abraham geiger: vom wissen zum glauben - Rosa-Luxemburg

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abraham geiger: vom wissen zum glauben - Rosa-Luxemburg
PHILOSOPHIEABENDE
LISA-CAFÉ
VERWALTEN, VERZWEIFELN, GESTALTEN
PROVINZ VERSUS PROVINZIALITÄT
STOLPERSTEINE
15.1.2013
SENFTENBERG
ABRAHAM GEIGER: VOM WISSEN ZUM GLAUBEN
Philosophieabend zu diskreditierten und verleugneten Traditionen kritischen
Denkens mit Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann, MdL (Philosoph; Senftenberg)
zu Gast: Prof. Dr. Walter Homolka (Rabbiner, Rektor des Abraham-GeigerKollegs an der Universität Potsdam)
Seit einigen Monaten beschäftigen sich die Philosophieabende
mit Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann,
MdL (Philosoph) mit „Diskreditierten und verleugneten Traditionen
kritischen Denkens“ und stellen
Personen mit ihrem Leben und
Werk vor, die trotz herausragender schriftstellerischer, politischer
oder philosophischer Leistungen
(heute) kaum bekannt sind.
Für die erste Veranstaltung im
neuen Jahr hatte Hoffmann einen
Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka (stehend) bei seinem Vortrag im bis auf den sehr prominenten Gast für einen
letzten Platz besetzten Lausitz-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg
Vortrag mit anschließender Disin Senftenberg (Foto: C. Bürgelt)
kussion gewinnen können. Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka war nach Senftenberg gekommen, um 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern Abraham Geiger (1810-1874) vorzustellen – einen der wichtigsten
Vertreter des Reformjudentums und Mitbegründer der Hochschule für die Wissenschaft
des Judentums in Berlin.
Rabbiner Homolka steht dem Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam seit
seiner Gründung 1999 als Rektor vor. Dabei handelt es sich um die erste Ausbildungsstätte für Rabbiner auf dem europäischen Festland nach der Schoah. Die Geschichte um
die Namensfindung für das Kolleg bildete denn auch den Einstieg in den sehr interessanten Abend, bei dem sehr aktuelle Bezüge zu Tage traten.
Abraham Geiger wuchs in einem sehr orthodoxen Elternhaus aus – und versuchte früh,
sich aus der geistigen Enge, deren Grund er im Nicht-Nachdenken sah, zu befreien. Nicht
zuletzt gehörte das autodidaktische Erlernen orientalischer Sprachen dazu.
REGIONALBÜRO LAUSITZ
Cathleen Bürgelt / Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann (MdL) / Brigitte Rex
Bärengasse 3, 01968 Senftenberg
Telefon / Fax: 03573 – 65 89 586
E-Mail: [email protected]
Später promovierte er in Orientalistik, eines der wenigen Fächer, die Juden zur damaligen
Zeit überhaupt studieren durften. Seine Betrachtungen des Korans gelten als bahnbrechend und als wesentliche Beiträge für den Beginn der Islamwissenschaften. Auch seine
Idee vom Gewordensein der hebräischen Bibel gilt als wegweisend.
Abraham Geiger war einer der ersten, die sich aus jüdischer Perspektive mit Jesus Christus beschäftigte – argwöhnisch betrachtet von christlichen Theologen. Homolka, der
selbst ein Buch zu Jesus geschrieben hat, konnte anschaulich darstellen, welchen
Schwierigkeiten Abraham Geiger im 19. Jahrhundert ausgesetzt gewesen sein muss,
wenn denn selbst heute dieser Blickwinkel auf Jesus noch immer kritisch beäugt wird.
Homolka beschrieb eindrücklich die schwierige Situation, in der sich Geiger im 19. Jahrhundert befand, stellte es doch eine besondere Herausforderung dar, seine wissenschaftlichen Arbeiten ohne theologische Ausbildung und ohne Anbindung an eine Universität
zu entwickeln – nicht zuletzt in einer Gesellschaft, die die Wertigkeit der jüdischen Religion und Tradition in Abrede stellte und sie erst recht keiner wissenschaftlichen Betrachtung würdigte.
Geigers Lebensaufgabe sollte denn so auch die Etablierung der jüdischen Theologie als
Wissenschaft werden. Bereits 1836 hatte er, damals erst 26-jährig, formuliert, dass die
Emanzipation der Juden so lange nicht gelingen wird, wie Rabbiner nicht wie evangelische oder katholische Theologen ausgebildet werden – in universitärer Anbindung und
mit den selben kritischen Ansatzpunkten. Man müsse, so Geiger, den Dingen auf den
Grund gehen – wozu ein umfangreiches Studium der Grundlagen ebenso gehöre wie das
der Alternativen.
Für Geiger war es zeitlebens wichtig, sich trotz eines reglementierten Alltags geistig freie
Räume zu erarbeiten. Gedacht werden kann alles, nur muss es sich dann im Streit der
Argumente beweisen. „Durch Erforschung des Einzelnen zur Erkenntnis des Allgemeinen, durch Kenntnis der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart, durch Wissen
zum Glauben“, so hatte Geiger seinen Ansatz formuliert – der heute auch Leitspruch des
Abraham-Geiger-Kollegs ist.
Zwar gelang es, 1872 die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin zu
gründen, allerdings nicht als Teil der damaligen Friedrich-Wilhelm-Universität.
Dies soll nun, über 175 Jahre nach der von Geiger geforderten Gleichberechtigung der
Ausbildung für das geistige Amt, in Brandenburg mit der Gründung einer jüdischtheologischen Fakultät realisiert werden.
Die anschließende Diskussion griff denn auch diesen aktuellen Bezug ebenso auf wie die
Antisemitismus-Debatte und den kritischen Umgang mit Israel.
Homolka zeigte sich über den großen Zuspruch zu der Veranstaltung und die rege Diskussion erfreut: „Geiger ist nun in Senftenberg bekannter als in den meisten anderen
Städten.“ Für ihn war mit dem Philosophiekurs zudem „Geigers Tag“ angebrochen. Am
folgenden Mittag beschäftigte sich der Wissenschaftsausschuss des Landtags Brandenburg nämlich mit einem Entwurf zur Änderung des Brandenburgischen Hochschulgesetzes, der die Einführung einer jüdisch-theologischen Fakultät an der Universität Potsdam
ermöglichen soll, damit die Rabbinerausbildung vollständig an die Universität anbindet
und Geigers Wunsch nun endlich in Erfüllung geht.
Cathleen Bürgelt

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