Das indische Grabmal in den Dünen

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Das indische Grabmal in den Dünen
D
ie Zeit trägt den Vogel der Vergänglichkeit ins Unerreichbare
davon. In der Kindheit war der
Himmel uns so nah wie die .Sommerfrische am Kalksee. Woltersdorf! Eine Welt
von größter Einfachheit, ein Garten der
Ordnung. Die Fuchsberge, die Kranich~
berge, die Eichberge - sanfte Erhebungen
im märkischen Sand. Die Straßenbahn,
die in 20 Minuten vom Bahnhof Rahnsdorf durch Feld und Kiefernwald hierher
rüttelt. Ein liebenswerter Ort mit heute
knapp 6000 Einwohnern. Di~ Schleuse,
die Kalksee und Flakensee verbindet, zog
. sie an. Die Schleuse ist das Herzstück von
Woltersdorf, sein Wahrzeichen und Symbol im Auf und Ab der Zeiten.
Und überall, auf Schritt und Tritt, der
Teergeruch - heute wie vor 40 Jahren.
Mit dem Unterschied, daß damals allen
Ernstes behauptet wurde, dieser Duft von
den Rüttgerswerken sei gesund für die
Lungen. Künstler und andere Privilegierte des DDR-Staatsvolks haben in Woltersdorf ihre H;ütten; denn paläste sind es
wahrlich nicht: Ein- und Zweifamilienhäuser vom Ende des vorigen Jahrhunderts, abgeschirmt von Staketenzäunen.
Der Weg die Kalkseestraße entlang zum
Strandbad .ist noch immer der gleiche.
Noch immer stehen in der Nähe des
kleinen Badestrandes die beiden Eisen~
schaukeln, heute hoffnungslos verrostet.
Hier schaukelt niemand mehr. Früher
Das' indische Grabmal in de
hatten in Woltersdorf auch West-Berliner
ihre Wochenendgrundstücke. Vor 37 Jahren - im Sommer 1952 - untersagten
ihnen die Ost-Berliner Behörden den Zutritt. Etwa 35000 West-Berliner
mit
Haus- und Grundbesitz im andern' Teil
oder in der Umgebung der Stadt waren
davon betroffen. Sie durften Pächter einsetzen. Mitunter waren es Freunde oder
Verwandte, die bis heute als Statthalter
fungieren.
Erkner, Grünheide und Schöneiche
sind nicht weit. Orte, in denen Männer
mit großen Namen lebten. Gerhart
Hauptmann zog 1885 nach Erkner in die
"Villa Laßen", und schrieb dort den
"Bahnwärter Thiel". In Grünheide wohnten Ernst Rowohlt, der Verleger, und
Georg Kaiser, der produktivste Dramatiker des deutschen Expressionismus. In
Schöneiche hat sich 1809 der schwerverwundete Freiheitskämpfer
Adolf von
Jahre neu gedreht wurde und zweimal
Lützow vor Napoleons Soldaten verborWoltersdorf zum Drehort hatte, ist' hier
gen. 120 Jahre
später
arbeitete
in
Schöneiche Ernst Thälmann fürs Zennoch nie gelaufen: "Das indische Grabmal". Anfang der zwanziger Jahre vertralkomitee
der' KPD, und nach 1945
filmte Joseph Mandel alias Joe May das
nahm hier einer der "proletarisch-revoluDrehbuch der Fritz-Lang-Ehefrau
Thea
tionären" Lyriker der DDR seinen Wohnvon Harbou mit einer Hauptdarste'llerin
sitz: Walter Dehmel ("Wir sind die Junnamens Lya de Putti in der Rolle der
gen, die Unruhevollen").
Und Woltersdorf? Es war ein Filmdorf Tempeltänzerin.
