Auswandern: "Bei vielen ein grob fahrlässiges Projekt"

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Mittwochsjournal
Auswandern: "Bei vielen
grob fahrlässiges Projekt"
ein
Familie Bodry arbeitete 20 Jahre erfolgreich in
Spanien und hat dort viele Deutsche scheitern
sehen
Von Volker Reimann
Brest. "Fünf Jahre braucht man zirka, um seine
eigene
Bedienungsanleitung
für
Spanien
schreiben zu können", sagt Jörg Bodry. Ein fünftel
Jahrhundert hat der Schwabe, den die Liebe vor
zwei Jahren in Brest anspülte, in der Nähe von
Marbella gelebt und gearbeitet. Und in dieser Zeit
hat er so manchen Deutschen beobachtet,
dessen Auswanderung kläglich scheiterte. "Viele
gehen einfach zu naiv an die Sache ran", sagt der
45-jährige Bauunternehmer rückblickend.
Bei ihm selbst waren es "der gesuchte Zufall und
das gefundene Glück", die dafür sorgen sollten,
zwei Jahrzehnte seines Lebens auf der iberischen
Halbinsel zu verbringen. Als er mit 23 Jahren als
gelernter Maurer nach dem Zivildienst in Spanien
anlandete,
war
nichts
weiter
als
ein
Orientierungsurlaub im elterlichen Ferienhaus
geplant, der dazu dienen sollte, sich über die
eigene berufliche Zukunft Gedanken zu machen.
"Ich wollte nie mehr auf
dem Bau arbeiten"
"Ich wollte eigentlich nie mehr auf dem Bau
arbeiten und hatte überlegt, zum Krankenpfleger
umzuschulen", erinnert sich die schwäbische
Frohnatur. Doch bevor Jörg Bodry seinen Urlaub
antreten konnte, hatten seine Eltern an der Costa
del Sol schon kräftig Werbung gemacht für ihren
Sohn, und in der Nachbarschaft wusste jeder Bescheid, dass demnächst der "deutsche Maurer" kommen
würde.
Der kam und fing schon bald an, für wenig Geld und mit geliehenem Werkzeug Gartenmauern zu errichten,
Tore einzubauen, zu malen und zu verputzen - das alles mit deutscher Gründlichkeit. "Anscheinend machte ich
meine Arbeit gut", sagt Jörg Bodry, "denn die Aufträge wurden immer umfangreicher." So wurde ihm auch
schnell die Entscheidung abgenommen, was er in Zukunft machen sollte: "Ich wurde selbstständiger
Bauunternehmer im Bereich Sanieren und Renovieren." Das entsprach zwar nicht ganz dem ursprünglichen
Bestreben, künftig Baustellen zu meiden, aber als Chef von später sechs Stamm-Mitarbeitern kamen viele
neue organisatorische Aufgaben hinzu, die dem Ganzen dann doch eine andere, spannendere Note gaben.
In einer deutschen Bäckerei lernte er seine spätere Frau Silvia kennen, die aus Bliedersdorf stammt und die
Entscheidung, bei der Rückkehr nach Deutschland den Landkreis Stade zu wählen, maßgeblich beeinflusste.
Als Auswanderer Lehrgeld in Spanien gezahlt
Natürlich musste auch Jörg Bodry sein Lehrgeld in Spanien zahlen, was zum Teil durchaus wörtlich zu
verstehen ist. Ob Behördengänge, der komplizierte Versuch, einen Stromanbieter zu wechseln, oder
vermeintliche Freunde in deutschen Bars, die sich meistens viel zu spät als Abzocker entpuppen - das alles
sind Erfahrungen, die den Schwaben zwar nicht ruinierten, ihm aber halfen, das Leben als Einwanderer besser
zu verstehen und die für Spanien notwendige Gelassenheit zu lernen. "Einige Fehltritte hätte ich mir, wenn mir
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jemand ehrliche Tipps gegeben hätte, auch sparen können", ist er im Nachhinein überzeugt.
