Rede von Landrat Manfred Nahrstedt zur

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Rede von Landrat Manfred Nahrstedt zur
Rede von Landrat Manfred Nahrstedt zur Feierstunde
25 Jahre Grenzöffnung am Sonntag, 9. November 2014 in Konau (Amt Neuhaus)
- Es gilt das gesprochene Wort. –
Herzlichen Dank an Flutissima unter der Leitung von Nicole Maack für den
wunderbaren musikalischen Einstieg. Wir werden heute noch mehr von Ihnen hören.
Vielen Dank dafür!
Sehr geehrter Herr Minister Backhaus, lieber Till,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Mielke, lieber Jörg,
sehr geehrter Herr Landessuperintendent Rathing,
sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete Lotze, liebe Hiltrud,
sehr geehrte Frau Landtagsabgeordnete Schröder-Ehlers, liebe Andrea,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Richter,
sehr geehrter Herr Städtetagspräsident Mädge, lieber Ulrich,
sehr geehrter Herr Dr. Allerdissen,
sehr geehrter Herr Schurreit, lieber Wolfgang,
sehr geehrter Herr Fietz, lieber Franz,
liebe Kreistagskolleginnen und -kollegen,
liebe Bürgermeisterkollegen aus den Landkreisen Lüneburg u. Lüchow-Dannenberg,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
herzlich willkommen hier an der Elbe im Marschhufendorf Konau.
Wenn es ein besonderes Datum in unserer Geschichte gibt, dann ist das der 9.
November. Denn an keinem anderen Tag konzentrieren sich historische Ereignisse
so sehr wie heute.
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Es ist ein Tag der Freude, aber auch der Unmenschlichkeit und Nachdenklichkeit.
Für den heutigen Anlass ist der 9. November aber ein Tag des Triumphes von
Freiheit und Demokratie, wie es Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal
ausdrückte.
Ich empfinde heute – genau wie 1989 – große Freude darüber, dass der Mut der
Menschen die Grenze vor unserer Haustür überwunden hat.
Heute ist Wirklichkeit, was damals noch undenkbar war: wir alle stehen bzw. sitzen
als Bürgerinnen und Bürger eines deutschen Staates hier und können gemeinsam
feiern.
Und genau das möchten wir heute mit Bürgerinnen und Bürgern aus dem gesamten
Landkreis Lüneburg tun. Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen!
Anrede,
Wir alle hier wissen es: Der Mauerfall vor 25 Jahren wäre ohne den Mut und die
Friedfertigkeit Tausender DDR-Bürgerinnen und -Bürger nicht vorstellbar.
Im Herbst 1989 reagieren die Menschen auf Bevormundung,
Einschüchterungsversuche und Verhaftungen anders, als es die Staatsmacht
erwartet.
Sie gehen immer zahlreicher auf die Straßen und protestieren gegen das SEDRegime.
Am 7. Oktober findet im vogtländischen Plauen die erste Demonstration statt, die die
Sicherheitsorgane nicht mehr auflösen können. Zwei Tage später die erste
ungehinderte in Leipzig.
In Plauen sind noch keine Kameras dabei.
Doch von der Leipziger Montagsdemonstration gehen die Fernsehbilder um die Welt.
Sie haben Signalwirkung und machen das scheinbar Unmögliche möglich.
Mit Kerzen und Gebeten und mit den Rufen „Keine Gewalt“ oder „Wir sind das Volk“ –
aber auch „Wir bleiben hier“ –wächst der Mut der Menschen, verfliegt die Angst und
der Freiheitswille siegt über jahrzehntelange Unterdrückungspolitik.
Am 18. Oktober wird Staats- und Parteichef Erich Honecker von seinen eigenen
Genossen abgesetzt, weil sie die Hoffnung haben, mit seinem Nachfolger Egon Krenz
die Vormacht der SED noch retten zu können.
2
Am 4. November gab es die erste genehmigte Massendemonstration in Ost-Berlin.
Und dann kam der 9. November 1989.
Anrede,
Ein Zettel bringt eine Diktatur zu Fall. Keiner hat es beabsichtigt, keiner gab den
Befehl, und keiner war schuld – und doch haben alle mitgemacht.
Am Morgen des 9. November 1989 verfasst Gerhard Lauter im DDRInnenministerium eine neue Reiseregelung.
Eigenmächtig und gegen den Auftrag des SED-Politbüros verordnet der junge
Funktionär eine Reisefreiheit für alle – allerdings geordnet, langfristig und
bürokratisch.
Am Nachmittag gerät sein Papier in die Hände von Günter Schaboski, der den Text
voreilig und konfus im Fernsehen vorträgt. Schabowskis Zettel treibt die Menschen in
Scharen an die Grenzübergänge.
