Mit einem Paukenschlag beginnt der 2. Satz der 94. Sinfonie von

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Mit einem Paukenschlag beginnt der 2. Satz der 94. Sinfonie von
Evangelische Hoffnungskirchengemeinde Berlin-Pankow
PREDIGT im Gottesdienst am Sonntag Miserikordias Domini, 04.05.2014 in der Hoffnungskirche
(Textgrundlage: Hebräer 13, 20-21)
von Pfarrer em. Dr. Ulrich Kappes
Mit einem Paukenschlag beginnt der 2. Satz der 94. Sinfonie von Joseph Haydn, die als
„Sinfonie mit dem Paukenschlag“ zu einer der bekanntesten Werke Haydns geworden ist.
Der Paukenschlag ist eigentlich ein Mix aus Pauke und Orchester und
dieser 2. Satz ist mit „Andante“ überschrieben, was so viel wie „langsam schreitend“
bedeutet. Er ist also kein Donner, sondern ein Ton, der sanft das Andante durchzieht.
Mit einem sanften, den ganzen Predigttext durchziehenden Paukenschlag beginnt unser
biblisches Wort. Es heißt:„der Gott des Friedens“. Wie in Haydns Sinfonie klingen diese
Worte durch den ganzen Text hindurch, geben ihm Struktur und Sinngehalt.
Der „Gott des Friedens“ ist einmal ein Gott, der in seinem Frieden ruht und er ist zum anderen
der Gott, von dem Frieden ausgeht. (ANM. 1)
Der Predigttext ist wie folgt aufgebaut:
Er beginnt mit dem sanften Andante: „Gott des Friedens“, das gleichzeitig regierendes
Subjekt des ganzen Textes ist. Der „Gott des Friedens“ ist einmal ein Gott, der in seinem
Frieden ruht und er ist zum anderen der Gott, von dem Frieden ausgeht. (ANM. 1)
Dann folgt ein Relativsatz:
(Der Gott des Friedens), der herausgeführt hat von den Toten des großen Hirten der Schafe.
Nach diesem Relativsatz wird der „Gott des Friedens“ Ursache und Grund unseres Handelns:
„Er mache euch bereit, das Gute zu tun, das ist: seinen Willen zu tun durch Jesus Christus.“
Wie weit und wie sehr der Verfasser des Hebräerbriefes hier gottesdienstliche Texte aus der
Liturgie der damaligen Gemeinden übernommen hat und wie viel er es selbst war, der diese
Worte sprach, lässt sich nicht ermitteln. In jedem Fall haben diese Worte den Klang einer
Hymne, die mit einem feierlichen „Amen“ abgeschlossen wird. (ANM. 2)
Diese Hymne hat etwas von Trotz und Willensstärke, denn den ganzen Brief hindurch kämpft
der Schreiber gegen den drohenden Abfall vieler Christinnen und Christen. Die Zeit des
Enthusiasmus der ersten Getauften war vorüber. Verfolgung war angesagt und nicht wenige
verließen „die Versammlungen“. Es ist ein Hymnus gegen den scharfen Gegenwind, der dem
Apostel und den Treuen der Gemeinden ins Gesicht blies.
„Der Gott des Friedens, der heraus geführt hat den großen Hirten der Schafe von den Toten
im Blut des ewigen Bundes“…
Galt Mose als der Hirte der Schafe Israels, so ist „unser Herr Jesus“ der „große Hirte“ aller
Menschen geworden. (ANM. 3) Allen erweist er diese Gunst. Nicht alle aber nehmen sie an.
(ANM. 4)
Wie können wir uns den großen Hirten vorstellen?
Der Hebräerbrief betont, dass der große Hirte „in seinem Blut“ die Erlösung vollbrachte. Vor
die Augen der damaligen Hörer und Leser des Briefes wie für unsere Augen wird ein Hirte
gezeichnet, der weiß, was Leiden und Bluten bedeutet.
Im Frühjahr dieses Jahres gab es eine Ausstellung in London, die man sich sehr auch für
Deutschland gewünscht hätte: „Divided Germany“, das geteilte Deutschland. Ausgestellt
wurden Werke von Künstlern, die alle ihre Wurzeln im Osten Deutschlands hatten. Gerhard
Richter, Markus Lüpertz, Sigmar Polke und vor allem Georg Baselitz.
