Sexbomben im Wonderbra

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Sexbomben im Wonderbra
Sexbomben im Wonderbra
Neue Rollenbilder vom alten Schlag: Die Jugendpopkultur tischt
Teenagern längst überholte Frau-Mann-Ideale auf. Text von Sarah Obernosterer
Come here rude boy, boy, can you get it up
Come here rude boy, is you big enough
Take it, take it, baby, baby
Take it, take it, love me, love me
Tonight i’mma let you be the captain
Tonight i’mma let you do your thing, yeah
Tonight i’mma let you be a rider
Get it up, get it up, get it up, babe
Tonight i’mma let it be fire
Tonight i’mma let you take me higher
Tonight, baby, we can get it on, yeah
We can get it on, yeah
­Fantasien, die in Form von Musikvideos so manchem
­ oftporno den Rang ablaufen. Es braucht keine Emanzen,
S
Gender­experten oder Sexismusbeauftragten, um hier eine
Schieflage zu erkennen, welches längst überholte Frauenbild
der heutigen Jugend wieder vermittelt wird – unter dem
Deckmäntelchen eines modernen, knallharten Selbstbewusstseins.
Erwachsenenfantasien für Kids
Warum Klischees in der Darstellung von Mann und Frau
­gerade heute wieder aus dem Keller geholt werden, weiß
Christian Gutschi, Medienpsychologe und Wirkungsforscher
aus Wien, der in einem Krisenzentrum für Jugendliche viel
mit den Wirklichkeiten junger Menschen zu tun hat: „Durch
Sex sells. Maria, 12, groovt am Rücksitz des
pluralistische Gesellschaften lösen sich die sicheren StruktuAutos kräftig mit. „Take it, take it, baby,
ren auf.“ Klischees tauchen immer dann auf, wenn der Halt
­baby“, singt sie textsicher mit. Ob sie genau
fehlt, so der Psychologe, obendrein mangle es momentan an
weiß, was sie da gerade rezitiert? Wohl
einem Protestbewusstsein. In den Jugendmedien wird in die
kaum. „Cool ist der Song“, meint sie unExtreme gegangen, und das, wie Gutschi meint, „zu Lasten
schuldig. Schließlich geht es hier um den
einer differenzierten und aufgeklärten Gesellschaft“. Das sei
Number-One-Song von Rihanna, einer Teekeine moralische Frage, sondern Geschäftssache, die in unnie-Pop-Queen, einem Idol im knappen
Nichts, perfekter Körper, der sich lasziv nach gefilterter Form bei den Jugendlichen durchaus Schäden anMännern verzehrt, Schmollmünder, anrüchi- richten kann. Vor allem deswegen, weil die Videos aus einer
Fantasiewelt der Erwachsenen und nicht aus dem Blickwinge Texte. In dieser Rolle präsentieren sich
kel von Jugendlichen kreiert werden: „Kinder und Teenager
­alte, aber auch neue Jugendvorbilder. Die
nehmen die von den Medien vermittelten Schwarz-Weiß-BilMänner dazu, sie geben sich wiederum als
der auf, die sich im Erwachsenenalter dann oft negativ ausbetont lässige Checker, die Mädchen als
wirken.“ In den Videos beispielsweise gibt es keine Abstuhübsche Beiwagerln, die sie zur eigenen
fungen zwischen Liebe, Zuneigung, Streicheln oder Erotik
Aufwertung benutzen, abgebrüht und stets
wissend, wie der Hase läuft. Ehrliche Gefüh- – im Gegensatz zum realen Leben gibt es in der erschreckend
real dargestellten Scheinwelt nur gar nichts oder Sex.
le oder Schwächen sind hier fehl am Platz.
„Es wird einfach jedes Gefühl sexualisiert“, beklagt Gutschi.
In der Popwelt besteht kein Zweifel, wie
Die Folge seien erwachsene Paare, die mit ihrer sozialen Bedie beiden Geschlechter zu sein haben: Junziehung und deren Feinheiten nicht klarkommen würden
ge Frauen gebärden sich genau so, wie es
und schlussendlich in Therapien oder vor dem ScheidungsMännerträume gerne hätten, scheinbar nur
richter landen.
dazu auf der Welt, um diesen zu gefallen.
