Lymphödem bei Mammakarzinom
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Lymphödem bei Mammakarzinom
FORTBILDUNG + KONGRESS TUMORNACHSORGE Lymphödem bei Mammakarzinom Barbara Netopil Das sekundäre Lymphödem bei Brustkrebs ist ein chronisches, unbehandelt zur Progression neigendes Krankheitsbild. Für die Patientinnen ist es deshalb wichtig, dass ihr Arzt die Vorgehensweise bei der Diagnostik und Therapie sowie die Möglichkeiten der Prophylaxe kennt. Lymphödeme bei Mammakarzinom können den ganzen zur ipsilateralen Axilla gehörigen Quadranten betreffen: Arm, Hand, Thoraxwand und Mamma. Sie manifestieren sich meist rasch nach der Operation, manchmal infolge von Narbenschrumpfungen und radiogenen Fibrosen aber auch erst nach Monaten oder Jahren. Während die Häufigkeit besonders der Armlymphödeme durch verbesserte Operationsverfahren deutlich gesunken ist, wird jetzt häufiger das postradiogene Mammaödem beobachtet, bei dem es sich eher um ein „entzündliches Ödem“ durch radiogene Schädigung der Blutkapillaren handelt. Es bildet sich meist innerhalb von 1–3 Jahren völlig zurück. Ursachen und Komplikationen Der Abfluss der proteinreichen Lymphe des oberen Körperquadranten und des Armes erfolgt fast ausschließlich über die axillären und klavikulären Lymphknoten und Lymphbahnen, die früher bei radikaler Mastektomie und möglichst umfangreicher Axilladissektion oft massivst Abb. 1: Ödemgradmesser. 322 FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 4 geschädigt wurden, so dass es zu zahlreichen, stark ausgeprägten Armlymphödemen kam. So zeigte eine große Studie an 5.868 Frauen mit Mammakarzinom in einer onkologischen Klinik (4) 1972 noch eine Armlymphödem-Häufigkeit von etwa 37% (d.h. mehr als jede dritte Patientin), die bis 1996 durch schonendere OPTechnik auf etwa 17% sank. Dabei wurde in dieser Studie dann ein Ödem angenommen, wenn die Armumfangsdifferenz mindestens 2 cm betrug. Geringere Befunde gingen nicht in die Studie ein. Die reduzierte Lymphtransportkapazität kann zu Schweregefühl, Spannungsempfinden, Bewegungsbehinderung sowie Leistungsverminderung führen, und natürlich bringt die Schwellung auch eine psychische Belastung mit sich. Die Behandlung ist deshalb für die Patientinnen wichtig und auch sozialmedizinisch bedeutsam, da man Komplikationen wie die immer auftretende Proteinfibrose, die häufig auftretenden Erysipele und weichteilrheumatischen Beschwerden vermindern bzw. verhindern kann (abgesehen von seltener auftretenden Problemen wie Ekzembildung, Lymphfisteln oder -zysten oder gar Papillomatose der Haut). Häufigkeit und Ausprägungsgrad heute Durch schonendere Bestrahlungsverfahren und die WächterlymphknotenTechnik (Sentinel) konnte die Lymphödem-Morbidität in den letzten Jahren weiter gesenkt werden. In der britischen Multicenterstudie Almanac wurden zwischen 1999 und 2003 insgesamt 1.031 klinisch nodal negative Mammakarzinom-Patientinnen entweder der Sentinel-Biopsie oder der herkömmlichen Axilladissektion zugeführt. Bei Bedarf wurde die Sentinel-Biopsie erweitert und zusätzlich nodal bestrahlt. Die Ödemhäufigkeit betrug nach einem Jahr in der Sentinel-Gruppe 5% gegenüber 13% in der Vergleichsgruppe (offen sind allerdings die Art der Ödemdiagnostik und die Klassifizierung). Um einen Einblick in die Situation in Deutschland zu gewinnen, führte ich unter Mitwirkung von Dr. Ulrich Ödemgrade Grad Beschreibung 1 2 3 4 5 geringes Ödem mäßiges Ödem starkes Ödem massives Ödem gigantisches Ödem Volumenvermehrung gegenüber gesunder Seite bis 25% bis 50% bis 100% bis 200% über 200% Tab. 1: Ödemgrade nach dem DGLKonsensuspapier. 