Das Titelbild der Ausstellung ist ein Hirtenbild von Georg Baselitz. Baselitz hat das
Hirtenthema in mehreren Bildern immer wieder bearbeitet.
Alle seine Hirten sind vom Leiden gezeichnet. Der Hirt trägt eine Eisenfessel an seinen
Füßen, ein Draht hängt an seiner Hand. Er ist in eine Trümmerlandschaft gestellt. Sein
Gesicht ist das Gesicht eines leidenden, geprüften Menschen.
Was ist – äußerlich gesehen – ein Hirte? Baselitz’ Botschaft lautet: Für mich ist ein Hirte ein
Geschlagener, ein vom Leid Gezeichneter. Er hat eine tiefe Erfahrung mit Ohnmacht. Er ist an
das Trümmerfeld dieser Erde gebunden. (ANM. 5)
Unser großer Hirte, unser „Herr Jesus“, so hören wir, ist kein Triumphator, kein Herrscher,
wie man sich einen Herrscher als Hirte vorstellt. Sein hervortretenden Merkmal sind Blut und
Leiden. Alle süßlichen Darstellungen des Hirten ignorieren das. Er ist durch alle Tiefen des
Leides hindurch gegangen.
So ist er „Hirte“.
Die in meinen Augen wichtigste Tätigkeit des Hirten ist es, seinen Schafen den Weg zu
weisen, sie dorthin zu führen, wo sie weiter weiden und leben können. Dank seines Wissens
bewahrt er die Herde vor einem falschen Weg.
Die Überlegenheit seines Wissens kommt in dem Bild von Hirt und Schaf zum Ausdruck.
Das Bild vom Hirten – Jesus – und Schaf – die einzelne Christin, der einzelne Christ – ist
einzig Ausdruck der Weitsicht des Hirten. Das ist der Focus. Der Focus ist nicht der einer
dümmlichen Unterordnung unter den Hirten, von Tieren, die, wohin auch immer, stumpf dem
Hirten hinterher trotten.
Fredrike Greiner und Magdalena Labusch heben heute die heilige Taufe empfangen.
Vielleicht fragen sie einmal ihre Eltern und Paten, was am 4. Mai 2014 geschah. Eine
Antwort kann sein: Der große Hirte, von dem die Schrift spricht, ist damals auf dich
zugegangen und hat dich zu seiner Herde geholt. Damals wurde dir das Privileg geschenkt,
teil zu haben, an einer einzigartigen Wahrheit, der Wahrheit Gottes über uns.
Wie weist uns der große Hirte seinen Weg? Wie erlangt „das Schaf“ die Weisung des großen
Hirten? Ich versuche eine Antwort mit einem Gedicht von Andreas Knapp, „Lectio divina“:
„Öffne das Buch
In dem die heiligen Worte
Dunkel leuchten.
Schau in jede Seite
Wie in einen Spiegel
So als läsest du
Deine eigene Biographie.
Und je mehr dein Leben
In den Text verwoben
Verwandelst du dich
In Gottes heiliges Buch.“ (ANM. 6)
In unserem Zusammenhang weiter gesprochen: Und je mehr du dich mit deinem Leben in den
Text hinein denkst, verwandelst du dich in einen Menschen an der Seite des großen Hirten.
„Der Gott des Friedens rüste euch aus zu allem Guten, das ist: seinen Willen zu tun durch
Jesus Christus.“ (ANM. 7)
Was ist der Wille Gottes in unserem Leben? Was will Gott konkret von mir?
Stellen wir uns ein Mosaik mit Millionen von Mosaiksteinchen vor, so lautet die Antwort:
Wie es in diesem Mosaik eine riesige und unübersehbare Zahl von kleinen Steinchen gibt, so
ist der Wille Gottes über einem Menschenleben jeweils ein anderer.
