ja eh tot und wirklich Möglichkeit zur Selbstfindung gab es
auch nicht. Man war mit Überleben beschäftigt und sehnte sich nach einem einfachen
glücklichen „sein“. Ein Paradies ohne Hunger, Kälte und Knechtschaft. Und jahrelang mit
dieser Illusion genährt, ist dies das einzig sinnvolle Ziel in den Augen des
spätmittelalterlichen Volkes. Die Arbeit daran nahm also jede erdenkliche Form der
Äußerung und Verwirklichung an. Zum Teil auch bildhaft ausgedrückt auf Altären und
Kirchenfenstern. Wie wir heute unsere Träume und Vorstellungen von einem perfekten Leben
an Wände pinnen, als Desktophintergrund einrichten oder auf Kofferraumklappen kleben, so
taten dies die Menschen mit ihrem Paradies in Form von heiligen Abbildungen und ohne
Hoffnung auf eine Möglichkeit,
14
jemals etwas derart Schönes erleben zu können, war die Angst natürlich umso größer dort nie
hinzugelangen und das arbeiten am Seelenheil strenger und unerbittlicher. Heute erhält man
sich mit den Vorstellungen vom Traumaufenthaltsort am Leben. Geht man morgens zur
Arbeit denkt man kurz an Sylt und Krabbenbrötchen, weil da klebt ja noch der Aufkleber vom
letzten Sommer an der Heckklappe, wird man dann an der Arbeit vom Computer empfangen,
sieht man auf dem Bildschirm auch gleich sich sanft wiegendes Heidegras, weißen Sand und
stahlgraue Wellen mit spritzenden Schaumkronen. Abends ist man dann doch erschöpft und
erschlagen aufgrund des anstrengenden Arbeitstages, aber der Blick auf ein mit Öl gemaltes
Bild, was ein kleines ruhiges Friesenhäuschen mit Reetdach zeigt und ein paar friedlich
grasende Schäfchen davor lassen einen doch zufrieden in den Schlaf hinübergleiten, denn man
weiß, man kann vielleicht schon demnächst mit ein wenig Zeit und Geld dorthin. Man ist
weder besessen noch ängstlich und das Paradies, was in viel zu ferner Zukunft liegt,
interessiert auch erst einmal nicht, denn diese Erde birgt ja schon genügend davon, die
ausgekostet werden müssen. All dies hatte der mittelalterliche Mensch nicht als Notanker, er
konnte nur auf das Paradies setzen und deswegen war es für ihn omnipresent. Genau
deswegen war der Absatz von Abbildungen wie „Das jüngste Gericht“ hoch, denn es war das,
was einen rund um die Uhr beschäftigte. Deswegen wurden Unsummen ausgegeben diese
Werke herzustellen und zu stiften. Denn wie wir uns eine Reise finanzieren, versuchte man
sich hier die Reise ins Paradies zu finanzieren, wenn man denn die Mittel besaß.
15
VI
Nachwort
Wir erkennen also durch diese Jahresarbeit den Sinn und die Bedeutung eines solchen
Dyptichons, wie dem von Rogier van der Weyden, für die Menschen im Mittelalter.
Wir erkennen ihre Angst und ihre Akribie, mit der sie versuchten ihre Seele aufzuwiegen.
Man versteht nun, warum es damals so wichtig für die Gesellschaft war Christus als Richter
zu haben, in einer Welt, in der nur der Tod wahre Gerechtigkeit brachte. Hier konnte man all
sein Vertrauen darin legen richtig behandelt zu werden oder zumindest so wie man es
verdiente. Denn während Lebzeiten war es den Menschen einfach nicht möglich sich zu
nehmen, was sie wünschten. In unserer Welt sind wir diesem Ziel schon viel näher gerückt,
auch wenn wir dies kaum spüren, da ja auch unsere Traumvorstellungen vom Leben wieder
ein Stück höher gehängt wurden.
Ähnliche Werke können heute nicht mehr in dieser Art und Weise dargestellt werden und
auch die Anfrage für Klappaltäre ist wohl nicht mehr die gleiche wie damals. Denn wir haben
uns schon längst von der großen Angst befreit nicht ins Paradies zu kommen. Nur direkt mit
dem Tod konfrontiert, neigen wir dazu mal über unser Leben nach dem Tod nachzudenken,
doch meist liegt das in weiter Ferne. Was für uns zählt ist oft nur das Jetzt, ja meist geht das
noch nicht einmal über die nächsten zehn Jahre hinaus. Und in Sachen Gerechtigkeit zählen
wir schon lange nicht mehr auf Jesus, sondern auf die Justiz und den Staat, obwohl jedes
fliegende Spaghettimonster mehr Sicherheit gewähren würde als die.
Es steht für mich nicht mehr zur Frage wie das Gottesbild im Mittelalter war, denn es war
über allem erhaben und unantastbar, so wie jetzt die Würde des Menschen, das Individuum,
unantastbar ist. So hat sich lediglich der Fokus verändert. Nicht mehr Gott mag uns wichtig
sein, sondern wir uns; nicht mehr er soll uns irgendwie behüten oder auffangen wenn wir
fallen, sondern wir wollen uns lieber selbst schützen und am besten so stark sein überhaupt
nicht hinzufallen.
16
Lite raturverzeichnis
Alltagsleben im Mittelalter, von Otto Borst, insel taschenbuch Verlag
Kirchengeschichte des Mittelalters, von Isnard Wilhelm Frank, Patmos Verlag
Meister der niederländischen Kunst, Rogier van der Weyden, von Stephan Kemperdick, h.f.
ullmann Verlag
Verzeichnis anderer Quellen
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Rogier_Lamp.jpg
29.04.11, S. 3
(Rogier van der Weyden im Drei/viertel-profil)
http://copiosa.org/four_last_things/four_last_things_judgment.htm
29.04.11, S. 8
(Das jüngste Gericht, R. v. d. W.)

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