Harald Jäger, Chef der Passkontrolle an der Bornheimer Straße, hat in dieser Nacht
die Wahl: Grenzen öffnen oder schießen lassen.
An diesem Tag geschieht etwas Einmaliges: Für wenige Stunden verliert der
Obrigkeitsstaat seine Macht. Die Menschen in Berlin nehmen ihr Schicksal selbst in
die Hand. Eine Revolution von unten – und von beiden Seiten.
So der Text einer Spiegel TV Produktion zum 9. November 1989 mit dem Titel: Das
Protokoll eines historischen Versehens.
Anrede
heute auf den Tag genau vor 25 Jahren öffnete sich die innerdeutsche Grenze in
Berlin. Die Grenzöffnung und die folgenden Ereignisse lösten eine große Euphorie
aus.
Heute vor 25 Jahren waren wir für den damaligen regierenden Bürgermeister von
Berlin, Walter Momper, „das Glücklichste Volk der Welt“, und das Wort des Tages
und des Jahres lautete „Wahnsinn.“
Auch bei uns in Stadt und Landkreis Lüneburg brach eine riesige Welle der Freude
und der Solidarität los. Und am Samstag nach der Grenzöffnung – es war der 11.
November – waren alle Parkplätze in Lüneburg und Straßenränder mit Trabis besetzt.
Man konnte sie sehen und riechen.
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Erinnern Sie sich noch daran, was Sie heute vor 25 Jahren gemacht haben? Ich weiß
es noch ziemlich genau, so als wäre es gestern erst gewesen.
Ich saß damals so gegen kurz vor 19 Uhr abends mit meinem Sohn auf dem Sofa
und wollte mit ihm zusammen das Ost-Sandmännchen sehen.
Ich hatte mir damals extra einen Farbfernseher gekauft, der sowohl das SECAM als
auch das PAL Farb-System übertragen konnte. Also Ost- und Westfernsehen in
Farbe übertrug.
Aber das Sandmännchen bekam mein Sohn an diesem Tag nicht zu sehen.
Stattdessen sah ich mir eine internationale Pressekonferenz zum neuen DDRReisegesetz an.
Um 19.53 Uhr, also zur Sendezeit des DDR-Sandmännchens, gab das
Politbüromitglied Günter Schabowski auf die Frage „Wann tritt das in Kraft?“ stockend
und in Papieren blätternd bekannt: „Das trifft, nach meiner Kenntnis, ist das sofort,
unverzüglich.“
Das war eine Pressekonferenz, die wir nie mehr vergessen sollten. Denn damals
verkündete Günter Schabowski, dass ab sofort für Reisen aus der DDR ins Ausland
keine Voraussetzungen mehr erfüllt werden müssen.
Der Moderator Hanns Joachim Friedrichs eröffnete um 22:42 Uhr die ARDTagesthemen mit den Worten:
„Guten Abend, meine Damen und Herren. Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht
geboten, sie nutzen sich leicht ab, aber heute Abend darf man einen riskieren: Dieser
9. November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab
sofort für jedermann geöffnet sind, die Tore in der Mauer stehen weit offen.“
Eine Liveschaltung zur menschenleeren Invalidenstraße zeigt zwar noch keinen
verstärkten Menschenzulauf, doch nach den Nachrichten setzt ein Massenansturm
auf die Grenzübergänge ein. Und zwar auf beiden Seiten der Mauer.
Nachdem die Lage der Kontrolleure in der Bornholmer Straße zunehmend
bedrohlicher geworden ist, öffnen sie um 23:30 Uhr den ersten Berliner
Grenzübergang, dem die anderen unmittelbar folgen.
In jener Nacht strömten Zehntausende Ostberliner nach Westberlin und umgekehrt
Westberliner nach Osten.
Um 2.17 Uhr in der Nacht vom 9. auf den 10. November rollte das erste Fahrzeug
über den Grenzübergang Lauenburg.
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Am 19. November fuhr mit der „Drawehn“ erstmals eine Fähre zwischen Hitzacker
und Herrenhof. Und eine Woche später setzten die Fähren zwischen Bleckede und
Neu Bleckede sowie Neu Darchau und Darchau über.
An den Grenzübergängen ging die deutsche Teilung im fröhlichen Gedränge und in
Freudentränen unter. Die Mauer, die 28 Jahre lang die Menschen getrennt hatte, fiel.
Damit wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der schließlich 11 Monate später zur
Wiedervereinigung führte und es möglich machte, dass seit 1993 das Amt Neuhaus
wieder zum Landkreis Lüneburg gehört.
Anrede
Ich könnte jetzt noch viel sagen, denn auch meine Familie war jahrzehntelang durch
die Grenze getrennt.
Mein Bruder lebte, nachdem er aus Bielefeld wieder in die DDR zurückgegangen war,
mit seiner Frau und seinen Kindern bei Magdeburg. Unsere Eltern und ich im Westen,
in Bielefeld.