Vorbehaltlich dieser Worte, wollen wir aber dennoch versuchen, zu ergründen, was der
Verfasser des Hebräerbriefes im Auge gehabt haben könnte. Ich denke, dass ein Blick in die
bereits skizzierte geschichtliche Situation der Kirche seiner Zeit helfen kann. Die akute
Bedrohung von Kirche und Glauben war der Mitgliederschwund, die Flucht vor Verfolgung,
die Abkehr von dem Ort, da man einst die heilige Taufe empfangen hatte und sich nun davon
stahl. Wer wollte, zumal nach 2000 Jahren Abstand, darüber zu Gericht sitzen? Dennoch
lautet die historische Wahrheit, dass die Zukunft der Kirche in den Händen der Getreuen lag.
Was ist das Gute? Was ist Gottes Willen? Der Apostel verstand wohl darunter die Treue, mit
der Menschen auf ihrem Platz bleiben, in der Gemeinde bleiben. „Gut“ waren, die nicht weg
gingen.
Ich denke, dass diese historisch–bedingte Auffassung von „gut“ oder, was dasselbe ist, „den
Willen Gottes zu tun“ eine überzeitliche Gültigkeit hat.
„Nach dem Willen Gottes zu leben“, heißt, sich nicht unterkriegen zu lassen von den
gegenwärtigen Umständen und Verwerfungen des Lebens. Wie einst die treuen Christen
aushielten, was ihnen von außen auferlegt war und stark und erhobenen Hauptes Christinnen
und Christen blieben, so ist „gut“ und „der Willen Gottes“ auch heute, dass ein Mensch sein
Situation annimmt und nicht wegläuft.
Es kann der „Wille Gottes“ sein, dass jemand sich eine Krankheit entgegenstemmt und sich
nicht unterkriegen lässt.
Es kann sein, dass eine oder einer eine schwierige familiäre Situation erträgt.
Es ist denkbar, mit nicht unbedingt sympathischen Menschen klar zu kommen.
Andere, die den Glauben nicht haben, kapitulieren auch nicht. Das ist wohl wahr.
Wir sind aber nicht „die anderen“.
Wir haben den sanften Paukenschlag vom Gott des Friedens in unserer Seele und wir glauben,
dass uns dieser träg und die Kraft gibt, stark und, wenn’s obendrein noch geht, ein wenig
heiter, den Disharmonien und Dissonanzen im Leben auszuhalten. Amen
ANMERKUNGEN
ANM. 1:
Hans-Friedrich Weiß, Der Brief an die Hebräer, 15. Aufl., Göttingen 1991, S. 752: „gen.
qualitativus und gen. auctoris“.
ANM. 2:
Erich Gräßer geht von der Übernahme zeitgenössischer Liturgie aus: „ … ist damit zu
rechnen, dass wenigstens der Partizipialsatz in V 20 durch den liturgischen Gebrauch in den
christlichen Gemeinden vorformuliert und so von unserem Verf übernommen wurde“.
Erich Gräßer, An die Hebräer, 3. Teilband, Zürich und Neukirchen-Vluyn, 1997, S. 400.
ANM. 3:
Nach E. Gräßer, a. a. O., S. 402.
ANM. 4:
In Übernahme der klassischen Formulierung von E. Gräßer in Auslegung von Hebr 2,10, a. a.
O., S. 129: „Zugunsten jedermanns ist Christus gestorben(2,9d). Aber nicht jedermann macht
von dieser Gunst Gebrauch …“
ANM. 5:
John-Paul Stonard, Germany Divided. Baselitz and his generation, British Museum London
2014, S. 52 – 59 und vor allem das Titelblatt.
ANM. 6:
Andreas Knapp, Brennender als Feuer, Geistliche Gedichte, Würzburg 2007. S. 38.
ANM.: 7
Die Übersetzung „ausrüsten“ für das griechische Wort (katartizo) ist blass. Ich habe aber
keine bessere. Es handelt sich um ein zentrales Verb im Neuen Testament. Es kann ein Wort
sein, mit dem die Tätigkeit eines Heerführers beschrieben wird (Theologisches Wörterbuch
zum Neuen Testament, Stuttgart 1933, Band I, S. 474), aber auch als Handeln der Ärzte: „die
Ärzte gebrauchten dies Wort zur ‚Einrenkung der Glieder’.“ (Fritz Rienecker, Sprachlicher
Schlüssel zum Neuen Testament, Gießen-Basel 1963, S. 450)
Es gilt das gesprochene Wort.