Landeskenntnisse und die Sprache zählen
Grundsätzlich sei jedoch nichts dagegen einzuwenden, nach Spanien auszuwandern, wenn man genügend
Kenntnisse über das Land habe und gut vorbereitet sei, wozu natürlich in erster Linie auch die Sprache gehöre.
"Wer jung und abenteuerlustig ist und nur für sich selbst sorgen muss, kann sicherlich auch seinen Spaß und
Erfolg haben." Als sehr problematisch sieht Jörg Bodry jedoch alle jene Auswanderer, von denen es nicht
wenige gebe, die "sich halb spontan, weil sie mal zwei Wochen in Lloret de Mar waren, entscheiden, nach
Spanien auszuwandern". Geradezu grob fahrlässig sei es, "sich mit zwei schulpflichtigen Kindern und Hund in
den uralten, vollgestopften Kombi zu setzen und vorher noch mal kurz zu überprüfen, ob die geliehenen 800
Euro sich noch bei den 500 Euro Eigenkapital befinden."
Existenzgründung doppelt so schwer wie in Deutschland
Sich eine eigene Existenz aufzubauen, das daure schon ein Weilchen und sei doppelt so schwer wie in
Deutschland, ist sich Jörg Bodry sicher. Es gebe aber auch den Typ Auswanderer, der in Deutschland fast
sorglos gelebt hat, aber sich dann mit wenig Ahnung von Land und Leuten in das Abenteuer Auswandern
stürze. "Der einzige Unterschied zur ersten Kategorie ist das prall gefüllte Bankkonto." Aber auch diese Leute
müssten schnell feststellen: "Um in Marbella ein kleines Vermögen zu machen, muss man ein großes
mitbringen."
Die Gründe fürs häufige Scheitern
Doch was sind die Gründe fürs häufige Scheitern? Jörg Bodry: "Viele sind einfach zu unflexibel und können sich
neuen Situationen schlecht anpassen." Er hat beobachtet, dass nicht wenige Deutsche glaubten, ihr Heimatland
eins zu eins nach Spanien übertragen zu können, nur eben mit mehr Sonne und Meer. "Die hört man dann
immer sagen: 'Aber in Deutschland machen wir das ganz anders, in Deutschland gibt es dafür dies und
jenes...'." Außerdem würden einige ihr Heimatland verlassen, weil sie denken, in Spanien wäre alles viel
einfacher. Dann gebe es die, die in Deutschland vor Problemen wegrennen in der Hoffnung, von ihnen nicht
eingeholt zu werden. Diejenigen, die glauben, dass in Deutschland alles viel zu streng und engstirnig sei und es
viel zu viele Regeln gebe, würden schnell dazulernen müssen. Aber auch wer der Ansicht ist, dass die
Deutschen viel zu stur, maulig und schlecht gelaunt seien, während die Spanier alle so locker sind, Tag und
Nacht lachen und immer nur tanzen und feiern, werden ihren Irrtum schnell bemerken.
Man sucht Kontakt zu anderen Deutschen
"Wenn man frisch im Ausland angekommen ist, sucht man zu 99 Prozent Kontakt zu anderen Deutschen", ist
sich Jörg Bodry sicher. "Die Deutschen bleiben häufig unter sich und versuchen somit auch nicht aktiv, sich zu
integrieren." Das sei auch bei ihm recht ähnlich gewesen, nur dass bereits seine Firma einen multikulturellen
Mitarbeiterstamm gehabt habe. "Bei mir arbeiteten Chinesen, Marokkaner, Spanier und Deutsche."
Als Indiz für eine sich schnell ankündigende Rückkehr ins Heimatland sieht Jörg Bodry den Versuch, mal
wieder eine "deutsche" Kneipe aufzumachen. "Die geniale Idee, Frikadellen und Wiener Schnitzel verkaufen zu
wollen wie zig andere, kann ganz schnell in den Bankrott führen", so der Brester schwäbischer Abstammung
mit fast 50-prozentigem Spanien-Anteil in seiner Biografie. "Nur von den Deutschen und Touristen kann man
nicht gut leben, und der Spanier setzt sich überwiegend nicht in deutsche Pinten." Auch dann nicht, ist sich Jörg
Bodry sicher, "wenn sie noch so liebevoll dekoriert sind, voller Fußballschals von deutschen Clubs und diversen
Deutschland- und Bundesländer-Fahnen sowie unzähligen aufgespießten, vergilbten Trophäen-Postkarten an
der Wand, die aus allen möglichen Ecken innerhalb Deutschlands stammen". Also muss man sein Lokal im
Touristengebiet aufmachen und meistens "kurz danach wieder zumachen, weil das Angebot bereits groß genug
ist". Gewinner sei fast immer der Eigentümer der Immobilie, der sich seine Einrichtung auf diese Weise zig-mal
bezahlen lasse.