Dies war eine Folge des 17. Juni 1953, denn mein Vater flüchtete nach dem
Arbeiteraufstand nach West-Berlin, um einer Verhaftung zu entgehen.
Mein Bruder, der einige Jahre später bei seinem Fluchtversuch aus der DDR gefasst
wurde, durfte nach seinem Gefängnis-Aufenthalt in Bautzen nicht in unser Elternhaus
bei Magdeburg zurück. Er wurde mit seiner Familie an die polnische Grenze
zwangsumgesiedelt.
Unser Elternhaus wurde abgerissen und das Grundstück verkauft.
Was das alles an Leid, gerade für meine Eltern bedeutete – Familie zerrissen, Haus,
Hof und Freunde verlassen zu haben, seiner Wurzeln beraubt und Flüchtling zu sein
–, das will ich jetzt nicht weiter vertiefen.
Dieses Schicksal verbindet meine Familie mit vielen Menschen, hier im gesamten
Landkreis Lüneburg und in ganz Deutschland. Denn die Teilung hat schließlich viele
Familien zerrissen.
Mit ihnen allen teile ich heute die Freude der Grenzöffnung von 1989.
Doch nun möchte ich gerne hören, was uns Bürgermeisterin Grit Richter,
Landessuperintendent Dieter Rathing, Staatssekretär Dr. Jörg Mielke und Minister Dr.
Till Backhaus über ihre Eindrücke zum 9. November zu sagen haben.
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Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich mich ganz herzlich bei Helga Haas für die
grenzhistorische Führung bedanken. Das war eine gute Einstimmung auf die jetzige
Feierstunde.
Ganz herzlichen Dank an Frau Kuntzsch-Zschoch für ihr Engagement, dass wir hier
und heute wieder einmal in ihrem Haus sein dürfen. Vielen Dank dafür.
Danken möchte ich dem Blasorchester Flutissima unter der musikalischen und
organisatorischen Leitung von Nicole Maack, der diesjährigen Kulturpreisträgerin des
Landkreises Lüneburg, dass sie uns heute mit großem Orchester begleiten.
Herzlichen Dank dafür.
So, der Dank ist ausgesprochen, damit gebe ich das Wort an Grit Richter, die
Bürgermeisterin von Amt Neuhaus.
Schlussworte
Anrede,
mein Dank gilt allen, die diese Feier mitgestaltet haben. Ganz besonders bedanke ich
mich bei unseren Rednern, die uns die Ereignisse des 9. November noch einmal aus
ihrer ganz persönlichen Sicht vor Augen geführt haben.
Allen voran danke ich Dr. Till Backhaus, der in Amt Neuhaus aufgewachsen ist, für
seine Festrede.
Herzlichen Dank auch an Grit Richter als Bürgermeisterin der Gemeinde Amt
Neuhaus, Landessuperintendent Dieter Rathing und Staatssekretär Dr. Jörg Mielke.
Schön, dass Sie dabei sind.
Anrede
„Wenn Musik mein Herz erfüllt, erscheint das Leben mühelos.” So steht es auf der
Homepage des Blasorchesters Flutissima aus Bardowick unter der Leitung von Nicole
Maack.
Sehr geehrte Frau Maack, nachdem, was wir heute musikalisch gehört haben, kann
ich dem nur zustimmen.
Ich freue mich sehr, dass Sie heute dabei sind und die junge Generation des
Landkreises Lüneburg mit repräsentieren. Vielen Dank dafür!
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Anrede,
bevor ich zum Schluss komme, möchte ich Sie ganz herzlich zum Empfang in Konau
11 einladen.
Ich freue mich, dass wir heute dort zu Gast sind. Das Hofcafé Konau 11 ist gerade
rechtzeitig fertig geworden. Die Betreiber Annegret Becke und Klaus Gervink
verwöhnen uns – und in Zukunft auch andere Gäste – mit Spezialitäten der Region.
Der Hof ist übrigens mit Mitteln der Sparkassenstiftung renoviert worden. Neben dem
Hofcafé beherbergen die Räume den Verein Konau 11 – Natur e.V., der einen Beitrag
zum Erhalt der Obstbaumalleen und Streuobstwiesen in Amt Neuhaus leisten will und
Trockenobst sowie Apfelsaft vertreibt.
Nur ein Beispiel für viele Vereine und Initiativen, die bei uns an der Elbe entstehen
und hier mit vielen ehrenamtlichen Helfern etwas Neues aufbauen. Da tut sich was in
der Region, und das freut mich.
Uns allen wünsche ich noch eine schöne Feier und anschließend eine gute
Heimfahrt.
Bevor wir zum Empfang gehen, möchten wir mit Begleitung von Flutissima die
Nationalhymne singen.
Bitte erheben Sie sich dazu.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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