⑤ Steinlöwe am Hotel Esplanade

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⑤ Steinlöwe am Hotel Esplanade
 Steinlöwe am Hotel Esplanade
Romantik in der Moderne. Eugen Diederichs und sein
Verlag
Der Löwe am Hotel Esplanade, Carl-Zeiss-Platz 5, ist ein
Relikt aus dem letzten Jahrhundert. Bis 1945 schmückte
er eine Ecke des an dieser Stelle stehenden Hauses des
Verlegers Eugen Diederichs (1867-1930). Nach der Zerstörung des Hauses wurde er geborgen und in den 1990er
Jahren an der Fassade des Neubaus angebracht. Er war
das Symbol des Eugen-Diederichs-Verlages, der insgesamt sieben Nobelpreisträger, darunter Hesse, Maeterlinck und Spitteler, als Hausautoren hatte und berühmt
war für seine Buchkunst. Als Wappentier von Florenz und
Skulptur des Bildhauers Donatello von 1416 symbolisierte der Löwe wichtige Aspekte von Diederichs‘ neoromantischem Verlagsprogramm: die Italiensehnsucht und Reiselust in Anknüpfung an die Romantik um 1800 und die
Rückbesinnung auf philosophische und spirituelle Quellen des Hochmittelalters. Für Diederichs wurde die Neoromantik zum Weltbild.
Als Diederichs sich 1904 dafür entschied, seinen Verlag
von Leipzig nach Jena umzusiedeln, hing er dem Bild einer vertraut-gemütlichen Kleinstadt nach, deren Flair sich
aus ihrer klassischen und romantischen Tradition speist.
Es befremdete ihn jedoch bald, wie sehr Wissenschaft und
Technik das Stadtbild und die zwischenmenschlichen Beziehungen Jenas inzwischen prägten. Und so setzte er alles daran, das literarische Leben durch Ausstellungen,
Verlagspublikationen und Veranstaltungen in seinem Sinne zu prägen. Mit der Zeit wurde Diederichs bewusst,
dass er sich in die bestehenden Gruppierungen der Stadt
nicht einfügen konnte. In Intellektuellen-Zirkeln galt er
als Dilettant, da es seinem Verlag in der Anfangszeit noch
an bekannten Autoren mangelte. Hinzu kam, dass er mit
seiner neoromantischen Einstellung in der beschleunigten, rationalisierten Gesellschaft auf wenig Verständnis
stieß. Als sich 1908 eine neue Freistudentenschaft gründete, baute Diederichs sofort Kontakt auf und lud die jungen Menschen zum Sonnenwendefest auf die Kunitzburg
ein. Der gemeinsame Sprung über das Feuer besiegelte
die Gemeinschaft.
Der sogenannte Sera-Kreis, der sich fortan um den Verleger scharte, wurde Projektionsfläche für Diederichs‘ Erneuerungswünsche. Mit dem Hang zum RomantischMystischen pflegten die Mitglieder eine von technischer
Logik und rationalem Kalkül freie Geselligkeit, in der
Menschen einander wieder schätzen lernen und sich nicht
nach Leistung, Geschlecht oder Status bemessen sollten.
Doch die scheinbare Harmonie und Naturverbundenheit
des Kreises verschleiert die Nähe zur völkischen Ideologie
der Zeit, die in Diederichs‘ Autobiografie anklingt:
„Je älter man wird, desto mehr versteht man nicht nur seine
Eltern, sondern auch das Blutserbe in sich von seinen Vorfahren her. Man spürt die Beziehungen zu Landschaft, zu Rasse,
zu Geschichte, man sieht seine Gebundenheiten an die Vergangenheit. [...]Ist man aber zwanzig Jahre alt, spürt man nur
Gegenwart und in ihr die schmerzliche Zerrissenheit der eigenen Werdenot. [...] Wie gern hätte man einen Führer, aber er
fehlt.“ (Aus meinem Leben. Jena 1938, S. 7)
In diesem Sinne mag sich Diederichs als Führer dieser
jungen Menschen verstanden haben, als einer, der ihnen
eine Zuflucht vor der Moderne bieten und ihnen den Weg
weisen kann. Heute bleibt die Frage, wie dieser Weg ausgesehen haben könnte. Inwieweit sich das Denken Diederichs‘, der zu Zeiten der Weimarer Republik auch für den
offen antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur
schrieb, in die Ideologie der Nazis eingepasst hätte, kann
aufgrund seines Todes im Jahre 1930 nicht beantwortet
werden. Während der NS-Zeit hatte der Verlag, der von
seinem Sohn übernommen worden war, allerdings im
Vergleich zu anderen mit weit weniger Restriktionen zu
kämpfen. An der Außenwirkung des Unternehmens und
am Inhalt der verlegten Texte schienen sich die Nazis somit nicht sehr zu stören.
(Patricia Kotzauer)
Der ‚Sera-Stein‘ bei Jena