"Wir hatten immer vor, eines Tages zurückzukommen"
Für Jörg und Silvia Bodry stand schon lange fest, dass sie eines Tages - jedoch auf eigenen Wunsch und nicht
aus trauriger Einsicht in die Notwendigkeit - in ihr Heimatland zurückkehren würden. "Deutschland ist genial",
lautet auch das Fazit der beiden Rückkehrer, die ihre spanische Vergangenheit jedoch nicht gänzlich
abschließen werden. Die 25-jährige Tochter hat dort die Bäckerei ihrer Mutter übernommen und freut sich,
regelmäßig Besuch aus Deutschland zu bekommen.
Jörg Bodry denkt darüber nach, aus seinem fulminanten Spanien-Wissen vielleicht ein Geschäft zu machen,
indem er seine Dienste als Sachverständiger anbietet. Er könnte behilflich sein, wenn Deutsche in Spanien
Immobilien erwerben wollen und dafür sorgen, dass sie nicht vor Ort über den Tisch gezogen werden, den
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Kauf somit begleiten und überwachen. Schon etwas konkreter ist die Geschäftsidee von Silvia Bodry: Sie wird
im Mai in Harsefeld einen Laden für Wohnaccessoires, Geschenke und Tees eröffnen. Ganz ohne Spanien
geht es in diesem Fall auch nicht, denn das neue Standbein wird "La Tienda" (zu Deutsch: "der Laden") heißen.
Schon bei "Goodbye Deutschland" dabei gewesen
Wer regelmäßiger "Goodbye Deutschland"-Gucker ist (Vox), hat beim Anblick der Bodry-Familie vielleicht ein
leichtes Déjà-vu-Erlebnis, das in diesem Fall aber keine Gedächtnis-Täuschung ist: In der ersten Staffel dieser
Auswanderer-Soap kamen die Bodrys vor fünf Jahren vor, weil das Kamerateam einen ihrer damaligen
Mitarbeiter begleitete. "In der ersten Staffel wurden noch überwiegend Leute gezeigt, die ihre Auswanderung
gut überlegt und vorbereitet hatten und entsprechend zurechtkamen", weiß Jörg Bodry. Unterhaltsamer sei es
aber, was heute zunehmend über den Bildschirm flimmere; nämlich die Kandidaten, die geeignet sind, sich
nach "Goodbye Deutschland" gleich fürs nächste TV-Format zu bewerben - "Die Rückwanderer, gescheitert im
Ausland".
Ein bisschen Glück gehört fast immer dazu
Doch auch bei der besten Vorbereitung gehöre eine Portion Glück dazu, um im Ausland glücklich zu werden,
lautet das Resümee der Familie Bodry. "Das hatten wir, und dafür sind wir wirklich dankbar", sagen Jörg und
Silvia Bodry wie aus einem Mund.
Bleibt zu hoffen, dass Fortuna den beiden jetzt noch bei ihren neuen Projekten die Treue hält, damit dem
berufliche Start in der neuen alten Heimat nichts im Wege steht. Silvia Bodry (links) und ihr komplettes
Bäckerei-Team. Das Geschäft hat sie ihrer Tochter übergeben und selbst startet sie im Mai mit einem Laden
in Harsefeld neu durch.
Jörg und Silvia Bodry mit ihrem Enkel Dean Wyatt in Spanien.
20 Jahre lang arbeitete Jörg Bodry als Bauunternehmer in Spanien. Dieser Kleinlaster gehörte zu seiner Firma.
14.04.2010
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