90 % 80 70 60 50 40 82% 30 20 14,5% 10 0 ohne Armödem gering 3% 0,5% mäßig stark/massiv Abb. 2: Armlymphödem-Stärke nach dem Konsensuspapier der DGL von 2000, gemessen bei 1.000 Patientinnen (Lymphödemstudie Netopil, Ödemklinik Bad Nauheim 2007). Häufigkeit des Armlymphödems (>2 cm) nach Mammkarzinom (Kriterien nach Schünemann) 40 % 37,6% 35 30 25 20 16,7% 15 10 5 0 1972 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1996 Lymphödem-Diagnostik angegeben nach dem Konsensuspapier der DGL von 2000 wie in Tabelle 1 dargestellt. Durch die langjährige lymphologische Erfahrung der Untersuchenden wurden auch geringste Armlymphödeme (Proteinfibrose), Mamma- und Thoraxwandödeme erfasst. Beim Lymphödem handelt es sich um eine klinische Diagnose, die durch Anamnese und körperliche Untersuchung gestellt wird. Beurteilung und Dokumentation geschehen am einfachsten über Umfangsmessungen, die am sinnvollsten präoperativ (Feststellung vorbestehender Asymmetrien), am Ende der stationären Behandlung und jeweils bei den Tumornachsorge-Untersuchungen an beiden Armen durchgeführt werden. Als Messpunkte empfehlen sich die Mittelhand, das Handgelenk, der proximale Unterarm und die Oberarmmitte. Weitere Kriterien sind die verdickte Hautfalte infolge subkutaner Eiweißfibrose (s. Abb. 4 auf S. 324) und die Dellbarkeit (s. Abb. 5 auf S. 324). Die Auswertung von 1.000 Patientinnen ergab eine völlige Ödemfreiheit bei 63% dieser Teilnehmerinnen, 17% hatten ein Armlymphödem (z.T. in Kombination mit Mammaödem oder Thoraxwandödem), 19% ein postra- Differenzialdiagnostisch ist bei plötzlicher Armschwellung auch an eine Armvenenthrombose zu denken, besonders wenn eine leichte Zyanose und verstärkte Venenzeichnung dazukommen. 8,4% 2007 Abb. 3: War Anfang der 1970er Jahre noch mehr als ein Drittel der Patientinnen von einem deutlichen Lymphödem betroffen, ist die Zahl heute auf rund 8% gesunken. Herpertz (Oberarzt und Leiter der lymphologischen Abteilung im RehaZentrum Bad Nauheim) von 2005 bis 2007 eine Studie an den in die onkologische Abteilung unserer Rehabilitationsklinik aufgenommenen Mammakarzinom-Patientinnen durch. Dabei wurden 1.000 einseitig operierte Patientinnen (70% brusterhaltende Therapie, 30% Mastektomie, Erstdiagnose 2000–2007) sehr differenziert hinsichtlich des Ödemstatus untersucht. Die Ödemstärke wurde mit Hilfe des in Abbildung 1 gezeigten Ödemgradmessers ermittelt und Wenn man die Armlymphödem-Entstehung in Korrelation zur entfernten Lymphknotenzahl sieht, wird eine fast lineare Abhängigkeit deutlich, natürlich noch beeinflusst durch Lymphknotenbefall und Radiatio der Lymphabflusswege. Einen deutlichen Gewinn haben die Patientinnen durch die Sentinel-NodeTechnik (Entfernung von 1–6 Lymphknoten). Hier zeigte sich unter insgesamt 238 mit Sentinel-Technik operierten Patientinnen nur bei 7 ein geringes Armlymphödem (entspricht 2,9%). FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 4 FORTBILDUNG + KONGRESS diogenes/postoperatives Mammaoder Thoraxwandödem allein. Die Armödem-Ausprägung war im Allgemeinen gering (s. Abb. 2). Die schweren Ödemformen von früher treten heute fast nur bei maligner Genese des Ödems auf. Unter dem Kriterium Umfangsdifferenz >2 cm betrug die endgültige Armlymphödem-Häufigkeit nur 8,4% (s. Abb. 3). Ausprägungsgrad der Armlymphödeme 323 FORTBILDUNG + KONGRESS Abb. 4: Die Bewertung einer subkutanen Eiweißfibrose ist neben Umfangsmessungen an Arm und