Auch Pola Negri soll
ein ruhmreiches, das kaum einer k,ennt. mitgespielt haben. Fritz Lang wurde als
Regisseur vom Produzenten Mo.y ausgeEin Sproß der Zirkusfamilie Althoff bebootet. Indische Tempelfassaden
und
trieb in seinem Garten an der StrandproGötterstatuen ließ May aus Gips nachbilmenade ein meist überlaufenes Freiluftden.
kino. Ins "Korso", wo nach 1945 ein sowjeDurch die Woltersdorfer Dünen streiftischer Spielfilm nach dem anderen abten bei den Dreharbeiten leibhaftige Tirollte, hat sich nun Hollywood vorgearbeitet: "Zeit der Zärtlichkeit" mjt Shirley . ger 1jnd Elefanten. Die Gipsfiguren erwarb anschließend der Hofmaler Fischer
McLaine und Jack Nicholson wtrdM gezeigt, aber mit 50 Prozent Zuschlag (wohl
und stellte sie in seinem verwilderten
Garten am Fuß der Wurzelberge auf (dort
wegen der Devisen beim Verleih oder
steht jetzt Woltersdorfs zweites Kranwegen der "Oscars").
Der Film aber, der seit 1920 etwa alle 20 kenhaus). '
D neo
Die Elef- nten und Tiger kehrten nach
Woltersdor zurück, als Richard Eichberg
1938 "Das indische Grabmal" mit der
schönen
Jana (bürgerlicher Name:
Henriette ,Henny" Hiebei) ein zweites
Mal verfiI t~, diesmal mit Ton. Beim
dritten Au guß in Farbe, 1958, konnte
Fritz Lan endlich die. 40 Jahre zuvor
verpaßte
elegenheit wahrnehmen und
"Das indis e Grabmal" mit Debra Paget
und Paul ubschmid in den Hauptrollen
zu dem ma hen,was die Filmkritik dann
als . "elefaJ töse Schauerschnulze"
bezeichnete. och Woltersdorf blieb außen
vor. Gedre t wurde in Arthur Brauners
CCC-Ateli s in Berlin-Spandau - und in
Indien. B galen war 1958 für einen
West-Berli er Filmproduzenten leichter
erreichbar Is der Kalksee und der Woltersdorfer
'ez, Jetzt steht dort, wo vor
mehr als 5 Jahren die Tiger mit La Jana
durch die ünen schlichen" das "Ferien-
objekt" des "VEB Stahlbau Halberstadt",
von Dünen keine Spur mehr. Und durch
die anliegende Schumannstraße, in deren
Sandspuren die Kinder früher die hohe
Kunst des Fahrradfahrens
erlernten,
knattern heute Halbwüchsige auf ihren
"MZs", den Stars unter den DDR-Motorrädern.
Woltersdorf ist Sommerfrische und
Ausflugsziel geblieben. Hier legen die
Dampfer der "Weißen Flotte" an und
überwinden die Lastkähne so manchen
Höhenunterschied. Die Schleuse ist in
den siebziger Jahren modernisiert worden. Schon 1557 soll sie in Betrieb gewesen sein. Nur die Straßenbahn scheint
stillzustehen, wenn sie nicht fährt - an
Aussehen, im Geräusch und in der Geschwindigkeit hat sie sich durch die Jahrzehnte nicht verändert. Die Woltersdorfer
Bäckerei verkauft "Buttergebäck" und
"Softeis". Im Schl'eibwarenladen nebenan gibt es papierene Partei- und Staatsembleme und Häkeldeckchen, und auch
die Woltersdorfer haben beim Einkaufen
den neuel'l DDR-Spruch auf den Lippen
"Was du nicht heute kannst besorgen, das
verschieben andere morgen". Die Grußpostkarten jedoch zeigen, treulich abgebildet, die Idyile, unsere kleine Stadt - mit
viel Anstrengung und viel Alltäglichkeit
wie Grover's Cornl'!rs oder Altershausen.
Woltersdorf hat sich gewandelt - und ist
doch geblieben, was es war.