Das war in den 50ern schon so. Und das ist
Frauenbild im Rückwärtsgang
im Jahr 2011 offenbar wieder so.
Eva Böhm, Studiomanagerin von MG Sound, kennt die Stars
Von der Musikindustrie in eine Rolle
im Business: „In der Musikindustrie gibt es die einen, die
­gepresst und zu Geld gemacht, singen die
sich und ihr Image selbst konstruieren und sich mit gnadenTeenie-Idole von schnellem Sex und heißen
loser Härte selbst zum Superstar formen, und die Talente,
Flirts, geben sich experimentierfreudig und
die entdeckt werden und durch erfolgreiche Manager und
küssen auch gern mal Mädchen. Die MesProduzenten gezielt zum Star gemacht oder geformt wersage dieser Songs ist aber häufig nicht eine
den.“ Egal, ob provokante Powerfrauen wie ­Madonna oder
emanzipatorische, à la „Es ist OK, lesbisch
zu sein!“ oder „Lebe selbstbestimmt!“ − im Lady Gaga oder Teeniestars wie Rihanna, Katy Perry oder
Gegenteil: Wort und Bild werden gerne
schlichtweg dazu benutzt, ein Klischee von
Männerfantasien am Leben zu erhalten.
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Bestseller 5|6 2011
Die Musikindustrie benutzt gerne Wort und Bild, um ein Klischee von Männerfantasien am Leben zu erhalten.
Kylie Minogue – gemeinsam demonstrieren
diese Sängerinnen, dass „Frausein heute ein
‚multidimensionales Ereignis‘ ist“, wie Böhm
es ausdrückt. Sie vereinen verschiedenste
Rollen in sich, scheinen Sexgöttinnen, Mütter, Diven und Hausfrauen gleichzeitig zu
sein. Die Heilige und die Hure zu sein, genügt aber längst nicht mehr, es braucht
obendrein schon einen pausenlosen Seelenstriptease, um die Konten der Manager aufzufetten. „Man kann diskutieren, ob diese
Rollenbilder besonders selbstbewusst oder
einfach nur ein Verkaufsschmäh sind“,
merkt Ö3-Senderchef Georg Spatt an.
­Kulturpessimismus will Spatt keinen versprühen, auch wenn er bemerkt: „Generell
geht das Frauenbild im Musikbusiness
­einen Schritt zurück.“ Beschwerden über
rückschrittliche Texte gibt es bei dem
„Die Jungen vertragen das schon“, wird von
mehreren Seiten argumentiert. Gutschi kann
dieser Rechtfertigung von ­Medienseite aus
psychologischer Sicht nichts abgewinnen:
„Jugendliche sind heute nicht selbstbewusster oder aufgeklärter als vor einigen Jahren,
„Die Jugend verträgt das schon“
sie werden durch die Medien nur früher mit
Jugendmedien tun sich schwer, zum Thema
verschiedenen Wirklichkeiten konfrontiert.“
Rollenbilder Stellung zu nehmen, zu sehr
Welchen Einfluss diese Konfrontation mit
klaffen Verkaufs- und Quotendruck mit der
scheinbar realen Sexbomben haben könnte,
Einstellung der Menschen dahinter auseinsei schwer messbar und hänge vor allem mit
ander. Viele vereinfachen den Sachverhalt
der Persönlichkeitsstruktur des jeweiligen
sehr, um fragwürdige Texte und versach­
Jugendlichen ab. „Ein sicheres Elternhaus
lichte Körper im Programm zu rechtfertigen.
hilft“, erklärt Gutschi, der in seiner täglichen
Immer wieder wird das Argument aufs TabArbeit mit Familien eine immer größere
lett gebracht, dass die heutige Jugend sehr
viel aufgeklärter sei als jene vor ein oder gar ­Verunsicherung und Überforderung bei den
Eltern feststellt. Beste Bedingungen also für
zwei Generationen. Der Nachwuchs sei
selbstsicherer und lasse sich von den bunten, Medien, einfache Bilder zu platzieren, die
nicht einmal hinterfragt werden …
überzeichneten Bildern nicht verunsichern.
­Radiosender keine, und wenn, dann betreffen sie Texte, in denen Wörter wie „Fuck“
vorkommen, und nicht jene, die subtilen
­Sexismus transportieren.
Bikinifigur?
www.woman.at

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