Hand ein Kriterium bei der Lymphödem-Diagnostik. Abb. 5: Im ödematösen Gewebe bleiben nach Anwendung von Druck Dellen bestehen, hier am linken Unterarm. Ein malignes Armlymphödem ist wahrscheinlich, wenn folgende Zeichen vorliegen (s. Abb. 6): Übergreifen des Ödems auf den angrenzenden Rumpfquadranten, progrediente Ödemverschlechterung, zunehmende Armplexusschädigung, Venektasien an der Extremitätenwurzel, Überwärmung des Ödems und Lymphangiosis carcinomatosa cutis. Bei verdächtigem Befund sollte hier eine Rezidivdiagnostik eingeleitet werden. führt werden. In dieser Phase ist eine Kompression durch tägliche Bandagierung erforderlich, so dass am Ende dieser Phase ein Armkompressionstrumpf nach Maß, flach gestrickt, in der Regel Kompressionsklasse 2, angepasst werden kann. Das postradiogene Mammaödem ist oft schon vom Aspekt her gut zu erkennen (Vergrößerung der Brust, möglicherweise noch Resterythem, Peau d’orange und Hautfaltenverdickung) (s. Abb. 7). Vom Ödem differenzieren muss man die radiogene Fibrose der Brustdrüse, die in der Regel erst nach Jahren entsteht. Bei dieser fehlt die Hautfaltenverdickung, und die Verhärtung des Gewebes ist in der Tiefe zu spüren. Die Art der Bestrumpfung richtet sich nach der Ödemlokalisation. So kann ein alleiniges Hand-FingerÖdem auch mit einem Handschuh mit kurzen oder langen Fingern versorgt werden, das Unterarm-HandÖdem mit einem langen Handschuh bis zum Ellbogen, das Armödem mit einem Armstrumpf. Mammaödem und Thoraxwandödem bilden sich oft sehr gut zurück, da der Abfluss über Anastomosen zu den benachbarten Körperquadranten aktiviert werden kann. Unterstützend wirken so genannte Entstauungs-BHs (rezeptierbar). Lymphödem-Therapie Ziele der Therapie sind eine Reduzierung des Ödems und seiner Beschwerden, die Vermeidung von Komplikationen und der Erhalt oder die Wiederherstellung von Funktion, Leistungs- und Arbeitsfähigkeit mit dem Arm. Abb. 6: Ein malignes Armlymphödem. Abb. 7: Zeichen eines postradiogenen Mammaödems: Vergrößerung der Brust, Peau d’orange und Hautfaltenverdickung. 324 FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 4 Die Therapie erfolgt als physikalische Entstauung (KPE) und besteht immer aus einer Kombination von manueller Lymphdrainage (MLD) und Kompression. Sie kann bei leichtgradigen Ödemen, bei denen keine wesentliche Ödemabnahme zu erwarten ist, ambulant durchgeführt werden, wie auch als Erhaltungstherapie nach stationärer Behandlung. Die Behandlung mäßig und stärker ausgeprägter Armlymphödeme sollte zur Ödemreduktion stationär in lymphologischen Fachkliniken durchge- Die Verordnung ambulanter MLD ist möglich in Behandlungseinheiten von 30, 45 oder 60 Minuten, was sich nach dem Schweregrad und dem Ausmaß (z.B. beidseitige Armlymphödeme) richten soll. Als Richtlinie für die Therapie kann das in Tabelle 2 dargestellte Vorgehen empfohlen werden. Ergänzende Therapiemaßnahmen sind außerdem: Anlernen der Patientin in der Lymphdrainage-Eigentherapie, Entstauungsübungen für die Arme, Armhochlagerung, Beachtung der Verhaltensregeln (Ödemmerkblätter), gute Hautpflege und lymphologische Betreuung. Der Vollständigkeit halber seien noch mögliche operative Verfahren genannt: die Lymphgefäß-Transplantation (Lymphkollektor aus dem Oberschenkel) oder die Schaffung einer lymphovenösen Anastomose bei gestauten Lymphgefäßen. Die Ergebnisse dieser Operationen sind aber nicht überzeugend, so dass sie nur selten durchgeführt werden. Schweregrad kein (latentes) Lymphödem reversibles Lymphödem geringes Lymphödem mäßiges Lymphödem starkes Lymphödem massives Lymphödem gigantisches Lymphödem manuelle Lymphdrainage (MLD) keine keine 1x/W 1–2x/W 2–3x/W 3–4x/W 3–5x/W MLD MLD MLD 30 MLD 45 MLD 45 MLD 45 MLD 45 Kompressionsbehandlung keine Bestrumpfung zeitweise Bestrumpfung überwiegend Bestrumpfung dauerndes Strumpftragen dauerndes Strumpftragen dauerndes Strumpftragen dauerndes Strumpftragen Tab. 2: Empfehlung für das Vorgehen bei Lymphödemen unterschiedlicher Schweregrade. Folgende Grundsätze sollten im Sinne der Patientin und einer rationellen Therapie eingehalten werden: Prophylaktische MLD und prophylaktisches Strumpftragen sind nicht erforderlich. MLD ohne Strumpftragen ist wirkungslos. Strumpftragen ist wichtiger als MLD. Eine postoperative MLD ist allenfalls für 2–3 Monate sinnvoll, wenn die Patientin ödemfrei bleibt. Lymphödem-Prophylaxe Die Aufklärung der Patientinnen über das Lymphödemrisiko sollte grundsätzlich in der operierenden und bestrahlenden Klinik erfolgen. Dies ist in den meisten Fällen auch der Fall. Doch gaben von 1.000 befragten Patientinnen rund 30% an, präoperativ nicht über dieses Risiko informiert worden zu sein – was natürlich zum Teil mit der besonderen Situation der Patientin im Rahmen der Diagnosestellung erklärt werden kann. Aber auch nach der abgeschlossenen Therapie hatten 42% der Interviewten kein Ödemmerkblatt oder ähnliche Verhaltensempfehlungen erhalten. Die wichtigsten Punkte dieser Verhaltensregeln kurz zusammengefasst: Vorsicht vor Verletzungen am Ödemarm (bzw. am gefährdeten Arm); Vorsicht vor Überlastungen; keine klassische Massage am betroffenen Quadranten; Überwärmung und Erfrierungen vermeiden; Entzündungen und Ekzeme vermeiden und sofort behandeln; keine abschnürende, einengende Kleidung tragen (BH!); Operationen im betroffenen Bereich möglichst vermeiden; Übergewicht vermeiden. Diese Regeln können für Patientinnen, bei denen nur 1 oder 2 Wächterlymphknoten entfernt wurden, sicher gelockert werden oder auch ganz entfallen (abhängig natürlich von Narbensituation und sonstigem OP-Umfang). ten Sportarten ist Schwimmen wegen der positiven Wirkung des hydrostatischen Drucks. Literatur 1. Herpertz U: Ödeme und Lymphdrainage. Schattauer, Stuttgart, 2006. 2. Mansel RE et al.: The ALMANAC Trial. J Natl Cancer Inst 98 (2006) 599–609. 3. DGL, Konsensuspapier von 2000. www.dglymph.de Medizinische Info Lymphologische Terminologie 4. Schünemann H, Willich N: Lymphödeme nach Mammakarzinom: Eine Studie über 5868 Fälle. DMW 122 (1997) 536–541. 5. Netopil B. Lymphödemstudie. Bad Nauheim, 2005–2007. Daten über Autorin (s. Korrespondenzadresse). FORTBILDUNG + KONGRESS Lymphödem-Therapie Fotos freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. U. Herpertz. Ödemmerkblätter für Patientinnen sind zu finden unter www.dglymph.de Medizinische Infos Verhaltensregeln Arm. Hilfreich ist ergänzend die regelmäßige Durchführung von Entstauungsübungen, die im Rahmen der Nachsorge-Reha erlernt und auch in Sportgruppen für Frauen nach Mammakarzinom durchgeführt werden. Hierzu können auch verschiedene Übungsgeräte verwendet werden. Vermeiden sollte man verletzungsträchtige Sportarten (z.B. Volleyball), schleudernde Bewegungen mit dem betroffenen Arm und muskuläre Ermüdung (z.B. Gewichttraining mit hoher Belastung). Eine der günstigs- Autorin Barbara Netopil Ärztin/Lymphologie Taunusklinik im Reha-Zentrum Bad Nauheim der DRV Bund Lymphologische Abteilung Lindenstraße 6 61231 Bad Nauheim FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 4 325